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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.01.1903
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-01-08
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030108019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903010801
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903010801
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-01
- Tag1903-01-08
- Monat1903-01
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Bezugs «Preis t» de« Ha»ptr«peditt»» »der deren IluSgeb^ stellen abg,holt, vierteljährlich , bei zwetmaltaer täglicher Zustellung in-Haus S.75. Durch die Post bezogen für Deut ch- land u. Oesterreich vierteljährlich 4.80, ür die übrige» Länder laut Zeitungspreisliste. Lrdaktien o»d Lrpeditio»; JehanntSgaffe 8. Fernsprecher ISS und L22. Fitiate»p»ditt»»»e« r Alfred Hahn, Buchhandlg., UniversitütSstt.S, L. Lösche, Katharinenstr. 14, u. KöuigSpl. 7. Haupt-Filiale Dresden: Strehlen«« Straß« 6. Fernsprecher Amt I Nr. 1718. Haupt-Filiale Berlin: Earl Duncker, Herzgl.Bayk-Hosbuchhandlg., Lützowstratz« 10. Fernsprecher Amt VI Nr. 4608. Morgen-Ausgabe. MWM TaMalt Anzeiger. Imlsölatt -es Königlichen Land- «nd -es Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, -es Rates im- -es Rolizeiamtes -er Lta-t Leipzig. Druck und Verlag von L. Polz in Leipzig. Iiuuahmrschluß für Auzeigeu: Abead-Ausgab«: vormMag« 10 Uhr. Mvrg »»-Ausgabe: Nachmittag« 4 Uhr. Anzeigen sind stet« an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi« abend« 7 Uhr. Extra-Beilage« (gesalzt), »»« mit der Morgen-Ausgabe, ohne Poftbeförderung ^l 60.—, mit PostbesSrderuug 70.—. Anzeigen-PrciS die 6gespaltene Penlznle 2Ü L,. Reklamen unter dem Redakllonsstrtch <4 gespalten) 75 vor den FamNieanach- richten (6 gespalten) 80 Tabellarischer und Ztffernsatz entsprechend höher. — Gebühren fllr Nachweisungen und Lffertenanuagm« SS H (excl. Porto). Nr. 12. Donnerstag den 8. Januar 1903. 97. Jahrgang. Ausgabestelle!« de» Leipziger Lageblatte» von welchen dasselbe zu dem Abonnement-Preise von 1 — monatlich (^l 1.25 bei freier Zustellung) bezogen werden kann: Im Zentrum. Vrsttzl 5S, C. F. Schuber«'« Nachf., Kolonialwareuhdlz. Rathartneuftr. 14. 8. Lösche, Cigarrenhdlg. 2935 Witterst«. 4, Linckesche Leihbibliothek und 'Buchhdlg. Im Norde«. Gerderftr. 8, H. L. Kröger, Butterhdla. 8624 Eueiseaauftr. 12, B. Uhlich, i. Fa. Iva Hartmann, Papierhdlg. Lilhrftr 15, E. Hetzer, Kolonialwarenhdlg. SIS -ertftr. sr (Ecke Berlin» Straß«), F. W. Kietz, Kolonialwarenhdlg. Im Oste«. Jeßanntsgasse 8, Haupterpedition 222 Wanstsche Gaffe S, F. Fischer, Kolonialwarenhdlg. Tchützenstr. 5, I Schümicken, Kolonialwarenhdlg. N78 Lauchaer Et«. IS, L R. Reichel, Drogenhdlg. 8341 Im Lüde«. Arndtftr. 85, I. F. Canitz, Kolonialwarenhdlg. 3033 Vayersche Etr. 45, H. Neumeistex, Cigarrenhdlg. 3V84 K-ntg»platz 7, L. Lösche, Cigarrenhdlg. 7505 Nürnberger Str. 45, M. E. Albrecht, Kolonialwarenhdlg. Aet-er Str. 85, B. Küster, Cigarrenhdlg. Im Westen. Becthavenftr. 21, Tb. Peter, Kolonialwarenhdlg. 3901 Frankfurter Str. 22 (Ecke Walvstr.), L. SieverS, Kolonialwarenhdlg NanftSbter Gtetnweg 1, O. Engelmann, Kolonialwhdlg. 2l51 Waldftr. SS, G. Bettrrlein, Kolonialw.irenhvlg. LSepplatz 82, M. Leißuer, Cigarrenhdlg. 2402 I« de« Dor» «nd Nachbarorte«. _ A«str»Crstte«d»rf, V. Friedel, Cigarrenhdlg., Zwei- Naundorfer Str. 6, O. Oehler, Beruhardstr. 29 Eannewitz, Frau Fischer, Hermannstr. 23 Eutritzsch, Robert Altner, Buchhdlg., Delitzscher Str. 25 820 Gautzsch, Joh. Wolf, Ecke Ring- und Oetzsch» Str. 3526 GohtiS, Robert Altner, Buchhdlg., Linventh. Str. 6 820 » Paul Schmidt, Brüderstraße 8 Kleinzschocher, G. Grützmann, Zschochersche Str. 7» in L.-Plagwitz 2586 Leutzsch, Albert Lindner, Wettiner Str. 51 in L.-Lindenau Lindenau, Alb. Lindner, Wettiner Str. 51 in L.-Lindenau Möckern, Paul Schmidt, Brüderstr. 8 in L.-Gohli- Neustadt, Paul Kuck, Annonc.-Exped., Eisendahnstr. 1 Nruschönkfeid, Paul Kuck, Anooncen-Exp., Eisenbahnstr. 1 Oetzsch, Carl Scheffel, Ecke Ost- und Mittelstr. 6475 Plagwttz, G. Grützmann, Zschochersche Str. 7» 2586 Wevdnitz, W. Fugmann, Marschallstr. 1 15l6 O. Schmidt, Koblgartenstr 67 1739 Bernh. Weber, GabelSbergrrstr. 11 Gchleuhig, G. Grützmann, Könnerckstr. 56 2586 Sellerhausen, O. Oehler, Anger-Crottendorf, Bern- hardstraße 29, Part. Stünz, O. Oehler, Anger-Crottend.,.Beruhardstr. 29, p. Thonberg, R. Häntsch, Reitzenhainer Str. 58 BolkmarSdorf, Paul Kuck, Ann.-Exped., Eisendahnstr. 1 Georg Niemann,Konradstr. 55(Ecke Elisabetbstr.) Wahren, Paul Schmidt, Brükerstr. 8 in L.-Gohlis. Fertillaton. Friedrich von Esmarch. Ein Lebensbild zu seinem 80. Geburtstage. Von Georg Hoffmann-Kiel. Nachdruck verboten. Es war am V. Januar des Jahres 18S3, als sich im freundlich geschmückten OperationÄsaal der chirur gischen Klinik zu Kiel eine stattliche Gesellschaft von Medizinern, akademischen Lehrern, praktischen Aerztcn mtt» jungen Studierenden versammelt hatte, nm einem hochgeschätzten Kollegen, Lehrer und Freunde bei seinem Eintritt ins Greisenalter ihre Huldigung darznbrtngen. Friedrich von ESmarch beging seinen siebzigsten Geburts- tag; und da hatte es alle diejenigen, die dem berühmten Meister der Heilkunst persönlich oder beruflich zu danken hatten, gedrängt, ihm vor Beginn der allgemeinen, offiziellen Gratulattonsfeier zunächst im intimen Kreise, an der Stätte, wo seine geschickte Hand so manches Leben gerettet, zu sagen, was sie an aufrichtigen Gefühlen des Dankes und an warm empfundenen Wünschen für den bejahrten, aber damals gleichwohl noch ttegendfrischen Gelehrten und Menschenfreund auf dem Herzen hatten. Als Dolmetsch solcher Gesinnung führte einer der ältesten und anhänglichsten Schüler SSmarchS das Wort, indem er unter anderm bemerkte; „Sie können mit dem heutigen Tage aus siebzig Jahre zurückblicken und werden es, wenn nicht alles täuscht, auf achtzig bringen; ja, wir sprechen die Hoffnung und den Wunsch aus, daß Sie noch weit darüber hinaus kommen, frischen Geistes und ge sunden Körpers." Der Wunsch, der, in jenem intimen Kreise aus, gesprochen, eine mehr als bloß konventionelle Bedeutung Der Kampf um Len Zolltarif und die parla mentarische Aktionsfähigkeit und Ordnung. Unter dieser Ueberschrist hat der Reichstags- abgeoudnete Dr. Sattler im „Hannov. Kur." drei Artikel veröffentlicht, die voraussichtlich in der Provinz Hannover, wo, nach den Aeußerungen einiger Partei organe zu urteilen, anfänglich die lebhafteste Kritik gegen das Verhalten der nattvnallibcralen Fraktion sich geltend gemacht hatte, nach jeder Richtung aufklären- wirken werden. Anderwärts ist ja solche Aufklärung weniger nötig; immerhin dürfte eS überall am Platze sein, zu er fahren, wie der genannte Abgeordnete die Stellungnahme uüb bas Vorgehen der Fraktion als durch die Macht der rauhen Tatsachen geboten nachweist und rechtfertigt. Die Kritik wandte sich vor allem gegen den An- tragKarborff,bcr auch von uns wiederholt als ein um erfreu kicher, aber notgedrungener Ausweg charak terisiert worden ist. Nach dem Nachweise, daß gerade die Obstruktion cs war, welche die heterogenen Elemente der Mehrheitsparteicn zu einem geschlossenen Vorgehen zusammcnführtc, äußert sich vr. Sattler zur Abwehr der Kritick über den Antrag Kardorff in seinem -ritten Artikel wie folgt: „ES ist ja natürlich, daß bei solchem Vorgehen mancherlei Kritiken und Vorschläge auftaucheu, welche ein anderes Vorgehen gewünscht hätten, und zwar be sonders, wenn die ganze Sache dem Lande so über raschend kommt, wie das mit dem Anträge v. Kardorff der Fall war, denn die Außenstehenden hatten nicht be merkt, wie die Sachlage sich mehr und mehr zu einem Kampfe um die parlamentarische Aktionsfähigkeit über haupt zuspitzte. Alle Vorschläge aber, welche namentlich auf eine Abänderung dckS 8 19 der GeschäftSordlmng hinauslaüfen, haben für die Zukunft eben so schwer« Be denken wie der Antrag v. Kardorff, nach welchem mit dem Zolltarife in ähnlicher Weise verfahren ist, wie dieses bet allen oft viel schwerer einschneidenden Handels. Verträgen geschieht, über welche auch in einer Gesamt abstimmung entschieden wird. Auch darf man nicht ver gessen, daß es schwer ist, vier Parteien unter einen Hut zu bringen, und daß die ganze Aktion in einem diäten losen Reichstage vorgenommen werden mußte, dessen Mitglieder wirklich nur sehr schwer monatelang in Berlin zur Stelle sein können. Manche Angriffe gegen die Beteiligung der nationalltberalcn Partei an dem An träge v. Kardorff verraten aber wirklich ganz eigen artige Anschauungen. So Mrd das Zusammengehen mit dem Zentrum und den Konservativen der national liberalen Reichstagsfraktion als Verbrechen angevechnet und als nicht in Uebereinsttmmung stehend erklärt mit den Eisenacher Beschlüssen. Ich glaube demgegenüber nicht, daß cs unter sämtlichen Teilnehmern der Eisenacher Versammlung einen so naiven Menschen gegeben hat, der geglaubt hat, daß die etwa fünfzig Nattonalliberalen (etwas mehr als ein Achtel des Reichstages) den Zolltarif auf Grundlage des RegierüngSentwurfes mit erhöhten Getreidezöllen nach dem Eisenacher Beschlüsse im Reichs tage hätten zur Annahme bringen können ohne Zentrum und Konservative. Sollten die erhöhten Getreidezölle etwa mit den Sozialdemokraten und Freisinnigen durch gebracht werden? Wieder ander« Kritiken sagen: Ihr hättet die Sache ja von den anderen Parteien machen hatte, ist der Hauptsache nach in Erfüllung gegangen; denn am 9. Januar beschließt Friedrich v. Esmarch sein achtzigstes Lebensjahr. Wieder haben die näheren Freunde des greisen Gelehrten zur Feier gerüstet, und wieder wirb es ihm an herzlichen Glückwünschen und ehrenden Kundgebungen aus allen Teilen nicht nur Deutschlands, sondern auch von diesseits und jenseits der Ozean« nicht fehlen. Freilich, spurlos ist das achte Jahr zehnt seines Lebens nicht an ESmarch vorübcrgcgangen; das einst so sicher geführte Messer hat der große Chirurg aus der Hand logen müssen, und mit einem Ton der Weh mut bekennt er's dem Fragenden, daß cS mit der ihm so lange erhalten gebliebenen Elastizität des Körpers stark bergab gegangen ist. Er, der noch mit siebzig Jahren keine willkommenere Ferien-Erholung kannte, als im Alpenaebirge dem Gcmsbock nachzusteigcn, ist heute an die Ebene gebunden und muß sich damit be gnügen, bedächtigen Schritte- die Annehmlichkeiten seiner jeweiligen nächsten Umgebung zu genießen. Aber dennoch! Wer den mittelgroßen alten Herrn mit dem fein und doch energisch geschnittenen, vom weißen, gepflegten Voll bart umrahmten Gesicht an frostklaren Wintertagen im Kieler Schloßgarten oder im benachbarten Düsternbrook promenieren sieht, ungebeugt von Gestalt, in meist offen getragenem Gehpelz, fast stets begleitet von seiner Ge- mochlin, der Prinzessin Henriette zu Schleswig-Holstein, hier und da stehen bleibend, um mit einem ihm be gegnenden Freunde, Bekannten oder Kollegen ein paar Worte zu wechseln, wer ihn beobachtet, wie er bet offi ziellen Gelegenheiten — etwa bet der Anwesenheit des Kaisers in Kiel — in seiner Uniform al- Generalarzt allen repräsentativen Verbindlichkeiten genügt, der be wundert trotz alledem die für einen Achtzigjährigen ganz außerordentliche körperliche Leistungsfähigkeit, mit der sich eine noch auffallendere geistige Agilität verbindet. Wurden auch Hand und Augen zu unsicher, um die lasten können, aber selbst nicht mittun. Das verrät so wenig Mut und Ueberzeugung, daß ich gar nicht darüber reden will. Wenn die nationalliberale Fraktion -er Ueberzeugung war, baß zur Durchdringung des Zoll tarifs -er Antrag v. Kardorff das notwendige und ge eignete Mittel sei und daß er mit der Geschäftsordnung nicht im Widerspruch stehe, so mußte sic auch die Verant wortung dafür vor dem Lande mit den anderen Parteien auf sich nehmen und ihn mit einbringcn." Die Obstruktion erkannte in dem Anträge Kardorff, daß für den Zolltarif eine hinlänglich starke Mehrheit sich gebildet und daß sie sich in ihrer bisherigen Taktik ver- griffen hatte. Die Wut darüber durchbrach alle Schranken eines geordneten Parlamentarismus und es folgten jene das Ansehen Les deutschen Reichstags tief erschüttern den Scenen, die ihren Gipfelpunkt erreichten, als der Vorsitzende der GeschästSordnungskommission, Abgeord neter Ginger, offen den Gehorsam verweigerte und cs in der Tat fraglich erschien, ob die Ordnung im Reichstag überhaupt aufrecht zu erhalten sei: der Kampf um die Aktionsfähigkeit des deutschen Parlaments wurde zugleich zu einem Kampfe um die Ordnung. Ein neuer Eingriff in die Geschäftsordnung mußte gemacht werden, um die skrupellose Ausnmtzung -er Reden zur Geschäftsordnung lediglich zur Agitation zu hindern. Wenn trotzdem die Obstruktion auch jetzt noch nicht nachlicß, so sah man doch das Ziel vor sich: die dritte Lesung hatte begonnen. Was wir früher bei dieser Gelegenheit auSgeführt hatten, fin den wir durch Abg. vr Sattler jetzt bestätigt. Er schreibt über diese Schlußsccnen: „Die Mehrheit hatte gar nicht die Absicht, die Vorlage bereits an dem bekannten Sonnabend zu Ende zu führen, nur den 8 1 wollte sie in dritter Lesung beendigen, um dann am Montag weiter zu verhandeln. Als dann aber Herr Antrick bteBerböhnung der Mehrheit so wett trieb, acht Stunden lang zu reden, als er immer noch nicht äuf- hürte, da sagten sich seine Gegner, bas lasten wir uns nicht gefallen, und trotz aller namentlichen Abstimmungen wurde die dritte Lesung 20 Minuten vor 5 Uhr morgens erledigt. Die Obstruktion hatte also wieder das Gegenteil von dem erreicht, was sie erstrebte, und alle objektiven Beurteiler werde« zugcben müssen, daß die Mehrheit gegen eine solche chikanöse und illoyale Minderheit gewiß nicht zu hart gewesen ist." Abg. vr. Sattler schließt seine Darlegungen mit fol genden Ausführungen: „Auch dieser Kampf um die Ordnung im Parlamente und die Aufrechterhaltung seiner Aktionsfähigkeit konnte ohne die nationalltberale Fraktion nicht siegreich durch geführt werden, im Gegenteil, sie hat entschlossen und ent scheidend dabei mttgcwirkt und deshalb auch hierfür die Verantwortung mit zu tragen. Das tut sie aber auch gern, denn sie hat ein gutes Gewissen und kann mit be rechtigtem Stolze auf die nunmehr beendete Aktion zurück- blicken. Es war im nationalen Interesse von der höchsten wirtschaftlichen und politischen Bedeutung, daß mit der Verabschiedung des Zolltarifs die Grundlage gelegt wurde, auf der man zu neuen, Deutschland förderlichen Handels verträgen zu gelangen hoffen kann. Es war eine Tat im Sinne echt liberaler Anschauung, wenn die Partei die Stellung und Tätigkeit -es Parlaments gegen die tyranni schen Gelüste einer radaulustigen Minderheit gewahrt hat; denn die Mitwirkung des Volkes in seiner geordneten Vertretung bei der Gesetzgebung und der Kritik der Ver praktische Tätigkeit des Chirurgen ferner zu ermöglichen, so hat Esmarch damit keineswegs sein Interesse für die Wissenschaft, für die er Bahnbrechendes leistete, ein gebüßt. In seiner Villa auf dem Terrain der akade mischen Heilanstalten, die ihm auf Lebenszeit überlassen worden ist, vermag er sich über alles Interessante auf dem Laufenden zu erhalten, was in seiner unmittelbaren wissenschaftlichen Umgebung vorgeht, und er findet hier jederzeit erschöpfendes Material, um sich auch über die Fortschritte seiner Wissenschaft im weitesten Rahmen zu orientieren. Dazu aber verblieb ihm auch bis an die Schwelle seines neunten Jahrzehnts der ausgeprägte Sinn fllr alles Schöne und Gute; in den besseren Kon zerten und literarischen Vorträgen sucht er Zerstreuung und geistige Nahrung; oftmals sicht man ihn inn die Mittagsstunde die Bildergalerie des Schleswig-Holsteini schen KunstvcreinS durchwandern, und, wenn auch nicht mehr so häufig wie vor Jahren, so zeigt sich der Achtzig jährige doch immerhin noch oft genug auch in seiner Theaterloge. Noch am Tage nach dem letzten Wcihnachtö, feste wohnte ESmarch mit Gemahlin einer Aufführung des „Faust" bei. Kierzum, wer Gelegenheit hatte, den verdienten Mann seit Jahr und Tag in seinen Lebens gewohnheiten zu beobachten, der wird zwar die Wirkung zunehmenden Alter- nicht verkennen, aber ebensowenig die Empfindung haben können, als unterliege er schon heute der Last seiner Jahre. In der Stadt Tönning an der Eidermündung, die ihrem berühmten Lohn neuerdings ein Denkmal zu er richten beabsichtigt, ist Johannes Friedrich August ESmarch am 9. Januar 1828 als Sohn des KreiSphystkuS Esmarch geboren; dort, wo am westschleowigschen Ge stade der grauen Nordsee ernste Lebensanschaunngrn und feste Charaktere gezeugt werden, mag auch die eine Seite feines Leben- wurzeln: da- bet scharfem Blick für die jeweilige Lage der Verhältnisse unerschütterlich straffe waltung ist eine der ersten Forderungen gewesen, welche der Liberalismus überhaupt erhoben hat. Das wird nie mand bestreiten können, der sich nationalliberal nennt, auch wenn er hier und da eine einzelne Maßnahme lieber anders gesehen hätte. Und wenn eine Partei behaupten kann, daß sie bei Len schwierigen Verständigungsversuche» -wischen vier sonst so wett auSeinandergehcnüen Parteien ihren Standpunkt erfolgreich zur Geltung gebracht habe, so ist es sicher die nattonalliberalc. Erhobenen Hauptes können die Vertreter der Fraktion vor ihre Wähler und das Volk hintreten und darauf Hinweisen, daß sie auch jetzt wieder den billigen Ausgleich der verschiedenen Inter esten gesucht haben im Interesse -eS Gesamtvolkes. Die Angriffe auf eine solche ziel- und selbstbewußte Haltung von rechts und links können die Ueberzeugung nur ver stärken, daß die Fraktion recht gehandelt hat, als sie mit voller Klarheit ein entscheidendes Gewicht in die Wag schale warf bet dem Kampfe um den Zolltarif, um die Ord nung und Aktionsfähigkeit deS Reichstage-.". Deutsches Reich. -4- Berlin, 7. Januar. (Die Sozialdemokratie in den Großstädten und „die Fehler der Gegurr") Eme Besprechung über das fünfundzwanzigjahrige Jubiläum ver christlich-sozialen Partei in Berlin schließt die „Kölnische Volkszeitung" mit den Worten: „Die Sozialdemokratie aber ist inzwischen bauptsächlich durch die Fehler ihrer Gegner in Beilin eine Macht geworden." Mit diesem Vorwurfe sollen natürlich nickt nur die christlich-sozialen, sondern auch die gemäßigten Parteien und die Fortschrittler, kurz, alle bürgerlichen Parteien getroffen werden mir AuS- nähme deS Zentrums, das in ver zu neun Zehnteln evangelischen ^>tadt Berlin keine Rolle spielt. Eben weil Berlin eine vorwiegend evangelische Stadl ist, wird daS An wachsen der Sozialdemokratie in dieser größten Stadt des Reichs „den Feblern der Gegner" zuzrschricbcn. Ist denn in vorwiegend katholischen Gbotzstadteu nicht ein ähnliche- An- wachsen der Sozialdemokratie zu verzeichnen? Auch im Wahlkreise München ll hat beispielsweise „seitdem", d. h. seit fünfundzwanzig Jahren, die Sozialdemokratie die gewaltigsten Fortlchntte gemacht. Bei den Wahlen von 1878 erhielt dort das Zentrum 13 400 Stimmen, die Sozial demokratie nur 3200, während bei den Wahlen von 1898 taö Zentrum 12 700 Stimmen aufbrachte gegen 23 100 sozialistische Stimmen. Nicht ganz so enorm wie in diesem zu 89 Proz. katholischen Wahlkreise, aber ebenfalls doch ganz gewaltig ist die Verschiebung in dem zu drei Vierteln katho lischen Kreise Düsseldorf; dort erhielt im Jahre 1878 die Sozialdemokratie noch nicht ganz 500 Stimmen gegenüber 12 000 Zentrumsstimmen, während bei den letzten allgemeinen Wahlen den nicht ganz 18 000 Zentrumsstimmen schon 11 000 sozialistische Stimmen gegenüberstanden. Auch in diesem vorwiegend katholischen Wahlkreise bat also die Macht der Sozialdemokratie in dem letzten Vierteljabrhuodert enorm zugenommen; doch sind wir zu höflich, um diese Tat sache auf die „Fehler der Gegner" — in diesen Wahlkreisen, also doch in erster Reihe des Zentrums — zu schieben. Gewiß bat daS von den Sozialdemokraten aufgebrachte Wort, daß die Partei ihre Erfolge vorwiegend den Fehlern der Gegner zu verdanken habe, in manchen Fällen seine Berech- tigung, aber e« ist, wenn nicht Boeheit, so zum miudesten Gedankenlosigkeit, eS überall und speziell in diesem Falle anzuwrnden. Nicht die Fehler der bürgerlichen Parteien baden die Machtstellungder Sozialdemokratie in vielen großen Städten geschaffen, sondern die einsacheTatsache, daß die enormeZunahme vieler Bezirke dieser Industrie und Handel treibenden Slädte vorwiegend aus die Aibeiterbevölkerung entfallt, die in diesen Städten fast ausnahmslos politisch für die Sozialdemokratie eintritt. In Berlin gehören zu diesen Ardeiterbeznken in erster Reihe der IV. und der VI. Wahlkreis, die seit 25 Jahren Pflichtbewußtsein, das sein Berufsleben im Dienste der leidenden Menschheit in tausend Einzelfällen von ihm forderte. Dort aber, wo die von Buchengrün umrahmte, lachende, blaue Ostsceföhrdc des Menschen Sinne sonnig erhellt und seine Gedanken fröhlich stimmt, sprudelte auch für Esmarch, der bis zu seinem zwanzigsten Lebensjahre das Flensburger Gymnasium besuchte, die Quelle, aus der er die zweite Seite seiuer Persönlichkeit schöpfte: die Freude und Genußfähigkeit fllr alle heiteren und harm losen Darbietungen des Daseins. Gleich empfärrglich fllr Schatten und Licht, fllr Ernst und Frohmut, zog der Jüngling zwecks ärztlichen Studiums im Herbst 1843 in die heimatliche Musenstadt ein, siedelte zeitweilig nach Göttingen über und kehrte nach Kiel zurück, um sich dort am 13. November 1847 im wohlbcstandeucn Staats examen den ersten Charakter zu erobern und ein Jahr später den Beweis zu liefern, daß mit dem Streben nach der Krone der Wissenschaft das Anwachsen brennender Liebe zum politisch gefährdeten Heimatlands, wie sie dazumal au der schleswig-holsteinischen LandeSunivcrsität gehegt und genährt wurde, gleichen Schritt gehalten hatte. Dcun als am Frühmorgcn des 24. März 1848 vom Kieler Rathaus der Ruf zum Kampfe um die Freiheit der Herzogtümer erschollen war, da trat auch Friedrich Es- march dem Korps der Turner und Studenten bei und zog mit ihm hinaus, anfangs mit dem Degen in der Faust, dann diesen mit der BerbandStaschc des Unter arztes vertauschend. Aber schon wenige Tage später machte der v. Avril bei Bau der KampfeSfreude der juirgen Schar ein Ende; und mit den übrigen gefangenen „Insurgenten" wurde auch Esmarch auf die vor Kopen hagen ankernde „Dronning Marie" verschleppt, von der er erst Mitte Mai, nach wochcnlangrr schmachvoller Be handlung, auf dem Wege der Auswcchsclung erlöst wurde, mn nun zunächst in den Flensburger «riegslaza retten die ersten Proben seiner unter Lairgenbccks Leitung er-
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