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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 01.02.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-02-01
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010201026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901020102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901020102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-02
- Tag1901-02-01
- Monat1901-02
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Freitag den 1. Februar 1901. Anzeige« »Preis die 6 gespaltene Petitzeile 2d H. Reklamen unter dem RedactionSftriq (4 gespalten) 75 H, vor den Familienuach- richten (6 gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsap entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisung«.« und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Grtra - Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen.Ausgabe, ohne Postbesörderung ÜO.—, mit Postbeförderung .4l 70.—. Ä.nnahmeschluk für Änzeigen: Abend-Ausgabe: Bormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe' Nachmittags 4 Uhr. Bei de« Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anzeigen find stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet oon früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag vo« E. Polz t» Leipzig. 95. Jahrgang. Der Krieg in Südafrika. —Der unermüdliche, bald da, bald dort erscheinende, nie zu fassende Le Wet beabsichtigt bekanntlich neuerdings einen Borstoß auf die Cap- rolonie, wo er mit seinem auf etwa 3000 Mann angegebenen Corps allem Anscheine nach sehnlichst erwartet wird. Nördlich von Thabanchu hat er, von General Knox „verfolgt", diesen nach scharfem Gefechte bei Seite gedrängt und ist unaufhaltsam weiter nach Süden vorgedrungen, worüber heute folgende Meldung vorliegt: * London, 31. Jaunar. Lord Kitchener telcgrophirt heute aus Pretoria: General Knox hat ani 29. d. M mit de» Truppen Te Wct's südlich vo» Wclcomc ein hicfecht gehabt. Nach mehrstündigem ununterbrochenen Kampfe liehe» Sie Boeren fünf Tobte ans dein Lchlnckt- feide. Tret Boerc» wurden gefangen genommen. Tic Boeren haben eine grofzc Anzahl Vriwnnöeter mit genommen. Ans englischer Leite wurden ei» Oincier und ein Mann grtödtct, ei» Major nnd zwei Mann ver wundet. — Gestern Abend haben die Trnppcn Tc Wet's San» bei AsraelSport die nach Bloemfontein führende Bahnlinie überschritten. Tic Kolonne des Generals Bruce- Hamilton, welche in der Nähe lagerte, konnte nicht mehr mit dem Feinde in Fühlung tommcu. Ist das Welcome nordöstlich des Eisenbahnlnotenpuuctes Springfontein gemeint, so steht De Wet nur etwa noch 70 Kilo meter von der Grenze des Caplandes entfernt. Kostbar ist wieder, wie Kitchener den thatsächlichen Ausgang der Kämpfe mit De Wet, sein rasches Vorwärtsdringen, welches die Engländer nicht zu hindern vermögen, zu verschleiern sucht. Offenbar vermochte General Knpx, weil das mehrstündige Gefecht für ihn ver- hängnitzvoll geworden war, und cs ihm an Eavallerie fehlte, De Wet nicht zu folgen. Er muß ihn, Gewehr bei Fuß, weiter ziehen lasten und noch obendrein mit anseh:», wie er dem General Bruce-Hamilton, besten Aufklärungsvienst natürlich wieder gleich Null war, an der Nase vocbciscylüpfte. Unterdessen sind die Engländer — und das hemmt vor Allem eine energische Verfolgung De Wet'S und das Vorschieben größerer Truppenkorper in die Capcolonie — nach wie vor ¬ östlich von Pretoria erheblich in Anspruch genommen. Hierüber wird uns neuerlich berichtet: London, 31. Januar. Lord Kitchener meldet weiter aus Pretoria: General French säubert mit seiner Ka vallerie und berittenen Infanterie das Land ö st l i ch von Pre toria und Johannesburg zwischen den nach der Telagoa-Bai und Natal führenden Bahnlinien. Gestern stieß ec im Thal des Wilgc aus etwa 2000 Boeren. Ter Feind zog sich indessen mit einem Verlust von vier Tobten und neun Ver wundeten zurück. Auf britischer Seite betrugen die Verluste einen Tobten und sieben Verwundete. Also immer wieder dasselbe Spiel: ermüdende, aufreibende Gefechte mit den Boeren, 'oie kräftig zu fasten und unschädlich zu machen, die schwerfälligen, stets wieder nach Den Bahnlinien zurückstre'bcndcn Engländer nicht im Stande sind, selbst nicht der gefürchtete French, besten forcirtc Rciterattacken seiner Zeit, als die Engländer noch über genügendes Pfcrdematerial verfügten, viel von sich reden machten. Dabei rann er noch von Glück sägen, daß es ihm nicht wie General Smith Dorricn gegangen ist, der, wie gemld-et, vor einigen Tagen bei Carolina mit blutigen: Kopfe heim nach Pretoria geschickt wurde. Das Schmachvollste aber für die Art dec englischen Krieg führung ist der Umstand, daß fast vor den Thoren von Johannes burg die Werke der Goldminen von den Boeren überfallen und mehr oder minder beschädigt werden konnten. Wie lange wird der Krieg noch dauern ? Londoner Zeitungen vom 30. Januar veröffentlichten den Brief eines Osficiers vom Generalstabe Lord Kitchener's an seine Angehörigen, worin der Officier erzählt, Lord Kitchener habe sich privatim geäußert, die Ansicht, daß der Krieg noch fünf Jahre dauern werde, sei keineswegs zu pessimistisch, denn er glaube nicht, vor Ablauf dieser Zeit in der Lage zu sein, mit dem größten Theili der Armee Südafrika verlassen zu können. Ein Berichterstatter, der den Kriegsminister über diese Aeuße- rung Lord Kitchener's interviewen wollte, erhielt von einem höheren Beamten folgende bezeichnende Antwort: „Von dem er wähnten Briefe wissen wir selbstverständlich nichts. Wo» die Aeußerung Lord Kitchener's betrifft, so mag er sie ja vielleicht gemacht haben, um lästige Frager loszuwerden" (?!). Aus Pretoria wird unterm 29 Januar gekabelt: Schalk Burger, der frühere Vicepräsident des Transvaal, hat den Sitz der Bocrcnrcgicrung nach Tas berg verlegt, einer fast uneinnehmbaren Stellung nördlich von Middelburg. politische Tagesschau. * Leipzig, l. Februar. In die Debatten des Reichstags über den Etat des ReichsamtS des Innern ist zwar gestern ein etwas frischerer Zug gekommen, aber mit Recht fragt man sich, wie lange daö dauern und wann das beschämende Schauspiel, welches das Haus während der öden Beratbungen über daS Gehalt kcS Staatssekretärs deS Innern elf Tage lang gab, von Neuem beginnen werde. In der Berurtheilung dieses Treibens ist die gesammte Presse mit AuSvabme der socialdemvlratischcn einig; selbst daö Organ des Abg. Richter schrieb dieser Tage: „So wie jetzt im Reichstag über den Etat LcS ReichSamlS des Innern verbandelt wird, kann eS nicht weiter gehen. Es werden sachliche Interessen gcickädigt, cS wird Zeit ver schwendet und eS wird den Mitgliedern di? Tbeilnabme an Len Plenarsitzungen geradezu verlewer." So ifl eS in der Tbak. Bor Allem aber wird das Ansehen der parlamen tarischen Einrichtungen im Volte heillos herabgezogen. Und das bereits gesunkene Ansehen kann auch nicht gehoben werden dadurch, daß Blätter, in Lenen man Li: Ansichten von Fraclivnssüdrern zu finden gewohnt ist, die Behauptung auf stellen, Lurch die Gewährung von Diäten oder Anwcsen- beitsgeldern werde mit einem Schlage das Nebel be seitigt werden, da mit der häufigen Beschlußunfähigkeit des Hauses auch der Zwang Wegfälle, von Anträgen aus Schluß der Debatte abzuscben und Len berüchtigtsten Dauer rednern freies Spiel zu lassen. Man wird ja auS mehr als einem Grunde um die Einführung von Anwesenheitsgeldern nicht hcrnmkommen; aber vou einer solchen Maßregel die Beseitigung gerade des soeben wieder zu Tage getretenen UebelS zu erwarten, heißt die Ursache desselben verkennen, nnd so lange man hierüber im Unklaren ist, wird auch die Besei tigung ein frommer Wunsch bleiben. Mit vollem Rechte führt der „Schwäb. Merk." Folgendes auS: „ES mag zugegeben werden, daß Las Fehlen der Diäten die Präseozziffer des Reichstag- von jeher ungünstig beeinflußt hat; aber früher ist die Beschlußunfähigkeit doch immer nur ein AuS« In ahme zu st and gewesen, während sie seit den letzten Jahren die I normale Verfassung deS Reichstags ist. Das kann doch nur in I einer inzwischen rittgetretenen Veränderung in derZusammen- e jetzung des .Hauses, in der Qualität der Verhandlungen und deren Führung seine Ursache hoben. Ein unparteiisches Ur- tdeil kann nur dahin lauten, Laß die Frequenz Les Reichstags am besten gewesen ist, so lange die Nationalliberalen den vor wiegenden Einfluß besaßen, und Laß sie ihren Tiefstand erreicht hat, seitdem das Ceutruin an ihre Stelle getreten ist. Eine Partei, die selbst den Anspruch erhebt, als die „führende" respectirt zu werden, hat in erster Linie die Aufgabe, allen Anderen als Muster gewissenhafter Pflichterfüllung voranzugehen. Vom Centrum kann man nur sagen, daß es geradezu das Beispiel des Absentismus giebt. Abgesehen von der württembergischen Bolkspartei ist keine andere Partei regelmäßig so lückenhaft vertreten, wie das Centrum. Nur bei Gegenständen, die ihm für seine ganz specifischeu Interessen am Herzen liegen, vermag es seine Schaaren in Berlin zu versammeln.- So bei der Debatte über Len sogen. Toleranzantrag und bei der Poleudebattc der vorigen Woche, welche beiden Tage unter dem Gesichtspuncte der Präscnzziffer fast die einzigen Lichtpuncte der bisherigen Tauer der Session gewesen sind. Es liegt ans der Hand, daß bei eineui solchen Zustand auch vou einer wirklichen Führung der parlamentarischen Dinge durch die „regierende" Partei nicht die Rede sein kann. Daher auch der Mangel jeder erkennbaren Spur einer plan- mäßigen Oekonomie in dem Arbeitspensum der Session. In den großen Fragen, in denen das Centrum sich seine berühmten „nationalen" Verdienste erworben hat, ist die Entscheidung über alles Maß hinausgeschoben worden, um schließlich mit Hängen und Würgen in einer halbwegS befriedigenden Gestalt durchgedrückt zu werden. Tas ist typisch für die durch das Centrum eingeführte Geschästsbehandlung. Und da will man sich noch wundern, wenn nach und nach alle ArbeitSsreudigkeit im Reichstag verloren geht! Die Folge ist, daß nicht Las Centrum, sondern die Socialdemokratie die Tebatten beherrscht. Qb die Einführung von Diäten in diesen Zuständen Wandel schaffen würde, ist immerhin zweifelhaft. Man könnte sich sogar die Möglichkeit vocstelleu, daß zum Mindesten das Uebel der end- , lo"-! Vielrederei auf dem Boden des Tiätengenuffes erst recht rns Kraut sasießen wurde; und dann würde den Mitgliedern die Theilnahmc an den Plenarsitzungen auch fernerhin „geradezu ver leidet" werden, und man befände sich vou Neuem in dem alten cireulus vitiosus. Wie dem aber auch sei, wer ernsthaft an die Heilung Les kranken Reichsparlamentarismus gehen will, wird gut thun, nicht alle Hilfe von der Einführung der Diäten zu erwarten. Wie die ver bündeten Regierungen heute über diese Frage denken, ist nicht bekannt. Naturgemäß kommen für sie in der Beurtheilung derselben noch ganz andere Eesichtspuncte in Betracht, die sie dem Bedürsniß deS Reichs tags nach einem Heilmittel gegen die Pflichtvergessenheit seiner Mit glieder unterzuordnen kaum geneigt sein werden. Niemand kann ihnen verdenken, wenn sie dem Reichstag zu verstehen geben, daß es in erster Linie seine Sache sei, seine Würde zu wahren. Tie „Freis. Ztg." meint, eS sei „hohe Zeit, den groben Fehler der Tiätenlosigkcit der Abgeordneten auS der Reichsverfasfung auszu- merzen". Wir wollen darüber nicht streiten, halten es aber für unmittelbar wirksamer, wenn allgemein das Bewußtsein durchdränge, Laß es hohe Zeit sei, den grobe» Fehler der Gewissen- losigkeit der gewohnheitsmäßigen Absentisten zu bc- jeitigen." Das trifft den Kern der Sacke. Da eS aber gerade die „herrschende" Fraction des Reichstags ist, welche die Haupt schuld trägt, so wird eS sehr schwer sein, Wandel zu schaffen. Es wird dies nur möglich sein, wenn die übrigen Fractwnen durch rücksichtsloses Vorgehen gegen ihre eigene» säumigen Mitglieder das Eentrum zu gleichen, Vorgehen zwingen. Vielleicht würde es schon von günstigem Erfolge sein, wenn die Nationalliberalen mit den beiden conservativen Fraktionen sich vabin einigten, am Schlüsse jedes TagungSabschnitteS eine Liste zu veröffentlichen, in der genau angegeben wäre, wie oft jedes Mit glied mit und ohne Entschuldigung gefehlt bat. Jedenfalls würde diejenige Fraction, die mit gutem Bei spiel voranginge, nicht nur ein Verdienst um das Haus uud sein Ansehen bei den Wählern sich erwerben, sondern auch ihr eigenes Ansehen erhöhen. Wenn der letzte internationale Congreß der SocialLemo- kratie Len augenfälligen Beweis erbracht bat, daß die deutschen und die französischen „Genossen" immer weiter auSeinandergeratben, statt sich weltbrürerlich naher und näher zu kommen, so bat in diesen Tagen ein Führer der englischen Arbeiterbewegung, William Sander-, es den deutschen Socialdemokraten in Berlin selbst bestätigt, Laß auch die Kluft zwischen ihnen und der englischen Bewegung nur größer und keinesfalls zu überbrücken sein wird. Herr Sanders hat in der Deutschen Gesellschaft für ethische Cultur im Berliner Rath baussaale einen Vortrag über die moderne Arbeiter bewegung gebalten. Die Socaldemokraten mochten wohl vorhersebeo, was da kommen würbe, denn sie verfehlten nicht, in einem starken Trupp zu erscheinen, um ihre starre Satzung gegenüber dem englischen Gaste so gut als möglich zu verlheivize». Nun bat sich ja Herr SanverS alle Mübe gegeben, deu Svcialdemokraten die Pille zu versüßen, damit sie dieselbe ohne Widerspruch hinunter schlucken möckien. Aber bei aller schonungsvollcn Rücksicht auf Leu sinnlosen Charakter der von der Socialtemokratie gestempelten Arbeiterbewegung in Deutschland konnte Herr «sanderS Loch nickt umhin, gelegentlich Vas Kind beim reckten Namen zu nennen. Daö Eindringen sociald-mokratiscker Parteiteuvenzen in dw) englische Arbeiierbewegung be zeichnete SanverS als — vorübergebende Erscheinung. Im Wesentlichen ist sie schon vorübergegangen. B,S 1885 konnten die Massen der englischen Arbeiter überhaupt nickt von der Nothwendigkeit selbstständigen politischen Wirkens überzeugt werden. Dann führte der damals ii scenirtc Massenaustritt Ler Arbeitslosen einen Wandet der Dinge herbei, — aber wie lange? Nur so lange, bis auch die ungelernten Arbeiter gewerkschaftlich organisirt waren, um sich fortan als Gewerkschaftler, nicht mehr als Classen- käuipfer zu fühlen, um als Gewerkschaftler mit allen politischen Parteien in Verkehr zu treten, bei allen sich der wohlwollenden Unterstützung ihrer Forderungen zu ver gewissern u. s. w. „Weil sie mit ihren wiribsckaftlichen Er folgen zufrieden waren, verloren sie wieder das Iuter.sse für rie unabhängige Arbeiterpartei", — sagte Herr Sauters laut Bericht LeS „Vorwärts". Der Sinn der englischen Arbeiter ist eben, wie er nachher noch ausdrücklich bestätigte, „mehr auf die Erreichung praktischer Erfolge als auf theo retische Erörterungen gerichtet." So sehr, daß auch die unabhängige Arbeiterpartei von der Führung eines Classen- kampfeS abseben und, wenn sie überhaupt existiren will, aus äußerst Praktische Ziele hinwirken muß; sie hat sich — wie Herr Ferrrlletoir. Die Geschwister. Lj Roman vou Alexander Römer. NaLLrock rrrloi«». „Bist Du toll, Poldel? Heute, wo nichts vorbereitet ist, wie kannst Du der Mama das zumuthen! Unsere Räume sind überhaupt viel zu klein für solche Kneipgrsellschaft." „Hoho! Jungfer Vorlaut, gleich ist sie mit ihrem Rapp- schnadel da." „Aber bitt«, mein lieber Junge", warf jetzt die Doctorin ein, d« ihre Stimme eben wieder gewann, „das geht ja wirklich nicht, das ist ja ganz unmöglich — wo sollten wir bleiben. Wenn man sich vorher darauf eingerichtet hätte " „Bitte, mich gnädigst einmal anzuhören", unterbrach sie Leopold, ich war auf diesen Sturm bei meinem zimperlichen Frauenzimmer gefaßt und habe schon alle schwierigen Fragen erwogen. Ihr räumt für uns die Wohnstube, richtet hier in diesem kleinen Eßzimmer ein Büffet ein, geschnittene Butter- brode mit verschiedenen Fleischsorten belegt, Heringssalat und em paar Torten. Vor allen Dingen sorgt Ihr für Gläser —. ein Fäßchen Bier besorge ich, das wird hier aufgelegt und fröh lich ausgetrunken." „Wie viele hast Du denn eingeladen?" fragte die Mutier kleinlaut. „Hm — eit loerden vierzehu, darunter sind mehrere, die morgen in die Ferien reisen, daher mußte es heute sein." „Vierzehn!" echote die blaffe Frau in einem Ton, der eine mitleidige Seele erschüttert hätte. Ellen stand mit blitzenden Augen. „Poldel! Du bist rück sichtslos, wo denkst Du eigentlich, daß wir, di« Mutter rind ich, bleiben sollen?" „Puh! Mamsell Grobian! Andere Schwestern lieben ihre Brüder und bringen gern rin kleines Opfer. Ihr habt doch Euer Schlafzimmer, vor acht Uhr kommt Niemand, und dann geht Ihr ja bald zu Bett, ick stelle von da ab kcine An forderungen mehr an Euch." „Zu gütig! Du erlaubst uns also, die Nacht bei Eurem Gejohle wachend zu verbringen." Die Mutter war schweigend in die teiickc gegangen, um oie Suppe zu holen, sie hielt sich kein Mädchen, nur eine Aus- wärterin, welche in den früh:« Morgenstunden die gröbsten Ar beitest bifoxgte, Sie mußte sich erst, besinnen, des Sohnetz Ein richtungen, die cr, ohne ihre Zustimmung einzuholen, getroffen, warfen ihre geringe Fassung über den Haufen. „Laß nur, Ellen", sagte sie jetzt, während sie die Terrine mit der dampfenden Brühe auf den Tisch setzte, „wenn er seine Freunde bereits cinqeladen hat, so ist ja nichts mehr zu ändern. Wir wollen nur erst essen, und muffen dann daran gehen, das Nöthi>te zu besorgen und die Stuben auszuräumen." „Mama! Du bist — Du bist einfach zu gut und zu nach giebig" — rief Ellen entrüstet. „Wenn ich cm Deiner Stelle wäre, Leopold —" „Nun — was wolltest Du denn beginnen, kleine Weisheit, solchen zwingeirden Gründen gegenüber", fragte der junge Herr spöttisch, indem er behaglich seine Suppe löffelte. „Was ich begänne — ich will es Dir sagen. Ich wäre offen und wahr und spräche ehrlich mit meinem Vormund und Gönner, der mir eben die hübsche Summe übergab. Ich sagte ihm, das; ich als Primus eine althergebrachte Gewohnheit inne halten müsse — cr wird das so gut wissen wie Du — und daß ich meiner schwachen Mutter die Unruhe nicht zumuthen könne, also " Leopold lehnte sich hintenüber uud lachte laut.. . . „Ei! Du bist ja superklug — waS weißt Du von den Schrullen dieser alten Mumie — einen Abiturientenschmaus hat der in seinem Programm nicht vorgesehen, und waS nicht darin steht, das giebts nicht." Poldel war doch roth geworden und sah jetzt sehr ge ärgert aus. Ellen beachtete es nicht. Ihre ehrliche Natur sträubte sich zu sehr gegen diese Heucheleien und Heimlichkeiten. „Wo ich mit der Wahrheit nicht durchkäme, ließe ich es darauf ankommen", sagte sie trotzig, und oon einer „Mumie", für die ich weder Respekt noch Liebe empfände, nähme ich keine Hundertmarkscheine an. Eher ginge ich betteln." Poldel sah jetzt kirschroth aus im Gesicht und warf der Schwester einen wüthenden Blick zu. „Mama! Du solltest Ellen besser erziehen", rief er, „sie ge wöhnt sich eine Art zu reden an —" „Ich mag es gar nicht, wenn Ihr Beiden Euch zankt", sagte die blaffe Doctorin, während Ellen schweigend die Teller ab räumte und in die Küche ging, das Fleischgericht zu holen. Ihre Haltung war fest und stolz als sie sie Stube verließ, in ihr qährte und lochte es, sie tadelte innerlich auch die Mutter ob ihrer Nachgiebigkeit, und sie fühlte sich mit ihrer Auffassung der Dinge vollkommen im Recht. Als sie wieder cintrat, hörte sic noch den Schluß von der Mutter Rede. „Du, Poldel, mußt ja später Eüen's Stütze und Versorger sein, wen» sic sich nicht verheirakhet, >vas wohl sehr fraglich ist." „Ja freilich, und beneiden möchte ich den Mann nicht, der sie kriegt", brummte Poldel grimmig. Ellen lachte. Diese Wendung kam ihr zu komisch vor. „Wenn ich einmal hcirathen will, werde ich mir wohl selbst den Mann dazu aussuchen und Dich nicht bemühen", meinte sie übermüthig, „und wenn ich iricht heirathe, so kannst Du auch getrost sein, daß ich Dich nicht in Anspruch nehme, ich habe gottlob ein paar feste Füße, um darauf zu stehen!" Poldel zuckte jetzl nur geringschätzig die Achsel, und DaS Mahl wurde unter allgemeiner Schweigsamkeit zu Ende gebracht. Dann erhob sich der junge Herr und erklärte die Einkäufe für den Belag der Butterbrodc selbst besorgen zu wollen, die Mutter möge nur alles Uebrige Herrichten. Er ging brummend und fand sich äußerst bcmitlei'denswerth, wegen dieser engen, armseligen Verhältnisse, wo das Einfachste und Selbstverständlichste erst er- kämpft werden mußte. Ellen berieth untcrdeß mir der Mutter, auf deren schmalen Wangen schon die hektische Röthe der Aufregung brannte. Sie rannte dann mit ihren flinken Beinen in der Stadt herum, um Fehlendes herbeizuschaffcn, die Stunden vergingen im Fluge unter dem Anfertigen di«ser Berge von Butterbroden, dem Mischen des Salats, dem Umrücken der Möbel und der für diesen Zweck nöthigen Umgestaltung der kleinen, behaglichen Räume. Todmüde und erschöpft zog sich die Doctorin, als das Gepolter auf der Treppe die Ankunft der Eingeladenen verkündete, in das kleine Schlafgemach zurück und streckte sich auf ihr Bett. Ellen hatte auch brennende Wangen und müde Beine, aber sie hatte sich, ihrer leichtlebigen Jugend gemäß, schließlich für ihre Aufgaben interessirt und mit anerkennenswerther Energie Brod- schmtten mit Butter bestrichen und die Fleischsorten darauf ver- theilt, auch zuletzt ein paar schöne Schnitten selbst mit großem Appetit verzehrt. Sie setzte sich daher mit einer gewissen Befriedigung auf den Rohrstuhl vor ihrem Bett, und fing jetzt erst an, den Zustand trostlos langweilig zu finden. Beim Anblick ber erschöpften Mutter gewann die Entrüstung wieder in ihr die Oberhand. Solche Jungens waren gräßlich egoistische Geschöpfe, und rhr Poldel, den sie sicher von Niemand sonst verunglimpfen ließ, machte keine Ausnahme. Da ging nun jenserns der leichten Thiire da» Getrampele Ws, Stühle scharren^ Bewillkommnen, Redensarten — sie vernahm jedes Wort. Ern Lächeln glitt über ihr Gesicht, es amüsirte sie, einmal zu erfahren, wie sich die Jungens anstellten, lvenn sie unter sich waren — sie kannte ja die meisten der drinnen An wesenden. Ha! Jetzt zapfte Poldel das Faß an und nun wurden sie lebendig. .Poldel hatte Singbücher auf den Tisch gelegt, aber die Kehlen mußten erst angefeuchtet werden, ehe der Rundgesang beginnen konnte. Die Mutter hatte die Augen geschlossen, Ellen beugte sich über sie. „Mütterchen, soll ich Dir eine Tasse Thee macken, ein Brödchen habe ich Dir auch bei Seite gestellt, Du hast seit Mittag nichts gegessen." „Nein, laß nur, Kind, ich könnte nichts genießen — höre! Sie singen — wie hübsch das klingt — diese jungen, hoffnungs frohen Menschen, so blühend in ihrer Kraft und Gesundheit. So war Dein Vater, als wir uns kennen lernten. Achs Ellen !" Die schwache Frau umschlang ihr Töchterchen und weinte in ihrer nervösen Erregung. Ellen stand unbeweglich und streichelte Der Mutter Haar. Sie horchte auch den feierlichen Klängen des Rundgesanges, dabei flogen allerlei abgerissene Gedanken durch ihren Kopf. Wie Ivar Denn Das Leben eigentlich? Sie war ein Mädchen, und sah es wohl nur von seiner schmälsten Seite. Warum war denn das Loos dec Mädchen und der Knaben so verschieden? Und warum war sie gerade als Mädchen in die Welt gekommen? Es däuchte ihr, als ob sie die Aufgaben der andern Hälfte recht gut zu bewältigen vermöchte. Ihr Zeugniß lag da im Pult, unberührt. Niemand hatte darnach gefragt. Niemand es angesehen. Des Poldel's Semesterabschluß wurde zu einem Ereigniß ersten Ranges gestempelt. Sie hatte auch einen Hellen Kopf, war reichlich so fleißig gewesen wie der Bruder, darnach krähte kein Hahn. Dor ihr lag keine „Lauf bahn", wenn sie sich ihr Brod auch sicher allein verdienen mußte. Der Gesang verstummte, wirrer Lärm folgte, eS wurde drüben immer lebendiger. Ellen überredete die Mutter, sich zu entkleiden und fest niedrr- zulegen. „Du hast gewiß Dein Kopfweh", sagte sie besorgt. „Lcidcr! Aber cs wird schon vorübergehen." „Na, das fehlt noch, wie sollst Du da diesen Lärm aushalten." Die Mutter klagte nie — daS war der Frauen Art — solch' «ine Frau mußte sie auch werden. Tie half der Mutter beim Ausklriden, stopfte ihr Baumwolle in die Ohren, aber was half das gegen diese höllischen Fanfaren. Jetzt wurde der Salamander gerieben, dann Lckits, bibltc- gcsunaen — ja, das wurde nett. Sie saß noch ein Weilchen, das Lickt blendete der Mutter Augen, sie löschte eS und legte sich auch nieder, und da lag sie nun im Dunkeln mit wachen Sinnen und dachte über allerlei nach. DaS Lärmen dauert« fort — einzelne Liedrr, welche folgten, hatten einen sonderbaren Text, der ihr dir Röthe in dir Vang»»
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