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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 10.01.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-01-10
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020110025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902011002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902011002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-01
- Tag1902-01-10
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Ämlsötatt des Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Rathes und Nolizei-Äintes der Stadt Leipzig. Anzeigen »PreiS die 6gespaltene Petitzelle 25 H. Reklamen unter dem Redactionsstrich (4 gespalten) 75 H, vor den Familiennach- richten (6 gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Extra Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgenausgabe, ohne Postbesörderung ./L 60.—, mit Postbesörderung ./L 70.—, Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Nr. 17. Freitag den 10. Januar 1902. 88. Jahrgang. Der Krieg in Südafrika. Sine neue „unfehlbare" Militärreform für Südafrika. Aus London schreibt man uns: Abermals hat das Kriegs amt eine „Reform" herausgefunden, deren Durchführung unfehl bar die schleunige und völlige Vernichtung der Boeren herbei führen wird. Gleich nach ssiner Rückkehr hatte Lord Roberts eine Commission von Officieren beauftragt, eine neue Form der Bepackung für die Truppen in Südafrika aufzustellen, um die Mannschaften von allen unnützen Lasten zu befreien und dadurch ihr« Marschfähigkeit zu erhöhen. Es stellte sich jedoch in der Praxis heraus, daß sich die Mannschaften bei größeren Märschen auch ohne jede besondere Anordnung ihrer Gepäckstücke entledigten und kaum noch Mantel und Patronengürtel mit sich tragen wollten. Deshalb erklärte schließlich Lord Kitchener, er könne überhaupt nur noch berittene Mannschaften gebrauchen, und jetzt endlich hat man herausgefunden, daß 'auch die sogenannte be rittene Infanterie viel zu schwerfällig ist, um den Kleinkrieg mit den viel flinkeren Boeren erfolgreich weiter führen zu können. So will man denn jetzt eine „wirklich leichte Reiterei" Herstellen. Man hat ausgerechnet, daß bisher die vorschriftsmäßige Be packung eines Reiters, einschließlich der Waffen, 281' Pfund (etwa 250 deutsche Pfund) beträgt, wozu die Kleidung des Reiters mit noch 30 Pfund hinzukommt. Das Mindergewicht des Reiters selbst beträgt bisher 125 Pfund, so daß das Pferd im Ganzen 4J6 englische Pfund (etwa 195 Kilo) zu tragen hat. Dem soll nun in doppelter Weiss abgeholfen werden. Die Gesammt- belastung, einschließlich der Kleidung, soll auf 250 Pfund und das Mindestgewicht des Reiters auf 110 Pfund (etwa 99 deutsche Pfund!) herabgesetzt werden. So wird also künftig der britische Normalreiter in Südafrika mit »sack und Pack 160 Kilo wiegen, was nach Ansicht der britischen Strategen die Bewegungsfähigkeit der Truppen verdoppeln müßte. — Aber die Reform soll noch einen zweiten Gewinn bringen. Thatsächlich war die Forderung des Mindestgewichtes von 125 Pfund das größte Hinderniß einer schnellen Recrutirung, da das Durchschnittsgewicht der mit Th«, Beefsteak und Fuß ballspiel großgezogenen englischen Jünglinge kaum noch einen Centn« beträgt. Wird man jetzt selbst also die dünnen und schwächlich gebauten jungen Leute für die berittene Infanterie annehmen, so hofft man, endlich die genügenden Truppenmassen zur völligen Bezwingung der Boeren zu erhalten. Der Friedens-Aufruf der Schweizer Frauen. Der von den protestantischen Frauen der Schweiz an die „protestantische Frauenwelt Englands" ge richtete Aufruf, die baldige Herbeiführung des Friedens in Südafrika mit allen Mitteln zu erstreben, ist völlig ungehört verhallt. Das Schriftstück war von fast sämmt- lichen Gattinnen der Geistlichen -des caldinischen und des zwing- lianischen Bekenntnisses, sowie von Tausenden anderer angesehe nen Damen unterzeichnet und kurz vor dem Weihnachtsfeste an Li« gesammte englische Presse, besonders auch an die überaus zahlreichen kirchlichen Wochenblätter Englands versandt worden. Kaum ein Dutzend Zeitungen und Zeitschriften druckten jedoch den Aufruf vollinhaltlich, oder auch nur zu einem größeren Theile ab. Eine Anzahl Blätter begnügte sich damit, in wenigen Zeilen den Empfang des Aufrufs zu bestätigen, während die Mehrzahl nicht einmal dies für die Sache übrig hatte. Zu schriften von bekannteren Führerinnen der englischen Frauen bewegung, in denen dem schweizerischen Frauencomitv die Zu stimmung ausgesprochen und Unterstützung der Friedens bemühungen zugesichert wurde, sind gar nicht eingeqangen. Nur »einige weniger bedeutende Frauenvereine antworteten mit.den »üblichen Ausdrücken des Bedauerns, daß leider die englischen I Frauen gänzlich ohnmächtig seien, auf die beiden kriegführenden Parteien im Interesse der Friedensschließung einzuwirken. * London, 10. Januar. (Telegramm.) Gestern ist ein be. sonderer Armeebefehl erlassen worden, der ankündigt, daß beschlossen worden sei, neue Compagnien freiwilliger Infanterie zu errichten, um allmählich die in Südafrika dienenden Truppen zu ersetzen. Politische Tagesschau. * Leipzig, 10. Januar. Da der Reichstag vorgestern bei der Rede dcS Reichs kanzlers über die Chamber la in'schen Schmähungen nur schlecht besucht war und nur ein Redner auS dem Hause ausdrücklich seine Zustimmung zu dieser Abfertigung halte aussprechen können, so hätte man erwarten sollen, daß gestern die Säumigen sich einfinden würden, um mit Hand und Mund den FraclionSrednern, die ihr dankbares Einver- ständniß mit jenen Ausführungen des Grafen Bülow bekunden wollten, beizupflichten. Aber unsere „Reichsfaulen" haben gestern bewiesen, daß sie die von ihnen übernommenen Pflichten auch bann verabsäumen, wenn es gilt, auch ihrer seits eine der Nation angethane Beschimpfung abzuwebren. Herr Chamberlain und der ihm ergebene Tbeil der eng lischen Presse dürfen freilich daraus nickt schließen, daß die deutschen Wähler so lau und gleichgiltig wären, wie em Tbeil der Reichstagsabgeordneten. Wie irrig ein solcher Schluß wäre, ergiebt sich daraus, daß gestern alle Parteiredner, Männer, die gewissenhaft ihrer Pflicht nachkommen und deshalb die große Masse der Wähler hinter sich haben, auf die vorgestrige Rede des Reichskanzlers beipflichtend Bezug nahmen und den Beweis erbrachten, daß es in den von dieser Rede berührten Puncten keine Meinungs verschiedenheiten im deutschen Reichstage giebt. Wenn von der conservativen Partei bis zu den Socialdcnrokraten die gewissen hafte Vertretung des deutschen Volkes ihr unbedingtes Ein- verständniß mit der Antwort erklärt, die den Aeußerungen des Herrn Cbamberlain vom deutschenReichskanzlerzutheil geworden ist, so wird dies im Auslande, wo man leider nicht obne Grund in Fragen nationaler Ehre und nationaler Interessen Meinungsverschiedenheiten zwischen den politischen Parteien Deutschlands vorauSzusetzen gewohnt ist, sicherlich nicht obne einen gewissen Eindruck bleiben. Wie vorgestern der Socialdemokrat Südekum, so nahm gestern nicht nur der Centrumsredner, Abgeordneter Bachem, sondern auch Herr Richter und der noch zweifelloser englandfreuudlichc Ab geordnete Schrader entschieden Stellung auf der Seite des über die Chamberlain'sche Provokation empörten NationalgefüblS, dem durch den Verlauf der vorgestrigen und der gestrigen Debatte in dieser für die deutsche Seite nunmehr erledigten Angelegenheit in erfreulicher Weise Genüge geschehen ist. Im Uebrigcn hielt sich die Debatte au die Finanzfragen. Die Abgg. Bachem und Richter kamen darin überein, daß sie die Ergänzungsanleihe grund sätzlich ablehnten und ebenso die Perspective auf neue indirekte Reichssteuern abwieseu. Sie wollen daö Budget durch Be-! schränkung der Ausgaben inSGleichgewicht zu bringen suchen und I machten sich gegenseitig das Verdienst streitig, schon bisher 1 „gebremst" zu haben. Daß auf diesem Wege das Ziel nicht zu erreichen sein dürfte, schien indessen der Abg. Bachem zuzu geben, denn er deutete bereits eine Bedingung an, an die seine Partei die Bewilligung der Ergänzungsanleihe knüpfen würde, daßnämlich dieUeberweisungSüberschiissegesetzlich sür die Tilgung dieser Anleihe seftgelegt werden, ein Gedanke, der bei den Einzelstaaten nicht viel mehr Beifall finden wird, als die Erhöhung der Matricularbeiträge, die damit umgangen werden soll. Der Abg. v. Ka rdorff, der auch seinerseits eine sorg fältige Prüfung der Ausgaben als nothwendig bezeichnete, wies darauf hin, daß die Situation dabin dränge, an die Stelle des Systems der schwankenden Matrikularbeiträge das für die Einzclstaaten unerträglich werde, eine rationellere Ordnung deS finanziellen Verhältnisses zwischen den Einzel staaten und dem Reiche zu setzen. Um so befremdlicher ist es, daß Herr v. Kardorfs betreffs der Mittel zur Herbei führung einer solchen Ordnung sich rein negativ verhielt, indem er erklärte, die verbündeten Regierungen würden mit Bier- oder Tabaksteuerprojecten kein Glück haben. Mit dem bloßen Wunsche nach einer Reichsfinanzreform kommt man keinen Schritt weiter, man muß auch nach Mitteln suchen und geeignete Vorschlägen, wenn man vorgeschlagene für un geeignet hält. Im pxcutzischcn Abgcordnctenhausc ist für nächsten Montag die von nationalliberaler Seite cingebrachte Polen-Interpellation, die voraussichtlich vom Abg. Ho brecht begründet werden wird, zusammen mit der von der Polensraction eingebrachten und von sämmtlichen Mitgliedern dcS CentrumS unterzeichneten Interpellation auf die Tagesordnung gesetzt. Die erstere lautet bekanntlich: „Welche Maßregeln beabsichtigt die königliche Staatsregierung zu ergreifen, um den Worten der Thronrede gemäß „in den öst lichen Provinzen dem Teutschthum die politische und wirthschaftliche Stellung zu erhalten, auf welche es durch feine lange, unter der weisen Führung der hohenzollernschen Fürsten geleistete Culturarbeit gerechten Anspruch erworben hat, das Deutschthum zu pflegen, staatsfeindliche Bestrebungen abzuwehren und das Zurückdrängen deutscher Sprache und Sitte zu verhüten"?" Die zweite hat nach längeren Verhandlungen zwischen Polen und Centrum die Form erhalten: „ob die Staats regierung in Anbetrackt der Schulvorgänge in Wreschen, und im öffentlichen Interesse überhaupt, cs für geboten erachtet, die in den Landestheilen mit gemischter Bevölkerung in Berug auf den Religionsunterricht getroffenen Anordnungen einer Aenderung zu unterwerfen?" Man sieht, diese Anfrage, deren Begründung der Abgeordnete vr. v. Iazdzewski übernehmen wird, ist ziemlich zahm ausgefallen. Daraus darf aber noch nicht geschlossen werten, daß in der Besprechung von Seiten der Polen ein ebenso zahmer Ton werde angeschlagen werden. Eber ist dies von den CentrumSrednern zu erwarten, auf welche der PassuS der Thronrede zur Eröffnung deS preußischen Landtags denn doch nicht ohne Eindruck geblieben zu sein scheint. Auch verlautet, eS sei von Rom aus etwas unterwegs, was den preußischen Ministern bei der Abwehr polnischer und klerikaler Angriffe gute Dienste leisten werde. Ob daS richtig ist, können wir nicht feststellen; aber der energische Ton» den die Thronrede anscklägt und in den auch gestern im Abgeordnetenhause der Finanzminister v. Rhein baden bei seinen Ausführungen über die Noth- I Wendigkeit der Fürsorge für den Osten und der Abwehr dec I Polenbewegung anschlug, läßt vermuthen, daß das preußische Ministerium vom Vatikan aus wenigstens keines Schrittes sich versieht, der das Centrum zu weiterer Förderung der polnischen Agitation ermuthigen könnte. Man sieht daher der Debatte, die zwei Tage in Anspruch nehmen dürfte, mit hochgespannter Erwartung entgegen. Die Abfertigung Chamberlain s durch den deutschen Reichskanzler, von der wir schon im November melden konnten, daß sie die wenigen deutschen Zeitungen und Kreise, welche die Kundgebungen des Unwillens über die Chamber- lain'schen Schmähungen bekämpfen und herabsetzen zu müssen glaubten, enttäuschen werde, hat den sckmähsüchtigen Briten augenscheinlich überrascht. Das geht aus den Auslassungen der von ihm abhängigen Presse hervor, die sich vielleicht im Stillen über die dem brutalen Herrn ertheilte Lection freut, aber laut jene Töne des Zornes äußert, welche die Ueberraschung hervorzurufen pflegt. Um so fataler wird ihm im Ohr klingen, was die ihm gegnerische englische Presse in ihrer Freude sagt. Auch in Frankreich erweckt die Abfertigung ein lebhaftes Echo. Der „Temps" schreibt, Graf Bülow habe als vollendeter Diplomat und Mann von Geist geantwortet, er habe nicht über trieben, er habe die Aufklärungen des englischen Ministers an genommen, aber gleichzeitig demselben eine Lehre über gute Lebensart ertheilt, die um so schneidender wirke, als sie in freundschaftlichem, kaltblütigem und im wenig wegwerfendem Tone gehalten sei. Seine Erklärung, betreffend die Dreibundfrage, sei geistreich; er sage dein Dreibund ein langes Leben voraus; alle Anzeichen sprechen dafür, daß Graf Bülow Recht habe. — DaS „Journal desDöbats" schreibt über die Chamberlain betreffende Stell; in der Rede: Graf Bülow gab Chamberlain eine Lection über diplomatischen Takt, indem er den Grundsatz aufstellte, daß ein Staatsmann, wenn er seine Politik rechtfertigen wolle, fremde Mächte aus dem Spiele lassen müsse. Ueber den die italienisch-französische Annäherung betreffenden Passus sagt das Blatt: Die Frage war nur, ob Italien seine Rechnung bei Deutschland findet, oder ob es mit andern so viel tanzt, daß schließlich die glückliche Ehe, von der Graf von Bülow sprach, ge- stört werden könnte. — Der „Gaulois" sagt, die Rede des Grafen Bülow werde einen Widerhall in ganz Europa finden. Der Reichskanzler habe in seiner bald im Unterhaltungston, bald in feierlicher Weise gesprochenen Rede durch die Klugheit seiner Wendungen die Opposition ent waffnet. — „Libertö" meint, Graf Bülow habe Chamberlain — mit Meisterhand gegeißelt. Die grausame Schärfe Bülow's zeige, wie tief Chamberlain Deutschland verletzt habe. — In ähnlichem Sinne spricht sich „Le Franyais" aus. — ,,Patrie" hebt den Freimuth und die Entschiedenheit hervor, mit welcher der deutsche Reichskanzler vor den Volksvertretern über die heikelsten diplomatischen Angelegenheiten gesprochen habe, und be merkt, die Leisetreterci des französischen Ministers des Auswärtigen sei nicht geeignet, das Ansehen Frankreichs zu erhöhen. ES ist natürlich nicht Sympathie mit Deutschland, sondern Antipathie, ja Haß gegen England, waö die französische Presse auf solchen Ton stimmt, aber mehr hat bei uns Niemand erwartet, wir sind schon hierdurch befriedigt. Gesühnt. 7s ' Roman von E. Eschricht. Nachdruck verboten. Alles in ihr wehrte sich gegen eine Heirakh mit dem Vater von 'drei fast erwachsenen Söhnen, denen sie, das wußte sie, doch nie willkommen sein würde. Aber nun, nach dem Vorkommniß mit der anderen Emilie, nach dieser überstürzten Verlobung war ihre Abwehr zum 'festen Entschluß geworden; sie fühlte sich in keiner Weise dem Haß und der Verachtung gewachsen, die sie auf sich herausgefordert hätte, wenn sie in die Lösung der Ver lobung zu ihren Gunsten willigen würde; dazu kam der He roismus der Jugend und Unerfahrenheit: „Ich will das Opfer sein, ich will auch leiden nm der Liebe 'willen!" Nicht einen Augenblick trübte eine Regung der Eifersucht den reinen Spiegel ihrer Seele — so fest war sie im Bewußt sein seiner Liebe zu ihr. so abgefunden schien ihr die andere Emilie, die ohne Rücksicht den Zufall zu ihren Gunsten ausge beutet hatte- Bon drüben her kam ein Boot ans Ufer und lsgte neben ihrem Ruheplatz an. Sie erkannt« Doctor Hellwig; und er, da er eine zarte Frauengestalt gewahrte und Emilies Liebhaberei für diesen Platz kannte, kam vom Ufer herauf und ging nicht weiter, sondern wendete im Knie des Bollwerks um und trat zu ihr: „Kann es möglich sein — an «inem Herbstabend — Sie hier? und nicht einmal warm bekleidet?" „Ja wohl", sagte sie und stockte sofort, als sie ihm erzählen wollte, daß sie Theuerdank begleitet habe; sie fand es über flüssig — und mit einem Mal unpassend, davon zu sprechen; so fügte sie nur hinzu: „Ist der Abend nicht schön geworden? Und Sie hat gewiß die Pflicht noch hinübergeführt?" „Das hat sie — drüben ist Typhus ausgebrochen; auch Sie sollten hier nicht sitzen, cs geht noch starker Wind, und der bringt in der Nacht nichts Gutes." Aber er setzte sich auf die Stufen zu ihren Füßen. „Und wie geht es denn meinem Herrn Capitän?" „Nun, nicht so besonders! Ich fürchte mitunter, es geht ihm schlechter, als er sagt! Er ist so lebhaften Geistes, das über körperliche Leiden hinweg. Ich höre mitunter Erstaunen wenn Sie ihn so genau auSfragen, wie viel seitig sein Leiden ist. Es fällt ihm aber immer erst dann em. wenn Sie ihn erinnern; ein egoistischer Mensch würde an seiner Statt Stoff haben, vom Morgen bis zum Abend zu klagen — Gött schenke mir diese herrliche Eigenschaft von ihm zum Erbe! Sie ist das eigentliche Lebenselixir; denn nichts, denk' ich mir, kürzt den Genuß des Lebens unerbittlicher, als Selbstbeobachtung auf Leiden — denn ein Bewußtsein des Leidenslebens — das ist gar kein Leben." Hellwig lachte laut auf: „Sie charakterisiren die Sache köstlich und mit wenig Strichen! Ich kann Ihnen sagen, an den Leiden Ihres Vaters könnten vier Menschen genug zu klagen haben!" „Also doch? Armer Vater — ich fürchtete es längst schon! Sie stehen mir auch sonst nie Rede und Antwort — durch diese ganz unwillkürliche List erfahre ich eine traurige Wahrheit! Es ist nicht richtig, wenn Sie mir solche vorenthalten — ich muß klar sehen — dann kann ich vielleicht besser einwirken auf Vaters Lebensweise!" „Nein, Fräulein! Zu viel Wissen der Umgebung macht diese ängstlich, und das überträgt sich unversehens auf den Patienten! Gerade so, wie es bei Ihnen ist — so ist es gut. Wir sollen ja von der Jugend auf zu jeder Minute todtbereit sein — in einem gewissen Alter aber verzehnfacht sich die Noth- wendigkekt der Bereitschaft, weil sich die Todesursachen ja auch verzehnfacht haben. Ein philosophischer Kopf, wie der des Lapitäns, weiß sich mit allen Nothwendigkciten abzufinden, auch mit dem unsichtbaren Begleiter, der jede verrinnende Secunde von unserer Lebenssumme abstreift; und darum, Fräulein — ist Alles gut, so wie es ist! Kummer und Sorgen — die allerdings darf her Capitän nicht haben, die beschleunigen das Tempo seiner Lebensuhr." Sie hatte das Gesicht geneigt, und er sah deutlich, daß es ernst und bekümmert war; so tragisch im Ausdruck, wie er es nie früher an ihr gesehen hatte. Sie war so schön in diesem Abenddunkel, aus dem ihr Gesicht herausleuchtete, daß er be wundernd schwieg; in seinem Herzen regte sich der heiße Wunsch lebhafter denn je, dies schöne, seltene Mädchen für sich zu ge winnen. Aber die wahrhaftige Liebe hat Eigenschaften wie die Elektricität, Unsichtbar wirkende; die undefinirbare Be wegungsform der Materie findet immer ihren Leiter. Doctor Hellwig fühlte mit Schmerz, dies zarte Geschöpf vor ihm war gleich ihm positiv, und die Abstoßung der magnetischen gleichnamigen Pole war unvermeidlich; er wußte es, als ob sie es gesagt hätte, daß sie Theuerdank liebte — und daß sie mit dieser Liebe leben und sterben würde. Und dennoch begehrte er unablässig, seil den zwei Jahren seiner Anwesenheit in der kleinen Stadt, bei Tag und Nacht ihrer gedenkend, nur diese hier. Ihr war der Zustand seines Herzens nicht fremd — sie hatte ihn nie mit einem Blick über sich getäuscht, um so stärker loiZchs seine Liebe. Sie waren sich gegenseitig ganz klar, ohne sich jemals ausgesprochen zu haben; und während er das traurige Resultat seiner Werbungen überdachte, tauchte in ihr der vage Gedanke auf: „Ich brauche nur die Hand aus zustrecken — cs würde Vater glücklich machen und alle Fäden zerreißen, die das Unglück um uns Alle weben wird! Ich könnte ihn beglücken, so wie ich bin — ohne Leidenschaft für ihn, würde ich doch meine Pflicht thun — ihn ehren und achten, aber ich kann es nicht, ich kann es nicht! Nun nicht mehr — vor Tagen noch hätt' ich es gekonnt — nun un möglich." Und sic stand rasch auf, schlang das Tuch fest um sich und ihre Hände mit hinein — sie wollte ihm auch die Hand nicht reichen; er war gleichfalls aufgestanden und sah traurig ihrem raschen Thun zu. „Ich soll Sie wohl nicht nach Hause geleiten, es sind freilich nur wenige Schritte!" „Nein, ich danke Ihnen!" Er setzte sich plötzlich auf den Rand des Bollwerks, stützte die Ellenbogen auf seine Knie und barg das Gesicht in den Händen. Sie fühlte aber nicht einmal Mitleid mit ihm in diesem Augenblick, weit eher mit sich. „Man muß Alles ertragen können", sagte sie, „man muß jede Last auf seine Schultern nehmen können — ein Mensch kann Himmel und Hölle tragen — manchmal beides; suchen Sie nur nach einem Zweck, um den Sie leben können und müssen — dann geht es!" Wie ein Pfeil schoß er auf. „Was sind das für wahnsinnige Gedanken in Ihrem Kopf — das ist ja krankhaft! Warum wollen Sie leiden? Wie lange denken Sie, daß nian cs ertragen kann, sich den Leidenschaften unterschieben und sich von ihnen zermalmen zu lassen, nur um zu versuchen, welche Zähigkeit man hat, welche Dulderkraft? Mein Kind — man ist zuerst Mensch — und Alles, was Si- sich mögen in Ihrem Kopf zurechtgclegt haben — es wird Sie täuschen und elend machen! Ich sollte mir einen Zweck suchen, nm den ich leiden könnte? Ich, ein gesunder, ein arbeitender, ein verlangender Mensch? Vernichten will ich die Ursache, die mich zwingen möchte, zu leiden — wo ich glücklich sein könnte, das wäre wenigstens eine That. In diesen Tagen baben sich Ereignisse vollzogen — unvorbereitete —, die wie Blitze aus heiterem Himmel gekommen sind — Ereignisse, die, wenn mich nicht Alles täuscht, auch Sie berührten — folglich auch mich! Sie wissen ja, daß ich Sie liebe — ich brauche es nicht zu sagen, und ich wollte es nicht sagen — ja — rund das Rauschen Ihres Kleides — das Bewußtsein Ihrer Nähe raubt mir Besinnung und Worte! Warum? Weil ich ein Mensch bin, und der Impuls des Menschen in mir Alles vor sich niederreißt, was ich mir sonst vorphiwsophire! — Armes Kind — Sie denken es sich erhaben, an eine unglückliche Liebe Ihr ganzes Dasein zu fesseln — zu dulden! Nehmen Sie sich in Acht — der Mensch in Hhnen wird sich rächen, und Sie werden sich verbrennen, wenn Sie das Feuer auf Händen tragen wollen — und thäten Sie es mit Götterhänden und voll erhabener Gedanken! — — O, wie ich diesen Menschen hasse, der m)t zwei Zungen spricht und zwei Herzen verschenkt! Sagen Sie nichts! Ich liebe Sie nicht umsonst schon so lange — ich habe gelernt, in Ihrer Seele zu lesen, als wäre sie meine eigene! Ich sah heute mehr, als ich in den furchtbarsten Qualen mir ausgemalt hatte — ich sah heute, wie sehr Sie diesen Menschen lieben — lieben — oh so lieben, wie nur Sic lieben können — erhaben und gewaltig! Und ich sehe schon den Stempel des Elends auf Ihrer Stirn! Mädchen, Mädchen, die Stunde, wo Du, vom Olymp heruntersteigst —, die wird Dich stürzen durch Aeonen, in unaufhaltsamer Flucht hinab, wie sie Alle stürzt, die es wagen, sich aus dem Rahmen des Gesetzes zu heben — Sie nur tiefer, gewaltiger!" „Schweigen Sie", rief sie mit zitternder Stimme, „ich achte das Gesetz mehr, als Sie ahnen können!" „Oh", sagte er, „nun weiß ich Alles — dort ist er gefangen oder hat sich fangen lassen — Sie achten die confusc Zufalls Verbindung — Sie wollen Niemand zu nahe treten. — Sic erhalten ihm Ihre Liebe, und er — er nimmt das Opfer an! Das Opfer eines Kindes, das nicht weiß, was es thut — das nicht das Leben kennt und nicht die Schuld! Emilie, Emilie, ich bin so außer mir, daß ich kein Mittel mehr scheue, und kann sage ich Ihnen: Gedenken Sie Ihres Vaters — Sorge und Kummer werden ihn tobten „Sie machen es mir leicht, von Ihnen zu gehen — Sie sind sehr grausam nnd sehr dreist, Doctor Hellwig!" „Ja, ja! Grausam und dreist! Mögen Sie das Schlimmste von mir denken — nur denken Sie auch an sich — retten Sie sich — Sie stehen ja mit offenen Augen am Abgrund!" Sie waren weitergeschritten und sprachen nun fast laut nnd dicht vor ihrem Hause; in der offenen Thür, die erhellte Flur hinter sich, stand spähend Louise. Da legte Hellwig rasch den Arm um Emilie und zog sie in das Dunkel zurück. Sic war willenlos und ganz still; er führte sie quer über den Wagenweg, abermals dem Wasser zu, seinen weiten Mantel um ihre Gestalt geworfen. Sie weinte plötzlich und heftig; er hielt sic fest an sich und drückte ihren Kopf auf sein Herz. „Und wenn Du sehen könntest, wie es in dein pochenden Herzen aussieht — Du würdest keinen Dulderzweck mehr suchen
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