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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 30.06.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-06-30
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030630020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903063002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903063002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Bemerkung
- Ausgabe beschädigt
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-06
- Tag1903-06-30
- Monat1903-06
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LeDMis» rmd ErEis«: TvhmrniSGaff» 8. Senchüech« l« «d «L WlWMUWßiOMU r »«chha^tz, llutverMMr^ ff. Lösch«, Katharixafir. ö< » KSuigSpl. V. H«Pt/Ui«tr Vresdr«: Martenstra-e -4. >««spnch»r Amt I Nr. 171L -aipt-Miate -ertie: G«l Dimcker, Herzgl. vayr. Hostnchhandlg. Lützowftraßr 10. Sexsd«ch«r Amt VI Nr. SV0S Abend-Ausgabe. MpMer TagMall Anzeiger. Ämisösaü des Königliche« Land- n«d des Königliche« Amtsgerichtes Leipzig, des Rates und des V-lr^anktes der Ltadt Leipzig. Anzeige»-Preis die ggejpaltene Petttzeile ffü N«ktam«« «tter dm» NediMmMrtch »ßchmlte») 7K vor d« Kamiltemmch richte« (SgeipMten) SO H. Nabellartscher m,d Zifferafatz «tfprnhen» HDH«. — «ebükre» ftk Nachweisung» «- Oßertenaunahme SS (excl. Port»> Extra-Veilagen (gefalzt), «ar mit der Morgen.Ausgabe, ohne Pofibesördermm «ch S^—, Mit Postbefkrdenmg . Amuchmrschluß fir Anzeige«: U-end-AnSg«-«: vormittag» 10 «he. »orgen-HMgabe: Nachmittag» « Uhr. «WNMt find ßet» m di, «xpedttta» M richte». Li» Erpedittm, ist Wochentag» muottrrbrvchen geöffnet voa Mh S bi» abends 7 Uhr. Hk»! «,d Verlag von L. Pol» in Leipzig. Nr. 327 Politische Tagesschau. * Leipzig, 3V. Juni. EN ObAleich die Deutschkoaservativen bei den Wahlen keine Einbuße erlitten haben, machen einige ihrer Preßorgane der Reichsregierung heftige Borwürfe wegen ihrer Passivität wLhrend der Wahlbewrgung und drohen ziemlich unzweideutig mit Rache. Besonder» zeichnet sich durch einen schroffen Ton die „Hallesche Zeitung- au», die unter der vorstehenden Urderschrift schreibt: «DK größt« Lässigkrit bezüglich der Wahlagitation hat zwetfello» di« ReichSregirrung bewirken. Wie vkl ander» hätte da» Wahlergebnis sein können, wenn -. B. die Essener und Breslauer Krupp-Redrn de» Kaiser» bei seinen verantwort lichen Ratgebern auch nur eine Spur von Resonanz gefunden hätte« i Hätten Bros Bülow uud seine Herren Kollegen, statt der sozialdemokratische« „Loyalität" Verbeugungen zu machen, auch nur den ernsten Willen erkennen laste», den sozialrrvolutioaären Uebermut mit starker Hand niedrrzuhalten, so wär« einmal dir Zahl der bei der Umsturzpartri al» Mitläufer hospitierenden Wähler sehr viel kleiner gewesen, anderseits aber hätten dk durch da- Uebrrmaß der sozialdemokratischen Agitation bereits in Bewegung gebrachten bürgerlichen Wählerschichten die Abwehr mit ganz anderem Nachdruck betrieben! ES fehlte also daran, daß regierungsseitig dem Ernst der Lage entsprechend ge handelt wurde, um den jetzt nicht zu bestreitenden Erfolg der Sozialdemokratie einigermaßen zu verhindern. Aber statt der nach den oben erwähnten Kaisrrreden uud nach der Obstruktionskampagne im Reichstage allgemein erwarteten Handlungen der Regierung bekannte sich diese in Wahlfaches zum laisssr kairo. Obwohl heute noch niemand da» Regierung-Programm de» Grafen Bülow kenut, wurde «in« gouverntmentale Wahlparole ver weigert. Ja, noch mehr: die „maßgebenden" Kreise gefielen sich darin, mit der Linken zu liebäugeln, die ihnen soeben erst beim Zolltarif dir schärfste sachliche und persönlich« Opposition bereitet hatte. Wahlkuvert» und -Klosett» wurden konzedier!. Den politischen Beamten wurde eia noch höheres Maß von Objek tivität anempfohleit, als ihnen schon bei früheren Wahlen aus erlegt worden war. Die links radikale Presse durste sortgesetzt die „agrarische Reaktion" als den Feind der Regierung ausruf a, den Barth und Singer als allermodernste Lindwurmtöter zu überwinden hätten, ohne daß auch nur eine einzige gouvernementale Feder sich gesträubt hätte und dieser bewußten Irreführung der Wähler entgegen, getreten wäre. Schließlich kam der leibliche Sohn des früheren Reichs kanzlers und Bezirk-Präsident im Ober-Eisaß, Prinz Alexander zu Hohenlohe-Schillingsfürst, und verkündete unter dem lebhaf- testen Applaus der freisinnigen und sozialdemokratischen Presse, daß dein derzeitigen Reichskanzler eine starke Linke nur erwünscht sein möge. Sofort war „Tante Vossen" au» dem Plan, um der Krone den Liberalismus als regierungsfähig zu rekommandieren und mit sittig-verschämtem Augrnausjchlag ihr: Herr, hier sind wir! anzu bringen. Auch dann noch blieben Graf Bülow und seine Preß trabanten stumm. Man wird es daher den Freisinns-Propheten kaum übel deuten können, wenn sie selbst nach dem eklatanten Zusammenbruch deS Freisinns und dem Zusammensturz aller DierrStag den chrer Nahkhoffnungen am IS. Just «och in dem süße« Traume schwelge«, da» ReichSkind hätte höher« Sentiment» offenbart mV nur die böse Reaktion wär« schuld daran, daß nun alle» so ganz anders gekommen." Daß der Mangel einer gouvernementaleo Wahlparole bei den bürgerlichen Parteien eine Unsicherheit hervorgerufen hat, die unvorteilhaft auf die Gemeinsamkeit und Energie de» Vorgehen» gegen die Sozialdemokratie emwirkeu muhte, läßt sich nicht bestreiten. Daß aber mit der Linie« geUeböugelt worden wäre, ist jedenfalls unrichtig. Die »lleberagrarier* konnte ma« natürlich nach ihre« Auftreten im alten Reich»tage und ihre» Ankündigungen bezüglich der künftigen Handelsverträge gegen die Angriffe der Linken nicht in Schutz nehmen; r» würde auch wenig geholfen haben. Und die WahlkuvertS und -Klosett» waren »ine Forderung der Gerechtigkeit. Ueberdir» versprach mau sich, wie uns von informierter Seite versichert wird, von dieser Einrichtung eine der Sozialdemokratie nachteilige Wirkung. Ma« meinte, eben jene Essener uud Breslauer Krupp-Reden de» Kaiser» würden auf die Arbeiter welt einen tiefen uud nachhaltigen Eindruck machen und der Sozialdemokratie viele Tausende von Anhängern und Mitläufern entziehen, denen vurch die Sicherung de» Wahl geheimnisse» die Möglichkeit gegeben werden sollte, sich vor der Rache der Genossen zu schützen. Und mau würde sich in der Wirkung der WahlkuvertS und -Klosett» wohl auch nicht getäuscht haben, wenn man sich über die Wirkung der Kaiserreden nicht einer verhängnisvollen Täu schung hingegeben hätte. Diese Täuschung würde auch schwer lich eine geringere geworden sein, wenn Graf Bütow und seine Herren Kollegen die größten Anstrengungen gemacht batten. Zu solchen Anstrengungen aber gehört eine besondere Ermächtigung, und wenn sie diese deshalb nicht bekamen, weil die Probe auf die Wirkung der Kaiserreden ge macht werden sollte, so trifft den Reichskanzler uud seine Kollegen keine Schuld — abgesehen von »der, vor einer so bedenklichen Probe nicht gewarnt zu haben. Uud wenn wegen dieser Schuld von deutschkonservativer Seite im neuen Reichstage dem Grafen Bülow Vorhalte gemacht werden sollen, so ist da» nur zu billigen. Es muß in der Tat zu völlig unhaltbaren Zuständen führen, wenn der AuS- gang einer ReichstagSwaht völlig auf die Wirkung emizrr Reden gestellt wird und eindringliche Warnungen vor solchen Experimenten auSbleiben. Das scheint auch die „Hallesche Zeitung" einzusehen, denn sie fährt fort: „Jüngstens hörten wir nun wieder eine eindrucksvolle Ham burger Kaiserrede, in der die Zeit des alten Kaisers alS eine große, gewaltige, „gewaltig in ihren Impulsen und mächtig in ihrer flammenden Begeisterung", gefeiert wird. Dann sprach der Kaiser als seine Ueberzeugung aus, „daß auch uns eine große Zukunft bevorsteht". Auch uns seien Aufgaben gestellt. Bleibe unser Volk seinen Idealen und sich selbst treu, so werde es, „getreu seinen Traditionen, die neuen Ausgaben und Schöpfungen, die an uns herantreten. auf seinem Herzen und mit seiner Kraft tragen" — Freilich stehen auch uns Ausgaben bevor; aber e» liegt doch wohl nicht nur daran, ob das Volk seinen Traditionen getreu bleibt, sondern auch daran, wie die leitenden Staatsmänner an die neuen Aufgaben herantreten, welche Lösung sie finden. Eine nach allen möglichen Richtungen impul siv rinsetzende Krone und eine nach keiner Rich- tutig aktive Regierung sind Gegensätze. Wa» der 30. Juni 1903. Kaiser am 20. Inst in Hamborg sprach, harmoniert leider weder mit dem Wahlverhalten seiner Minister, noch mit d«!« am IS. Juni seitens der Wähler zum Ausdruck gebrachten Stimmungen. Das Bürgertum wird so leicht nicht vergesse«, daß dk Regierung am Wahltage nicht a« seiner Seit«, sondrrn „höchst korrekt ' abseits stand. Da» Bürgertum wird in Exwägung dieser Erfahrung erzwingen, daß seine Politik gemacht, als» entweder mit ihm oder mit Freisinn und Sozial- deevokratle regiert werde." Da» „Erzwingen" läßt sich freilich leichter auSsprechen al» auSfübren Wen will denn die „Hallesche Zeitung" zwingen? Den Grafvr^Bjiso-> -doch einem ganz anderen Zwange untersteht,.«, -;gertum», da» sich selbst nicht zu helfen /icht hilft und nicht helfen soll? / ^senjnstiz? „ -mnen über die Zunahme der so- - rischen <Ln.'..^cn um fast eine Million seit fünf . ,cht gelegt, und schon wird man wieder in Er st^ - besetzt durch die Nachricht von der Be'gnadt- guKg des Grafen Pückler - Kleintschtrne. Dieser Herr, der durch fein Auftreten in antisemitischen Bolksversamm- lungen, durch seine maßlosen, fast mehr pathologisches als psychologisches Interesse weckenden Ausfälle gegen die Juden ein teils komisches, teils peinliches Aufsehen her- vorgerufen hat, ist von der Strafkammer zu Glogau zu sechs Wochen Gefängnis verurteilt worden, weil er eine von seinem Gutsnachbar angelegte Feldbahn zerstört hat. Diesem Grafen Pückler, -er sich schon in der öffentlichen Beschimpfung von Richtern und Staatsanwälten das Un glaublichste geleistet hatte, ohne bisher dafür zu mehr als zu Geldstrafen verurteilt zu werden, wurde endlich anläß lich jener Gewalttat die erste Gefängnisstrafe zudikttert. Die dagegen eingelegten Rechtsmittel blieben erfolglos, die Strafe wurde rechtskräftig. Jetzt ist der Herr Graf begnadigt worden, er braucht die sechs Wochen nicht abzu sitzen, er darf sich mit 6000 loskaufen. Diese Begnadi gung wird nicht verfehlen, das peinlichste Aufsehen zu er regen. Hat man ohnehin den Eindruck, das Graf Pückler gelinde weggekommen war, so wird das Rechtsbewußtsein des Volkes sich mit der Tatsache, daß er jetzt zu einer Geld strafe begnadigt worden iit, absolnt «icht abstv-en können. Diese Begnadigung ist, wie der „Hann. Kur." mit Recht sagt, wieder einmal Wasser auf die Mühlen dersozial - demokratischen Agitatoren, die darauf Hinweisen werden, daß sozialdemokratische Ausständige wegen soge nannter Streikvergehen, die an sich nicht schlimmer sind als die Gewalttat des Grafen Pückler, zu jahrelangen Gefäng nis- und Zuchthausstrafen verurteilt worden sind, die sie auch ehrlich absitzen müßen. Die Anschauung, daß Einer, der es dazu hat, ein Reicher, ein Graf, von der gegen ihn erkannten rechtskräftigen Strafe mit Geld sich loskaufen könne, muß im Bolte immer mehr Boden fassen. Das Ver trauen in die Gleichheit aller vor Gericht wird dadurch er schüttert. Wir haben es fiter mit einem jener Vorgänge zu tun, von denen sozialdemokratische Abgeordnete im Reichstage triumphierend ausgerufen haben, daß sie ihnen Tausende neuer Wähler znführcn. Der preußische Iustiz. Minister, der die Begnadigung des Grafen Pückler be fürwortet hat und für diesen Begnadigungsakt der Krone die ausschließliche Verantwortung trägt, ist im vorliegen den Falle schlecht beraten gewesen. Der Hinweis, daß Graf Pückler, der sogar von seinem Gesinnungsgenossen Lieber- mann von Sonnenberg für geisteskrank erklärt worden S7. Jahrgang. ist, vermutlich nicht zurechnungsfähig sei, kann hier «icht in Betracht kommen, denn dann hätte das Verfahren gegen ihn eingestellt werden müssen. Die Gtogauer Straf- kammer aber hat den Grafen Pückler auf Grund der Gur- achten der Sachverständigen für geistig normal erachte». Sollte in dieser Auffassung der Justizbehörden ein Wandel eingetreten sein, dann hätte das Wiederaufnahmeverfahren etngeleitet werden müssen. Die Begnadigung darf man dem Verurteilten persönlich gönnen, billigen kann mar» sie nicht. Mehr Selbstbewußtseiu! Der „Texas-Borwärts" bringt einen bemerkenswerten Artikel mit der Ueberschrift: ,Lur Wehre!", der da- Verhältnis Deutschlands zu den Ver einigten Staaten und die Rolle, die die Deutsch. Amerikaner dabei spielen, beleuchtet. Verfasser -Bs Artikels ist -er Schriftleiter des Blattes, Julius Schulze, der zu den tüchtigsten und angesehensten Vertretern deS Deutschtums in den Vereinigten Staaten gehört. In jenem Artikel heißt eS: Der Deutsche ist auch als ameri kanischer Bürger ein gar langmütiger Mensch, und am klarsten tritt es hier zu Tage, daß er es sich nun seit fünf Jahren ruhig gefallen läßt, wie die amerikanischen Hetz blätter über das alte Vaterland herfallen, eS verun glimpfen und verhöhnen und alles versuchen, um die Ber einigten Staaten mit Deutschland in Krieg zu verwickeln. Aber es sind nicht nur die gelben Zeitungen, es sind na mentlich hohe Offiziere -er Armee und Marine, die ihren losen Schnabel gegen Deutschland weit aufsperren. Deutschland ist diesen Leuten zu mächtig und zu stark ge worden, und man möchte sich an ihm reiben. Beisolchen Leuten kommt man mit Höflichkeit, Be scheidenheit und aufmerksamen Liebes diensten nichtweit. Sie werden dadurch nur noch gröber und beleidigender. Wer den amerikanischen Charakter genau kennt, wer ein viertel oder ein halbes Jahrhundert mit ihnen verkehrt hat, der weiß, daß man als fremdgeborener Bürger am besten mit dem Amerikaner fortkommt, wenn man ihm imponiert, wenn man ihm mit einem gewissen Selbstbewnßtsein entgegen, tritt und vor allen Dingen seine Abstam» mung nicht v« rlengnet. Eine solche Verleugnung erkennt der Amerikaner in'feinem Innern teils als eine servile Unterwürfigkeit, teils als verächtliche Feigheit an. Der amerikanische Charakter birgt viele und anerkennens- werte Seiten, und Lmrunter ist sein Grundsatz in allen Lebenslagen: „Wehre dich! Laß dich nicht unterdrücken!" Erachtet den Mann, der sich kein Unrecht gefallen läßt. Er selbst ist aggressiv und schätzt den Mann, der ihm selbst bewußt cntgegentritt. Warum sollte der Deutsche, der sich hier ein bleibendes Seim erworben hat und Bürger dieses Landes geworden ist, sich selbst unterschätzen? Warum könnte in diesem Lande nicht ein großer, allgemeiner Bund über die ganze Nation errichtet werden, der sich die Auf gabe stellt, jeden Mann, der mit Verachtung von dem alten Vaterlande, einer großen, mächtigen, hochzivilisierten Nation, spricht, am Stimmkasten mit vereinten Kräften zu bekämpfen, gleichviel welcher Partei er auch angehören mag? Der Stimmkasten, aus dem das ganze Beamtentum hervorgeht, ist in diesem Lande die schneidigste Waffe, und das sieht auch Präsident Roosevelt ein, der sich jetzt auf einer großen Rundreise durch die Bereinigten Staaten befindet. Er sieht es besser ein,als dieDeutsch-Ame- rikaner selbst, welche Macht die Deutschen in einer Präsi- Feuilleton. Hotel Alpenrose. Roman von Arthur Achleitner. .„uckwruck verboten. Beide Herren waren im Gespräch, als der Hotelier hinzutrat, und der junge Advokat, ein hübscher Mann mit seltsam flackernden Augen, erwähnte, daß er, wenn er laubt, morgen seine Antrittsvisite beim Herrn Beztrksarzt abstatten werde. Und ,vr. Guggemoos versicherte, daß ihn und seine Schwester solcher Besuch nur freuen könne. Zum Hotelier, der sein Gläschen „Münchener" selbst zum Tische brachte, gewendet, sprach der Bezirksarzt: „Na, Muster wirt, ist schön von Ihnen, daß Sie für alte Stammgäste auch noch einen Blick haben. Allerdings muß ein Ortsein gesessener hübsch bis zur späten Abendstunde warten, um ein „Grüß Gott" vom Hotelier zu erhalten. Tagsüber ist man im Hotel „Alpenrose" Luft und nicht gerne gesehen!" Tschurtschberger nahm am Stammtisch Platz, strich sich den martialischen Bart und meinte lächelnd: „Herr Be zirksarzt belieben zu übertreiben! Im Trubel der An kunft und Abreise, Abfütterung und in sonstigem Durch einander kann cs gar nicht anders sein, als daß der viel beschäftigte Wirt sich den Reisenden widmet und als selbst verständlich voraussetzt, daß die Stammgäste auch ohne feierliche Begrüßung seitens des Wirtes den gewohnten Platz suchen und finden." „Das ist eigentlich ganz richtig, bis auf bas Platz „fin- den". Meistens findet man den Stammplatz eben nicht, weil er von Fremden besetzt ist. Na, trösten wir uns, im Winter sind wir dem Hotelier willkommene Gäste; wenn es schneit» kommen auch wir zu einer gewissen Geltung." Tschurtschberger versicherte, daß er es mit dem besten Willen in der Hochsaison nicht ändern könne, wasmaßcn das sonst gewiß grobe Haus dem enormen Andrang nicht genüge. Leider konzentriere sich der Trubel auf wenige Stunden, in diesen feien das Haus und die Speiseräume zu klein, des abends nach neun Uhr wäre Platz im Ueberfluß vorhanden. „Stimmt!" meinte der Arzt, welcher weit um in der Gebirgsgegend großen Ruf genießt. „Es ist der Hotelier beruf gewiß ein schöner, bequem ist er aber nicht, und er entbehrt auch nicht der Schattenseiten. Na, Sie verdienen t» sechs Wochen ein schönes Stück Geld und könncnWinterS über vom angesammelten Fett zehren. Der arme Bauern doktor hat das ganze Jahr über viel Arbeit und wenig Geld." ,-Soll ich Ihnen jammern helfen, Herr Bezirksarzt?" fragte lachend Tschurtschberger. Der junge Advokat mengte sich ins Gespräch mit der Frage, ob der Winter in Schwarzwafser wirklich ein strenger und schneereicker sei. Ambros erwiderte: „Das ist bei uns unterschiedlich; manchmal haben wir Winters über mehr Staub als Schnee, mitunter aber fünf und mehr Meter weihen Geflockes." „Nette Aussichten! Hoffentlich muß der Advokat zu solcher Zeit nicht zu den Parteien ins Gebirge hinauf. Mir ist der Schnee unangenehm; dagegen interessiere ich mich sehr für die Eiswelt und freue mich, mal so eine rich tige Gletschertour zu machen." Der Bezirksarzt meinte: „Derlei werden Sie wohl, Herr Doktor, vor Uebernahme der Kanzlei betätigen müssen, denn stecken Sie einmal im Dienst, kommen Sie nimmer dazu. Ich spreche da aus Erfahrung. Ueber zwanzig Jahre bin ich hier Arzt, meine erste Tour machte ich vor Amtsübernahme auf den Gfadgletscher, und seither hat mich der Dienst festgehalten, und ist jene Partie richtig die einzige geblieben. Es vergebt ja kein Tag ohne In anspruchnahme des Arztes, ich würde cs auch als Pflicht verletzung betrachten, zu bummeln und die Patienten war ten zu lassen. Ihnen dürfte es in dienstlicher Hinsicht nicht viel anders ergehen, wenn Sie mal im Joch stecken. Wir haben im Bezirk eine prozeßlustige Bevölkerung, da fehlt es der Advokatur nicht an Beschäftigung. Sie und Notar Himmelmeyer werden sicher noch klagen, daß es nicht einmal am Sonntag Ruhe gibt. ,-Für das Geschäft ist diese Prognose nur erfreulich. Ich arbeite gern!" „Wann wollen Herr Doktor die Kanzlei übernehmen?" fragte der Bezirksarzt. ,-Damit will ich infolge Ihrer Bemerkung tatsächlich noch einige Tage zuwarten. Erst die Besuche, dann, so daS Wetter günstig bleibt, eine Partie auf den genannten Gletscher, und hierauf will ich mit beiden Füßen ins Joch springen." „O, Herr Doktor, machen -Sie doch lieber gleich morgen die Tour auf den Gfadgletscher und hinterdrein die gar nicht eilenden Besuche. „Nimm der Stunde wahr, eh' sie entflieht!" sagt der Dichter. Wir warten gern auf Ihren werten Besuch, und so wie ich wird jeder mit den hiesigen Verhältnissen vertraute Mann denken!" „Topp! Besten Dank! Mache ich! Herr Tschurtsch berger, welchen Führer empfehlen Sie mir zu der Partie?" Ambros entwickelte ein Programm für diese Gletscher besteigung, versprach -auch den nötigen Proviant zu ver sorgen, und wollte gleich den Führer verständigen lassen, da trat ein dienernder Pikkolo heran und meldete, daß ein vornehmer Herr im Speisesaale mit Hern Tschurtsch berger zu sprechen wünsche. „Sofort!" erwiderte Ambros, trank sein Gläschen Bier leer, und meinte zu den Stammgästen: „Sehen Sie, meine Herren, nicht einmal am späten Abend unid am Stamm tisch hat der Wirt Ruhe. Aber das ist das Geschäft! Dienst ist Dienst! Habe die Ehre!" ,-Servus Tschurtscho!" rief vr. GuggemooS, „auf bal diges Wiedersehen!" Zum Advokaten gewendet meinte der joviale Arzt: ,-Will lieber gleich noch eins trinken, wer weiß, ob nicht auch ich zu später Stunde geholt werde. Sicher bin ich ja nie. He, Ptkkolomini, rasch noch ein Seibel!" „Wenn Herr Bezirksarzt gestatten, tue ich auch gleich mit. Dann aber Schluß für-iheute, die Gletscherpartie fordert gründliche Vorbereitung. Allerdings heißt es xiravsonts ineckioo nil nooot!" ,-Alter Schnee, Herr Doktor! Aber was ich noch sagen wollte: Vergessen Sie ja nicht die Gletscherbrille zumSchutz Ihrer Augen mitzunehmen. Etwas angestrengt scheint mir Ihr Auge überhaupt zu sein. Verzeihen Sie die Be merkung, sie ist mir herausgerutscht. Lesen Sie denn viel bei Licht?" „Ja, ich leide an Schlaflosigkeit und die dagegen ge nommenen Präparate wollen nicht mehr wirken." ,-So so! Na, da gehen Sie lieber nicht auf 'den Gfad, die Tour könnte zu anstrengend werden, und Nervöse sollen hübsch im Tale bleiben." „Sehr gütig, Herr Bezirköarzt, aber hinauf will ich, es lockt mich das ewige Eis unwiderstehlich. Dcnle, cs müßte großartig sein, so mitten im Eis ein Feuer anzu machen." I>r. Guggemoos blickte den jungen Anwalt forschend an, sagte aber nichts, und griff nach dem gefüllten Glase. „Prost!" „Komme mit, prost!" Der an den Stammtisch zurückkefirende Hotelier brachte ein anderes Thema zur Diskussion, indem er über hyper große Aengstlichkett mancher Gäste klagte. „Dicht zu glauben, meine Herren, daß sich eine ganze Familie vor Hoteldieben fürchtet! In meinem Hause und Diebstahl! Unerhört!" „Allerdings! Ich habe in langen Jahren niemals auch nur das Geringste hierüber gehört. Hierzulande und von einheimischer Bevölkerung wird absolut nicht ge stohlen. Freilich ist es nicht ausgeschlossen, daß mal ein gut im Fach ausgebildeter Gauner zureist. Kann ja ab gewartet werden!" meinte der Bezirksarzt. Tschurtschberger schüttelte den Kopf: ,-Nein, nein! An Unerhörtes glaube ich nicht, habe selbst in Pariser und Londoner Hotels nie etwas über Diebstahl gehört. Warum sollte just ein Alpenhotel der Schauplatz einer Diebes geschichte werden? Gott, fatal wäre es, nicht zu sagen, unangenehm! Das Aufsehen, das Geschrei, Gendarmerie, Zeitungsgewäsch, der Ruf des Hauses geschädigt, von der Haft- und Ersatzpflicht nicht zu reden. — Aber eigentlich geht mich dergleichen gar nicht an, ich hafte ja nur für die mir persönlich zur Aufbewahrung übergebenen Wert gegenstände!" Der junge Advokat machte den Hotelier aufmerksam, daß sich die Haftung doch wohl weiter erstreckt, zumal da der Hotelier für sein Personal verantwortlich sei. Hitzig replizierte Tschurtschberger und verließ den Stammtisch sichtlich geärgert, um sein Notlager für diese Nacht in der Office zu beziehen. Alsbald brachen auch die Herren vom Stanrmtisch auf. Die Lichter erloschen allmählich im Hause, das Personal huschte auf der Dienstbotentrevve ins oberste Stockwerk, wo die Schlafsäle nach dem Geschlecht getrennt sich befinden. Der Liftjunge schloß sein Fahrzeug ab und schleppte sich verschlafen in die ebenerdig gelegene Kammer der Hotel diener vom Nachtdienst, und möglichst geräuschlos sperrte Franz, das Hausfaktotum, das HauStor ab, um sich dann in seine Kemenate zu begeben. Ambros lag angekleidct auf dem Leüevdivan in der Office, eine Schlummerrolle diente als Kopfkissen, erfüllt« aber ihren Zweck so viel wie gar nicht; denn der Schlaf mied den Hotelier, so müde dieser auch vom langen Tage werk und dem vielen Laufen war. Unangenehme Ge danken peinigten den jungen, eifrigen Mann. Einmal beschäftigte das letzte Thema am Stammtisch den Kopf, dann konzentrierten sich die Gedanken auf die Frage, wie es mit der Solvenz aussehen würde zum Zahlungstermin im Herbst, wenn die bisher hoffnungsreiche Saison durch andauernd schlechtes Wetter in das Gegenteil umschlage« sollte. Tschurtschberger rekapitulierte im Geiste die seiner zeit dringlich erhobene Warnung der Mutter vor Umban
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