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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.03.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-03-07
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980307027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898030702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898030702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-03
- Tag1898-03-07
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VezugS-Prei- Dt» Morgea-Lu-gab« erscheint mn '/.? Uhr. bk» Wrud-LuSgab« ISochentagS «» t Uhr. Neö«ti«i «r Lrve-itto«: -oduunesgafie >. DirUxpeditio» ist Locheatag» »nuntr^rvche» »Sffiut vo, früh 8 bt» «Lend« ? Uhr. Filiale«: vtt» «e»»'S Lorrtm. Mlfretz v«h«), UutversitüKstratze 8 lPaultwaa), r-«ts r-fthe. D-t. «» «s»v»dck 7. Abend-Ausgabe. 1^0 UrlpMerTageblatt Anzeiger. Ämlsvkatt des Äönigttchen Land- und Ämtsgerichtes Leipzig, des Mathes nnd Mokizei-Änrtes der Ltadt Leipzig. US Montag den 7. März 1898. Lrrrzetgeu-PreU die «gespaltene Petitjeile 2(i Psg. Mrelamra unter dem Rtdactionssrrich (4g» spalte») bO^, vor den Familiennackrickte» (8-espalte») 40/G. »röher« Schriften lant unserem Pn!S- derzeichnitz. Tabellartschet und Ztsternsatz nach höherem Tarif- Erira»Beilagen (gesalzt), nur mit de» Vtorarn-Ausgabe, ohne Postbefördero^ «0—, mit Postbeförderuag ^l 70.—. Annahmrschluß für Änzeizen: Nbead-AuSgabe: Vormittags 10 Uhr. Riorgru»AuSgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Bei dai Mialea and Annahmestellen je eiaa halbe Stande früher. Anzeigen sind stet« an dir Expedition zu richten. Truck and Verlag von E. Pol» ür Leipzig 92. Jahrgang. Der Sturz -es Ministeriums Gautsch. —p. Da» österreichische Ministerium Gautsch berief den ReichSrath ein, veröffentlichte an demselben Tage die neuen Sprachenverordnungen und — ging! Das sieht ja gerade so au-, alS sei seine Demission kein« freiwillige, denn wäre sie die«, so batte Freiherr v. Gautsch nicht erst jene Verord nungen erlassen, von deren DiScussion im ReichSratb er sich eine Versöhnung der nationalen Gegensätze in Bödmen und Mähren versprochen bat. Er boffte dies, wollte seinen AuS- gleichSversuch selbst parlamentarisch vertreten und so war die logische Consequenz, daß er blieb. Aber warum dieser verblüffende Sturz in den Abgrund, nachdem anscheinend tue Höhe eines großen Erfolge- erklommen war? Man findet keine andere Antwort alS die, daß in der Wiener Hofburg da-, waS Herr v. Gautsch als Erfolg ansieht, als daS gerade Gegentheil, als eia eklatanter Mißerfolg gewerthet wird. Gautsch hatte, nachdem der Deulsckenfeind Badeni vom Schauplatz seiner staatSgefäbrlichen Tbätigkeit unrühmlich verschwunden war, die Mission übernommen, den Abgrund, der sich zwischen Deutschtbum und Slaweuthum aufgethan, zu überbrücken, beide Nationalitäten, wenn auch nicht zu versöhnen, so doch einem erträglichen woäus vironcli zuzuführeu. DaS ist ihm, wie ein Blick in seine neuen Sprachenverordnungen zeigt, nicht geglückt. Die Tschechen zwar werden durch sie nicht auf den KriegSpfad getrieben. Sind sie auch nicht voll ständig, namentlich waS Mähren betrifft, befriedigt, so müßten sie dock blind sein, wollten sie nicht sebea, daß ihre Todfeinde, die Deutschen, so gut wie leer ausgegangen, ja daß dem Tschechentum nach wie vor die Möglichkeit gegeben ist, seine „Culturarbeit" im deutschen Sprachgebiete fortzusetzen. Theoretisch wird das deutsche Sprachgebiet in Böhmen anerkannt, in der Theorie wird auch daS Princip ausgestellt, daß in diesem Sprach gebiete die deutsche Sprache Amts- und Dienstsprache der Behörden sei. Praktisch behandeln die neuen Verordnungen ras deutsche Sprachgebiet nicht anders, als ob cs ein gemischtsprachige- Gebiet wä-e; durch die einzelnen Bestimmungen wird jener generelle Grundsatz siebartig durchlöchert. Nachdem die Regierung die Eintheilung BöbmenS in ein deutsches, ein tschechisches und ein sprachlich gemischtes Gebiet ausgestellt balle, war zu er warten, daß in dem deutschen Gebiete die deutsche Amts sprache in demselben Umfange Geltung haben werde, wie in anderen deutschen Gebieten rer Monarchie. Wie kann man aber von deutscher Amtssprache im deutschen Gebiet sprechen, wenn bei den deutschen Behörden aus Verlangen tschechische Protokolle geführt, die Aussagen tschechischer Zeugen und Sach verständigen tschechisch ausgenommen werden müssen, wenn im Strafverfahren gegen einen tschechischen Angeklagten die deutsche Amtssprache der Behörde darin sich äußert, daß die Anklage tschechisch abgefaßt wird, Staatsanwalt und Verthei- diger tschechisch plaikiren müssen, vieHauptverbandlunz vor den deutschen Geschwornen tschechisch geführt wird, wenn im Eivilvcrfahren bas Gericht verpflichtet ist, bei der mündlichen Verhandlung die Sprache zu gebrauchen, in welcher die Ver handlung von den Parteien geführt wird, also auch in tsche chischer Sprache, wenn es einem tschechischen Abvocaten so beliebt? Für die sprachliche Qualifikation der Beamten bei Besetzung jedes DienstpostenS soll daS „thatsächliche Be- dürfniß" maßgebend zu sein. Wie viele Dicnsiposten aber wird e-, wenn auch bei den deutschen Behörden so viel tschechisch amtirt werden muß, selbst bei tendenziöser Beurtbei- lung des Bedürfnisses noch geben, aus denen die Kenntniß der tschechischen Sprache entbehrt werden kann? Wird es deren überhaupt noch geben, wenn eine Negierung es zweck mäßig findet, sich bei Besetzungen den Tschechen gefällig zu erweisen, weil sie im gegebenen Augenblicke ihrer Stimmen bedarf? Es bleibt kaum mehr übrig, als daß die Behörden im deutschen Sprachgebiet nickt mehr gezwungen sind, auch im innern Dienst sich der tschechischen Sprache zu bedienen, wenn eö einem tschechischen Abvocaten beliebt, durch ein tschechisches „Anbringen" nach der sinnreichen Erfindung des Grafen Badeni, sie für den ganzen Verlauf einer bestimmten Amts sache dazu zu verhallen. Die Hauptbeschwerde der Deutschen, daß ihnen in ihrer Heimath ganz willkürlich der Staatsdienst ver schlossen wird, wenn sie sich nicht die für jeden anderen Zweck unbrauchbare Kenntniß der tschechischen Sprache erwerben, ist somit nicht oder in einem kaum wahr nehmbaren Grade behoben, und eine Einstellung des Kampfe- ist von den Deutschen nicht zu erwarten. Ihre Presse nimmt denn auch schon in der allerscbärfsten Weise gegen die neuen Verordnungen des Gautsck'S Stellung, und man kann mit Bestimmtheit vorauSsehen, daß im NeichSratbe die ObstructionSscenen vom vorigen Jahre sich wiederkebrrn und Oesterreich von Neuem den bedenk lichsten Erschütterungen preiSgeben werden. Unter solchen Umständen ist eS nur zu erklärlich, daß der Kaiser sich obne Verzug von einem Ratd- geder trennt, der den Karren einfach da sieben läßt, wo er ihn gefunden hat. Die Ernennung deS Grafen Franz Thun zum Nachfolger Gautsch'S scheint darauf hinzudeulen, daß der Kaiser auf eine, wenigstens etwas, weilergehende Berücksichtigung der deutschen Wünsckc dringt. Graf Thun, der ehemalige böhmische Statt halter, besten harte Faust die Iungtsckechen kennen, gilt als Feudaler, jedoch als sehr gemäßigter. Er war früher tschechischer Parteigänger, forderte einst im böhmischen Landtag die KönigSkronunq deS Kaisers, zerwarf sich dann aber mit den Tschechen. Einen Au^nabmSzustand über Prag verhängte er unter Taaffe. In den letzten Iabrcn wurden Tbun's Beziehungen zu den Deutschen freundlicher. Jetzt findet, wie dem „B. T." auS Wien gemeldet wird, seine Ernennung deutscherseits eine zwar reser- virte, doch keineswegs gegnerische Aufnahme. Seine Geradheit, seine geistige Capacität und Energie werden bereitwillig anerkannt. Er soll daS Parlament arbeits fähig machen und den Ausgleich mit Ungarn ab- scktießen. Graf Tbun wird unbedingt im Nahmen der Ver fassung regieren. Als ausgeschlossen ist es anzuseben, daß er zu Ungunsten der Deutschen vorgeben werde. Allerdings will er gegen die extremen Elemente auftreten, aber nicht bloS bei den Deutschen, sondern auch bei anderen Nationalitäten. Eine föderalistische Politik ist unter Tbun schlechterdings ausge schlossen. Er will die Gemäßigten heranziehen, in erster Reche den liberalen Großgrundbesitz, und auch eine Ver söhnung mit den Feudalen anbahnen. Der liberale Groß grundbesitz soll die Mittlerrolle übernehmen. Politische Tagesschau. * Leipzig, 7. März. Der heutige 7. Mär; dürfte ein nicht unwichtiger Tag in der Geschichte des Iabres werden. Herr Vopelius wird den viel besprochenen Ausruf zur Sammlung der Erwerbsstände zur Unterzeichnung versenden und die Eentruinssraction macht sich beute vielleicht über die Militairstrafproceßordnung, jedenfalls aber über das Flotteugesct; schlüssig. Was nun diese Angelegenheit anlangt, so ist sie am Sonnabend doch weiter gediehen, als wegen der weit auSgesponnenen Berathungen der Budgetcommiision unser letztes Berliner Telegramm in der Sonntags- AuSgabe melden konnten. Ueber die wesentliche Verbesserung der Vorlage durch die Annahme des Antrages Müller, die erforderlichen Schiffsneubauten in sechs stall in sieben Jahren fertigzustellen, hatten wir übrigens gleichzeitig berichtet. Die Beschleunigung des Baues bringt zwar, wie selbstverständlich, keine Ersparniß, wenigstens keine mit Sicherheit vorauszu sehende Ersparniß mit sich, sie bringt unS aber die ge steigerte Schlagfertigkeit zur See früher und sie verkürzt — dies der dem Antrag zu Grunde liegende Beweggrund — die Bindung des Reichstags nm ein Zabr und um eine Summe von mehr als 50 Millionen Mark. In der Sprache der Floktengegner heißt das Letztere: Die Preisgabe der Volks rechte erfährt eine wesentliche Einschränkung. Herr Richter und der „Vorwärts" bekennen sich jedoch zu dieser Wendung nicht, denn die Volksparlci und die Socialdemokraten haben gegen die Umwandlung des „SeptennatS" in eine sechsjährige Bindungsdauer gestimmt. Aus der anderen Seile hat die Regierung die Acnverung als eine Verbesserung ent gegengenommen, ein hinlänglicher Beweis dafür, daß sie in der Verschiebung der siebenten Rate in die Periode der völligen Enlschtießungsfreiheil des Reichstags keine Gefahr erbtickl. Neber die Deckungsfrage wurde allerdings noch nicht abge stimmt, doch ist die Erörterung derselben zum Abschlüsse gebracht worden und Hal das Ergebniß gehabt, die Frage erheblich zu vereinfachen. Zwar die Umwandlung, die Herr ör. Lieber mit seinen Anträgen vorgenommen hatte, haben deren Monstrosität so gut wie gar nicht beeinträchtigt. Die Verfassunzeänderung, die im reickSgesetzlichcu Erlaß von Vorschriften für die BunbeSsteuergefctzgcbung besteht, war geblieben und ebenso die Hilflosigkeit gegenüber der allerdings unlösbaren Aufgabe, der Verschiedenheit der bestehenden Steuergesetzgebungen in den Einzelstaaten bei der Anwendung von Zuschlägen in einer der Vernunft nicht hohn sprechenden Weise gereckt zu werden. Die „starken Schullern" sollten nach zweierlei Methoden belastet weiden, von denen die eine der Willkür freies Spiel ließ, oder sie sollten über haupt nicht belastet werden; für eine Reihe von Bundes staaten war nämlich die Aufbringung der Matricularbeiträge in der üblicken Weise vorgesehen. Wie — sorglos diese Dinge behandelt wurden, geht am sckreiendsten aus einer Münchner Zuschrift der „Germania" hervor, in der es heißt: „In Bayern wird für den Fall der Annahme deS Flottrngrjetzes und eines Koslendeckungs-Paragraphen im Sinne der Liederstckrn Anträge der Porschlag der letzteren gesetzlich geregcltwerden. Geht die Vorlage durch mit der Bestimmung, Latz die Mehrkosten durch Matricularbeiträge aufgebracht werden, io wurden sich die Beitrüge Bayerns um etwa 3 Millionen erhöhen. Adg. I)r. Pichler wird dann im Steurrausschuh eine höhere Besteuerung der Einkommen über lOOtXtX zum Zwecke der Deckung der Floitenkoslen Bayerns beantragen, „damit die reichen Flvllenschwärmer Gelegenheit haben, ihre Begeisterung für die Flotte in daarem Geld» zu bezahlen. Wir wollen dann sehen, ob sie für diese Flottensteuer dieselbe Begeisterung zur Schau tragen wie für dir Flotte". Wenn schon nicht die Redaction der „Germania", so müßte doch ihr Münchener Correspvndent wissen, daß Bayern eine allgemeine Einkommensteuer nicht kennt. Es erbebt diese nur von dem — mit dem neuen preußischen Steuergesetze zu reden — Einkommen „auS gewinnbringender Beschäftigung", also von Beamten, Aerzten, Anwälten, Künstlern, Lohnarbeitern u. s. w. Daneben bestehen die Grund- und Gebäudesteuer, die Gewerbe, steuer und die Capitalrentensteuer als Hauptstsuern. Die Träger dieser Steuern, also auch die großen Rentner, sollen nach der „Germania" die Floltenschwärmerei unentgeltlich haben. Mit solchem Unsinn wird die Oeffentlickkert be helligt! Gras Posadowsky bat denn auch wiederholt den Lieber'schen Weg, wie selbstverständlich auch den Bebel'schen und den am Sonnabend officiell eröffneten Richtersschen einer Vermögenssteuer gaoz entschieden für ungangbar erklärt. Nichtsdestoweniger werden die Anträge auf Deckung der Kosten deS Flottengesetzes, die von Parteien berrükren, die gegen daS Gesetz stimmen, jedenfalls zur Abstimmung gelangen. Ob auch die, lediglich etwaige, durch die jetzigen Reicks einkünfte ungedeckt bleibenden Kosten ins Auge fassenden Centrumsanträge, sei dahingestellt. Der Verlauf der vor gestrigen Verhandlungen läßt nicht darauf schließen. Dort blieb nämlich die von den Nationalliberalen v. Bennigsen und Or. Ha mm ach er vertretene Auffassung, daß die schwachen Schultern mit etwaigen Mehrkosten nicht belastet werden dürfen, daß aber den Einzelstaaten unmöglich aus der Pistole heraus Sleuergesetze vom Reichstag ociroirt werden konnten, unverkennbar negreich. Der Gedanke fand seinen Ausdruck in dem nicht auf Zölle zu beziehenden Anträge v. Bennigsen, in daS Gesetz zu schreiben, daß durch dasselbe entstehende ungedeckte Kosten nicht durch Erhöhung oder Vermehrung der indirekten Abgaben aufgebracht werden dürfen. Der Abgeordnete Or. Hammacher wies darauf bin, daß die von ihm beantragte Resolution für daS Bennigsen'sche Verbot ein Gebot im gleichen Sinne setze und deshalb vorzuzieben sei, da er (der Antragsteller) sich nicht mit einer Erklärung des Reichstags zu seiner Resolution begnügen, sondern eine formelle Bekundung des Einverständnisses der Bundes staaten verlangen werde. Dieser Slandpunct des national liberalen Abgeordneten ist kein particularistischer, sondern ein durch die Sache gebotener, denn es würde sich gegebenen Falles nicht um eine Reickssteucr bandeln, sondern um einzelstaarliche Steuern zur Erhöhung der Matri cularbeiträge. Or. Hammacher nannte, wie bereits bemerkt, die Erbschaftssteuer eine nicht ungeeignete Form der Be lastung der stärkeren Schultern; vorher schon batte Or. Lieber bemerkt, das „Aeußerste", worauf er sich einlaffen könne, fei eine Erklärung, die „von sämmtlichen verbündeten Re gierungen in autoritativer Form abgegeben würde". War bereits hieraus der Verzicht auf die unmöglichen klerikalen Anträge berauszubören, so verstärkte der württembergiscke Centrumßmann Gröber den günstigen Eindruck durch die Lebhaftigkeit, mit der er die Ausführungen Hammacher^S und insbesondere den Antrag Bennigsen begrüßte. „Etwas' (wie den Inhalt dieses Antrags), so meinte er, „wolle er im Gesetze haben." DaS „Wie" sei freilich eine besondere und schwierige Sacke". Aber: „Die Festlegung des Gedankens ist für uns (Las Centrum) die Hauptsache. Ob man, wir im Lirder'ichen Antrag rin Roth- gesrtz im Voraus machen will, ist ein zweiter Gedanke. Wenn eine beruhigende Erklärung der Regierung abgegeben wird, kann FenrHeton» Durch eigene Lraft. Roman von Alexander Römer. Nachdruck »ertöten. Sie sah ihn dankbar an. „Das ist sehr freundlich von Ihnen", sagte sie bewegt, „wer weiß, ob ich Ihres Rathes nicht zuweilen bedarf." „Und Sie würden Vertrauen zu mir haben?" fragte er in dem treuherzigen Ton, den er zuweilen annehmen konnte, und dot ihr seine Hand. Sie legte die ihre hinein und bejabte. Sie hielt ihn für einen guten, freundlich gesinnten Menschen. Die Garderobiere steckte den Kopf zur Thür herein und meldete, daß Ihre Durchlaucht Fräulein Röpke erwarte. Zu gleicher Zeit ward die Baronin in dem gegenüberliegenden Thürflügel sichtbar und gewahrte eS noch, wie Felix der Davon eilenden sehr verbindlich daS Geleite gab und j^enfallS hier ein Plauderstündchen mit ihr gehabt hatte. Sie sah sehr un gnädig darein. „Felix!" rief sie herrisch. Der Klang diese- Rufe« erreichte noch Ottilien- Ohr, al» sich die Thür schon hinter ihr schloß. Felix wandte sich langsam und mit sehr verändertem GesichtS- ausdruck zur Mama um. „Ah, guten Morgen, allergnädigste Frau Mama." „WaS hattest Du da mit dem Mädchen — Deine Cavalier« Manieren finde ich in diesem Falle etwas verfrUht angebracht, erlaube, daß ich Dir da» sage. Solchen Launen in hohen Köpfen läßt man ihren Lauf und nimmt so wenig Notiz davon als möglich. Es ist nickt nöthia, daß man sich an jeder Thorheit detheiligt — man ist dann später selbst bequeme Zielscheibe für die Lacher." „Verzeih', Mama, ich bin einmal Cavalier jeder Dame gegen über, und Fräulein Röpke ist eine Dame ihrer Bildung nach ent schieden. Im Uebrigen fürchte ich, daß Du Dich über diese „Laune" täuschest, Mama, — sie wird länger dauern, als Du denkst, und vielleicht muht auch Du Dich überwinden und mit ihr rechnen." Frau Baronin Cäcilie zuckte ungeduldig die Achseln. „Jedenfalls erwarte ich, daß mein Sohn nickt zu den Cour machern dieser Emporkömmlingin zählt. Daß sich die Sacke in meinem Hause angesponnen hat, ist mtr fatal genug." „Warum, Mama? Du hast Deinen Verdiensten in den Augen der Frau Prinzessin ein neues hinzugefügt. Auf Deinem Grund und Boden ist die Wunderblume erblüht, welche vielleicht über kurz oder lang ein gefeierter Stern wird." „Willst Du mich quälen oder bist Du schon verliebt?" fragte sie schroff, ihre gewohnte sanfte Würde bei Seite setzend. Er lachte. „Verliebt — ach! Mama, wenn Du wahr sagtest und Deinen Sohn wieder zum genußfähigen Jüngling machen könntest! Da wärest Du der Krone einer Gracchenmutter würdig. Aber die Zeiten sind entschwunden. Die Mütter des 19. Jahrhunderts erstreben für ihre Söhne andere Ziele." „F-lix!" Unsagbare Entrüstung zitterte in dem Ton. Felix verbeugte sich sarkastisch und küßte die im Entsetzen erhobene Hand der Mutter. „Ich meine, sie streben für sie nach Ehre und Ruhm, wie jene Erhabene auS dem Alterthum, sie sehen es nur nicht, wie auf dem Wege dahin heutzutage die Fackeln verlöschen, die Herzen kalt werden und der Siege-prei- zum bleichen Gespenst ein schrumpft." Sie seufzte und schüttelte den Kopf. „Du beschäftigst Dich in neuerer Zeit mit einer ungesunden Philosophie, fürchte ich, eS mag Dir gut sein, wenn Du auS Berlin fortkommst. Ich hoffe, Du wirst bald befördert und versetzt." „Da- verhüte Gott, Mama, da würde ich noch mehr und noch ungesunder philosophiren." Er lachte und entschlüpfte. Achtzehntes Capitek. Prinzeß Ada lag auf der Chaiselongue und empfing ihren neu eroberten Schützling mit offenen Armen. „Kommen Sie, Märchen, Mignonne, Liebling! Sie sind jetzt mein, wissen Sie eS schon? Ich habe Sie erobert und will Äe nun nicht wieder von mir lassen. Wollen Sie mich ein klein wenig lieb haben?" Ottilie war überrascht, erwärmt. Sie kniete neben dem Ruhebett und ließ sich von der hohen Frau umarmen. War hier wirklich ein Herz, das ihrer bedurfte und an da- auch sie sich schmiegen konnte? „O, Durchlaucht! Mich packt ja nur die Sorge, daß ich all' di« Gnade nie vergelten kann." „O, Sie sollen Sie vergelten. Sie werden sie vergelten. Kleine, seien Sie ohne Sorge, man wird viel von Ihnen verlangen. Wie gut da- thut, in solche unschuldige Augen zu blicken, Sie sind nicht ehrgeizig, Nicht wahr? Sie berechnen nicht und sagen keine Worte, die Sie nicht empfinden. Eine Seele habe ich jetzt, die mich lieb hat um meiner selbst willen, für die ich nicht die Fürstin bin, sondern eine Mutter. Ja, Mutter, die will ich Ihnen sein, Mignonne, will für Sie sorgen, über Sie wachen, Sie hüten und halten im Verborgenen. Niemand braucht zu wissen, wie es zwischen uns steht." Prinzeß Ada war sehr aufgeregt, ihre Augenlider waren roth, als hätte sie eben geweint; sie nahm Ottiliens Kopf zwischen ihre Hände und küßte sie stürmisch. Ottilien war wunderlich, beglückt und beklommen zu Muihe. Ihr junges Herz war ja rasch gewonnen, sie wollte gewiß er widern, aber es war doch wie ein dunkler Vorhang vor ihren Augen, der ihr die Zukunft verhüllte. Ottilie wußte nicht, daß die Prinzessin eben Briese und De peschen erhalten hatte, welche sie stachelten. Da waren auch in diesem glanzvollen Leben Enttäuschungen, Zurücksetzungen, Jn- triguen, Einengungen verschiedenster Art. Sie war abhängig von den Bestimmungen des Familienoberhauptes ihres HauseS, das nicht immer Alles billigte, was sie that. Ihr Ranz war, seit sie Wittwe war, verändert, was bei vorkommenden Gelegenheiten immer neuen Aerger erregte, und da war sie so oft müde, so abge hetzt, so wild und redete sich in solchen Stunden ein, sie würde glücklicher sein, wenn sie mit der einfachsten BllrgerSfrau tauschen könnte. Sie meinte es in diesem Augenblick ehrlich mit dem jungen Kind, ihre impulsive Natur war rascher Aufwallungen fähig, sie fand es unverantwortlich, diese- feine reizende Geschöpf in der bäuerischen Umgebung zu lassen, und war durchdrungen von dem Gedanken, eine edle That der Befreiung zu thun. Die fernere Zukunft des Mädchens auszubauen, dazu war noch keine Zeit. Das fand sich später, einstweilen wollte fie ihr Märchen für sich haben, für ück allein. Die Götting war entsetzlich lang weilig, mochte sie bei der Staatsaction als Schablone weiter fungiren, zum intimen Verkehr wollte sie dieses Kind haben. Sie empfand schon jetzt OttilienS Nähe alS eine Wohlthat, sie ward aus der galligen Stimmung, welche die vorhin erhaltenen Briefe in ihr geweckt hatten, herauSgerissen. So plauderte sie denn lebhaft, malte da» zunächst liegende Idyll am Meeresstrand in den lockendsten Farben. Man war da ziemlich frei, ziemlich ungenirt, die paar Menschen, welche sich da um sie gruppirten, zählten nicht, waren Niemand. Und dann lenkte sich daS Gespräch auf die Toiletten für die Reise. Mignonne mußte Morgenkleider haben, Strandcostüme, Strandhüt», Alles in hell leuchtenden Farben. Mignonne sollte Aufsehen erregen, wie ein Märchen auftauchen, von geheimniß- vollem Nimbus umschleiert. „Wie sie sich wohl die Köpfe über Deine Herkunft zerbrechen werden, Kind, ha, ha, ha! Niemand soll es erfahren. Meine Dienerschaft schweigt bei Todesstrafe — vielleicht machen fie Dich zu einem illegitimen Sprößling aus hohem Blut — köstlich! Wir führen sie Alle am Narrenseil, Mignonne." Fremd und unverständlich klangen diese Reden an der Welt unkundigen Ottilie Ohr. Sie war wirklich klösterlich naiv. Ihre Mutter hatte sie streng vor jedem unreinen Hauch, vor jeder Auf tlärung über Dinge, die über ihr kindliches Begriffsvermögen hinausgingen, gehütet, und in dem Institut in Weimar war ebenso streng gewacht worden, daß den Zöglingen eine naive Un schuld erhalten blieb. Was sie da an Geheimnissen zu ergründen strebten, war sehr harmloser Natur, und alle Bücher, die in ihr? Hände fielen, bannten die Phantasie in die kindliche Sphäre. So erregte ihr die Redeweise der Prinzessin ein beklommene.- Herzklopfen, und eS war ein Glück für sie, daß sie wenig zu am Worten brauchte, denn ihr Kopf war verwirrt und unklarer als je in ihrem Leben. Ihre Augen leuchteten freilich auf und rin glückliches Lächeln befriedigter Eitelkeit verklärte ihr reizende- Gesicht, als sie nun vor dem Spiegel stand und die entzückenden Stoffe um ihre Ge stalt drapirt wurden, und waS sie sich vorzustellen vermochte von dieser Idylle am MeerrSstrand, kam so ungefähr den Bildern aus Tausend und einer Nacht gleich. Dazwischen aber erfaßte ste immer wieder ein kaltes banges Gefühl, Fräulein Götting war steif und frostig, die GarderobiSre voll versteckten Unmuth-, instinktiv ahnte sie da feindliche Ele mente, denen sie waffenlos gegnüberstand. Dazu ermüdete dieses endlose Probiren und Berathen, die Aufregungen der letzten Tage waren ohnehin nicht spurlos an ihr vorüber gegangen, ste sah sehr bleich und abgespannt au- und athmete auf, als sie endlich entlassen wurde. Morgen schon ging e» fort — morgen schon sollte sie diese» Dorf, da- ihr eine liebe Heimath geworden war, verlassen, um nie wiedrrzukehr-n. Wäre diese Erlösung ihr in der ersten tröst losen Zeit gekommen, sie würde fie mit Jubel begrüßt haben — jetzt war es in ihr still, Jubel wollte nicht aufkommen, so feen haft der SchicksalSwrchsel auch auSsah — Bangen, Zweifel, Schmerz — die widersprechendsten Gefühle erfüllten ihre Brust. (Fortsetzung folgt..
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