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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.08.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-08-27
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030827020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903082702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903082702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-08
- Tag1903-08-27
- Monat1903-08
- Jahr1903
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Der Protest gegen die angeblich unwürdige und uner- trägliche Lage des römischen Stuhles bildet einen stereotypen Programmpunkt der Katholikentage, und so ist auch diesmal wieder die übliche Resolution stili siert, emphatisch begründet und mit dem stürmischen Bei fall angenommen worden, der auf den Generalversamm lungen der wohldisziplinierten Zentrumswählerschaft so überaus wohlfeil ist. Daran ist nichts Sensationelles und es regt sich auch niemand darüber auf; höchstens könnte man sich darüber wundern, daß eine solche Kundgebung erfolgt zu einer Zeit, wo über die offizielle Politik des heiligen Stuhles noch gar nichts bekannt ist. Papst Pius X. hat sich über die römische Frage noch nicht ge äußert, und er hat noch nicht einmal einen Staatssekretär, durch den er es tun könnte. Somit ist es auch nicht ganz ausgeschlossen, daß er in dieser Frage seinen eigenen .^ns steuert und der Kölner Katholikentag nachträglich des avouiert wird. Immerhin ist das Risiko nicht sehr groß, denn selbst wenn der neue Pontifex freundlichere Be ziehungen zur italienischen Negierung anstreben sollte, würde es wohl nicht ohne eine Art von Verwahrung ge schehen, wie sie in Köln ausgesprochen worden ist. Be merkenswert ist nnter solchen Umständen eigentlich nur die außerordentliche Liebenswürdigkeit, mit der die „Kreuzztg." die Kundgebung bespricht und die deut lich erkennen läßt, daß eine konservativ-klerikale Allianz immer mehr in den Gesichtskreis der praktischen Politik rückt. Der Liberalismus aller Schattierungen wird reich lichen Grund haben, dieser Erscheinung die sorglichste Aufmerksamkeit zuzuwenden. Bemerkenswert ist ferner, daß es besonders bayerische ZentrumSmünner sind, die den Kaiser auf dem diesjährigen „Katholikentage" feiern. Herr Or. Schaedlcr hat unter „lebhaftem Bravo" erklärt: „Dankbar blicken wir auf zu Will>elm II.. der das Kreuz hoch hält und seinen katholischen Untertanen ein Bater sein will." Und er l-at gegen Schluß seiner Rede unter „stürnnischer Zustimmung" von der Ehrerbie- tung, der Liebe und dem Gehorsam gegen Kaiser und Landesfürsten gesprochen. Der Präsident des Katholiken tages, vr. v. Orterer, gleichfalls ein bekannter baye rischer Zentrumsführer, zitierte eine anerkennende Aeußerung des Kaisers über Papst Leo und fügte hinzu, daß so ein Fürst gesprochen habe, der an cdlcnIdeen und großer Auffassung seiner erhabenen Auf gaben wohl an Leo XIII heranreiche — ein Vergleich, über dessen objektive Bedeutung wir uns nicht weiter aus lassen wollen, der aber snbjektiv, d. h. im Munde eines Zentrumsmanncs, eine sehr hohe Anerkennung bedeutet. Es ist rund ein Jahr verflossen, seitdem das bayerische Zentrum ein ganz anderes Lied sang. Damals hatte der Kaiser das bekannte Swinemnnder Telegramm an den Prinz-Regenten gerichtet und nun inseenierte das bayerische Zentrum einen gewaltigen Entrüstungs sturm. An sich war das bayerische Zentrum zweisel. los berechtigt, sich gegen die scharfe Kritik des Kaisers zu verwahren, aber es ging in den Auslassungen der Presse und -er Volksredner weit über das Maß be-1 rechtigter Gegenkritik hinaus. Auch handelte es dabei nicht etwa nur in einer augenblicklichen Aufwallung, die ja vieles entschuldigt, sondern es benutzte das Telegramm systematisch, um die „bayerische Volksseele" für die Wahlen zurecht zu kochen. Wir gestatten uns ferner, daran zu er innern, daß bei der Besprechung des Kaisertelegramms im Reichstage ein Herrn l)r. Schaedler sehr nahestehen der Mann abermals eine sehr scharfe Rede hielt, die voll von ironischen Spitzen war. in der man aber beim besten Willen nichts von der „Ehrerbietung", deren Herr vr. Schacdler den Kaiser auf dem Kölner Katholikentage versicherte, finden konnte. Dieser selbe Mann ließ sich dann bei seiner Rückkehr von der Reichstagstagung nach Bayern ostentativ von seinen Getreuen wegen seiner schneidigen Rede feiern. Wir erinnern endlich daran, daß bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit gerade die bayerische Zentrumsvresie an dem Kaiser herum nörgelt und die bayerischen Prinzen davor warnt, sich zu „Lakaien" des preußischen Königs machen zu lassen. Frei lich hat sich in neuerer Zeit etwas ereignet, was gerade den bayerischen Ultramontanen lieb und erfreulich sein muß: Graf Bülow hat das Eintreten der preußischen Stimmen im Bundesräte für die Aushebung des 8 2 des Ies u i te n g es etz es in Aussicht gestellt, selbstverständ lich und wie jetzt offiziös mit besonderer Beflissenheit fest gestellt wird, in voller Uebcreinstimmung mit dem Kaiser. Dadurch eröffnet sich den bayerischen Ultramontanen die lockende Aussicht, Preußen später auch für die Aufhebung des ganzen Jesuitengesetzes eintreten zu sehen und dann günstige Gelegenheit zu erhalten, eine Acnderung der bayerischen Verfassung zu Gunsten der „frommen Väter Jesu" zu fordern. In B e r l i n mag ja die Wirkung des Bülowschcn Versprechens auf die unlängst noch so borstigen und preußensresserischen bayerischen Zentrums männer mit Genugtuung bemerkt werden. Man möge sich aber dort nur ia nicht über die Dauer dieser Wirkung täuschen. Der bayerische Klerikalismus hat noch ganz andere Wünsche, als die ungestörte Wirksamkeit der Jesuiten. Und zeigt sich einmal die preußische Vormacht nicht entgegenkommend gegen diese Wünsche, so wird man in Berlin nicht nur dieselben Lieder wie ehedem aus dem bayerischen Zentrumswalde erschallen hören, sondern noch viel grellere und mißtönendere; denn noch stets ist der Klerikalismus, der bayerische, wie der nichtbayerische, durch Konzessionen noch begehrlicher, angriffslustiger und derber geworden. Der Fall Hüßner vor dem Reichsmilitärgerichtc. Die Entscheidung des Reichsmilitärgcrichtes im Falle Hühner wird, wie wir mit dem „Hann. Kur." annehmen, von der öffentlichen Meinung, die durch das Urteil des Oberkricgsgcrichtcs in Kiel so schwer verletzt worden war, mit Genugtuung begrüßt werden. Bei der Wertung der Entscheidung ist im Auge zu halten, daß das Reichsmili tärgericht als Revisionsinstanz nicht materielles Recht zu sprechen, sondern nur zu entscheiden hatte, ob Verletzung einer Rechtsnorm vorliege; auch das Strafmaß als solches stand danach nicht zur Beurteilung des obersten Gerichts hofes. Innerhalb der Grenzen seiner Befugnis hat dieser jedoch getan, was in seinen Kräften stand, um das Ober kriegsgericht zu rektifizieren und dem durch das milde j Kieler Urteil schwer beunruhigten öffentlichen Rechtsbewußtsein Genüge zu tun. Gemäß den Ausführungen des Obermilitäranwalts hat das Reoisionsgericht den Widerspruch betont, der in dem Kieler Urteile zwischen der Feststellung, daß Hüßner den Hartmann habe leicht verletzen wollen, um ihn zum Stehen zu bringen, und der anderen liegt, Hüßner habe das Bewußtsein gehabt, daß er diesen Zweck auch durch bloßes Zugreifen mit der Hand hätte zu er reichen suchen können, und daß er nur die Waffe gebraucht habe, weil er sie gerade zur Hand hatte, unbekümmert darum, welche Folgen daraus entstehen würden. Mit Recht sicht der oberste Gerichtshof in diesem Widerspruch eine Unklarheit der Feststellung des Oberkriegsgerichts über die eigentliche Willensrichtung des Angeklagten bei Verübnng der Tat, nnd verlangt eine deutlichere Formu lierung der Ansicht der Vorrnstanz über diesen Punkt, um entscheiden zn können, ob die getroffene Gesetzesanwen dung zutreffend sei oder nicht, da letztere Möglichkeit nicht von der Hand zu weisen sei. Das Oberkriegsgericht ist durch die Entscheidung des Reichsmilitärgerichts zu einer in juristischem Sinne präziseren Feststellung der Willens richtung Hühners genötigt. Auf Grund einer solchen präzisen Feststellung wird es voraussichtlich zu einer anderen, dem allgemeinen Rechtsbewußtsein entsprechen deren Auffassung der Tat selbst gelangen, als in seinem ersten Urteile. Das Reichsmilitärgericht hat ihm jeden falls innerhalb der Grenzen seiner juridischen Befugnis die Gelegenheit dazu geben wollen. Die ungarische Krise. Der Kaiser Franz Josef wird am 28. August von Pest abreisen, ohne für jetzt eine Lösung der Krise zu versuchen. Er soll sich geäußert haben, keiner der zwölf von ihm empfangenen Politiker habe ihm annehmbare Vorschläge gemacht, es sei daher eine neue Grundlage zur Kabinettbildung nicht vorhanden. Die bisherige Grund lage läßt sich aber angesichts der Störrigkeit der Oppo sition auch nicht beibehalten. Es besteht nun die Absicht, abznwarten, ob denn in der Opposition nach der offenen Ablehnung ihrer Forderungen durch die Krone nicht schließlich doch eine Ernüchterung eintreten werde, ob die Opposition wirklich entschlossen ist, in ihrem Widerstande gegen die Krone biszur Revolution zu gehen. Die Opposition erhält Bedenkzeit bis gegen Mitte September. Der Kaiser kehrt dann von den ungarischen Manövern nach Pest zurück, ohne an den galizischen Manövern teil zunehmen. Erst dann wird Graf Khuen in der Lage sein, einen Nachfolger dem Kaiser vorzuschlagen. Sollte bis dahin die Opposition mildere Saiten aufziehen, dann glaubt man, daß Wekerle am ehesten der geeignete Mann wäre, mit der Opposition ein friedliches Ueber- einkommen zu treffen. Er steht bei der Opposition seit den kirchenpvlitischen Kämpfen in sehr gutem Ansehen. Seine Beziehungen zu oppositionellen Kreisen waren während der jüngsten Wochen offenkundig, was ihm vielfach ver übelt wurde, doch hat in dieser Hinsicht in den maßgebenden Kreisen ein Umschwung der Auffassungen stattgefunden; heute ist man geneigt, in Wekerles Beziehungen zur Oppo sition einen Vorteil zu erblicken, da dieser Umstand sehr dazu beitragen kann, daß Wekerle jetzt ohne wesentliche neue Zugeständnisse in der Armeefrage die Opposition be schwichtigen könnte. Freilich kann man in den maßgeben den Kreisen sich mit dieser Rechnung ebenso irren, wie man sich mit andern Plänen seit drei Monaten so vielfach ge irrt hat. Eine sichere Lösung bietet daher auch die Kom bination Wekerles vorläufig nicht. Die Wanderungsbewegung i» England. Zu der in England gegenwärtig lebhaft erörterten Einwanderungsfrage liegen über den Abgang und Zugang derEin- und Auswanderer von und nach dem Bereinigten Königreiche innerhalb der letzten drei Jahre Angaben vor, die das Handelsamt veröffent licht. Danach wanderten von englischen Häfen nach außereuropäischen Ländern aus 1902 386 779, 1901 302 575 und 1900 298 561 Personen. Diese Seite der Wanderungsbewegung zeigt eine wesentliche, von 1901 auf 1902 recht beträchtliche Zunahme. Schwankend war dagegen der Umfang der Einwanderung. Es kamen aus nichteuropäischen Ländern nach England 1902 170 874, 1901 165 018 und 1900 175 747 Personen, so daß 1902 215 905, 1901 137 557 und 1900 122 814 Personen mehr aus wanderten als in das Vereinigte Königreich einwan derten. Es ergibt sich also eine fortgesetzte Zunahme der Auswanderung in den letzten drei Jahren und ein Ueber- schuß der Auswanderer über die Einwanderer, soweit nichteuropäische Länder in Betracht kommen, von ins gesamt 476 276 Personen. Die Abwanderung aus Eng- land nach europäischen Ländern umfaßte 1902 636 311, 1901 613 843 und 1900 669 292 Personen. Größer war die Zuwanderung aus europäischen Ländern, die in denselben Jahren 773 624, 702 555 und 748 725 Personen betrug. Es ergibt sich also nach dieser Seite der Bewegung ein Ueberschuß der Einwanderer über die Auswanderer, und -war waren es 1902 137 313, 1901 88 712 und 1900 79 433 aus Europa zugewanderte Personen, die über die Zahl der Abgewanderten hinaus in England verblieben. Zwischen England und dem übrigen Europa ist also in den letzten drei Jahren die Einwanderung beständig gewachsen, in besonders hohem Grade, entsprechend der oben festge- stellten starken Zunahme der Auswandererbewegung von 1901 auf 1902 in denselben beiden Jahren, nämlich von 88 712 auf 137 313 Personen. Die gesamte Wanderungs bewegung, das nichtengltsche Europa und das gesamte Ausland zusammengenonnnen, schließt daher für die letzten drei Jahre mit einem noch immer steigenden und sehr erheblichen Ueberschuß der Auswan derer über die Einwanderer ab, und zwar be trug dieser Ueberschuß im letzten Jahre 78 592, 1901 nur 48 845 und 1900 nur 43 381 Personen. Die gesamte Wan derungsbewegung von und nach England bezw. von und über englische Häfen umfaßte also in den letzten drei Jahren 5 643 904 Personen. Da unter diesen 2 907 361 Auswanderer und nur 2 736 543 Einwanderer waren, sind noch 170 818 Personen mehr von England aus- als nach England eingewandert. Deutsches Reich. 6. 8. Berlin, 26. August. (Rückgang der Geburten ziffer in Preußen.) Eine sehr unerfreuliche Erscheinung ist nach den neuesten Feststellungen der Medizinalabteilung des Kultusministeriums der Rückgang der Geburtenziffer in Feuilleton. isi Renate von Grieben. Roman von Hermann Birkenfeld. viachdrutt verboten. Das fette Weib aus dem Flur hatte ein verblüfftes Gesicht gezeigt, als Renate ihr einen Fllnfzigmarkschein -wischen die schmutzigen Kinger schob. „Genügt das?" „Aber Renate!" rief Margarethe von Horsten. Gerade dieser Zwischenruf reizte indessen die würdige Frau, dreist zu werden. „Ich danke Ihnen sehr, Fräulein, es wird ja schon reichen. Sie müssen nur bedenken, daß ich —" Den Rest hörten die Mädchen schon nicht mehr. Das Weib sah ihnen, den Kassenschein -wischen den Kingern prüfend, neugierig nach. „Sie hat so 'was Nobles — und reich dazu! Die hätte auch 'nen feineren Liebhaber finden können, als den alten Sünder da drinnen. Je, 's is 'ne Welt! Aber Geld is kein Blech, un wegen meiner kann die olle Bude nu 'n ganzen Monat leer stehen." Justizrat Derndorf, trotz seiner sechzig Jahre ein be weglicher Herr, sprang allerdings perplex von seinem Stuhle auf, als er erfuhr, um was es sich handelte. „Pardon, mein liebes, gnädiges Fräulein — daß daS plötzliche Wiederauftauchen Ihres Bruders und dessen — immerhin männliches Ende — Ihr Gemüt in hohem Grade erregt, verstehe ich vollkommen. Das ist aber immer noch kein Grund, einem Schuft — ich kenne diese Nothnagel par ronommes — achttausend Mark an den Kopf zu werfen." „ES ist von meines Bruders Gclde, der vor Jahren »u meinen Gunsten auf drei Viertel seines Erbes ver zichtete." „Aber bitte! Notmaßregel Ihres Herrn Vaters, über deren Zweckmäßigkeit und dergleichen wir nicht mehr zu rechten haben. Ist auch vollkommen gleichgültig. Ich will nicht Derndorf heißen, wenn der saubere Nothnagel Ihrem Herrn Bruder jemals nur hundert Mark geborgt hat. Zudem hätte sich die Rekognoszierung des Ver storbenen unendlich glatter erledigt, wenn Sie sich sofort «n mich gewandt hätten. Ich habe ja die Papiere über bas B-rfahren Ihres Herrn Vaters bei Ihren Akten und wäre berechtigt gewesen, Ihnen jetzt, nach dem Tode Ihres Bruder-, klaren Wein einzuschcuken." Das hatte Renate allerdings nicht bedacht. Nun war es zu spät. »Ja, ja, ja, ja", räsonnierte der Justizrat, in seinem Kabinett auf- und abspazicrend, „blinder Eifer schadet nur. Nein, ich — ich wollte keinen Scherz machen; dazu" — sprach er langsamer und blieb vor Renate stehen — „dazu kennen wir uns doch schon etwas zu lange, nicht wahr, mein liebes gnädiges Fräulein?" „Sie werden also die achttausend anweisen?" Noch immer ärgerlich, bewegte der Anwalt den Kops — ,„Kann Sie nicht hindern, Ihr Geld wegzuwerfen. Na, schließlich haben Sie's ja, brauchen sonst lächerlich wenig, und Ihr Depot bei der Deutschen Bank —" „Das interessiert mich nicht. Aber Sie haben vielleicht die Güte, für alles sorgen zu lassen, was zum Begräbnis gehört, und mir mitzutcilen, wann dasselbe statt finden soll." „Selbstverständlich. Und dis achttausend — — na, wenn's denn sein muß —" „Rasch gehandelt hast du,Renate", sprach GreteHorsten, als die beiden Mädchen wieder in der Droschke saßen. Renate zuckte die Achseln. „Was soll ich mit dem Gelde?" Sie hatte sich aus ihrem Reichtums nie sonderlich viel gemacht, ihn seit zwei Tagen ab:r geradezu als Bürde empfunden. Und während ihr Wagen durch das mittäg liche Menschengewühl der ,Friedrichstraße fuhr, während sie vorüberglitten an den bis unters Dachgesims gleißenden Kaufläden der Leipziger Straße, packte sie ein blinder Haß gegen das Geld ihres Vaters, ihres Bruders Geld, das den ersten scharfen Reif auf ihres Herzens Frühling herniederschaucrn ließ. O, dies gemeine Geld, was sollte es ihr? Sie fühlte sich geneigt, die Hunderte von Angestellten zu beneiden, die da über den Fußsteig trotteten, sich nach mühseliger Morgenarbeit in irgend einem Spcisehause zu sättigen: Ladenmädchen in Zehn- mark-Kostümcn, Lehrerinnen, die, das Bücherpäckchcn im Arme, mit abgespannten Gesichtern interesselos geradeaus starrten .... Sie kannte ja die Welt nicht, in der jene lebten, aber sie meinte: Eines — eines hätten sie alle vor ihr voraus: sie würde niemand zu betrügen fuchen, um ihres Geldes willen. Hätte sie das ihre bei sich gehabt, sie wäre in diesem Augenblicke fähig gewesen, es mit vollen Händen in den Ltraßenstanb zu werfen, rasend im Haß gegen das Unverdiente. „Für achttausend Mark bekomme ich in Zirpshagcn vier menschenwürdige Arbciterwohnungcn gebaut, mein Kind —" Hatte Grete etwas gesagt? Erst nachträglich sickerte das Verständnis der Worte langsam in ihr Bewußtsein. „Wann fährst du?" Grete hatte sie von der Seite angesehen. „Wenn du mit willst — sobald du es wünschest. WaS ich zu erledigen habe, ist in zwei Tagen abgemacht." Renate schwieg. Erst als der Kutscher, in die Hede- mannstratze einlenkend, nach der Hausnummer fragte, die ihm entfallen war, spricht sie: „Ja." Das mar seit zwei Tagen die erste Silbe, die nicht im Tone mutloser Apathie von ihren Lippen fiel, und über Tretens Gesicht war cs gehuscht wie ein Sonnenstrahl. „Du willst? — O, ich werde dir Arbeit schaffen, so dankbare, wie — ja, das Wie müssen wir noch überlegen!" Grete von Horsten war sich über dasselbe nämlich keineswegs völlig klar. Aber das kam ja zunächst nicht in Betracht. „Also übermorgen, nein, Donnerstag, nach —" Renate hatte genickt, und es war wieder der müde Ton fall der letzten vierzig Stunden, in welchem sie ent gegnete: „Meinetwegen. Nach dem Begräbnis." Und dann hatte der Wagen vor ihrer Wohnung ge halten, und darauf hörte sie oben aus dem Salon Boll- Hards Stimme und wäre hineingestürzt, hätte die Freundin sic nicht am Arme gehalten, ja, sie in ihrer energischen Art in ihrem Zimmer eingeschloffen. Vergebung für diesen Gewaltakt hatte Grete aber nach ihrem Berichte über die erregten Vorgänge im Salon leicht gefunden, und Renate war wieder die ge faßte, in sich gesammelte Dulderin von zuvor. Zwei Tage später ein stilles Begräbnis. Nur Renate, Grete von Horsten, Justizrat Derndorf und der Geistliche waren dabei. Herr von Nothnagel hat vorgezogen, nicht zu erscheinen. Warum auch? Mit achttausend Mark im Portefeuille hat er Besseres zu tun, als einen Toten zu bestatten. Als die Mädchen dann heimkamen, eilt ihnen Hertha entgegen mit Blicken voll Beileids, und doch fiebernd vor Erwartung, Grete — an Renate wagt sie sich natürlich nicht l>eran — etwas ganz Besonderes mitzuteilen. Als sie endlich die Gelegenheit dazu findet, rannt sie: „Denke dir, Grete, Lonnys Baron war hier. Es ist alles richtig. Er ist sogar ein Vetter des Attaches von Schwenden, den ich letzten Winter kennen lernte, und wirklich ein reizender Mensch. Nein, weiß der zu erzählen! Lonny will nicht kommen, ehe die Ferien der Kinder zu Ende, und ich mnß sagen, daß ich das jetzt im Einklang mit ihrem Verlobten für ganz korrekt halte, wenn ich auch bisher anderer Ansicht war. Es zeugt noch von ernsthaftem Pflichtbewußtsein. Er fährt nicht wieder zu ihr zurück; sein Freund — Sir Frederick nannte er ihn, also ein eng lischer Baronett — werde seine Jacht nach Kiel zurück segeln, er selbst müsse sich nun ein bißchen um seine Güter kümmern. Güter, Grete! Er muß immens reich sein. Und Ende Angust schon verlangt er die Hochzeit, vorher sollen wir drei, Lonny, Mama und ich, seine Besitzungen besuchen, damit Lonny wählen kann, wo sie am liebsten wohnen möchte; denn er hätte, weil seit Jahren meist auf Reisen, gar kein rechtes Urteil. Kannst dir denken, wie ich mich freue. Und dann: solltest du es glauben, daß er den Herrn Killmann kennt? „Der Basilisk?" fragte er lachend, als Mama von ihm sprach, wurde dann aber, als sie fertig war, sehr ernst. Zu heute abend hat er uns ins,Zotel de Rome" gebeten, was ich kolossal rücksichts- voll fand; ihn hierher einzuladen, wäre doch für Renate nur störend gewesen. Selbstverständlich haben wir «arte blaueste, euch mitzubringen; aber vielleicht werdet ihr -" „Danke schön, Hertha, wir reisen morgen früh", ant wortet Grete trocken. „Zürnst du mir?" fragt Hertha, auS her peinlichen Empfindnng heraus, etwas Unschickliches gesagt zu haben. „Nicht im geringsten, Kind. Nun aber muß ich an meine Packerei." Hertha sieht betreten hinter ihr drein. Bös hatte sie es nicht gemeint. Ihr war nur das Herz so voll von dem günstigen Umschwung ihrer Verhältnisse. * * * „Wie kommen Sie eigentlich dazu, uns hier abzu fangen?" fragt Fräulein von Horsten, die Brauen unter dem schlichten Ncisehut zusammenziehend, den Rittmeister von Grieben. „Nehmen Sie es so übel, daß ich hier den letzten Ver- such machte, Cousine Renate zn begrüßen — nach Ihrer gestrigen Abweisung?" „Wir waren in vollem Packen." Der Rittmeister nickt. „Tas berichtete Fräulein Hertha. Und die war im vollen Rüsten — zum Souper im Hotel de Rome, und ihre Mama in einer Aufregung, als gelte es eine Vorstellung bei Hofe." Die beiden Mädchen stehen im Wartcsaal des Stettiner Bahnhofes, ebenda, wo der Rittmeister sie abgefangen hat. „Die Wahrheit zu sagen", fährt letzterer jetzt fort, „un glücklich war ich über die Eröffnung, daß Tante Major mit Hertlw auch heute früy Verpflichtungen gegen Liet- heim lmbcn würde, eben nicht." Grete schweigt. Dann — nach ein paar Sekunden — sieht sic den Rittmeister mit ihren klaren Augen sehr ge radeaus an und fragt blank;
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