Delete Search...
Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.06.1898
- Erscheinungsdatum
- 1898-06-26
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189806261
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18980626
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18980626
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-06
- Tag1898-06-26
- Monat1898-06
- Jahr1898
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.06.1898
- Autor
- Links
-
Downloads
- Download single page (JPG)
-
Fulltext page (XML)
Bezugs-PretS Elt HW Hauptrxpeditiou oder den im Stadt« WtztU und den Vororten errichteten AuS- aaoestellrn abgeholt: vierteljährlich^ 4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung in» Haus 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich ^i S.—. Dtrecte tägliche Kreuzbandsendung in» Ausland: monatlich 7.50. Di« Morgen-AuSgab« erscheint um V,? Uhrz di« Abend-AuSgabe Wochentags um 5 Uhr, Nrdartion und Erpe-Mour- JohanneSgafie 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» Abend» 7 Uhr. / Fittalen: Ltt« Elemm's Sortim. (Alfred Hahn), Universitätsstraße 3 (Paulinum), Louis Lösche, Aatharinensir. 14, part. und KönigSplatz 7. ^?3I8. MipMer TagMalt Anzeiger. MtsöM des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes nnd Polizei-Amtes der Stadt Leipzig. Anzeigen-PreiS die 6 gespaltene Petitzeile SO Pfg. Reclamen unter dem RedactionSstrich (4 ge spalten) 50/H, vor den Familiennachrichten (6gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernlatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung »4 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgeu-AuSgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von S. Polz in Leipzig. Jahrgang. Sonntag den 26. Juni 1898. sowie nachfolgende Ausgabestellen: Arndtstraste 35 Herr k. 0. Kittel, Colonialwaarenhandlung, Beethovenstraste 1 Herr ^lieoü. keter, Colonialwaarenhandlung, Brühl 53 6. k. 8elml)vrt'8 kaelikolxor, Colonialwaarenhandlung, Frankfurter Straste (Thomasiusstraßen-Ecke) Herr Vito krau/, Colonialwaarenhandlung, Löhrstraste 15 Herr küuarü Hetzer, Colonialwaarenhandlung, Nürnberger Straste 45 Herr LL. k. Aldreottt, Colonialwaarenhandlung, in Anger-Crottendorf Herr ködert Vreiuer, Zweinaundorfer Straße 18, - Connewitz Frau klseüer, Herinannstraße 23, » Cutritzfch Herr ködert Altuer. Buchhandlung, Delitzscher Straße 5, - Gohlis Herr ködert Altner, Buchhandlung, Lindenthaler Straße 5, - Lindenan Herr Albert läiulner, Wettiner Str. 51, Ecke Waldstr., Buchbinderei, - Neustadt Zebelt's Anuoueen-Kxpeültlon, Eisenbabnstraße 1, Ranftfche Gaffe 6 Herr krieür. kiseber, Colonialwaarenhandlung, Ranftädter Steiuweg 1 Herr v. kiiLseliuauil, Colonialrvaarenhandlung, Schützeustraste 5 Herr «Illi. 8t Iliiiliti Iloii, Colonialwaarenhandlung, LVestplatz 32 Herr II. Vittrieli, Cigarrenhandlung, Borkftraste 32 (Ecke Berliner Straße) Herr ll. llörlioltl, Colonialwaarenhandlung, Heitzer Straste 35 Herr V. KÜ8ter, Cigarrenhandlung, in Plagwitz Herr V. Vriit/iuanu, Zschochersche Straße 7 a, - Reudnitz Herr IV. klltzinanu, Nrarschallstraße 1, - - Herr keruli. Weber, Mntzengeschäft, Leipziger Straße 11, - Thonberg Herr R. üäutsel», Reitzenhainer Straße 58, ' . Bolkmarsdorf Herr V. A. >auiuanu, Conradstr. 55 (Ecke Elisabethstr.). Im Jnteresie rechtzeitiger und vollständiger Lieferung des Leipziger Tageblattes wollen die geehrten Leser die Bestellung für das III. Vierteljahr 1898 baldgefälligst veranlassen. Der Bezugspreis beträgt wie bisher vierteljährlich für Leipzig 4^'50 mit Briugerlohn für zweimaliges tägliches Zuträger: 5 5V durch die Poft bezogen für das Deutsche Reich und Oesterreich-Ungarn 8 In Leipzig nehmen Bestellungen entgegen sämmtliche Zeitungsspediteure, die Hauptexpeditiou: Johamresgasse 8, die Filialen: Katharinenstratze 14, Königsplatz 7 und Universitätsstraste 8, Aus der Woche. Noch ist das Ergebnis; der vollzogenen Stichwahlen nicht vollkommen bekannt und mehrere Wahlen stehen noch aus. Im Großen aber tritt die künftige Zusammensetzung des Reichstages ziemlich klar hervor. Er ist nicht unbeträcht lich schlechter als der vorige. Den erheblichsten Zuwachs wird die s o c i a l d e m o k r a t i s ch e Fraction erhalten, die be reits 10 Köpfe stärker ist, als am Ende der verflossenen Legislaturperiode, und mit freisinniger und Centrums Hülfe noch mehrere Siege zu gewärtigen hat. Das Centrum wird dafür gleichfalls Zuwachs erhalten; die alte Stärke hat eS bereits erreicht und darf noch auf einige neue Sitze rechnen. Es kann dann um so leichter dominiren, je erheblicher die Einbußen sind, welche dieFreiconservativen und die Nationalliberalen allem Anscheine nach zu be klagen haben. Ob auch die Conservativen geschwächt aus dem Kampfe hervorgehen, läßt sich noch nicht genau über sehen, da sie in der letzten Session außer 51 Mitgliedern 6HoSpitanten hatten und auSden telegraphischenMeldungen über die Stichwahlen nicht zu erkennen ist, wie viele der Ge wählten der konservativen Fraction als Hospitanten sich anschließen werden. Eine Stärkung steht den Con servativen jedenfalls nicht bevor. Freisinnige Ver einigung und Freisinnige BolkSpartei werden ungefährj die gleiche Anzahl von Sitzen einsetzen, wie im „seligen" Reichstage; Herr Richter hat sich über die Stärke der klerikalen und der socialdemokratischen Krücken ebensowenig getäuscht, wie über die Festigkeit der Conservativen und der Nationalliberalen, die durch keine Beweise des Gegentheils sich davon abhalteu ließen, ihn und seine Gefolgschaft für unschädlicher als Socialdemo kraten anzusehen. Auch die Reformer, denen sich Ahlwardt wieder an die Rockschöße hängt und die mit ihm und Herrn vr. Böckel allerlei Abrechnungen halten zu wollen scheinen, dürften nicht viel einbüßen. Mit den Nationalliberalen und den Freiconservativen werden sich also in die Verluste nur noch die Polen und die süddeutsche Volkspartei theilen. Wie der Bund der Landwirt he, dessen parlamentarische Stärke bisher sich nicht genau feststellen ließ, „abschneidct", ist trotz der Trompetenstöße des Bundesorganes noch eine ungelöste Frage. Eine eigene Gruppe unter der Führung der Herren v. Plötz und vr. Hahn wird er jedenfalls nicht bilden können. Die Verluste, die mehrere der alten Parteien erlitten haben, beweisen jedoch nichts gegen die Existeuznothwendigkeit derselben. Denn die neueren Parteigebilde haben keine Erfolge davongetragen. Es war kein wahres Wort, das Herr v. Miguel im Jahre 1890 spr.ich, als er meinte, die alten Parteien hätten sich überlebt, und noch weniger war es ein glückliches Wort. Denn eS hat den bestehenden und zumeist den politisch bewährten Parteien direct geschadet und eS hat es dem herrschenden Regiment lange Zeit als richtige Politik erscheinen lassen, eine Auflösung der Parteien zu begünstigen. In der Richtung ist nicht viel erreicht worden, aber genug, um daS Fehlerhafte eines NegierungsplanS darzuthun, der in Allem anders wollte, als das beseitigte System. Was die positiven Parteien verloren haben, ist gleichfalls alten Parteien zu gefallen, und an dem Rückgänge der Freiconservativen und der Nationalliberalen zum Vortheile der Socialdemokratie können die Negierenden kein Wohlgefallen haben. Immerhin, wir haben das schon ausgesprochen, braucht man nicht an der gesunden Entwickelung Deutsch lands zu verzweifeln. Sehr schlimm wäre eS nur, wenn aus dem üblen Ergebniß nicht Lehren gezogen würden. Sehr günstig ist die Aussicht dazu gerade nicht, und für die nationalen Parteien ist, wenn sie nicht wirklich die Existenz berechtigung verlieren sollen, die Pflicht, einem System ent gegenzutreten, bei welchem der Monarch seinen eigenen Kanzler machen zu können glaubt, nunmehr eine unaufschieb bare geworden. Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Un zufriedenheit mit dem schwankenden CurS, mit den zahllosen Improvisationen, die wir zu hören und zu sehen bekommen haben, das Wahlergebniß stark beeinflußt hat. Diese Unzufriedenheit kommt hauptsächlich zum Vorschein bei den Ziffern der Wahlversäumnisse. Sie hat damit gewiß eine höchst bedauerliche und tadelnswerthe Form der Bekundung gesucht, aber eS muß nun dafür gesorgt werden, daß das Mißbehagen an den allgemeinen Regierungsverhältnissen künftighin keinen Anlaß mehr findet, sich in der Abwendung von Parteien, die zu einer loyalen Kritik berufen sind, sie aber vermissen lassen, zum Ausdruck zu bringen. Die Unzufrieden heit ist vorhanden und man hat sich sehr getäuscht, wenn man glaubte, daß ihr der ungeheure Freuden- und Be wunderungslärm, den über das Bißchen Kiautschau ein großer Theil der Presse unermüdlich fortzusetzen für angemessen hält, merklich Abbruch thun werde. Die Leute, die ernst lich mit Herz und Kopf für Ausbreitung und Sicherung des überseeischen Einflusses Deutschlands eingenommen sind, haben ein viel zu gutes Gedächtniß und ein zu gutes Augen merk, um über den ostasiatischen Hafen Zanzibar und Witu zu vergessen. Und sie sind vor allen Dingen nicht beruhigt darüber, daß, so lange die verantwortlichen Nathgeber den selben Ueberraschungen wie das große Publicum ausgesetzt sind, die jetzige Politik deS Zusammenhaltens nnd Mehrens nicht über Nacht wieder einer Politik des Vertauschens von Werthgegenständen gegen Glasperlen Platz machen könnte. Und dabei ist die Frage einer rationellen Wahrnehmung der auswärtigen Interessen des Reiches nur eine der vielen, die besorgte Patrioten abhält, einen Wahlzettel abzugeben, der als ein Vertrauensvotum nach oben betrachtet werden könnte. Das Auftauchen von Stimmzetteln mit den Worten „Ich wähle nicht" weist gewiß auf politische Unklugbeit zurück, aber deshalb sollte man es doch nicht unbeachtet lassen und sollte man sich fragen, warum denn bei früheren Wahlen dergleichen nicht vorgekommen ist. Die Ursache dieser und ähnlicher Erscheinungen ist aber freilich nicht allein in der Unzufriedenheit mit den allgemeinen Regierungsverhältnissen zu suchen. Zu ihr gesellen sich der Mißmuth über die Ausartung des Parlamentarismus und der Abscheu vor einer auf eigensüchtigen Beweggründen beruhenden Wahlpolitik und Agitation. Die Sonder bündelei, die Zch-Politik, die unbekümmert um die politischen Folgen mit der größten Skrupellosigkeit bewährte und für Reich und Land unentbehrliche Parteibeziehungen stört, hat sich arg verrechnet. Sie vermag eben nur zu zerstören. Die Pfalz und Hannover bieten trotz des noch verhältniß- mäßig befriedigenden Ausfalls der Stichwahlen die lehr reichsten Beispiele für die Gemeinschädlichteit des Aufblühens der Agitationsindustrie. Aber der Krebsschaden ist fast überall zu Tage getreten, wenigstens fast überall auf dem Lande. Es hat sichaber zugleichgezeigt,daß es in Deutschland nur ein einziges Heilmittel gegen dies Uebel giebt: das Cartell, das die Befriedigung von Gruppen- und Privatgelüsteu ausschließt, das aber freilich auch eine Negierung vor sich hat, die ein Cartell im alten Sinne entstehen zu lassen und zu gebrauchen versteht. Nach dieser Richtung bin vorbereitend zu wirken, wird die Aufgabe der nächsten Jahre sein. Daß das Cent rum außerhalb der Combination zu bleiben bat, beginnt man nach der Stichwahltaktik dieser Partei in Baden, in der Pfalz und anderwärts vielleicht auch oben einzusehen. Alle Ver hätschelung hat sich als nutzlos erwiesen, der Ultramontanismus begünstigt nach wie vor die Träger des revolutionaircn Ge dankens und die Herren über die Fäuste, die zu dessen Ver wirklichung auserseben sind. Ein schrofferer Gegensatz als der zwischen dem Verfahren der ehemaligen Cartellparteien und dem dieser die Religion im Munde führenden Partei ist nicht denkbar. Tort unverbrüchlichstes, um die unvermeid lichen parteipolitischen Nachtbeile unbekümmertes Festhalten an einem staatserhaltenden Princip, hier die unverhüllte Absicht, im Interesse der eigenen, der Consolidirung des Reiches widerstrebenden Parleipolitik die Revolutions partei als ein für die ultramontane Partei brauchbares In strument zu stärken. Beide Richtungen, es ist wahr, haben 8ecunckum naturam 8ui g6n6ii8 gehandelt. Aber über die Natur des Centrums sollte man sich keiner Täuschung mehr bingeben und am allerwenigsten sollte man glauben, die Ver mehrung der Klöster, der klerikalen Professoren und Beamten würden diese Natur ändern. Rettende Thaten des Freisinns. LZ Jetzt muß auch der ungerechteste Gegner des Frei sinns anerkennen, daß die Fortschrittspartei, als sie die nord deutsche Bundes- und die Reichsverfassung verwarf, sich von einem stichhaltigen Beweggründe leiten ließ. Es war nicht, wie man fagen hört, das allgemeine und gleiche Wahlrecht im Entwürfe, waS sie zur Ablehnung bestimmte, sondern ein ernstes und in der That, wie eingeräumt werden muß, ge gründetes Bedenken. Seine Bekanntgabe, die schweigend duldendes Verdienst der Welt so lange vorenthiclt, ist nun mehr im Wahlkampfe erfolgt. Ihr monarchisches Gefühl verwehrte cs den Männern des Fortschritts, einen Bundes staat schaffen zu helfen, in dem Könige von Gottes Gnaden gezwungen sein sollten, ekle republikanische Staatsgebilde al» Bundesgenossen neben sich zu dulden. Was den Freisinnigen im 1. oldcnburgischen Wahlkreise die patriotische Sorge um den vom Nationaliberaliskuus schwer bedrohten Fortbestand der angestammten Monarchie erpreßt hat, beleuchtet die Grundslimmung des Freisinns wie der früheren Fortschritts partei. Die freisinnig und großherzoglich Gesinnten in diesem Wahlkreise haben bekanntlich die Wähler zumEintreten für den freisinnigen Candidaten Bargmann aufgefordert, weil dieser seinem LandeSberrn die Treue ^geschworen habe, während sein nationalliberaler Gegner Hamburger und also Re publikaner sei. „Unserm Landesfürsten zu Liebe", heißt es in dem Ausrufe ihres Wablcomites, „dürfen wir keinen Republikaner wählen." Die Begründung ist durchschlagend. Das treue freisinnige Volk im l. oldcnburgischen Wahlkreise hat auch dem Landesvater den Schmerz und die Beschämung erspart, einen Theil seines Gebietes durch einen Mann ver treten zu sehen, der einem Lande angehört, dessen Be wohner grimmigen Fürstenbaß mit der Muttermilch einsaugcn. Allein, was freisinnige Fürsteutrcue und Wachsamkeit hier noch verhütet hat, kann später geschcben und nicht nur in Oldenburg. Kein deutscher Fürst ist dagegen ge sichert, daß seine Beamten Königsseinden und vielleicht nur durch die Furcht vor dem Schaffet vom Königs mord zurückgehaltenen Republikanern die Legitimation als Neichstagsabgeordnete zuzustellen gezwungen werden. Man bedenke nur, daß neben Hamburg noch Bremen und Lübeck als vertragsrechtlich geordnete und — Gott sei es ge klagt — auch buiidcsrechtlich anerkannte Brutstätten von aniimonarchischer Gesinnung die deutsche Erde schänden. Bei der großen Zahl erwachsener männlicher Personen, die in diesen Gemeinwesen die Langmutb des königStreuen Freisinns auf die Probe stellen, sind sie leicht im Stande, die Reichs- tagssitze von ihren Scndlingen eiunehmen zu lassen. Der Zustand, der diese Möglichkeit bietet, ist unerträglich. Wem wir ihn verdanken, braucht nicht gesagt zu werden. Es ist eines der ungezählten Denkmäler der Grundsatzlosigkeit und Kurzsichtigkeit jener von der Gunst der Umstände empor getragenen politischen Null, die sich Fürst Bismarck nennt. Er, der allezeit den Namen der Monarchie im Munde trug, hat diese Staatsform so brutal wie thöricht durch die Ver einigung von Monarchien und Republiken in einem Reiche schwer compromittirt. Schwer, aber nicht unheilbar. Die Frei sinnige Volkspartei, der die Wackeren im ersten oldenburgischcn Wahlkreise anzchören, welche die dem Königthum dräuende Ge fahr aufs Neue vor Augen geführt haben, ist entschlossen, dem Aergerniß königstreuer Männer ein Ende zu machen und so so oder so den Flecken von der deutschen Landkarte zu tilgen. Hamburg, Bremen und Lübeck küren sich entweder bis zum Feuilleton. Das vermächlniß eines Menschenfreundes. Znm 2«yjährigcn Jubiläum der Aranckc'sche» Stiftungen. (29. Juni bis 1. Juli.) Nachdruck verboten. Es war zu Anfang des Jahres 1695, als der Pfarrer des damals mit Halle noch nicht vereinten Glaucha in der Armenbüchse des Pfarrhauses eine Gabe fand, wie sie solchem Zwecke seines Erinnerns noch nicht geopfert worden. Volle — sieben Gulden waren es, die eine wohlthätige Frau, die Gattin des späteren CommissionSrathes Knorr gespendet hatte. „Das ist ein ehrlich Capital", rief der Pfarrherr freudig bewegt aus. „Davon muß ich was Rechtes stiften! Ich will eine Armenschule anfangen." Der so sprach, war kein Geringerer als August Hermann Francke, der epochemachende kühne Führer des deutschen Pietismus, jener Bewegung der Geister, die als Reaction auf einen verknöcherten Formalismus und Dogmatismus das re ligiöse Leben wieder vertiefte und verinnerlichte und trotz alles Krankhaften und Excentrischen, das ihr anhaftete, mächtig be fruchtend auf den durch die Greuel des 30jährigen Krieges ver wüsteten und verödeten Boden deutscher Geistescultur wirkte und in socialer Hinsicht, namentlich durch Erneuerung und Hebung 1^ arg darniederliegenden Schulwesen» und durch eine in großem Stil getriebene Armenpflege, unvergängliche Spuren hinter lassen hat. Durch August Hermann Francke wurde Halle das Herz, dessen Schläge man durch alle evangelischen Lande spürte. Francke, der große Träger dieser Epoche, war selbst ein Mann, der mit tiefster religiöser Innigkeit und staunenswerther Glaubenskraft, bei gewaltiger Energie und unermüdlicher Freude und Lust am Schaffen, einerseits die Gaben eines unvergleich lichen Tactes als Erzieher, andererseits die vollendete Umsicht und Rührigkeit eines ausgezeichneten Geschäftsmannes verband. Daraus und aus seiner unbezwinglichen, keine Grenzen kennenden Liebe zu den an Leib und Seele Nothleidenden seiner Volks genossen sind jene einzig dastehenden Schöpfungen erwachsen, die man unter dem Namen der Francke'schen Waisenhaus- Stiftungen zusammenfaßt, und die, zu den ersten Zierden der Stadt Halle zählend, noch heute einen weitgehenden Ruf genießen und über 3260 Zöglinge zählen. Ein mächtiger Gebäude- complex, bilden sie eine kleine Stadt für sich. Zu Francke's allerersten Aufgaben gehörte es, die socialen Nach wehen des dreißigjährigen Krieges, die sich namentlich in einer weitauSgebreiteten Armuth bemerkbar machten, zu bekämpfen. Er schuf zunächst eine Armenordnung für seine Gemeinde, die nachher vorbildlich für die allgemeine Armenordnung für Halle und seine Vorstädte wurde, und wandte zugleich dem so kümmerlich entwickelten Volksschulwesen seine ganze Aufmerksamkeit zu. Daraus ist dann allmählich der Plan zu der Anlage seiner umfassenden Stiftungen hervorgegongen. Das Erste war, wie wir schon erwähnten, seine Armenschule, für die ihn bald reichliche Mittel von allen Seiten zuströmten. Der Ruf de» trefflichen Unterrichts bestimmte bald auch viele gut situirte Bürger, ihre Kinder gegen Zahlung eines Schulgeldes der neuen Schule zuzuführen. Zugleich wurden viele arme Studenten unterstützt, die sich verpflichteten, den Unterricht zu ertheilen. Da machte Francke die Beobachtung, daß bei vielen Kindern seiner Armenschule außerhalb derselben wieder verdorben wurde, was in derselben erzielt worden war. Dies führte ihn auf den Gedanken, eine Anzahl gänzlich mittelloser, in der Regel eltern loser Kinder durchaus unter seine Erziehung zu stellen. Es war die edle Idee, die nachher in erstaunlich kurzer Zeit zu der Gründung des „Waisenhauses" geführt und Francke's Namen in der ganzen Welt bekannt gemacht hat. Bedeutende Geldsendungen, die er, namentlich aus England, erhielt, machten es möglich, daß er schon im Herbst 1695 neun Waisen unter seine Pflege nehmen konnte. Zu ihrer Unterkunft wurde ein Haus angekauft und umgebaut, und schon im nächsten Jahre war die Zahl der Waisen auf achtzehn gestiegen, um von nun an immer mehr zuzunehmen. Da auch die Armenschule und die Schule für Kinder wohlhabender Eltern, das sog. Päda gogium, in dem Hause untergebracht war, reichten seine Räume nur kurze Zeit aus, so daß im Februar 1697 für 300 Thaler noch das Nachbarhaus erworben werden mußte. Im September desselben Jahres wurde ferner eine eigene neue Schule, später die Lateinische genannt, für solche Knaben aus bürgerlichen Familien gebildet, die künftig sich akademischen Studien züwenden wollten. Inzwischen war in Francke die Idee gereift, ein eigenes Waisenhaus im großartigem Stile zu erbauen. Etwa 19 000 Thaler, eine Summe, deren Leistungskraft in der Gegen wart eine mehr als dreifach höhere entsprechen würde, waren in Francke's Händen, und doch war der Plan ein überaus gewagter. Aber vorwärts mit Gott war die Loosung unseres Menschen freundes, und so konnte schon am 24. Juli 1698 der Grundstein gelegt werden. Das ist der Geburtstag der Hauptstiftung Francke's. Er wurde alljährlich durch eine kleine Feier geehrt und an ihm 1748 die fünfzigjährige und 1798 die hundert jährige Jubelfeier begangen, während diesmal für die festlichen Tage des Abschlusses eines zweiten Jahrhunderts die Tage vom 29. Juni bis zum 1. Juli ausersehen sind. Eine so groß angelegte Unternehmung, die nur auf den freiwilligen Beiträgen christlicher Freunde und Freundinnen des edlen Zweckes und der durch Francke vertretenen neuen Richtung beruhen konnte, stand in Deutschland bis dahin einzig da; es war eine außerordentlich kühne That. Leicht ist sie sicherlich nicht durchzuführen gewesen. Aber so schwierig wiederholt Francke's Lage während der Bauzeit sich gestaltete, sein tapferes Gott vertrauen hat ihn doch nicht getäuscht, und so ist Alles zu glück lichem Ende geführt worden. Schon zu Ostern 1700 wurde es möglich, einen Theil des mächtigen massiven Baues in Gebrauch zu nehmen und die Waisen endgiltig in denselben überzuführen, und von nun an nahmen die Francke'schen Anstalten einen immer größeren Aufschwung. Zunächst wurden dieselben, um sie nach und nach auf eigene Füße zu stellen, mit einer Reihe ge winnbringender Institute umgeben. In erster Reih« ist hier die Buchhandlung und Buchdruckerei de» Waisenhaus«» zu
- Current page (TXT)
- METS file (XML)
- IIIF manifest (JSON)
- Show double pages
- Thumbnail Preview
First Page
Back 10 Pages
Previous Page