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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.05.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-05-03
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950503023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895050302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895050302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-05
- Tag1895-05-03
- Monat1895-05
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Wir können die Richtigkeit der Nachricht nicht verbürgen, zumal gleichzeitig solche ganz entgegengesetzten Inhalts umlaufen, wonach Japan sich bereit erklärt habe, auf Grundlage der Protestnoten in Ver handlungen einzutreten; auch der Umstand, daß der japanische Gesandte und der chinesische Geschäftsträger in Berlin noch vorgestern und gestern vom Staatssecretair Freih. von Mar schall empfangen wurden, deutet daraus hin, daß ein entscheiden der Schritt noch nicht geschehen ist. Man kann es auch kaum für möglich halten, daß Japan zn einem solchen sick ent schlossen haben sollte. Es hat doch inzwischen reiche Ge legenheit gehabt, sich davon zu überzeugen, daß es den drei Mächten mit ihrem Einspruch voller Ernst ist, daß sie sest entschlossen sind, ibre Forderungen durchzusetzen, und daß die Ausstreuungen, wonach die drei Mächte uneinig und unentschlossen sein würden, sobald sie sich zu einheitlichem und kräftigem Handeln entschließen müßten, in keiner Weise den Thatsachen entsprechen und aus schließlich von solchen Kreisen ausgehen, die im Dunkeln fischen wollen. Japan hat inzwischen auch eingesebeu, daß es am wenigsten auf England sich stützen kann, wo es nicht an guten Worten, wobt aber an Thaten fehlt. Auch wird es sich sagen müssen, daß die Erfolge, die ihm jetzt unter ausdrück licher Zustimmung der drei Festlandmachte auf alle Fälle übrig bleiben, weit größer sind, als sie z. B. Deutsch land nach dem weit opferreicheren und blutigeren deutsch französischen Kriege zugesallcn waren. Elsaß-Lothringen hat 14 500 qüm mit etwa anderthalb Millionen Einwohnern, die Insel Formosa allein umfaßt 38 800 qkm und 3 Millionen Einwohner, von der großen handelspolitischen und militairischen Bedeutung der Fischer-Inseln mit ihrem ausgezeichneten Hafen ganz zu schweigen. Auch muß Japan sich doch in zwischen darüber klar geworden sein, kaß die Besetzung eines Tkeils des chinesischen Festlandes seitens Japans in über sehbarer Frist zur Folge haben dürfte, daß auch andere Mächte das Beispiel befolgen würden. Daß das auch nickt im japanische» Interesse liegt, braucht nicht auöeinandergesetzt zu werden. Die Japaner haben leider trotz der rechtzeitigen freundschaftlichen Vorstellung Deutschlands nickt dasjenige weise Maß diplomatischer Vorsicht beim FriedenSabschlusse angewandt, das unter den gegebenen Verhältnissen doppelt nolbwendig halte beobachtet werden müssen; doch noch ist cs Zeit, diesen Fehler ungeschehen zu machen und trotzdem für Japan außergewöhnlich reiche Erfolge seiner Siege zu sichern. Aber freilich die Haltung der japanischen Presse und die Aeußerungen japanischer Diplomaten lassen immer noch der Befürchtung Raum, daß die Tokioer Kriegsparlei schließlich doch noch die Oberhand bekommt. So äußerte sich erst dieser Tage der japanische Gesandte in Paris, Son4, Japan sei entschlossen, an den von ihm gestellten Forderungen feft- zuhalten. Sollte die Ratisicirung des Vertrags von Seiten Chinas nickt sofort geschehen, so werde Japan unverzüglich weiter Vorgehen, und dann sei ein von Allen erwünschtes Ende der Feindseligkeiten in weile Ferne gerückt. Dazu kommt, daß die Japaner die Festungswerke von Port Artbur bedeutend verstärkt haben; auch an den übrigen festen Puncten in dem von den Japanern besetzten Theile der Mandschurei sind die Vertheidigungs zwecke in ähnlicher Weise verbessert worden. Uellerall ist die spanische Verwaltung eingeführt worden und zwar zur Freitag den 3. Mai 1895. großen Befriedigung der Eingeborenen. Ueberhaupt ist man scheinbar in Japan in der zuversichtlichsten Stimmung. Die japanische Regierung glaubt, so wird versichert, was die Absichten der europäischen Mächte anlangt, daß England und Italien niemals erlauben würden, daß russische, französische oder deutsche Kriegsschiffe auf Japan einen Zwang auSüben dürfen und ans diese Weise den Welthandel in Ostasien ruiniren. Die Vereinigten Staaten, meint man, werden wohl nicht direct handeln, an der wohlwollenden Neutralität der amerikanischen Regierung sei kaum zu zweifeln. Ueberdies sei die russische Truppenmacht in Ostasien nickt groß genug, um den Forderungen Nachdruck zu verleiben. Das sind alles Trugschlüsse, die wir den japanischen Staats männern kaum Zutrauen können. Namentlich hinsichtlich der militairischen Stärke Rußlands in Ostasien dürste man sich in Japan einer gefährlichen Täuschung hingeben. In den v. Loebell'schen „Jahresberichten", deren Jahr gang 1804 soeben erschienen ist, finden sich über die Streit kräfte Rußlands im Militairbezirle Amur folgende Angaben: „Es stehen dort von Infanterie 2 Schützenbriguden (10 Ba taillone), 10 Linien-BlUaillone, letztere, wie es heißt, aus Kriegs starke, und 2'. Kosaken-Balaillvne, von Cavallcrie 2 transbaikalijche Kojaken-Regiinenter (im Frieden 10 Lolnien, im Kriege 4 Regi menter mit zusammen 22 Svtnien), ein Amur-Kvsaken-Regiment (im Frieden 2, im Kriege 0 Sotnicn stark), 2 primorskische Svtnien unter dem Namen Ussnri-Brigade und im Kriege 6 Svtnien umfassend, und eine Ussuri-Kosaken-Division (im Frieden nur 1, >m Kriege 3 Sotnien stark); von Artillerie eme oslsibirische Artillerie-Brigade zu 0 Batterien und 2 reitende Kosaken-Batterien, dazu eine ostsibirische Sappeur-Compagnie. In wie weit es möglich ist, diese Truppen, von denen sich die reguläre Infanterie und die reguläre Artillerie ausschließlich aus Europa recrutiren und ergänzen, ganz aus Kriegsfuß zu setzen, und in welchem Maße sie es bereits sind, kann mit Sicherheit nicht angegeben werden, da auch für die Kosaken die volle Mannschafts zahl zur Aufstellung der Kriegsformalionkn »och nicht vorhanden ist und zu diesem Beduse Ansiedler aus dem Westen herangezogen werden müssen. Doch darf man mindestens aus einen erhöhten FrieLeiisstand schließen. Stach russischen Angaben dürste sich die Zahl der im Amur-Gebiete verwendbaren Truppen mit Hinzu- ziedung der im Militairbezirle Irkutsk dislocirten Streit- kräste aus 30000 Mann Infanterie, 5000 Mann Cavallerie, 1000 Mann Artillerie und 82 Geschütze belaufen. Immer hin eine ansehnliche Slreitmasse, deren wirkliche Concen- trirung aber als mindestens zweifelhaft erscheint. Was den inneren Werth dieser ostasiatischen Truppen anbrtrifst, io ist man in Europa geneigt, sich davon eine ungünstige Vorstellung zu machen. Man hält ste für zu weit von der fördernden Controle entfernt, schlecht geübt, ausgerüstet, untergebracht u. s. w. Wie es scheint, durchaus mit Unrecht. Die Verhältnisse sind dort viel geordneter, als man anzunehinen geneigt ist und die ostasiatischen Truppen stehen den europäischen in keiner Weise nach. Die aus verschiedenen Orten kommenden Berichte über die Jnjpicirung der Truppen lauten durchaus günstig. Nach Alledem zu urtheilen, dürfte Rußland mit seinen in Ostasien verfügbaren Streitkräften trotz ihrer verhältnißmäßig geringen Zahl nickt nur sein eigenes Gebiet zu sichern, sondern auch eine aggressive Einmischung auszusükren und seinen Wünschen den kriegführenden Mächten gegenüber Nachdruck zu geben vermögen. Je länger dabei der Krieg zwischen Japan und China dauert, desto mehr Zeit erhält Rußland, seine Vor bereitungen zu treffen, mehr Truppen heranzuziehen und zu mobilisireii und sich dabei auch der Mitwirkung der Flotte zu bedienen. Bereits im Oktober ist ein gemischtes Detache ment von 6000 bis 7500 Mann unter dem Generalmajor Oschtschenko an die Grenze vorgeschoben und seitdem sind Truppen aus oem europäischen Rußland von Odessa aus nach Wladiwostok zur Verstärkung der dortigen Streit kräfte befördert worden. Um nochmals auf die Haltung Englands zurückzu kommen, so behaupten die „Times" immer noch, daß die gesammte öffentliche MeinungIndessen ha^ sich erbaltung der Neutralität m ^ ^ ^ erhoben, jetzt eine Stimme in der „Westminster V .. .. ^ die die bedenkliche Seite der ^?,^„.^.jnkeit mider- landö darlegt und der Haltung D-ulMandsG-r-^ fahren läßt' Der Verfasser Deutschlands Stellungnahme den Tradil oneti oer 4^ marck's entspricht und daß der H-uptsckluss l d s« P°U m °e Absicht Kaiser W.lb.lm's liegt d>e gut- Geleg nheit mchl vorübergehen zu lasten, um unsere ^-kun^ zu verbessern und die,es gleichzeitig von semer^ Neigung zu Frankreich abzuzied-n Eng and werde seiner Politik am eigenen Leib ,u 1P per Wenn man bedenkt, daß d.e Westminster G-,ette r,ndtt Regierung sehr nahest-k-ndeS Blatt »"d b° u't dw -eack rickt in Verbindung br.ngl datz der ^atzk^ ler Har ou^ seinen wie es scheint unmittelbar bevorstehenden, Ruckt L7.Laus- angekündigtbat-auch R°s-b-ry'S R-'.gnat'°n wird als wahrscheinlich angesehen — so ^ ? .. Vermutbuiig nicht erwehren, daß im ^ tischen Regierung schwerwiegende MelnuligSverschiedenbelt betreffs der Stellung Großbritanniens;urostastan,chen .nag :u Tage getreten sind und daß der in der Londoner prelle schon vorbereitete abermalige Umschwung der .vstentl.cken Meinung, diesmal zu Gunsten Chinas, seinen druck in einer neuerlichen Wandlung der engl' chen Pol"k finden wird. Ist dem wirklich so, so wäre es iritens Jcipa s eine Tollkühnheit, es aus ein Ultimatum der Protestmackte ankommen zu lassen. Politische Tagesschau. * Leipzig, 3. Mai. ES liegt im Charakter der Zeit und soll darum nickt weiter beklagt werden, daß die Rcclame der Bewegung gegen die Umsturzvorlage sich bemächtigt bat. Wenn der Name Kaiser Wilhelm's I. dazu berbalten mußte, die Äbsatzfahigkcit von Wachsstreichhölzern zu steigern, und des Fürsten Bismarck in Chocolade mooellirie Büste der Vermehrung der Kund schaft zu dienen hat, so versteht es sich von selbst, daß der Versuch unternommen wird, festliegende Sachen und Personen von der volksthümlichen Strömung gegen die Reaction^ siott machen zu lassen. Aber die freisinnig-demokratische Firma hat zu wenig Credit mehr im Lande, als daß noch irgend etwas „ziehen" könnte, und sie bat überdies bei der Umsturz vorlage kein Glück. Nächsten Sonntag soll daS durch die reactionären Beschlüsse der Um stürz com Mission be unruhigte „liberale Bürgertbum" auf der Versammlung städtischer Vertreter durch den Mund freisinniger Großen bewogen werden, sein Wort gegen die Regierungsvorlage in die Wagschaale zu werfen, und vorgestern bat bekanntlich die Reichspartei beschlossen, zu allem außer den gegen die social revolutionäre Agitation im Heere gerichteten Bestimmungen der klerikalisirten Vorlage ein rundes Nein zu sagen. Diese Stellungnahme der Partei war vorauszusehen, aber es ist höchst fatal für die Herren, welche die klerikalen Commissions beschlüsse ansz, nutzen gedachten, daß der freiconser- vative Beschluß schon jetzt officiell bekannt gegeben worden ist. Denn die Aussichtslosigkeit des ultramontanen Machwerks ist nun nicht mehr zn verheimlichen und nicht mehr gegen den Versuch einer gesetzlichen Einengung der Umsturzbestrebungen zu verwerthen. Aber auch schon bevor die völlige und formelle Sicherheit gegen das Zustandekommen des Gesetzes nn Sinne des UltramontaniSmus gegeben war, ist in den weitesten Kreisen des Bürgerthums die erfreuliche Erscheinung zu Tage getreten, daß man von der Demokratie 89. Jahrgang. gegen den Ultramontanismus nicht geschützt sein wollte und nicht geschützt zu werden erwartete. Die in Baden, am Rhein, in Hannover, in Hessen und anderwärts von nationalliberaler Seite erfolgten Kundgebungen gegen die klerikalisirte Vorlage fanden einen weit stärkeren Widerhall im Reiche, als der freisinnige Lärm; einmal weil der nationale Liberalismus ein erprobter Kämpfer gegen ultramontane Machtgelüste ist, während die Demo kratie von jeher als eine Stütze dieser sreiheitSfeindlichsten aller Richtungen kennen gelernt, sodann weil die national liberalen Resolutionen ohne Ausnahme zu erkennen geben, daß zwar die CentrumSbeschlüsse, wie in manchen Puncten auck die Regierungsvorlage, unannehmbar seien, eine gesetz liche Einengung der revolutionären Propaganda wenigstens in ihren gefährlichsten Formen aber nack wie vor im Auge zn behalten ist. Es ist natürlich, daß Proteste dieser Art, die weder vom Doktrinarismus, noch von der Angst vor dem Verlust des täglichen agitatorischen Bratens eingegeben sind, auch in den Kreisen der Regierungen einen anderen Eindruck Hervorbringen, als beispielsweise Versammlungen, wie am Dienstag eine in Berlin stattgefunden hat, wo zwar Alles einmüthig in der Verwerfung jeder Bekämpfung der Revolution war, wo man übrigens aber sich zankte und gegenseitig auszischte, weil man eben gekommen war, um parteipolitische Geschäfte zu machen, und demgemäß allerdings Grund hatte, sich darüber zu ärgern, daß die „Concurrenz" auch Vertreter gesandt batte; die Nationalliberalen, die von vornherein davon abgesehen batten, sich rednerisch in dieser Versammlung vertreten zu lassen, haben allen Grund, sich nachträglich ihrer Zurückhaltung zu freuen. Es war dort keine Ehre aufzuheben. Das Neichstagö-Mandat für Lennep-Mettmann ist bekanntlich der freisinnigen Volkspariet von anderen Parteien in der Stichwahl zugewandl worden, obgleich die Freisinnigen im ersten Wahlgange von fast 29 000 abgegebenen Stimmen nur 4800 aus ihren Candidaten vereinigten, also gewiß keinen Anspruch auf das Mandat hatten. Jetzt quittirt die „Freis. Ztg." über die Wahlhilfe der anderen Parteien wie folgt: „Die freisinnige Volksportei ist in einer großen Zahl zur Zeit socialistisch vertretener Wahlkreise vvr anderen Parteien im Stande, den Socialisten die Spitze zu bieten (!), vorausgesetzt, daß sie nicht gleichzeitig im Rücken angegriffen und zwischen zwei oder drei Feuer gebracht wird. Man kann aber nicht von der frei sinnigen Bolkspartei verlange», daß sie in Wahlkreisen, in welchen die große Mehrheit der Bevölkerung, mag die selbe nun aus Nichtsociolisten oder Socialisten bestehen (I-, eine entschieden liberale Richtung (!!) für die unmittelbar prak tischen Fragen der Gesetzgebung vertritt, die Hand bietet, um aus blasser Socialistenfurcht dem Wahlkreis zu einer Ver tretung zu verhelfen, die dem politischen Charakter dieses Wahlkreises in wichtigen Fragen durchweg zuwiderläust. Aus Liesen Gründen hat es auch die freisinnige Bolkspartei vor dem ersten Wahlgang in Lennep-Mettmann ab ge lehnt, irgend eine Verpflichtung einzu- gehcn, für denjenigen nichtsocialistischen Candidaten zn stimmen, welcher mit dem Socialisten in die Stichwahl kommen würde." Unmittelbar nach dem Erfolge, den Andere den Frei sinnigen verschafft haben, wirb hier also wiederum für diese Vas Recht in 'Anspruch genommen, anderwärts den Social demokraten zum Siege zu verhelfen, ja es wird sogar eine Solidarität des Freisinns und der Socialdemokratie in der „entschieden liberalen Richtung" proctamirt. Hauptzweck dieser Proklamation ist jedenfalls, in Weimar dem socialvemokratiscben Candidaten Bändert die freisinnigen Stimmen zuzuwenden. Diesem Zwecke muß auch die Behauptung dienen, daß Baudert's Gegner, Reich muth, ein Gesinnungs- und Parteigenosse derselben „Kreuz zeitung" sei, die das Eintreten conservativer Elemente im Das Geheimmfi von Szambo. 9) Novelle von B. MilLr Gersdorff. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) Nun war Esau Wolf an der Reihe, zu erstaunen. Wie, Herr, „das wißt Ihr? Da kennt Ihr wohl gar unser gnädiges Fräulein?" „Ich habe sie vor längerer Zeit in meiner Heimatb, in Berlin, getroffen." „So, so? Nun ja, unser Fräulein ist ja viel herum gekommen in der Welt, da wird sie wohl gemacht haben manche Bekanntschaft." Oswald konnte sich nicht enthalten, zu fragen: „Ist sie nicht in Begleitung einer jungen fremden Dame hergekommen?" „Ach, der Herr meint das schöne Fräulein mit dem Gold» baac und den Augen wie Vergißmeinnicht? DaS ist ein herziger Schatz und lieb und gut wie unsere Herrin." L>swald's Herz pockte vor Freude, aber er vermied eS vorsichtiger Weise, Wolf gegenüber, ei» näheres Interesse an Clara an den Tag zu legen. Dagegen schoß ihm der Gedanke durch den Kopf, daß er hier in Ljubitza's Heimath vielleicht irgendwelche Aufschlüsse über ihr räthselhafteS Wesen erhalten könnte, das so manche« Mal Gegenstand seiner Unter haltung mit Clara gewesen, und er beschloß in einer un widerstehlichen Anwandlung von Neugier, Esau Wolf darüber tbunlichst auszuforschen. „Sagt mir, Herr Wirlh", begann er wieder, „bat cs denn eigentlich mit Fräulein von Radovano- vitS eine besondere Bewandtniß? Es ist doch auffallend, daß eine junge Dame von ihrem Stande so lange allein in der Fremde lebt und, wie es scheint, ohne jeden Anhang." „So weiß der Herr nicht, waö daS Unglück ist von der schönen Radovanovits?" erwiderte der Jude mit einem Srufrer. „Nein, aber Ihr macht mich neugierig. Wenn es kein Geheimniß ist, so laßt es mich erfahren." „Wie haißt Geheimnis? Ein Geheimnis, was pfeifen die Spatzen auf den Dächern!" „Nun, so sprecht!" „Gott über der Welt! Da« ist eine traurige Geschichte und nicht in zwei Worten zu erzählen. Aber wenn der Herr sich gedulden will, bis wir sind zu Hause, so werd ich Wohl noch Zeit finden, zu berichten, was Esau Wolf von der Sache weiß." Er berührte mit der Peitsche leicht die ohnedies so wacker ausgreifenden Pferde. Nicht allzu lange mehr dauerte die Fahrt, es tauchten endlich Lichter aus dem Dunkel auf, und ein verworrenes Geräusch, schrille Töne der Fiedel und des Cymbals schlugen an Oswald'» Ohr. Musik — so spät noch — und in diesen Tagen der Noth und der Trauer? Er glaubte sich getäuscht zu haben; als aber der Wagen mit einem Ruck anhielt, klangen ihm deutlich auö dem matt erleuchteten Erdgeschoß eines mäßig großen Hauses, dessen Umrisse in der Finsterniß er nur undeutlich erkennen konnte, wilde, rauschende Zigeunerweisen entgegen. Zwei riesige Wolfshunde stürzten mit lautem Gebell auf die Ankömmlinge toS, und aus der niederen Thür der Csarda trat, eine Laterne in der Hand, grüßend eine kleine, halb städtisch, halb bäuerlich gekleidete Frau, Esau Wolf's Gattin. Oswald konnte kaum vom Wagen steigen, so lahm hatte ihn die lange Fahrt auf der schlechten Landstraße gemacht; endlich berührten seine Füße aber doch den lehmigen Boden, und er schickte sich an, von den Hunden eifrig beschnuppert, in die wenig einladende Gaststube zu treten, als die Frau, welche sich in einigen Worten schnell mit ihrem Manne ver ständigt, mit sanfter Stimme sprach: „Da drinnen wird eS dem Herrn zu lärmend und zu qualmig sein; wenn der Herr mir nur folgen will, werde ich ihn gleich in daS Zimmer führen, wo er schlafen soll." Sie ging um das Ha»S herum, und an der hintern Seite desselben leuchtete sie Oswald eine schmale Holztreppe hinan, die zu einem nieder», weißgetünchten Stübchen führte, offen bar für gewöhnlich der Schlafraum deS jüdischen Ehepaares, »ach zwei Betten zu urtheilen, welche, nebeneinander stehend, den größten Platz einnahmen. Sie stellte die Laterne auf einen weißgescheuerten Tisch mit den Worten: „Hier mag der Herr es sich bequem machen und sich legen schlafen in eins von diesen Betten. Wenn ich sonst mit etwas dienen kann — der Herr hat vielleicht Hunger oder Durst?" Oswald, der in der Thal fast den ganzen Tag über nichts zu sich genommen hatte, unterstützte diese Annahme auf'S Lebhafteste und trug der Frau auf, da« Beste zu bringen, wa« in Küche und Keller vorhanden. Als sie ,m Begriff war, sich zu entfernen, drang wieder da» wilde Gefiedle aus der Schänkstube herauf, was Oswald zu der Bemerkung ver anlaßt«: „Ta unten geht's ja recht lustig zu; die gute Laune scheint den Leuten doch nicht ganz abhanden gekommen zu sein." Die Frau zuckte mit den Achseln und sagte schwermüthig lächelnd: „Ach, Herr, darüber dürft Ihr euch nicht wundern. Der Ungar greift in Freude und Schmerz nach seiner Geige; er ist im Sande, zu spielen an der Bahre der Liebsten seine Weisen, und wenn ihm dabei die Tbränen in den Bart rinnen, wird's ihm leichter umS Herz^ Ja, Herr, ein seltsam Volk, a'ber Alles echt an ihm. So, nun will ich aber laufen, daß der Herr zu essen und zu trinken bekommt." Sie eilte geschäftig hinaus, und Oswald richtete sich, so gut als möglich, häuslich ein. Seinen Reisemantel legte er auf eins der Betten, den Revolver vor sich auf den Tisch; dann holte er sein Notizbuch hervor und ver suchte die Erlebnisse des Tages in kurzen Worten zn sixiren; aber die von unten heraustönende Musik und der Ge^ danke an Ljubitza's Gebeimniß, das ihm Esau Wolf enthüllen wollte, ließen ihm nicht die nöthige Sammlung. Er legte da- Notizbuch bei Seite und wollte sich eben in Erwartung der kommenden Dinge auf daS Bett auSstrecken, als die?Thiir ausgmg und Esau Wolf hrreintrat, in der einen Hand einen Krug Landwein, in der andern eine Schüssel mit Brod, Wurst und Käse. „Mit Anderm kann ich dem Herrn leider nicht aufwarten", entschuldigte er sich, „Auswahl giebt cs in diesen Tagen nicht, Jeder ist halt froh, wenn er nur satt wird". Oswald machte sich ohne viel Umstände über Speise und Trank her, während der Wirth forlfuhr: „So, nun kann ich auch noch ein Stündchen bleiben, »m dem Herrn zu erzählen die Geschichte von den Radovanovits. Nicht Jeder kann darüber so gut Auskunft geben wie Esau Wolf." „DaS ist ja prächtig — also fangen Sie an, bester Herr Wirtb, ich brenne vor Neugier!" ries Oswald lebhaft, indem er stch ein derbes Stück Brod abschnitt. „Will der Herr nicht die Güte haben, zu legen die Pistole bin, wo sic nicht von selber kann loSgehen", bat der Jude mit e.nem scheuen Seitenblick auf Reinecke's Revolver „Hj r . me.ner Csarda stt der Herr sicher wie in Abraham'S Schoß." - 'cb Euch gern, lieber Freund, eS ist auck nur eme Gewohnheit d.e ich auf der Ress, angenommen habe "^en mein Bett zu legen." „Ach so. Ich dachte, der Herr meint, in der Gegend wo N°?sa Sandor, sei eS nickt geheuer." "t dieser romantische Erzbalunke zur Welt gekommen? Das wußte ich gar nicht." ' Esau Wolf sab sich erschrocken um, als fürchte er, die Wand: könnten Ohren haben. „O, Herr", sagte er ängstlich, „eö ist gut, daß kein Anderer Euch gehört als ich — der Erz halunke batte Euch schlecht bekommen können!" — Fast salbungs voll setzte er hinzu: „Die Mächtigen dieser Welt haben be straft, was Rozsa Sandor Böses verbrochen hat, Gott im Himmel wird ihm lohnen, waS er Gutes qethan." Oswald starrte den Sprecher mit offenem Munde an, dann lachte er laut auf. „Na, lassen wir Rorsa Sandor ruhen", rief er lustig, „der Teufel hat ihn ja doch schon geholt! Reden wir lieber von dem, wa« mich mehr interessirt — von der schönen Ljubitza." lieber die feingeschnittenen Züge des Juden glitt ein ironisches Lächeln. „DaS glaube ich schon, Herr, aber wenn ich soll erzählen die Geschichte der Radovanovits, muß ick noch mehr als einmal den Namen des großen Hauptmanns nennen." „Donnerwetter, das scheint ja ganz romantisch zu werden! Aber nun legen Sie endlich los, Verehrtester, meine Spannung ist aufs Höchste gestiegen ! Hier setzen Sie sich aus den Stuhl da, und nehmen Sie eine meiner Cigarren; beim Rauchen erzählt eS sich bester." Reinecke gab dem Wirtb Feuer, zündete sich selbst eine Cigarre an und warf sich auf sein Bett, behaglich blaue Ringe in die Luft blasend, während Esau Wolf, nachdem er mit Kennermiene ein paar bedächtige Züge gethan, zu er zählen anfing: In der Nähe deS Bakonher Walde» liegt ein Zigeunerdorf, in dem zur Zeit, als Rozsa Sandor noch ist gewesen ein junger Bursche, ein Zigeunermädchen lebte, daS Mira geheißen hat. Diese Mira ist meilenweit im Umkreis wegen ihrer Schönheit und fast noch mehr wegen ihrer Wahrsagekunst berühmt gewesen. So mancher ver liebte Gutsherr kam angefahren und hat geglaubt, das schöne Zigeunermädel gewinnen zn können; aber sie ist gewesen spröde, und weil sie für das ganze Dorf ge golten hat als Stern, so hat daS ganze Dorf auch darüber acwacht, daß dieser Stern sein Licht nicht verliere. Aber eines Tages kommt der Rozsa Sandor, der, wie gesagt, noch rin feuriger Jüngling gewesen ist, und dem gelingt, was keinem Andern ist gelungen — er bringt die Mira so weit, heim sich ru verlassen ihre Eltern und ,hm zu folgen auf seiner aesayrvollen Bahn. DaS, Herr, ist der Anfang der Geschichte. Lange Jahre bat Niemand gewußt, wo die Mira geblieben ist, aber Rozsa Sandor ist inzwischen geworden zur Geißel für
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