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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 24.07.1907
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-07-24
- Sprache
- German
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19070724011
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907072401
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907072401
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-07
- Tag1907-07-24
- Monat1907-07
- Jahr1907
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«.t^s. 1-2. vi,«,. ALS». lasos. i/aaa. WS. Mas. Zkiös. ulss. iq.-tl. t»«i< U< ^>)«r:- i.l>i,O. 84.8SL. 8S.MS. risÄs. 812) 02L0 84.90 4 18.28 vbminn-nt-Annahm«: UmplW»»««tz 8. b«t unser«, Lei gern, Mal««. »pedtteur«, und «nnar-eftelln», löwt« P^water» «d vrtiftrtzrr». «« «WM» N««r WG«t » W» «rdaMm, mit WwedM»« Aohannit-asi« 8. ««p-oa «r. 14682. Nr. 14383, «r. 148V4. Morgen-Ausgabe 8. WpMcrTagMM Handelszeitung. verltE N«d«M««<-»«««« verlin rrvv. 7, Vrtnz L»ui« Kerdtmmd- Strai« I. TÜ«pv» Nr. 9273. Nr. M. Amlsvlatt des Rates nnd -es Rolizeiamtes -er Lta-t Leipzig. Mittwoch 24. Juli 1907 Anzeige«. Prei» für Inserate au« Lew-ia und Umgeb,»« di« »geipallene Petitzeile 2S Pt, ftnanriell« Änjeigen 30 W., Neklamen 1 Vi.; von -u»wtrt» SV PI , NeNamen 1.20 M., vom«u»landS0Pf., finan«. «ureigen75Pf., Reklamen t.SO M. Inserate v. vehSrden >m amtlichen keil 40 Ps «eilagegebübr 5 M. p. Lausend exkl. Post- gebühr. <l>eschäst«an»eigen an bevorzugter Stelle tm Preise erhöht. Rabatt nach Taris, sfefterteilte Austrtge können nicht zurück gezogen werden. Für da« Erscheinen an bestimmten Lagen und Plötzen wird keine Garantie übernommen. «»«eigen. Annahme: «ugustu-vlatz 8, bei sämtlichen Filialen u. allen «nnoncrn. Lkpeditionen de« In- und Au«lande«. »<Nlpt -Filiale »erlin: Carl Duncka., Herzogl. Bahr. Hvfbuch- handlung, Lbtzowsttaße 10. (Lelehhon VI. Nr. 4««!,. 101. Jahrgang. Da» wichtigste von* Tage. * E- gehen Gerüchte von einem bevorstehenden Botschafter- Wechsel in London. Als Nachfolger v. Metternichs wird u. a. Pri nz Hohenlohe genannt. (S. DtschS. R.) * Professor Merkle hielt in Würzburg eine bedeutsame Rede zum Falle Schell. (S. Letzte Dep.) * Äm ReichSrat wurde das bisherige Präsidium endgültig gewählt. (S. AuSl.) Di- sLchsisch-n konservativen anr Scheidervege. Während die ganze sächsische Presse und ein großer Teil der außersächsischen deutschen Blätter sich mehr oder weniger eingehend mit der Wahlrechtsreformvorlage der sächsischen Negierung beschäftigen schweigt sich ein kleines, aber gerade im gegenwärtigen Augenblicke interessantes politisches Blatt beharrlich auS: „Das Vaterland". Man sollte eigentlich meinen, daß „DaS Vaterland" jetzt den Zeitpunkt für gekommen erachten könnte, etwas für da- Vaterland zu tun, besonders nachdem es unmittel, bar nach der Bekanntgabe der Grundzüg« der Reformvorlage durch den Grafen Hohenthal in Bautzen geschrieben hatte, es werde nächstens ein gehender auf die Angelegenheit zurückkommen. Inzwischen ist eine Menge Wasser inS Meer hinabgeflossen. Dinge haben sich ereignet, die daS ganze Land überraschten und gerade die Konservativen am nächsten anaehen. Sind eS vielleicht diese Ereignisse, die die Gedanken der Re daktion deS „Vaterland" und den Raum in seinen Spalten in Anspruch nehmen und dadurch einen hindernden Einfluß auf die Besprechung der Wahlrechtsreformvorlage ausübeu? Keineswegs. Die Rede deS Herrn v. Nostitz hat zwar durch ganz Sachsen geklungen, ja sie hat ein vielstimmiges Echo im Reiche geweckt, aber das Organ der sächsischen Konservativen hat es bis jetzt noch niän für notwendig befunden, Stellung dazu zu nehmen. Die politische Wochenschau der letzten Nummer spricht von einer Stille im politischen Leben, daß selbst die Fliegen vor Langeweile einschlafen, und „tatsächlich ereignet sich denn auch jetzt recht wenig, und was etwa Bemerkenswertes geschieht, hat höchstens die Bedeutung von Wetterleuchten, das eigent liche Unwetter steht noch fern oder ist schon vorüber." Ob das Unwetter, das mit der Rede deS Herrn v. Nostitz zum AuSbruch kam, schon vorüber ist, möchten wir bezweifeln. „DaS Vaterland" scheint dieser Ansicht zu sein, aber auch nur „Das Vater land", denn im übrigen lassen ja die Konservativen keinen Zweifel darüber, daß sie di« Revisionisten als einen Pfahl im eignen Fleische be trachten, den man auf alle Fälle loS werden oder unschädlich machen muß. DaS ist auch der wahre Grund für daS Schweigen des konser vativen Parteiorgans, das vor Monaten die Rede des Oberbürger. meisterS Beutler mit den inzwischen berühmt gewordenen und wieder halb vergessenen RevisionSvorsckläg«n schon gedruckt in der Geschäfts stelle liegen hatte, bevor sie noch gehalten worden war. Damals hielt man die Sache nicht für so gefährlich, ja man fand es ganz nett, wenn „diese Leute" in Dresden mit ihren modernen Ideen im Lande die An sicht verbreiteten, die konservative Partei sei gar nicht so reaktionär und agrarisch, sondern im Grunde ihres Herzens gar fortschrittlich und industriefreundlich gesinnt. Das hätte ja auf daS StimmverhaltniS bei den Wahlen einen recht angenehmen Einfluß ausüben können. Ergo, — man ließ die Dresdner Herren gewähren, ja man hätte sie gewähren lassen bis — zur Landtagssession, wenn die verhängnisvolle Klärung der Lage nicht dazwischen gekommen wäre, die geradezu eine bestimmte Stellungnahme gebieterisch forderte. Nun wendete sich mit einem Male daS Blättchen. Allerdings fan den die wenigen Abgeordneten, die in jener Versammlung die Kriegs erklärung d«S Herrn v. Nostitz an die Nebenregierung vernahmen, nicht de» Mut, den Herren Behrens, v. Nostitz und Gravelius entgegenzu treten. Sie fanden aber ebensowenig den Mut, bei der späteren Fraktionsversammlung für sie «inzutreten. Die Folge davon ist, daß jetzt tatsächlich Herr BehrenS mit seinem Dresdner Anhänge so ziemlich isoliert dasteht. Die lange erwartete Spaltung in der Partei wird sich zwar vermutlich vollziehen, aber der sogenannte linke Flügel, der unter gewöhnlichen Verhältnissen als Elite truppe der Konservativen in den Wahlkampf gezogen wäre, wird so gering sein, daß er zu einer Fraktion kaum reichen dürste, venn er eS überhaupt auf eine nennenswerte Vertretung im Landtage bringt, was vorder hand noch sehr fraglich ist, denn für ihren Führer, Herrn BehrenS, stehen die Chancen nicht sonderlich günstig. Nnd im übrigen hat man in der Partei noch nicht viel von der Begeisterung für den konservativen Revisionismus gesehen. Dagegen findet man im „Vaterland", für das weder die Wahlrechts vorlage, noch der Kampf um die Nebenreaierung zu existieren scheint, einen langerenArtiklel mit derNeberschrift: „Sind wir verpflichtet, denZug nach links mitzumachen? Der Artikel ist wohl — um einen zeitgemäßen Vergleich anzuwenden — ebensowenig eine Aeußerung der konservativen Parteileitung, wie die Rede deS Herrn v. Nostitz «ine Aeußerung der sächsischen Regierung war, aber wenn es vom Parteiorgan gebracht wird, muß er zum mindesten die Stimmung in den leitenden Kreisen der Par- tei widerspiegeln. Wir lesen da: „. . . Wenn man nach langer mühsamer Arbeit ein Ziel erreicht, einen Berg erklommen hat, so ruht man auS. Man will dock, nicht über da» Ziel hinaus. Brauchen wir wirklich noch weiteren Fortschritt?" Sehen wir unS doch die Forderungen der Freunde deS Fortschritts näher an. Eine Äenderung unseres sächsischen Wahlgesetzes wird allseitig für notwendig gehalten, nachdem die 1896 erfolgte ihren Zweck erreicht hat. Kein: Partei — am wenigsten die liberale — wird gutwillig, ohne Zwang, ihren Besitzstand und Einfluß aufgeben, am wenigsten ihrem Gegner überlassen. . ." Der Verfasser ist von rührender Offenheit: „Man will doch nicht über daS Ziel hinaus!" Die konservative Partei ist c-'so am Ziel ihrer politischen Bestrebungen. WaS könnte sie sich freilich noch mehr wün schen als unbeschränkte Macht? Sehen wir weitere „. . . Großes ist für die Schule geschehen, und auch hier könnte man zufrieden sein. . . Wir wollen unsere Schulen erhalten, die wie bisher auch ferner fromme Christen, protestantische Charaktere, fleißige Staatsbürger erziehen sollen. . DaS find so einige Proben von konservativer Gesinnung, wie sie daS „Vaterland" sich vorstellt und wünscht. Die Wähler werden nun wohl wissen, was es mit den fortschrittlichen Ideen '»er Dresdner Se zession auf sich HM Französisch-englischer Aonflitt. lVon unserem Pariser Korrespondenten.) Die Franzosen fangen an einzusehen, daß Herr DelcassS Marokko gar zu teuer bezahlt hat, als er 1904 die berühmte Konvention der „eutout« oorckials' abschloß. Die französischen Fischer haben nichts mehr in den GewässernNeufundlanos zu suchen, wo sie früher be deutende Vorrechte für die Ausübung ihres Berufes genossen. Diese Verzichtleistung war noch verhältnismäßig leicht zu ertragen, wenn schon die arme Bevölkerung der Bretagne protestierte. Nicht leicht zu ertragen ist aber der^ Verzicht auf Aegypten. 1904 haben die Franzosen eingewilligt, John Bull im Pharaonen- lande politisch keine Konkurrenz mehr zu -machen. Hat die Republik auch in Marokko eine ernste Enttäuschung erleben müllen, sind die eng- lochen Freunde doch keineswegs gesonnen,, die Stipulationen der Kon- ventlon über Aegypten undnrchgefuhrt zu Men; mit größter Rücksichts- losigkeit werden alle Franzosen, die noch össintliche Aemter in Aegypten bekleiden, abaesägt und durch Vollblutengtünder ersetzt. Der „Temps" brachte hierüber vor einigen Tagen eine Däßig gehaltene Klage, die zu einer Anfrage im englischen Unterhause geführt hat. Sir Edward Grey antwortete, daß die Demission des Direktors der Khedivial-Rechts- schule, Lambert, die Folge eines Mißverständnisses zwischen ihm und dem Unterrichtsministerium gewesen sei, daß sein Nachfolger, Hill, ernannt worden sei, weil die Zahl der englischen Studenten, die um Zulab bei der englischen Abteilung der Schule einkämen, gewachsen wäre; und daß schließlich nichts die Vermutung rechtfertige, die Er nennung eines Engländers wäre dem Sinne des englisch-jranzösiichen Abkommens von 1904 zuwider. , Diese Aeußerung des englischen Unterstaatssekretärs deS Aus wärtigen veranlaßt den „Temps" zu einer geharnischten Erwiderung, die offenbar offiziös inspiriert und dokumentiert ist, und die klar zeigt, wie England systematisch die französischen Einflüsse in Aegypten un schädlich zu machen bestrebt ist. Es heißt in dem Artikel, dessen Haupt inhalt wir schon skizziert haben: , „Es bandelt sich bei dem unfreundlichen Akt nicht um einen ver einzelten Akt. Ter Kampf gegen den französischen Unterricht gehörte immer zum Programm Lord Eromers. In diesem Jahre wurden bei dem Examen für das Fähigkeitszcugnis, das zum ägyptischen Bacca- laureat führt, von 91 Schülern der französischen Abteilung nur 15 zu gelassen, während fast alle Schüler der englilchen Abteilung ihr Diplom erhielten. Könnte man glauben, daß allein das höhere Verdienst dieser letzteren die Ungleichheit der Behandlung erklärt? In anderen Zweigen der öffentlichen Aemter ist die Methode die gleiche. Als im vergangenen Jahre für die Stadt Alexandria ein Chefingenieur ernannt werden mußte, zog man dem französischen Kandidaten, einem gereisten Manne von Wert, einen dreißigjährigen Engländer vor, der keinerlei Titel be sah. Heute geht es genau io mit dem ausgezeichneten französischen Pro fessor Lambert, den man durch Herrn Hill ersetzt, einen Mann, der vor drei Jahren sein Recktsex^ >cn vestand. Eln Literat namens Poung wurde zum Lhemieprofessor, ein Herr Blatchleh zum Marhcmalik- vrofessor ernannt, wenn sie schon keine Studien für ihr Amt gemacht hatten, bloß, weil man keinen Franzosen ernennen wollte. Dabei sagt der Vertrag von 1904: „Tie französischen Schulen in Aegypten werden sich derselben Freiheit erfreuen, wie bisher". Diese Schulen, die große Bedeutung haben, da allein in Kairo 8000 Kinder aus ihren Banken sitzen, haben ihre Freiheit. Bloß fand Lord Cromer das Mittel, sie hinterrücks in ihrer Fortentwicklung aufzuhalten. Da er ihnen nicht mehr die Gleichheit für die spätere Bewerbung um öffentliche Aemter zuerkennt, sehen sich die Eltern in Zukunft gezwungen, die englischen Schulen vorzuziehen. Man läßt den französischen Schulen ihre Frei- beit, aber man vergewaltigt die ihrer Schüler, indem man ihnen die Türen sür die administrativen Karrieren verschließt. Solange die Schüler der französischen Schulen noch wußten, daß sie in der Khedivial- Nechtsschule französischen Unterricht finden würden, ertrugen sie diesen Ostrazismus und machten die Examina des ägyptischen Vaccalaureats, um dort Zulab zu bekommen. Indem man die Rechtsschule analikam- siert, trifft man alle französischen Schulen der Unterstufen. Wir be haupten also, daß die Politik, die Sir Eward Gry so obenhin als ganz korrekt bezeichnete, sich in direktem Gegensatz zu dem Sinn«, wenn nicht zu dem Buchstaben des Vertrages von 1904 befindet. Wir behaupten, dah sie direkt gegen die sranzösocken Schulen gerichtet ist, die England zu respektieren versprochen hat. Wir appellieren an die öffentliche Mei nung ,n England, die schlecht unterrichtet ist. Wenn wir protestieren, ist eö, weit der französische Unterricht in Aegypten für uns nicht nur eine moralische Macht ist: bank ihm nimmt unser Handel die zweite Stelle in Aegypten ein; wir haben drei Milliarden im Suezkanal und in Boden kredit angelegt. Nie versprachen wir, diese materiellen unv moralischen Interessen auszugeben. Wir verteidigen sie. Was wäre natürlicher? Unsere 1904 elnaeganaene Verpflichtung begrenzt sich auf den Verzicht jeder antienglischen Aktion in Aegypten. Diese Verpflichtung haben wir erfüllt und werden sie getreu weiter erfüllen. Aber auf ökonomischem Gebiete wie auf intellektuellem haben wir keinerlei Verzicht unter zeichnet und werden in keinen willigen. Wir hoffen, daß die französische Regierung die englische freundschaftlich hieran erinnern wird. Gute Abrechnung macht gute Freunde, und Gambetta sagt: ,,Man wird von den Engländern nur geliebt, wenn man den Respekt bei ihnen durchzu- setzen weiß." So der „Temps". Die „vrttouto aoickisls" ist also nicht ganz so herzlich, wie es mitunter scheinen möchte. John Bull bleibt Egoist. Wie sehr die Franzosen auch seufzen und zetern mögen, er wird sie aus den ägyptischen Kornkammern, wo sie ihm noch immer zuviel Platz ein nehmen, vertreiben. Nochmals -ev Fall Hau. Von geschätzter juristischer Seite gehen uns interessante Be trachtungen über den Karlsruher Mordprozeß zu, die wir nachstehend veröffentlichen, obgleich sie zu anderen Ergebnissen führen als unsere gestrige Betrachtung des Falles: Der Karlsruher Mordprozeß, der nach dem Wahrspruche der Ge schworenen jetzt ein Todesurteil für den Angeklagten bringen mußte ist nach vielen Richtungen hin interessant. Die Umwelt, in der die Vor gänge spielten, hat nicht die geringste Beziehung zur Kaschemme. Der Schauplatz wechselte zwischen Washington, London, Paris, Konstanti- nopel, Wien, Baden-Baden. Die P. ozcßbeteiligtcn gehören zur Gesell schaft. Der Angeklagte ist ein akademisch gebildeter Mann aus einer angesehenen Familie. Er hat einen Universitätslehrstuhl für römisches Recht inne, ist Advokat. Dabei zeigt sein Leben schon in frühen Jahren abenteuerliche Züge. Er ist der Familie seiner Frau kein willkommenes neues Mitglied gewesen. Ihm war es Bedürfnis, bei den Angehörigen seiner Frau mit seinen angeblichen Erfolgen Eindruck zu machen. Sein Verhalten weist vieles Ungewöhnliche auf: den türkischen Orden, den Kreditbrief in Wien, den künstlichen Bart. Vor allem ist aber die Depeschenfrage wichtig. Der Beweis ist ein Indizienbeweis. Niemand hat ihn gesehen, wie er den Revolver auf die Schwiegermutter abschoß. Man hat auch das Geschoß nicht gefunden und mit den Zügen und der Seele deS Revolvers verglichen. An einzelnen recht gewichtigen Be lastungen fehlte es eigentlich. Und doch erscheint das Schuldig als kein Fehlspruch. Wenn man alle einzelnen Anzeichen, die für die Täter schaft des Angeklagten sprechen, züsammenhält, erlangt man ein Bild, das ihn dem Unbefangenen als Täter zeigt. Wer sollte sonst der Frau Molitor nach dem Leben trachten? Wem konnte ihr Tod Vorteil bringen, wenn der Täter unentdeckt blieb? Daß ein gekränkter Dienst bote Feuer an eine Scheune legt, kommt auf dem Lande noch vor. In den Städten gibts viele nervöse Dienstherrinnen, die in hysterischen Zu ständen den Dienstboten das Leben sauer genug machen; da aber die Dienstverhältnisse unschwer zu lösen, und neue Dienste leicht zu finden sind, so hört man in den Städten nicht von Gewalttaten, die eine Rache sür schlechte Behandlung sein oder das Ende des Dienstverhältnisses er- möglichen sollen. Hau hat durch den Fernsprechanruf seine Schwiegermutter aus dem Hause gelockt. Was er ihr hier mitteilte, war unwahr! Er war zur kritischen Zeit in Baden-Baden und trug einen künstlichen Bart. Nach der Tat hat er sich schleunigst davon gemacht. Seine Geldmittel waren zu Ende. Das Vermögen seiner Frau war verbraucht. Seine Frau ging alsbald freiwillig in den Tod. Jetzt versucht er, in die abschreckende Geschichte einen romantischen Zug zu bringen. Seine Anwesenheit in Baden-Baden will er mit der starken Neigung zu seiner Schwägerin erklären. Tas Auftreten des Malers Lenck ist geeignet, seine Angaben hier etwas zu unterstützen. Entlasten kann ihn aber das auch nicht. Sein Verhalten auf der An klagebank ist nicht das eines Unschuldigen. Auch der Kavalier, der seine Dame schont und um ihretwillen Schweres duldet, würde anders handeln und sich anders geben. Selbst aber, wenn Hau seine Schwägerin Olga aus Eifersucht auf ihren künftigen Gatten hätte erschießen wollen, aber versehentlich seine Schwiegermutter traf, wäre er des Mordes schuldig. Darüber ist juristisch kein Zweifel möglich. Auch wenn ein Gehilfe schoß, Hau sich nur seiner bediente, ist das Urteil richtig. Der Prozeß gibt wieder Anlaß zur Betrachtung über die Aufgaben der Presse im Dienste der Strafrechtspflege. Die Presse ist zur Ermitte lung von Verbrechern und zur Ausfindung von Ueberführungsmitteln vielfach mit Erfolg benutzt worden, gerade in letzter Zeit. Man denke an Hennig und den Schuster Voigt. Die Strafverfolgungsbehörde reicht mit der Presse in alle Schichten der Bevölkerung hinein und macht häufig einen bislang Unbefangenen auf wichtige Umstände aufmerksam, die er melden kann. Die Presse wirkt auch suggestiv. Sie kann in der Bevöl kerung die Ueberzeugung von der Schuld eines Unschuldigen wachrufen. Deshalb verbietet 8 17 des Preßgesetzes den Abdruck des Nkteninhalts von Strafprozessen vor der öffentlichen Verhandlung. In England werden Zeitungsaufsätze, die geeignet sind, die Geschworenen zu beein- slussen, als Mißachtung des Gerichts bestraft. Nun soll in diesem Pro- zesse die Staatsanwaltschaft die Presse bedient haben, nicht um den Täter zu ermitteln, sondern mit der — hoffentlich unbeabsichtigten — Wirkung, baß die Stimmung sich gegen den Angeklagten richtete. Wenn sich das bestätigte, so wäre es aufs tiefste zu beklagen. Unsere Rechtspflege müßte leiden, wenn die Staatsanwaltschaft in Schwurgerichtssachen eine Rück versicherung aus Verurteilung dadurch suchte, daß sie wider den Ange klagten die Bevölkerung, aus der die Geschworenen hervorgeben, durcb Zeitungsberichte einnimmt. Hier heißt es: prinaipiis obstal Gegen die Annahme einer solchen Tätigkeit der Staatsanwaltschaft scheint daS Verhalten des Publikums in Karlsruhe zu sprechen. ES nahm offen gegen Fräulein Olga Molitor Partei und stellte sich damit aus die Seite des Angeklagten. Diese Parteinahme kann aber in der Verhandlungsleitung des Vorsitzenden ihren Grund haben. Diese ließ zu sehr die Ueberzeugung der Richterbank von der Schuld des Angeklaa. ten erkennen. Das Verhältnis zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidiger war durchaus nicht erfreulich. Der Verteidiger war in der Sache so loyal, als es von ihm nur verlangt werden kann. Er tat nur seine Pflicht. Das haben Gericht und Staatsanwalt aber nickt immer erkannt. Sie haben ihm wiederholt das Leben grundlos schwer gemacht. Der Staatsanwalt ist z. B. mit der Frage an den einen Zeugen: „Es wird hier versucht, Frau Molitor herabzuwürdigen. Wissen Sie . . .", zweifellos dem Verteidiger in ordnungswidriger Weise zu nabe getreten. Kraft seiner Sitzungspolizeigewalt hatte dies der Vorsitzende zu rügen, er erklärte sich aber für unzuständig. Wenn man die Handhabung der Sitzungspolizei auch gern straffer sieht als neulich im Petersprozeß, so darf sie dock das ockirim ackvoea- torruri, das nun einmal noch lebt, nicht allzusehr erkennen lassen. Deutsches Reich. Leipzig, 24. Jul!. * Bolschafterwechsel in London? Wir erfahren folgende Nachricht, die wir unter allem Vorbehalt nur wegen der Sicherheit wiedergeben, mit her sie in unterrichteten Kreisen besprochen wird: Der deutsche Bot schafter in London, Graf Wolff-Metternich, ist amtsmüde und sehnt sich nach Ruhe. An seiner Stelle soll nun ein Mann aus ersehen werden, der in London an allerhöchster Stelle ganz besonders genehm sein würde. Es handelt sich dabei um die Person deS Grafen Seckendorf oder um den Prinzen Ernst Hohenlohe, den auch verwandt- schriftliche Beziehungen mit König Edyard verbinden, und der auch ge sellschaftlich am Londoner Hofe sehr angesehen ist. Sollte sich diese Nachricht bewahrheiten, dann würde darin ein bemerkenswerter Um schwung in der Stimmung der beiden Höfe gesehen werden können. — Auch eine Begegnung des Königs Eduard mit dem Kaiser auf der Reise nach Marienbad wird jetzt bestimmt in Aussicht gestellt. * v. Ttcpemann. Der verstorbene Wirkliche Geheime Rat und freikonservative Politiker Christoph v. Tiedemann bat umfangreiche Auf zeichnungen hinterlassen, die er zur Fortsetzung seines Erinnerungswertes: „Aus sieben Jahrzehnten", dessen erster Band erschienen ist, verwerten wollte. Namentlich aus der Zeit seines ZusammenarbeitenS mit dem Fürsten Bismarck von 1877 bis 1881 sais vortragender Rat in der Reichskanzlei) hatte Tiedemann Interessantes zu berichten. Man darf Wohl hoffen, daß durch den Tod Tiedemanns die beabsichtigte Heraus gabe dieses Materials nicht vereitelt, sondern daß sie von anderer Seite pietätvoll in die Hand genommen werden wird. * Vom Fürsten Bülow. Von informierter Seite wird uns mit geteilt, daß die Politik bei der augenblicklichen Anwesenheit des Fürsten Bülow in Berlin keine Rolle spiele. Allein ein hartnäckiges Zabnleiden, welches den Kanzler befallen batte, ist ras Motiv sür den vorübergeben den Aufenthalt. Da die Zahnerkranlung sich als schwerer heilbar berauSgestellt hat, als man zunächst angenommen hatte, so hat die Anwesenheit in Berlin länger gedauert. Heute oder morgen dürste Fürst Bülow nach Norderney zurücktebren. Freilich lag cs nahe, politische Vermutungen an diese Reise zu knüpfen. ' Bülow und Hnret. Einem zweiten Gespräche des Reichskanzlers mit dem Franzosen Huret, welches gleichzeitig im „Figaro" und im „Ber liner Tageblatt" veröffentlicht wird, entnehmen wir folgende poli tische Anmerkungen deS Fürsten: Der Fürst kam darauf »u sprechen, wie eigenartig der deutsche Charakter sei, und wie er trotz ollem an der Tradition festhalte. „Welcher Unterschied gegen Frankreich!" sagte der Fürst. „Bei Ihnen hat der Konvent, der doch immerhin eine große Sache war, mi.'einem Schlage alles gleich gemacht und verfügt, daß von dem alten Gebäude nichts stehen bleiben dürfe. In Deutschland hingegen hatten wir nie eine richtige Revolution; das wäre dem deutschen Geiste entgegen. Sie sehen auch jetzt noch neben Mecklenburg, daS seu-
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