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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.07.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-07-15
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030715025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903071502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903071502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-07
- Tag1903-07-15
- Monat1903-07
- Jahr1903
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Das freisinnige „Gothaische Tageblatt" hat die Genugtuung des Richterschen Organs u. a. wegen der Art hervorgcrusen, wie es den Rückgang des Liberalismus erklärt. „Seitdem Fürst Bismarck", meint in dieser Beziehung das „Gothaische Tageblatt", „in folge seiner im Streite mit dem Papsttum erlittenen Niederlage den Kampf um die einseitigsten materiellen Interessen proklamierte, um dadurch zu einer von den un fruchtbaren konfessionellen Kämpfen unabhängigen, reaktionären, Mehrheit zu gelangen, ist in der gesamten inneren Politik und auch im Parteileben des Deutschen Reiches eine vollständige Zersetzung eingetreten." — Was hier dem Fürsten Bismarck als Motiv für seinen Uebcr- gang zur Schutzzollpolitik untergeschoben wird, gehört in das Bereich tendenziöser Parteidarstellung und hat mit der geschichtlichen Entwicklung der Begebenheiten nichts gemein. Der wirkliche historische Zusammenhang kommt in einer Abhandlung zu seinem Rechte, die der Bonner Nationalökonom H. Dietzel im „Handw örter - buche der S t a a t s w i s s e n s ch a f t e n" über Bis marcks Wirtschaft- und Sozialpolitik veröffentlicht hat. Dietzel, der nichts weniger als Hochschutzzöllner ist, schreibt darin: „Nachdem unter dem Drucke der .... mißlichen Lage der Erwerbsverhältnissc die protektionistische Agitation immer größere Erfolge erzielt hatte, war in die Wahlproara mme der konservativen Fraktion wie des Zentrums (zu den Reichstags wahlen von 1878. Red.) die Forderung eingestellt worden, daß das bisherige System einseitiger Freihandelspolitik aufzuhebcn und der Zolltarif zu regeln sei „nach dem Maße der zunehmenden Kräftigung der deutschen Gewerbstätig- keit und des vertragsmäßigen Entgegenkommens der Nachbarstaaten" iWahlprogramm des Zentrums im Juni 1878). Und am 17. Oktober 1878 hatten 204 Abgeordnete — nahezu sämtliche Mitglieder des Zentrums, die große Mehrzahl der Konservativen, nicht wenige Liberale — sich zu der „volkswirtschaftlichen Bereinigung" zusammen geschloffen, die mehr als die Hälfte aller Reichsboten um faßte. Ihr Pronunziamento zu Gunsten einer Tarifrevision lautete allerdings ziemlich vag .... Aber es war kein Zweifel, daß, sollte der Kanzler das Schlagwort Schutz zoll sich zu eigen machen, die Vereinigung ihm folgen werde. . . . Hatte sein früheres Kinanzzollprogramm durchaus liberalen Gcvräaes bei den Liberalen keine Gegenliebe gefunden, so erstrebte und erreichte er nun das große politische Ziel, das seit einem Jahrzehnt ihn in seinen: Banne hielt — das Ziel, durch die ökono mische Verselbständigung des Reiches „den letzten, festen Kitt in die Fugen der deutschen Staatsgemeinschast zu legen" lProvinzialkorrespondcnz) — indem er das Schutzzollvrogramm der Vereinigung sich zu eigen machte. Unter dieser neuen Flagge — die e r nicht aufgezogen hatte, aber desto achtungsvoller salutierte, eine je gröbere Schar sich um sie sammelte, glitt das oft gestrandete Boot der indirekten Steuern mit Schnelligkeit und Eleganz über die Barre. Hätte die liberal« Mittelpartei jenes Finanzzollprogramm unter stützt, so würde für Bismarck, dem bis Frühjahr 1879, d. h. bis zu der Zeit, da er die Einschränkung des Korn imports ins Auge faßte, der Schutzeffekt der Tarifreoision nur sekundärer, der Einnahmeeffekt durchaus pri märer Zweck war, kein zwingender Grund vorgelegen haben, den Stützpunkt statt in der nationalen Majorität, der liberalen Mittelvartei, in dem Konglomerat von Kon servativen, Zcntrnmsleutcn, protektionistischen Liberalen zu suchen — in einer Majorität, die, weit entfernt, mit ihnen und unter sich durch gleiche Ansfassimg des Reichs interesses verbunden zu sein, nur zusammengehalten wurde durch die Gemeinsamkeit von Privatintcrcssen, und dem Kanzler zunäch st nur deshalb willkommen war, weil die Einführ dämme, die sie er richten wollte, dem Reiche Einnahme quellen bedeuteten." — Die heutigen National liberalen haben aus der damaligen Zeit gelernt und in folgedessen zur Tarifrevision eine andere Haltung ein genommen, als die Freisinnigen. Wie sehr trotz der Er fahrungen des letzten Wahlkampfes bei den letzteren die Neigung obwaltet, unbelehrbar zu bleiben, lehrt die obige, von der „Freisinnigen Zeitung" gebilligte Auslassung des „Gothaischen Tageblattes". Auch die Unbelehrbarkeit eines andern freisinnigen Blattes in Bezug auf die M i l i t ä r- und Marin eopposition, nämlich der Char lottenburger „Neuen Zeit", macht sich die „Freisinnige Zeitung" zu eigen, indem sie deren Auffassung, daß jene Opposition volkstümlich sei. weiter verbreitet. Der Rück gang der freisinnigen Mandate von 67 auf 32, wie er durch die Rcichstagswahl des Jahres 1887 stattfand, und der Rückgang von 66 Mandaten auf 37, wie er durch die Wahl des Jahres 1893 erfolgte, ist also immer noch wirkungslos geblieben! Viel einfacher als die Erkenntnis der eigenen Fehler ist es allerdings, den Fürsten Bismarck, im Wider spruche mit den Tatsachen der Geschichte, für den Rückgang des Liberalismus verantwortlich zu machen. Sozialdemokratische Agenten Englands. Der „Vorwärts" betont heute, wie früher schon, daß die englisch-französische Annäherung ihre Spitze gegen Deutschland richte. Als Grund hier für macht das sozialdemokratische Zentralorgan zunächst die deutsche Zollpolitik nanrhaft. Die Zollpolitik als solche kann aber aus sehr triftigen Ursachen nicht die Bedeutung haben, die der „Vorwärts" ihr zuschreibt: denn die Zollpolitik Frankreichs, dessen Annäherung an England der „Vorwärts" konstatiert, ist mindestens ebenso schutzzöllnerisch wie die deutsche. Der „Vorwärts" legt auch nicht den Nachdruck auf das in Rede stehende Moment, sondern fährt fort: „Bor allem aber bedeuten die deutschen Flottenrüstungcn seit Jahren eine Bedrohung Englands." — Um diese Behauptung richtig zn würdigen, braucht man nur in dem soeben er schienenen neuesten Bande des „Nauticus" die Secstreit- kräfte Englands und Deutschlands zu vergleichen. Unter genauer Anführung jedes einzelnen Fahrzeuges be richtet „Nauticus", daß England gegenwärtig über fol gendes Schiffsmatcrial verfügt: 61 Linienschiffe, 41 Panzerkreuzer, 111 geschützte Kreuzer, 24 kleine geschützte und ungeschützte Kreuzer oder Kanonenboote, 33 Torpedo kanonenboote, 146 Torpedobootszerstörer, 38 Torpedo boote und 19 Unterseeboote. Deutschland dagegen besitzt 25 Linienschiffe, 8 Küstenpanzer, 6 Panzerkreuzer, 24 ge schützte Kreuzer, 15 kleine geschützte und ungeschützte Kreuzer oder Kanonenboote, 1 Torpedobootszerstörer, 10 Tvrpedodivisionsboote, 53 große Torpedoboote, 79 kleine Torpedoboote und 0 Unterseeboote. Die Gegen überstellung dieser zahlenmäßigen Angaben widerlegt hinlänglich die Fabel von einer Bedrohung Englands durch die deutschen Flottenrüstungen. Wenn ein deut sches Blatt solche lediglich den englischen Interessen dienende Märchen verbreitet, dann können sich die Eng länder darüber weidlich freuen. Und freuen können sie sich auch darüber, daß der „Vorwärts" so tut, als ob Deutschland auf die Freundschaft Englands bedingungs los angewiesen sei, England aber nicht den geringsten Wert aus gute Beziehungen zu Deutschland legen müsse. In dieser Art die Geschäfte des Auslandes wahr zunehmen, ist eine bejammernswerte Spezialität der deutschen Sozialdemokratie. Zum Verständnis der finländischcn Frage ist es nötig, zu berücksichtigen, daß die Auswanderung aus diesem einstmals schwedischen Landesteil der russi schen Monarchie rapid wächst. Finland zählt nach neueren Berechnungen (Sarmatus) bei einer Gesamt bevölkerung von 2s/> Millionen beinahe 1 Million Ein wohner, die keinen Grundbesitz ihr eigen nennen, oder die teilweise unter sklavenähnlichen Bedingungen fremde Felder bearbeiten. So waren in Finland zu allen Zeiten Tausende von Männern und Frauen geneigt, auszu wandern,' nur der Mangel an Mitteln hinderte sie, ihr Vaterland zu verlassen. Diese Hindernisse schwanden, als die finländische Oppositionspartei im Jahre 1899, zum Zeichen des Protestes gegen das neue Militärdienst gesetz, im Volke den Gedanken an eine Massenauswande rung zu verbreiten begann. Man veröffentlichte Annoncen in schwedischen Blättern, entsandte Leute nach Amerika und Kanada, um finländische Kolonien zu grün den. Natürlich nahmen auch die Agenten der trans atlantischen Dampfergesellschaften die Gelegenheit wahr, ihre Passagierzahl zu vergrößern. — Da Finland äußerst arm an Bodenreichtümern ist und sich selbst nicht genügen kann, so wirken die Schwankungen des Weltmarktes auf das Großfürstcntum in viel intensiverer Weise ein, als auf irgend ein anderes Land. Der wirtschaftliche Nieder gang, in den Europa durch den südafrikanischen Krieg geriet, erstreckte sich auch auf Finland. Die Lebensmittel wurden unerschwinglich teuer, die Fabriken mußten ge schlossen werden. Die Hauptindustrie des Landes, die Holzindustrie, kam durch einen rapiden Preisfall ins Stocken. Tausende und Abertausende von Arbeitern sahen dem bittersten Elend entgegen. Zieht man auch in Betracht, daß Finland in den letzten zwei Jahren teil weise von Mißernten heimgesucht wurde, dann läßt sich das rasche Anwachsen der Zahl der Auswanderer, die im letzten Jahre 200 000 Personen erreicht haben soll, leicht verstehen. Aus Norwegen sind in dem gleichen Zeitraum nicht weniger Personen ausgewandert. Die Zukunft Abessiniens. Aus Alexandria wird uns geschrieben: Der hiesige griechische Arzt Dr. Antonoglos kehrte soeben aus Abessinien zurück, wo er sich ein Jahr lang aufgehalten hatte und sowohl vom Negus Menelik, als auch von der Kaiserin Taitu für seine ärztlichen Dienste in un gewöhnlicher Weise ausgezeichnet wurde. Er erzählt, ganz Abessinien stehe unter dem Eindrücke, daß Meneliks Gesundheit eine ziemlich schwächliche ge worden sei und er schnell altere. Die von ihm ge plante europäische Reise sei aus Gesundheitsrücksichten unterblieben, und wenn auch am Hofe über das Befinden des Herrschers die größte Geheimnistuerei getrieben würde, so seien doch die maßgebenden militärischen Be fehlshaber und die Prinzen (Ras) über die Lage genau unterrichtet. Bisher hat Menelik noch keinen Thronfolger ernannt, da er sehr wohl weiß, daß ihm dann die Miß gunst der übrigen Ras keine ruhige Stunde lassen würde. Anderseits ist die Kaiserin Taitu von großem Ehrgeize be seelt. Man weiß, daß sie den Plan hegt, im Falle des Ab lebens Meneliks sich selbst als Herrscherin ausrufen zu lassen. Dieser Versuch, das Beispiel der altbiblischen Königin Saba nachzuahmen, würde indessen der 60jäh- rigen Kaiserin Taitu schwerlich glücken: denn die Ras würden sich auf keinen Fall einem Frauenregiment fügen. Dr. Antonoglos ist daher der Ansicht, daß mit dem Tode des jetzigen Negus für Abessinien zunächst eine Periode des Bürgerkrieges beginnen wir-, bis einer der Ras seine Nfttbewerber niederwerfen und sich die Allein herrschaft sichern würde. Indessen werden dann die ver schiedenen äußeren Machteinflüsse mitsprechen, da die ein zelnen Ras die Unterstützung der einzelnen Mächte zu er langen suchen werden. So sei Ras Makonnen seit einiger Zeit ein entschiedener Parteigänger Englands, wie überhaupt England auch am Hofe Meneliks sich zahl reiche Personen verpflichtet habe. Auch der Schweizer Ilg, der noch auf Menelik großen Einfluß ausübe, stehe ganz auf Seiten Englands. Ras Alulas werde da gegen von Rußland begünstigt, welches darauf hin arbeite, daß die Thronfolgerfrage schon bald, noch zu Leb zeiten Meneliks gelöst werde. Die Vertreter Rußlands verlangen, Menelik solle seinen Nachfolger ernennen und die vier Mächte Rußland, Frankreich, England und Italien nötigen, den Thronfolger anzuerkennen und sich zu> ver pflichten, für dessen Einsetzung als Alleinherrscher ein zutreten. In diesem Falle würde eine Zerteilung Abessi niens vermieden werden können, während England be greiflicherweise kein Interesse daran hat, einen Erbfolge krieg zwischen den einzelnen Ras zu verhindern. Auch der französische Vertreter L a g a r d e ist für den russischen Vorschlag nicht eingenommen, er rechnet offenbar darauf, daß, wenn England etwa einen Teil Abessiniens seiner „Interessensphäre" einverleiben würde, Frankreich LaS Recht hätte, ein Gleiches zu tun. So ist es tatsächlich recht zweifelhaft, ob das unter Menelik zu so großer Macht entfaltung gelangte abessinische Reich neben dem schwachen Marokko das einzige selbständige Eingeborenenreich deS ofrlkurrlschcn Erdteils, seiuen jetzigen Herrscher I't'ch lang/ überleben wird. Deutsches Reich. I-. Berlin, 14. Juli. (Handwerker-Ge nossenschaften.) Die Förderung des gewerblichen Genossenschaftswesens ist eine bedeutsame Aufgabe der nächsten Zukunft. Erfreulicherweise haben die Hand werkskammern auf diesem Gebiete bereits eine recht er sprießliche Wirksamkeit entwickelt. Auf ihre An regungen und mit ihrer Unterstützung sind bisher 86 Kredit- und 171 Werk- und Rohstoff-Genossenschaften ins Leben gerufen worden. Das ist immerhin ein recht erfolgversprechender Anfang für eine groß angelegte G e- n oss e n sch aft s b e w e g u n g des Handwerker standes — nach Analogie der landwirtschaftlichen Be triebe. Nicht der Geldmangel ist es, der die Bildung von Genossenschaften unter den Handwerkern erschwert, son dern die Verkennung der gemeinsamen Interessen. Die Gewerbetreibenden müssen aufhören, sich nur in In- nungsversammlungen und auf Handwerkertagen als Kollegen, zur übrigen Zeit aber als Konkurrenten an zusehen. In größeren Städten ist es schon vielfach zu Feuilleton. Hotel Alpenrose. Roman von Arthur Achleitner. >,u lwruck verboten. In gewisser Biedermaiermanier suchte der Herr das Gespräch fvrtzusetzen. „Mein Name ist Hildburgcr, Rent ner, gnädiger Frau auszumarten. Möchte nicht zudring lich erscheinen, aber ein klein wenig plaudern täte dem einsamen Reisenden wohl. Gnädige Frau sind ja jetzt auch verlassen, weil der Herr Baron auf Obst nicht re flektiert. Wenn ich nur wüßte, wo ich den Herrn Baron schon gesehen habe, er kommt mir bekannt vor." „Sind der Herr vielleicht aus einer nord- oder mittel deutschen Residenzstadt?" „I freilich!" „Nun, dann kann es schon möglich sein, Baron Winkel hofer ist ja Kammerherr! Aus welcher Residenzstadt sind der Herr?" „Ist der Herr Baron vielleicht aus Arolsen oder Dessau?" „Sind das Residenzstädte mit Hofhaltungen?" „Gewiß! Dessau ist aber größer. An welchem Hof ist der Herr Baron?" ,^ch weiß es nicht'" plapperte Elwine ehrlich, doch un überlegt heraus. „Das ist aber merkwürdig! Frau Baronin wissen nicht, an welchem Hofe der Baron Dienst tut?!" „Ich bin die Braut des Kammerherrn!" „So, so! Das erklärt das Rätsel! Bitte tausendmal, meine Neugierde zu entschuldigen! Der Wissensdrang ist rege, weil ich glaubte, den Kammerherrn zum letzten Male in Wien gesehen zu haben." Ueberrascht sprudelte Elwine heraus: „In Wien? Ganz unmöglich! Mann soll daS gewesen sein?" „Hm! Vielleicht im März." „Aber ganz unmöglich: Baron Winkelhofer hatte das Jahr Wer, bis vor wenigen Wochen, ständig Hof dienst, kann also um jene Zeit nicht in Wien gewesen sein." „Vielleicht doch; Kavaliere unternehmen häufig Spritz fahrten auf einige Tage." „Wie gesagt, unmöglich! Der Hofdienst bindet!" „Nu, nu! Ist nicht so gefährlich; wenn zum Beispiel der gnädigsteHerr verreist und den Kammerherrn nicht mit nimmt, hat letzterer doch sicher Zeit genug, um einige Tage vergnügt in Wien zu verleben." „Wie kommen denn der Herr nach Wien, wenn Sie in einer reichsdeutschcn Residenzstadt domizilieren?" fragte Elwine und schälte einen Apfel. „Ich? Nun, ich reise zum Vergnügen ost ganz ziellos!" „Doch nicht im rauhen März?" „Just um diese Zeit ist es sehr schön in Wien, und gnädige Fran sind ja selbst Wienerin, müssen das ja am besten wissen." „Sapperlot! Woher wissen Sie denn, daß ich Wienerin bin?" „Wuchs und Sprache sind untrüglich!" „Letzteres, ja, ersteres ist eine deplazierte Schmeichelei. Ucbrigens für einen Norddeutschen etwas auffällig, sofort aus dem Dialekt die Wienerin heraushören zu wollen. Sic sprechen gar nicht nordisch!" „Stimmt! Bin ja selbst Oesterreicher und nur im Norden seßhaft geworden. Zieht mich aber immer wieder und oft in die schwarzgelbe Heimat." „Ach so!" „Gewiß! Und gnädige Frau meine ich in Wien auch schon wo gesehen zu haben . . ." „Ach, was Sie nicht alles gesehen haben wollen! Wien ist groß! Man kann jahrelang in Wien leben und den intimsten Bekannten nicht zu Gesicht kommen." „Sehr richtig? Doch der Zufall spielt manchmal eine interessante Rolle. Lassen gnädige Frau mich nur — . . ." „Woher wissen Sie denn, daß ich eine Frau und nicht Fräulein bin?" „Das sieht und fühlt man doch sofort! Wenn Gnädige mich einen Augenblick Nachdenken lassen wollen, komme ich vielleicht darauf, wo ich Gnädige gesehen und gesprochen habe." „Was? Sogar gesprochen?!" spottete Elwine. „Gewiß! Hat ihn schon! Kärtnerstraße 35!" Jetzt zuckte E'wine zusammen und starrte den Herrn an. „Stimmt es? Juwelier Tauschkern, Wien, Kärtncr- straßc 35! Habe selbst einen Ring gekauft, nnd Gnädige wollten vom Preise absolut nichts Nachlassen!" Auf das peinlichste berührt, erkannt und an den ver flossenen Gatten erinnert worden zu sein, erhob sich Elwine, neigte nur den schönen Kopf und trippelte ge schäftig aus dem Saal. Vergnügt leerte der Rentner sein Glas, bestellte neuen Wein nnd leistete sich eine Cigarre. In ihrem Zimmer angekommen, mußte Elwine infolge der offenen Berbindungstür das Geräusch hören, welches Winkelhofer durch das Packen seines Koffers verursachte. Jäh kam der entsetzliche Gedanke wieder, und hastig trat Elwine in das benachbarte Appartement. Moritz hielt in seiner Packarbeit inne, blickte ans und svrach mit leichter Ironie: „Nnn, doch schon da?!" „Ja! Ich bin nun auch zur Abreise bereit, aber heute noch, sofort! Bitte, den Wagen zu bestellen!" Ueberrascht rief Winkelhofer: „Wie? Hör' ich recht? Sofortige Abreise? Da muß vor kurzem etwas vorge- fallcn sein! Darf ich untertänigst fragen, was sich ereignet hat?" „Jener Herr am Mittagstisch . . ." „Ein widerlicher Patron, stimmt!" „. . . erzwang ein Gespräch —" „Sonst nichts als ein harmloses Tischgespräch?" „Harmlos? Ich fürchte, nein! Wo warst du im März?" „Wo soll ich denn gewesen sein?" „Bitte, keine Ausflüchte! Ich will Antwort, die Wahr heit haben!" „Gnädigste belieben eine hochnotpeinliche Inqui sition ?" „Nein, aber die Wahrheit will ich hören, sofern wir überhaupt noch in Fühlung bleiben sollen und können!" „?or baeeo! Das klingt ja fürchterlich! Wo ich im März war? Jedenfalls bei Serenissimo!" „Das ist nicht wahr! Du warst in — Wien!" „Ei der Tausend! Kagus ckolia ^lacionna! In Wien? Feine Stadt, aber nicht viel los! Womit will Gnädigste die M'lmuptnng begründen?" „Jener Herr hat es mit aller Bestimmtheit behauptet!" „Pah, so ein Reisephilister schwätzt viel, wenn der Tag lang ist!" „Mir ist der Mann unheimlich, er hat auch richtig heransgesunden, daß ich Frau Tauschkcrn ans Wien, Kärtnerstraße 35, bin, ohne daß ich auch nur das Geringste hierüber verlauten ließ." Jetzt stntztc Winkelhofcr und ward nachdenklich. „Tn kannst nicht leugnen, also ist es wahr! Wie kann sich diese Tatsache mit deiner Behauptung vereinbaren lassen, daß du deinen höchsten Herrn nicht verliebest?" „Nun, ich war eben mit Serenissimo in Wien! Doch das ist von keiner Bedeutung. Wichtiger ist mir, zu er fahren, was meine Anwesenheit in Wien jenen Fremden zu kümmern hat!" „Das möchte ich gleichfalls wissen! Ferner möchte ich um Ausfolgung der Juwelen bitten!" „Im Moment! Die Kassette befindet sich im Schrank, wohl verwahrt! Wo habe ich nur gleich den Schlüssel!" In größter Erregung nahm Elwine den Schlüssel vom Kleiderschrank und öffnete damit den Wäschekasten, nicht achtend des Umstandes, daß sie dadurch sich verrät, zu wissen, in welcher Lade ihre Kassette liegt. Ein Schrei des Entsetzens entrang sich Elwines Brust, die. Lade ist leer, die Juwelenkassette verschwunden. Bestürzt sprang nun auch Winkelhofer heran, er blickte in die leere Lade. „Großer Gott! Ein Diebstahl!" Gellend schrie außer sich Elwine: „Bestohlener Dieb!" stürzte in ihr Zimmer und drückte wie wahnsinnig an den Knopf der elektrischen Klingel. Atemlos kam die Zimmerin gesprungen, welcher Elwine zuschrie: „Polizei, Gendarmerie! Meine Juwelen sind gestohlen!" Keuchend lief das Zimmermädchen fort, hinterdrein in Verzweiflung Frau Tauschkern, deren Gezeter das ganze Hotel alarmierte. Zwölfte 8 Kapitel. Immer näher rückte der Termin, da das Militär ins gebirgige Manöverterrain kommen wird, und immer grimmiger im Zorn ward Meister Hungerte, der die Strafe auf dem Buckel und das Gewölbe voll Fleisch hat. Eigensinnig hat er die Kunden sich verjagt, die Fleisch- aibgabc verweigert, und dafür ist ihm nun die Möglichkeit einer Konzcssionsentzichung trotz des auf seinem Hause ruhenden Realrechtö angcdroht worden, eine weitere Ur- fache zur übelsten Laune eines protzig veranlagten, ohne hin derben Menschen. Sina verstand es trefflich, den Groll Hnngcrlcs zu steigern, indem die saubere Häuserin dem Flcischcrmcifter in allem und jedem recht gab, bei stimmte und ihn aushetzte zur Opposition gegen die Be hörden Dieses Beipflichtcn klang wie Musik in HungerleS große Ohren, etwas Angenehmeres konnte er sich nicht denken, trotz Groll und Aerger lachte er, so Sina in ihrer Ucppigkeit vor dem ältlichen, sinnlich veranlagten Manne stand und ihm riet, sestznhalten und die gescheiten Herren Mores zu lehren. Nachgeben müssen schließlich doch die „grohkopseten" Herren, ewig können sie den
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