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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.02.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-02-14
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030214021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903021402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903021402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-02
- Tag1903-02-14
- Monat1903-02
- Jahr1903
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Bon der klerikalen, die der Reichskanzler und preußische Ministerpräsident durch seine Erklärung bezüglich des Iesuiten- gesetzeS so wesentlich gefördert hat, scheint Graf Pvsa- dowsky nichts zu wissen oder wissen zu wollen. Freilich, diesem Reichstage gegenüber, in dem man die Männer, die gleich dem Abg. vr. Hasse in der Förderung der klerikalen Bewegung eine Gefahr erblicken, mit der La terne suchen kann, fällt es dem Staatssekretär des Innern nicht schwer, den blinden Mann zu spielen. Im Lande aber, wo man, wie zahllose Zeitungsartikel erkennen lasten, nicht blind ist, wird man in dem Hinwegglciten des Grafen Posadowsky über den klerikalen Bormarsch und seine Förderung durch den Grafen Bülow nur einen Beweis dafür erblicken, daß die öffentliche Aufmerksamkeit von diesem heiklen Punkte abgelenkt werden soll. Auf ihn immer wieder hinzuweisen, ist daher eine Pflicht der Presse. Vielleicht gelingt es doch noch, die Absicht des Reichskanzlers, durch Abbröckelung des Icsuitengesetzcs dem Zentrum einen Köder zu liefern, mit dem es bei den Wahlen fischen kann, zu durchkreuzen. Freilich ist die Annahme, daß Graf Bülow im Bundesräte schon die nötige Stimmenzahl für die Aufhebung des 8 2 des Iesuitcngesctzcs gefunden habe, weit verbreitet. So schreibt heute der „Schwäb. Merk." iu Anknüpfung an die Abneigung der königlich sächsischen Negierung gegen diese Aufhebung: „Kein Wunder, daß vielen die Aufhebung des 8 2 noch stark im Zweifel zu stehen scheint. Man erwartet, daß, wenn Sachsen mit der Ablehnung des fraglichen Reichstags beschlusses vorangehe, nicht nur die kleineren Staaten mit fast ausschließlich protestantischer Bevölkerung, sondern auch Bayern, das ja die Jesuiten ohnehin durch Landesgesctz ausgeschlossen hat, sich auf seine Seite schlagen würden. Der „Köln. Volksztg." ist bei dieser Aussicht gar nicht wohl. Sie meint, wenn im Bundesräte die Mehrheit gegen die Aufhebung des 8 2 ausfiele, so würde man sich nicht über den Verdacht be klagen dürfen, die ganze Geschichte sei nicht ernst gemeint ge wesen. Sie fügt zwar hinzu, daß sic ihrerseits diesen Verdacht nicht hege, aber daß sic sich trotzdem gedrängt fühlt, ihn even tuell für berechtigt zu erklären, besagt genug. Uns dünkt, daß man sich im klerikalen Lager unnötige Sorge macht. Nachdem Graf Bülow sich einmal mit seiner Person für die Aufhebung des 8 2 eingesetzt hat, wird er selbstverständlich seinen Einfluß nicht nur bei der preußischen, sondern auch bei den anderen Bundesregierungen in dieser Richtung geltend machen, und bei den Kleinstaaten wenigstens wird derselbe wohl stark genug sein, um eine Abweichung von Preußen zu verhüten. Von unserem Standpunkt aus können wir das nur bedauern. So wenig wir dem Grafen Bülow eine persönliche Schlappe wün- TonnabenD den 14. Februar 1903. 97. Jahrgang. scheu, so würde es uns doch unter dem Gesicht.punkte der dauernden Reichsinteressen lieber gewesen sein, wenn der in der Abbröckelung des Jesuitengesetzcs liegende verhängnisvolle Fehler noch im letzten Augenblicke vermieden worden wäre. Wir glauben, die Wahrnehmung, wie sich im Hinblick auf die „Abschlagszahlung" die Ansprüche des Ultramontanismus in Deutschland noch gesteigert haben, wird manchem, dem die Be seitigung des 8 2 bisher als durchaus harmlos erschien, schon die Augen geöffnet haben." Nach unseren Informationen steht es noch keineswegs fest, daß Graf Bülow die Mehrheit des Bundesrats für seine Absicht gewinnt. Allerdings würden die meisten Einzelstaaten dem Kanzler höchst ungern eine Schlappe bereiten; aber es bleibt ihnen immer noch ein Ausweg aus dem Dilemma: die Verschiebung einer Entscheidung bis nach den Wahlen. Nachdem diese Entscheidung so lange verzögert worden ist, kann der Reichskanzler keine seiner Stellung gefährliche Schlappe in einer weiteren Verzögerung erblicken. Und tönt die Iesnitenfrage in die Wahlbewcgung hinein, so wird Graf Bülow sowohl, wie gar mancher andere Staatsmann, der ans der Haltung der jetzigen Reichstags mehrheit in dieser Frage auf die Stimmung im Reiche gc- schlossen hat, seines Irrtums inne werden und dann viel leicht froh sein, daß die Bundesratsmehrheit es nicht all- zueilig hatte, die dritte der großen Bewegungen, die unser Staatsleben durchzittern, die klerikale, mit eigner Hand zu beleben und zu fördern. Konservative und Landbündler. In der Bescheidenheit, welche die Konservativen nnd ihre Presse gegenüber dem Bunde der- Landwirte ziert, hatte sich die „Kons. Korr." unmittelbar nach der Versamm lung im Circus Busch befriedigt über deren Verlauf aus gesprochen. Nachdem aber der offizielle Text der Reden erschienen ist, muß die „Kons. Korr." zu ihrem Bedauern jene Anerkennung cinschränkcn. Davon, daß der erste Vorsitzende des Bundes lKrhr. v. W a n g e n h e i m, Mit glied der konservativen Fraktion) gesagt hat: „Wir stehen noch heute auf dem Standpunkte, daß die Annahme des Antrages Kardorff ein wirtschaftliches Unglück für die deutsche Landwirtschaft ist, weil er direkt keine Vorteile bringen wird, weil er sie indirekt von neuem schwer schädigen wird, infolge von Bevorzugung der Industrie durch erhöhten Zollschntz" — davon will die „Kons. Korr." ganz abesehen. Aber sie bringt es nicht fertig, auch davon abzusehen, daß das dritte Mitglied des engeren Vor standes, der Bundesdirektor, Or. Hahn, ausgeführt hat: „Das muß frei und offen ausgesprochen werden: Graf Bülow und seine Minister sind groß als Causeure, groß in der Flatterte, groß in den Liebenswürdigkeiten, die sie gegenüber den politischen Parteien bis zu den Sozialdemokraten hin in ihre Reden einzuflechtcn wissen. Sie sind groß in ihren Liebenswürdigkeiten gegenüber dem Auslände und führen die deutsche Politik bald hier und bald dort auf dem weiten Erden- runde in Sackgassen hinein, aus denen heraus zu kommen uns dann verzweifelte Mühe'und Arbeit kostet. Wir müssen, meine Herren, aus Liebe zu Seiner Majestät dem Kaiser und seiner Dynastie, aus Liebe zu unserem deutschen Volke und um der Sorge für die Zukunft willen die richtige Politik treiben, wenn unsere Minister, unser Kanzler sic nicht treiben . . . Meine Herren, das ist die große Aufgabe, die dem Bunde nichr allein für das neue Jahr der Wahlen, sondern für das kommende Jahrzehnt und weiter hinaus erwächst; er muß die Monarchie in Deutschland erhalten, wenn die Minister des Monarchen ver sagen und unterlassen, die richtigen Maßnahmen dazu zu treffen." Diese Ausführung veranlaßt die „Kons. Korr." zu der Erklärung, der Bund dürfe sich nicht wundern, wenn eine solche Stellungnahme seiner Leiter zu den obersten Würdenträgern in Reich und Staat konservative Männer veranlasse, von dem Bunde abzurücken. Ob diese Er klärung wirklich ein Abrücken zahlreicher konservativer Männer von dem Bunde zur Folge haben wird, ist freilich bei der Macht des Bundes um so fraglicher, je weniger die von Herrn Or. Hahn angegriffenen obersten Würden träger in Reich und Staat — von Herrn v. Podbielski abgesehen — Miene machen, ihrerseits ein Abrücken vom Bunde zu bewerkstelligen. Aber sollte man in den konser vativen Kreisen nicht einmal den Mut finden, dem Bunde bemerklich zu machen, daß man sich genötigt sehe, seine Kandidaten scharf auf ihre prinzipielle Stellungnahme zu den auf Grund des neuen Zolltarifs abzuschließenden Handelsverträgen und überhaupt auf ihre konservative Gesinnung zu prüfen? Geschähe das gerade den Bundes führern gegenüber, so würden wohl auch diese gelindere Saiten aufzuziehen sich genötigt sehen. Die Deutsch-Liberale« «nd die Staatsnotweudigkeiten i« Oesterreich. Noch vor wenigen Tagen bestand Ungewißheit dar über, ob die Wehrvorlage nicht bei der Deutschen Volkspartei auf Widerstand stoßen werde. Es wäre mißlich gewesen, wenn ein Teil der deutschen Abgeord neten auch diesmal aus Doktrinarismus und aus dem Wunsche, den Wählern zu gefallen, sich einer ernsten poli tischen und militärischen Notwendigkeit widersetzt hätte. Mehrmals schon, so schreibt man den „Münch. N. N." aus Wien, haben die liberalen Deutschen ihre Stellung in Oester reich dadurch beeinflußt, daß sie cs den Slawen und den mit ihnen verbündeten Klerikalen überließen, mit Hülfe ihrer-Stimmen die Befriedigung gewisser Staatsnot wendigkeiten zu gewährleisten. „Mit den Deutschen sei nicht zu regieren", lautete das Schlagwort, dank dem be sonders Graf Taaffe die Schließung des den Deutschen feindseligen „Eisernen Ringes" durchgesetzt hat. Zumal die Erfahrung des Jahres 1880, wo die Verlängerung des Wchrgesetzes gegen den Widerstand der vereinigten Linken erfolgte, ist noch in mißlicher Erinnerung. Nun ist die Gefahr geschwunden, und es ist so gut wie sicher, daß der größte Teil der Mitglieder der Deutschen Volks partei neben den verfassungstreuen Großgrundbesitzern und der Deutschen Fortschrittsvartci das Ministerium Körber auch in der Frage der Erhöhung des Rekruten kontingents unterstützen werde. Die Tschechen hatten sich der Hoffnung bingegcben, ein Fehler der deutschen Ab geordneten werde ihnen anch diesmal zu Hülfe kommen und die Negierung bestimmen, sich ihnen znzuneigen. Das ist nun erfreulicherweise nicht in Erfüllung ge gangen und es bleibt vorerst bei der gemäßigten Tonart im Parlament. Die Obstruktion hat den Reiz der Neu heit verloren und die Tschechen setzen den parlamenta rischen Arbeiten kein grundsätzliches Hindernis mehr entgegen. Mit Ausnahme einiger Grollenden gedenken sie es bei der Opposition bewenden zu lassen, die deshalb nicht gefährlich ist, weil im Abgeordnetenhause das Be streben vorwaltet, die Ausgleichsvorlagen und das Budget gleich dem Wehrgesetz in zustimmendem Sinne zu erledigen. Die Venezuela-Aktion scheint nun doch zu einem befriedigenden Ende zu kommen, nachdem gerade in den letzten Tagen wenig er mutigende Nachrichten umgegangen waren, die namentlich auch wegen der mitunter recht be fremdlichen Haltung des amerikanischen Ge schäftsträgers Bowen die Besorgnis aufkmnmen lieben, daß der leidige Handel eine uns durchaus unerwünschte Verstimmung zwischen dcnkoaliertcnMächtenunddenVer- eiuigten Staaten im Gefolge haben werde. Wie uns aus Liverpool depeschiert wird, hielt Premierminister Bal four gestern abend dort eine Rede, in welcher er mit teilte, er habe vom Staatssekretär des Auswärtigen Amts, Marquis of Lansdowne, die Mitteilung erhalten, daß alle Schwierigkeiten bezüglich der Vene zuelafrage beseitigt und daß das deutsche und das englische Protokoll angenommen seien. Es bestehe jetzt kein Hindernis mehr für die endgültige Regelung der Angelegenheit in absehbarer Zeit. Weiter führte, wie wir schon in einem Teile der Auflage des heutigen Morgenblattes mitteilen konnten, der Premier minister aus, die englische Regierung habe die Regierung der Vereinigten Staaten bei jeder Wendung der venezolanischen Angelegenheit ins Vertrauen gezogen. Die Monroe-Lehre habe keinen Feind in England. Es wäre ein Gewinn für die Civtlisation, wenn die Vereinig ten Staaten sich tatkräftiger damit befaßten, eine Wieder holung von Schwierigkeiten zwischen europäischen Mäch ten und südamerikanischen Regierungen zu verhindern, indem sie diese zur Beobachtung der Regeln des inter nationalen Verkehrs anhielten. Es besteht kein Grund, fährt der Minister fort, für Roseberns Kritik bezüglich der Beziehungen Englands zu Deutschland und den Ver einigten Staaten. Die Einigung mit Deutsch land über ein gemeinsames Vorgehen sei das ver nein fti aste Mittel zur Erzwingung ihrer Forde rungen gewesen. Die Erzählung, dgß das Bündnis mit Deutschland in der Venezuela-Frage während des Be suches des Kaisers in Sandringham zu stände gekommen sei, sei eine lächerliche Erfindung. Deutsches Reich. F. Berlin, 13. Februar. (Die preußische Kreisschulinspektion.) Tie preußische Unter, richtsverwaltung hat soeben die Besetzung der Kreis- schulinspektor-Stellen für den gesamten Um kreis der Monarchie veröffentlicht. Bei einer Zusammen zählung aller dieser Stellen ergibt sich, daß in Preußen zur Zeit 316 ständige Kreis-Schulinspektoren vor handen sind gegenüber 027, welche die Kreis-Schul inspektion im Nebenamts ausüben; unter den letz teren aber sind einige unbesetzte Stellen außer Betracht gelaffen, 859 Geistliche, so daß die fachmännische Kreis- Schulinspektion nur in 384 Aufsichtsbezirken geübt wird. Gar keine nebenamtliche Krcis-Schulinspektion besteht in den Regierungsbezirken Marienwerder, Posen, Bromberg, Münster und H o h e^n z o l l e r n. Mit Rücksicht auf die schmierige Lage der Schulgin den gemischtsprachigen Teilen des Ostens ist dieser Sachver halt zu begrüßen. Wenn im Regierungsbezirke Oppeln Feuilleton. i„ Dunkle Wege. Roman von I. v. Conring. Nawrruck v-rboien. Als Konstanze im Hause der Mutter ankam, hatte man den Sarg bereits geschlossen; sic besorgte das Begräbnis und ordnete den bescheidenen Nachlaß. Dann rüstete sie sich am vierten Tage zur Heimreise. Auf dem Bahnhofe kam sie zu früh an und saß im Wartezimmer einsam da, während ein Offizier mehrmals an ihr vvrüberging. Sie sah auf und ihre Blicke begegneten sich. Es war Slicher, der, nun Major, vom Besuch seiner Eltern nach Hause reiste. Er kam mit der alten, herzlichen Freundlichkeit heran und setzte sich zu Kvnstauzc. Wie viel hatten beide erlebt seit jener Begegnung, kurz vor KonstanzeS Hoch zeit, als sie sich zum letzten Male gesehen! Mitleidig ruhten Slichers Blicke auf ihrem schmalen Gesicht, das einen wehen Letdenszug trug, auf ihrer ärmlichen Trauer kleidung. Ihm ging es gut. Er hatte eine liebe Frau und vier gesunde Kinder — doch sprach er nicht davon, cs wäre ihm wie eine Unzartheit vorgekommen, der blassen Frau von seinem Glücke zu erzählen. Endlich, Konstanze mar schon im Begriff aufzustehen und zu ihrem Zuge zu gehen, faßte sie sich ein Herz, die Frage, die schon so lange auf ihren Lippen brannte, auszusprcchcn: „Was misten Sie von Nooneck; lebt er noch?" Slicher sah ihr fest ins Gesicht: „Rooneck ist seit kurzer Zeit wieder in Deutschland. Lein Onkel, Baron Rooneck, auf Gcrdingen bei Münster, ist gestorben und hat ihm das Gut Hinterlasten. Ich werde ihn dort in nächster Zeit besuchen." Konstanze neigte stumm das Haupt. Sie wollte sagen: «Sprechen Sie nicht von mir", fand aber nicht den Mut zu dieser Bitte. Slicher verstand sie auch ohne Worte. ES war nun Zeit -um Einsteigen. Slicher stand auf, gab Konstanze den Arm und nahm ihr Gepäck. Dann führte er sie an ein Coups erster Klasse nnd als sie zögerte, sagte er warm: „Da» werden Sie einem alten Freunde doch nicht ab schlagen? Ich kann unmöglich -«geben, daß die Tochter meine» Regiment»-Kommanb«ur» ohne allen Kom fort reist."! Konstanze fügte sich; seine uneigennützige Güte tat ihr wohl. Er küßte ihre Hand und sah dem davoneikenden Zuge wehmütig nach. „Ein verlorenes Leben", sagte er zu sich selber. Konstanze hatte telegraphiert und fand den Wagen ihrer wartend, als sic den Bahnhof in Bremen verließ. „Alles wohl, Baumann?" fragte sie, und als der Kutscher nickte, setzte sie sich, furchtbar erschöpft und matt, in die Wagenecke und schloß die Augen. Kurz vor Wald dorf rief sie den Kutscher an: „Bitte, fahren Sic durch s Dorf, ich möchte meinen Sohn abholcn." „Der Herr läßt sagen, er hätte Kurt schon geholt, gnädige Frau brauchten sich den Umweg nicht mehr zu machen." „Gnt!" Konstanzc beugte sich weit aus dem Wagen, um Kurts blondes Lockenköpfchen vor der Hallstür zu er spähen. Es war aber nichts von ihm zu sehen. Sie stieg aus, der Hausflur war leer. Im Vorübergchen öffnete sie die Tür des Wohnzimmers. Anch da ließ sich niemand sehen. Langsam erstieg sie, mit einem sonderbaren Gefühl von Kälte und Schwere in den Gliedern, die Treppe und betrat ihr Zimmer. Da wnßtc sie alles! Kurts Bett war weggeräumt, seine Sachen vom Riegel nnd ans der Kommode, deren Schiebladen wett offen standen, ver schwanden. Es >var alles tot nnd leer, wie nach einem Begräbnis! Konstanze weinte nicht, — nur langsam stieg ein rasender Zorn in ihr empor, der ihren Hals schmerz haft zusammcnschnürte. Sic sah wie durch rote Wolken. Ohne ihre Sachen abzulcgcn, ging sie wieder hinunter inS Wohnzimmer. Jetzt waren sie da, alle drei! Der Alte saß am Fenster, hielt den laut singenden Matz auf dem Zeigefinger und machte ein verlegenes Gesicht. Geert, der auf dem Sofa lag, zwang sich zur Unbefangenheit: „Da bist du ja, Konstanze. Nun, hat dich die Reise sehr angegriffen?" Sie trat dicht vor ihn hin. Es lag etwas in ihrem Ge sicht, das ihn veranlaßte, sich aufzurtchten. „Wo ist Kurt?" fragte sic. „Ich habe ihn in eine Pension gebracht. Wenn über haupt noch etwas aus dem Jungen werden soll, mußte er von dir fort. Jetzt wird ihn der Lehrer hoffentlich etwas hochnehmen, damit er die weibischen Albernheiten ver lernt." „Ich frage dich, wo mein Kind ist?" „Liebe Konstanz«, wenn ich wollte, baß du das wüßtest, hätte ich deine Rückkehr ja abwarten können. Der Junge soll aber gerade einmal ohne dich fertig werden. Vielleicht nach einem oder zwei Jahren, wenn du gelernt hast, dich zu fügen, und der Lehrer dem Jungen andere Manieren beigebracht hat, werde ich dir erlauben, ihn zu besuchen oder ihm zu schreiben. Einstweilen kann davon keine Rede sein!" „Konstanze wandte sich um und blieb vor dem Alten stehen: „Vater!" sagte sie, „ich habe noch kein gutes Wort von dir gehört. Aber du hast doch ein Herz, du mußt doch einsehen, was man mir antut. Sage mir, wo er mein Kind hingcbracht hat." Es entstand eine lange, lange Pause. Der Alte wendete den Kopf unbehaglich hin und her: „Bitte, laß mich mit dieser Angelegenheit in Ruhe, Konstanze! Mache das mit deinem Manne ab. Ich will mit der ganzen Geschichte nichts zu tun haben. Es wäre mir lieber gewesen, wenn Geert deine Rückkehr abgewartct hätte, und ich habe ihm das auch gesagt. Es ist nun aber einmal geschehen und läßt sich nicht mehr ändern. Tröste dich damit, daß es für Kurt sicherlich bester ist, wenn er mal unter andere Jungens kommt, und lernt, sich zu wehren." „Na, da hörst du es, Konstanze", rief Geert, „und ich bitte dich, erspare mir alles unnütze Gerede. Meinen Willen kennst du und wirst dich fügen müssen. Du siehst wohl selbst ein, daß dir nichts anderes übrig bleibt. Dies mal bin ich der Stärkere, und sei versichert, ich sorge dafür, daß ich es auch bleibe." Sie sah ihn nur an, dann ging sie schweigend hinaus. „Jetzt hab' ich sie", rief Geert höhnisch. „Jetzt soll der stolze Nacken wohl hinunter! Auf den Knien muß sie mich bitten, ihr den Jungen wiederzugeben." „Wenn du dich nur nicht irrst", sagte der Alte. „Die sieht nicht aus, als wollte sie dir zu Füßen fallen. Eine andere hätte geschrien und gejammert — sie hat nicht zehn Worte gesagt. Aber habt Ihr wohl gesehen, daß ihre Lippen ganz weiß waren?" „Das verstehst du nicht, weil du sie nicht kennst! Ich habe sie da gefaßt, wo sie es spürt. Wenn ich sie zu Boden geschlagen hätte, wäre es ihr lieber als LieS. Warte nur ein paar Tage, dann wird sie schon kommen und bitten. Sic hält es ohne den Jungen nicht aus." „Na, weißt dn, Geert, alles was rech» iS", sagte der Alte. „Schön is die Geschichte nicht. Sie iS doch immer die Mutter, und sie hat ein Reibt auf da» Kind." „Und ich habe die Macht; da» ist mir lieber! Dabet kommt auch mehr heraus. Du läßt dich durch ihr stilles Wesen täuschen. Sie ist hochmütig wie der Satan. Jahr um Jahr habe ich mich zum Vcrrücktwerden an dem Trotz topf geärgert, jetzt ist meine Zeit gekommen, wo ich ihr vergelten kann, was sie mir getan hat." „Da geht sie durch den Garten", sagte Laura, die während der ganzen Scene kein Wort gesprochen hatte. Geert lachte laut auf: „Natürlich zu ihrem Freunde Völker. Na, laß sic. Wie ist cs übrigens, Laura, kriegen wir heute noch Mittagessen?" Konstanze ging wirklich zu Völker; etwas mußte sie tun, wenn sie nicht wahnsinnig werden sollte. Die Hände hatte sie geballt, daß die Nägel tief ins Fleisch eindrangcn. Das Gefühl ihrer Hülflojigkeit — vor allein die martervvllc Sehnsucht nach dem Kinde brachte sie an den Rand der Verzweiflung. Ohne Abschied war es von ihr genommen, ihr kleines, zartes Lamm, das der Mutter so sehr bedurfte. Sic sah im Geiste sein blasses Gesichtchen mit den großen Augen — hörte sein klägliches Stimmchen: „Mutter, laß mich doch nicht allein!" Und sie wußte nicht, wie sic ihm in seiner Verlassenheit helfen sollte. Nicht einmal ein Wort des Trostes konnte sic ihm schicken. Und kein Strahl der Hoffnung siel in die Nacht ihres Leidens. Zn gut kannte sie Geert, als daß sie hätte hofsen können, ihn durch Bitten umzustimmcn. Er würde sich an ihrer Demütigung weiden und sie dann auslachen. Nein, nicht so; es mußte noch andere Wege geben! Der kleine Lehrer war so fassungslos, daß Konstanze nicht den Mut fand, ihm Vorwürfe -n machen. „Vorgestern kam Herr van Harven mit dem Wagen hier an", rief er. „Er sagte mir, daß er den Jungen init zum Bahnhof nehmen wollte, um Sie abzuholen. Natür lich habe ich ihm geglaubt. Ich hatte doch mrch kein Recht, dem Vater sein Kind vorzuenthalten. Und der Junge war selig, daß er seine Mutter Wiedersehen sollte." Es entstand eine Panse. Konstanze atmete schwer. Dann sagte sic, sich gewaltsam zur Ruhe zwingend: „Und dann, wie erfuhren Sie . . . ?" „Ich sah den Wagen leer -urückkommen und fragte den Knecht, der Herrn van Harpen nach Bremen gefahren hatte. Der sagte mir, daß der Herr mit Kurt abgercist wäre. Wohin, hat er leider nicht gehört. Ich konnte das gar nicht verstehen, hielt e» auch nicht für möglich, daß alle» hinter Ihrem Rücken geschehen sein könne! Wa» denkt sich denn Herr van Harpen bei solchem Vorgehen?
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