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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 29.07.1902
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-07-29
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020729012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902072901
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902072901
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-07
- Tag1902-07-29
- Monat1902-07
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«u» für Vez«g--Prers di der HaLptexpedttiou oder de» tm Stadt bezirk mrd de» Vororte» «r «gstchw L»-«kt»r i>» D»«h die "" tschlmid ». vesterrokh Pir die übrige» Länder laut Nedaction »xd Lrpehittrvr Iohwmi-gass« 8. Ferus-recher 153 a»d ÜSL Ftir»1o»po»MMrmrr Alfred Pah», vnchhasdlg^ HRdttslläWftr.», 8. Lisch«, «atharine»st». »4, ». Köut^pl. 7, Hax-t-FlNale dres-rxr Gtmhleuttstwß« 3» Fernsprecher Amt I Nr, 1713, H-vpl-Miale Sertt«: Königgrätzerstraß« US >er»sprech«r AuU VI Nr. 339A Morgen-Ausgabe. MpMrrIllgMM Anzeiger. Ämksöüttt des H-ntgfichen Land- «nd Ämtsgerichtes Leipzig, des Aathes «nd Nottzei-Ämles -er Stadt Leipzig. Anzeigeu-Prei- dte 6 gespaltene Petitzeile SL Neelamo» »»1er de» NedmNmirßrtch ssgespaltn,) 75 »o, de» FamMmmach» richte» (Sgespolteu) 50 r-bellarischer »nd Htffemsatz «utspwchwb höher. — Gebüürr» mr NachwApmg« «d Offertenannahm« 85 tvt. Porte). ErN»-veilage» (gefotzt »«r «N der Morge».U»öaäb«, oh»o Poßb«Prd«r»»- 5ü.—> «tt PostdesSrd«r»»g ^3 70^ Iiunahnrrschluß flr Anzeige«: Ab«»d«>a»gab«r vormittag» I- Uhr. kN«r,«u llüwgab«» Nachmittag» 4 Uhr. Aazeiß« Pub stet» « di« Eepeditioa V» richte». Di, rrpeditto» ist Wochentag» «ootterbrochen geöffnet von früh S bi» Abend» 7 Uhr. Drmt »nd Verlag vo» E. Polz in Leipzig. Nr. M. Dlen-tag dm 2S. Juli 1902. V. Jahrgang. Vie deutsche und die französische Feldartillerie. Der militärische Theil der diesjährigen Düsseldorfer Ausstellung hat die zahlreichen Besucher des In« und Aus« lande» auch auf die gewaltigen Fortschritte der deutschen Geschützindustrie aufmerksam gemacht und die Frage der Rohrrücklaufgeschütze, die dort zu sehen sind, sowie der Neubewaffnung unserer Artillerie wiederum aufgeworfen und zu einem aktuellen Thema erhoben. Der Gegenstand dieser DiScussion ist freilich nicht neu, sondern hat schon oftmals, seit die französische Heeresverwaltung ihre Armee mit Schnellfeucrkanonen ausgerüstet hat, im Vordergrund des allgemeinen Interesses gestanden, ohne jedoch immer diejenige sachliche Bedeutung und Würdigung tu allen militärischen Kreisen zu finden, die dem Ernst und Ser Bc« deutung der Sache entsprochen hätten. Nicht unerheblich er chwert wurde diese Situation noch durch den Umstand, -aß das neue Geschütz der französischen Artillerie fort« ge eht mit einem fast undurchdringlichen Dunkel von Ge he mntsseu umgeben wurde und man über seine Eigenart wie über seine Verwendung mehr auf Vermuthungen al» auf zuverlässige Angaben angewiesen war. Erst da» Er scheinen des neuen französischen Reglement» für die Feld artillerie hat allenthalben mehr Klarheit und zuverlässi gere Urtheile über jene neue Waffe de» französischen Heeres geschaffen und gleichzeitig die Nothwendigkeit ge zeigt, baß den Geschützen mit Rohrrücklaufsystem auch bet uns eine größere Bedeutung beigelegt werben muß, al» dies bisher der Fall gewesen ist. In letztgenanntem Sinn hat sich auch vor nicht langer Zeit eine der ersten Autoritäten auf artilleristischem Gebiete, -er Generalleut nant Rohne, ausgesprochen, indem er erklärte, daß da» Geschütz mit langem Rohrrücklauf der französischen Feld artillerie trotz der ihm noch anhaftenden Mängel so be deutende Vorzüge habe, „daß wohl über kurz oder lang alle Staaten ihre Artillerie mit einem Geschütz ähnlicher Art würden bewaffnen müssen". Es ist hier nicht der Ort, auf die Constructionsprin- cipien und alle Details des französischen Feldgeschütze» einzugehen, vielmehr muß an ihrer Stelle lediglich der Hinweis auf die markantesten Vorzüge genügen, die in großer Feuergeschwindigkeit und großer Stabilität beim Schießen zum praktischen Ausdruck kommen. Die letzt genannte Eigenschaft der Geschütze hat eS auch ermöglicht, dieselben mit stählernen Schutzfchtlben zu versehen, welche die beiden Hauptnummern der Bedienung gegen frondale» Gcwehrfeuer und Shrapnelkugeln sichern sollen. Gegenüber dem vorgedachten Vortheil der großen Feuergeschwindigkeit deS französischen Geschützes — die selbe soll in der Höchstleistung ungefähr doppelt so groß sein, als die der deutschen Feldgeschütze 6/96 — wird bei uns die überlegene Zahl der Geschütze per ArmeecorpS und die Eintbeilung der Batterie zu 6 Geschützen gegenüber den 4 Geschützen der französischen Artillerie vielfach gelten gemacht. Hierbei darf jedoch nicht übersehen werden, Va als Ausgleich dieses Unterschiede» die Munitionsaus- rüstung der Artillerie unserer westlichen Nachbarn eine weit höhere ist als bet uns und sich invgesammt auf 502 Schutz pro Geschütz stellt, während unsere Kanonen bet der Batteriestaffel und sämmtltchen MuntttonSeolonnen nur 895 Schuß für jede» Geschütz mit sich führen. Auch da dürfen wir nicht unbeachtet lassen, daß bet der deutschen Batterie zu 6 Geschützen nur 3, bei den Franzosen dagegen für nur 4 Geschütze 6 Munttionöwagen etngethetlt sind und in der Feuerlinie Verwendung stnden. Zu diesem großen Vorrath an Munition kommt als weiteres Moment von Bedeutung, mit dem man gleichzeitig bei der Feuer geschwindigkeit des französischen Feldgeschützes wird rech nen müssen, daß die neue Artillerie-Schießinstruction un serer Nachbarn ganz besonders die Plötzlichkeit und In tensität einer überwältigenden Gchußwirkung betont und das „Schießen mit Salven" al» einen sehr wirksamen Factor des Erfolge» bezeichnet. „Dies für da» neue fran zösische Feldgeschütz vorgeschriebene Schießverfahren", sagt treffend Generalleutnant Rohne, „bedeutet einen Bruch mit der Vergangenheit, wie er stärker gar nicht gedacht werden kann. Während die alte Schießvorschrift ein pein lich genaues Einschictzen forderte, in der Absicht, eine mög lichst hohe Wirkung mit dem geringsten MunitionSauf- wand zu erreichen, ist jetzt mit Recht ein besonderer Werth darauf gelegt, in möglichst kurzer Zeit eine ausreichende Wirkung zu erreichen." Zweifellos würde e» aber nach unserer Ansicht doch ein großer Fehler fein, in den bedauerlicher Weise zahlreiche blinde Bewunderer deS französischen Feldgeschütze» ver fallen find, wenn man angesichts der sicherlich nicht uner heblichen Vorzüge der nachbarlichen Arttllertebewasfnnng unser deutsche» Feldgeschütz al» mtnderwcrthig bezeichnen und Hal» über Kopf einen Ersatz für dasselbe würde for dern wollen. Nach wie vor behält unsere gegenwärtige Feldkanone den außerordentlichen Vortheil großer Ein fachheit, Solidität und Feldmäßigkeit, und selbst in Frank reich giebt es «ine große Anzahl von Ofstciercn, die diese Vorzüge unumwunden anerkennen und die Ansicht aus sprechen, daß das französische Geschütz an den Nachtheilen einer zu frühzeitigen Geburt leide und mit seiner gegen wärtigen hydropneumattschen Bremsvorrichtung keinen Anspruch auf absolute KriegSbrauchbarkett machen könne. Auw die bedeutende Schwere des Geschützes — 1100 Kilo gramm in der Feuerstellung — und des abgeprotztcn MunttionshtnterwagenS werden tm Zusammenhang mit der daraus resultirenden mangelhaften Beweglichkeit mit Recht als sehr erhebliche Nachtheile dieser Waffe bezeichnet. So wenig demnach Grund für uns zu Besorgnissen vorliegt, daß wir von vornherein in einem etwaigen Ar- tilleriekampf mit unseren westlichen Nachbarn den Kür« zeren ziehen werden, so sehr liegt für uns, wie wir bereit» aussprachen, doch di« Nothwendigkeit vor, mit aller Auf« merksamkeit die weitere Entwickelung der Rohrrücklauf- aeschützfrage zu verfolgen und nicht zu spät die ersorder- lichen Tonsequenzen zu ziehen. Daß dieser Augenblick nicht verpaßt werden wird, dafür bürgt un» u. A. auch die Wach- samkett, die Ruhe und Sicherheit im Fortschritt unserer heimischen Privatgeschützindustrie, die in der Schweiz, in Schweden und vor wenigen Wochen auch in Meriko mit ihren Rohrrücklaufgeschützen neuester Construction große Triumphe gefeiert und die bedrohliche französische Con- currenz bei dieser Gelegenheit weit aus dem Felde ge schlagen hat. v. XV. Glückliches Oesterreich! Oesterreich an Siegen und an Ehren reich! Ts hat im Kampfe gegen den Protestanti-muS nun abermals einen Erfolg errungen. E» hat den evangelischen Bicar Ungnad in Klostergrab aus seinen Grenzen verweisen können. Ungnad hatte dort auf da» Beste gewirkt; er hatte die Evangelischen zu einer festen Gemeinde ge- sammelt; sie hingen mit voller Liebe an dem rührigen Mann, Groß und Klein. Rasch hatten sie sich zum Kirch bau entschloßen; zu Ostern diese» Jahres wurde ihr schmuckes Gotte-Hau- eingeweiht. ES war eine neue Burg de» cvangelsschen Geistes im ehemals protestan tischen Böhmen. Aber die Staatsbehörde konnte dieser gesegneten Thätigkeit des Vicars nicht mehr Gewehr bet Fuß zusehen. Zwar sichert die Verfassung den Protestanten Gleichberechtigung mit -en Katholiken zu; zwar dürfen nach dem Gesetz die evangelischen Gemeinden Ausländer zu ihren Geistlichen wählen; -war haben die Kloftergraber eifrig um Bestätigung ihres Vicars bei der Regierung gebeten; noch jüngst war eine Deputation in Wien, um für Ungnad einzutreten; man wies sie an den Statthalter Graf v. Coubenhove in Prag, der ihre Bitte, ihnen den Bicar zu lasten, mit kurzer Ablehnung beschied. Aber trotz Allem — man fühlt sich nun einmal in Oesterreich zum „verthetdiger de» römischen Glaubens" berufen; „wir sind halt ein katholische» Land". Man muß auf den klerikalen Abel, auf die romgetreuen Bischöfe, auf die durch die Gegenreformation hinreichend charaktc- rtsirte Vergangenheit Rücksicht nehmen. Da darf man den Protestanten nicht allzu viel Recht einräumen, und wären sie auch die treuesten Bürger; sie müssen bekämpft werben, wo man e» immer kann; sie sollen e» wissen, daß ihr Zu sammenschluß zu Gemeinden und ihre Vermehrung un gern gesehen wird. Darum werden ihrer kirchlichen Ver sorgung Hindernisse über Hindernisse in den Weg gelegt; man verzögert lange die Bestätigung der evangelischen Geistlichen, zuletzt verweigert man sie. vielleicht hält, so denkt man, dieser RegterungSgrundsatz eine stärkere Hin kehr der Deutschen zum Protestantismus hintan. Und so fiel denn vom Statthalter in Prag die Entscheidung: Un gnad verlasse binnen zehn Tagen da- Land. Das war ein neuer Sieg deS KlerikaliSmus. Nun können unsere Ultramontanen dem Grafen von Eoudenhove einen neuen Ehrenkranz winden. Er ist ja ganz ihr Mann. Sie schreien zwar in unserem Reiche nach Toleranz; aber sie meinen damit nur, daß die Pro testanten ertragen werden können, so lange sie hübsch stille im Winkel sitzen und gleichzeitig zusehen, wie Rom deutsches Land Stück für Stück in feine Gewalt bringen will. Und den Sinn „ihrer Toleranz" hat der Prager Statthalter meisterlich erfaßt; er verfährt stramm darnach und erschwert, damit ja die römische Kirche als die „alleinseligmachende" und allein herrschende nicht gestört werde, den Evangelischen Oester reichs dnrch Ausweisung ihrer Geistlichen die Ausübung und Sicherung ihres Glaubens. Und nun gar Ungnad! Hatte nicht dieser böse Mann die Zinnwalder Geschichte verschuldet? Warrrm machte er mit seinen Gemeindegliedern dorthin einen Ausflug? Und die streitbaren katholischen Zinnwalder, die die harmlosen Protestanten mit Bierseideln und Steinen bewarfen, sie, die rechten Executtvorgane der römischen Toleranz, sind vom Gericht mit Strafe belegt worden! Nein, daS forderte Sühne. Ungnad mußte geopfert werden. Man verwies ihn des Landes; für diese tapfere That gebührt dem Prager Statthalter ein neuer Ehrenkranz! Ungnad wird, muß gehen. Wer soll ihn schützen? Bon unserer Reichsregierung können wir keine Hilfe erwarten. Jeder Versuch, ihren Einspruch zu erbitten, erscheint von vornherein als aussichtslos. Wir stehen in der Aera der Complimente nach allen Seiten, insbesondere aber nach Nom. Aber trotzdem werden die deutschen Protestanten in Oesterreich nicht verlassen sein. Das deutsche evan gelische Volk wird jede Ausweisung eines evangelischen Vicars mit reichlicherer Unterstützung der evangelischen Bewegung beantworten. Es weiß, daß alle die gelungenen Plackereien, die von den österreichischen Machthabern gegen die Protestanten verübt werden, zwar in den Augen der Römischen als „Siege und Ehren" gelten, aber vor dem Richterstuhl des freien, wahrhaft christlichen Geiste- und von dem Urtheil der Geschichte und dem Spruche der Eultur al- Niederlagen bezeichnet werden. w. Deutsches Reich. Berlin, 28. Juli. lZurGeschtchtederEisen- zolle.) Es ist zu erwarten, daß in der Tartfcommission bei den Eiscnzüllen auf die Entstehung derselben wird zu- rückgcgrisfen werden. Im Bundesrathe gelangte 1877 ein preußischer Antrag zur Annahme, der zum ersten Male den Grundsätzen der bisherigen Wirtschaftspolitik wider sprach. Es handelte sich darum, die seit dem 1. Januar ein getretene Zollfrciheit für Stabeisen nnd grobe Gußwaarcn durch eine Ausgleichsabgabe von 0,75 für den Centner so lange zu beschränken, wie Frankreich und andere Länder die Ausfuhr für Eisen und Eisen fabrikate durch Prämien begünstigten. — Ein An« trag Windthorft'S, das Gesetz vom 7. Juli 1878 über die Aufhebung der Etscnzvlle erst mit dem 1. Januar 1879 in Wirksamkeit treten zu lassen, war am 18. Deccmber 1876 mit 201 gegen 106 Stimmen abgelehnt worden. Ziemlich zu gleicher Zeit bereits hatte sich der Reichstag mit einer Retorsionsbtll zu beschäftigen. Der BunbcSrath begehrte eine Generalvollmacht auf unbestimmte Zett, die ganze Zollgesetzgebung des Reiches durch Decret abzu ändern, und zwar zu dem Zwecke, für diejenigen Artikel, bei denen auswärtige Staaten Exportprämien gewährten, während dieselben in Deutschland entweder zollfrei ein« gingen, ober einem geringeren Zoll, al- die betreffenden Exportprämien betrugen, unterlagen, den Zoll bis auf die Höhe jener Prämien zu steigern. DaS erschien besonder- den Linksparteien al» eine Schmälerung der Rechte deS Reichstages. Wenn e» gelänge, so wurde damals gesagt, die verfassungsmäßigen Rechte der Volksvertretung in der HandclSgesetzgebung nach allen Seiten hin zu wahren, so ließe sich über die Retorstonsbill reden. Da» Princtp der Vorlage wurde unter der Voraussetzung der Wegräumung der constituttonellen Bedenken al» richtig anerkannt, und zwar auch von der entschieden frethändle- rischen Sette. Besonders erklärten auch Berliner freihändlerischc Blätter, über Recht und Bedürfnis, die deutschen Industriellen gegen gewisse Maßregeln fremder Staaten, wie beispielsweise die französischen Ausfuhr prämien, in Schutz zu nehmen, könne in der Hauptsache kein Streit herrschen. Im Reichstage selber erklärten die gewiß freihändlerischc» Abgeordneten Bamberger und Braun sich mit der Tendenz der Vorlage, soweit sie auf die Abwehr ungebührlicher Bcnachtheiligung der heimischen Industrie htnausltef, einverstanden. Sie hoben am 12. December 1876 nur die staatsrechtlichen Bedenken hervor, welche einer Ermächtigung des BunbeSrathes zur alleinigen Ausübung gesetzgeberischer Bcfugnitz entgegenständen, so lange der Reichstag die Ziele und Grenzen der beab sichtigten Maßregel genau zu übersehen nicht im Stande war. Bei dem 1877er Anträge des BundeSratheS waren diese Ziele und Grenzen zu übersehen; es handelte sich nicht mehr um die ganze Zollgesetzgebung deS Reiches, um eine Generalvollmacht des Bundesrathcs auf unbestimmte Zeit — was als constituttonell bedenklich bezeichnet worden war —, sondern es waren bestimmte Erzeugnisse der In dustrie, die mit einem Zoll von bestimmter Höhe getroffen werden sollten, undzwar so lange, als dcrGrund fortdauertc, auS dem die Verzollung wünschcnswerth erschien, nämlich die Abwehr des Vertragsbruchs Frankreichs. Alle Be dingungen, unter denen der Reichstag vor vier Monaten sich zur Annahme der Retorsionsbill bereit erklärte, waren erfüllt. Gleichwohl wollten die Freihändler jetzt nichts von der Vorlage wissen. Im April 1877 erklärten sic das gerade Gegcntheil von dem» was sie im December 1876 über denselben Kall geäußert. Die große Mehrheit des Reichstages, 212 gegen 111, lehnte die Regierungsvorlage ab. In der Minderheit waren neben der Gruppe Löwe und den Elsässern besonders Nationallibcrale und Een- trnm stark vertreten. ImIahre 1879 wardann die Abstimmung über die Eisenzvlle für das Schicksal des ganzen Tartfentwurfs ent scheidend. Sie erfolgte am 16. Mai. Nachdem zuerst der Antrag deS Grafen Udo Stolberg, Roheisen und Bruchetsen, seewärts von Memel bis zur Wcichselmündung eingehend auf Erlaubnißscheine für Eisenwerke, zollfrei zu belassen, abgelchnt war, wurde der Antrag v. Wedell-Mal- chow, den im Tarisentwurfe angcsetzten Zoll auf Eisen von 1.4^ auf 50 Pfg. zn ermäßigen, mit 192 gegen 125 Stimmen verworfen und die Position des Entwurfs lRoheisen 1 .4l per 100 Kilogramm) mit 218 gegen 88, also mit einer Mehr heit von 180 Stimmen angenommen. * Berlin, 28. Juli. iE in ausländisches Lob deutscher S v c i a l p o l i t i k.) Anläßlich des inter nationalen Versicherung« - Congresses in Düsteldors fand am 21. Juni eine Schiedsgerichts-Sitzung für Arbeiter versicherung statt, der etwa 80 Ausländer lKranzosen, Belgier, Holländer, Russen, Schweden, Italiener, Oester reicher u. A.) beiwohnten. Diese Sitzung wurde absichtlich in der gewöhnlichen Art abgehalten, nur hatte man einen Actenanszug für die Ausländer in französischer Sprache anfertigen lassen. ES war auffallend und hocherfreulich, mit welchem hervorragenden Interesse die Ausländer, unter denen sich viele hohe Staatsbeamte befanden, den Verhandlungen folgten; freilich mußte es die, welche unsere Versichcrungs - Gesetzgebung erstreben, sehr inter- essiren, zu sehen, wie in der Praxis sich alles glatt abwickelt; manches theoretische Bedenken ist in dieser Sitzung beseitigt worden, und man kann bestimmt nach dem Eindruck, den die Versammlung machte, annehmen, daß die ausländische ArbciterversicherungSgcseygcbung ein gutes Stück gefördert worden ist. Diese Ansicht sprach am Schluß der Sitzung der Gcneraldirector im belgischen Arbeitsministerium, Herr Dubois, in einer längeren Ansprache an bas Schiedsgericht unumwunden auS. Der bekannte Professor Ernst Mahaim in Lüttich veröffentlicht nm, in Nr. 28 des in Eharleroi erscheinenden „Echo de l'Jndustrie" einen Leitartikel, in dem der Verlauf jener Sitzung auf Grund überaus feiner Beobachtung natur getreu wicdergegeben wird. Er schreibt: Der Ein druck der Sitzung war selbst auf grundsätzliche Gegner groß. Man fühlte, daß hier keine Komödie gespielt wurde, sondern daß wir dem regelrechten und eingebürgerten Lursächfische Streifrüge. Ist cs denn nothwendig, daß man seine Schritte in der holden Ferienzeit nach Tirol oder nach dem Meere lenkt, oder bescheiden im Thüringer Wald oder tm Harz bum melt? Ist unsere Gegend so arm, daß sie dem Wanderer gar nichts böte, daß sie ihn nicht durch Wald und Wellen erquicke, wenn er auch der Berge entbehren »nutz. Gewi nicht. Nur herau-suchen muß sich der Wanderer einmal eine „unbekannte" Gegend tm Herzen Deutschland-, um neue Bilder zu sehen, und was er an Bergen und Gletschern entbehren muß, da- ersetzt ihm reichlich die Geschichte. E» war ein glücklicher Gedanke der Verlagshandlung Fr. Wilh. Grünow in Leipzig, die in den „Grenzboten" er schienenen Aufsätze: Kursächsische Ttreifzüge von Professor O. E. Schmidt i8,5O ^L) gesammelt herau-gegeben und damit dem Freunde der Heimath eine Quelle der «nregung zu eröffnen. Der Verfasser ist in diesen Streifzügen, ihr Titel bes^t e», nicht weit gekommen. Er erzählt un- nicht von der Grotte zu Eapri, noch vom Nordlicht, nicht» vom Kreml, noch von Biarritz, aber er schildert uns ein Stück vom Sachsenlande, da» in letzter Zeit fast in Vergessenheit gerathen ist, weil der Strom de» Verkehr» e» nicht be rührt, «eil die Industrie ihre rauchenden Schlote dort noch nicht aufgestellt hat. Dadurch hat sich da- Land noch — wir können nicht sagen Poesie — aber etwa»AnhetmelndeS, Gemüthvolle» bewahrt, und der Verfasser findet die Töne, schlägt die Saiten an, die zu seiner Landschaft gehören nnd die un» sein Buch mit dem Zauber der Heimath verklären. Indessen nicht nur gleichgestimmten Seelen gewährt er da mit eine Genugthuung; eS wird auch Anderen eine Freude machen, wenn sie sein Buch zur Hand nehmen und die mit reichem historischen Wissen durchsetzt« — hier kann man e» doch sagen — poetische, gemüthvolle Beschreibung von Land und Leuten an der Elbe lesen. An die Elbe und ihre weiten Ufer führt er un» und vor unfern Lugen steigen viele in der sächsischen Geschichte berühmten Orte auf. Mühlberg und Annaburg, Schilda, Pretzsq. Belgern, Prettin, Torgau und Wittenberg — wer wandert heute zu ihnen? Und doch findet man so Biele» dort, wa» anregt, findet auf ge schichtlichem Boden so viele Erinnerungen inmitten Wasser und Wald, daß man die „Kursächsischen Stretfzüge" nicht au- der Hand legen wird, ohne den Wunsch, selbst in jene Gegend zn pilgern und da» Gelesene anschauenb nach, zuempstnden. In Meißen wird da» Dampsboot bestiegen, nicht da-, da» un» nach der Residenz ftromaufivärt» führt, sondern das stromabwärts führende, hinein in» Kursächsische. Ruhig und eben liegen, wenn man DieSbar und Seußlitz hinter sich hat, die Ufer da, nur in Riesa wird auf dem linken Elbufer die ländliche Stille für wenig Minuten wieder durch stärkeren Verkehr unterbrochen. Hier» an der Schwelle de» norddeutschen Flachland«», begrüßen wir da» erste niederdeutsche Städte bild. Gäbe ,» noch eine Hansa, Riesa mit seinem weit- au»l«denden Wasserthurme »nd seinem breit und trotzig aufragenden, mit hellgrünen Ziegeln gedeckten Kirch- i Hurmr, mit seinen umfangreichen Hasen- und Quaian lagen und de« zahlreiche« im Strom verankerten Fracht kähnen müßte eine Havsastadt sein; e» hat sich -innen wenigen, Jahrzehnte« an» eine«; unbedeutenden Land städtchen in einen der wichtigsten Umschlageplätze de» Elb- verkehrs verwandelt und ist auf dem besten Wege, sich zu einem Kleinhamburg auszuwachsen. Von Riesa abwärts ist der Charakter der Landschaft wieder rein dörflich; hier und da erheben sich über den Weidenbüschen des Ufers breitwipflige Kronen mächtiger Linden und Pappeln, aus denen Thttrme und Erker, vor Allem aber die ziegelrothen Dächer ansehnlicher Herren sitze hervorlugen. Dann erscheint wie eine Fata Morgans über dem grünen Blachfclde die hochgtebuge Kirche von Strehla und daneben da» mit gewaltigen eckigen Thürmen und Zinnen bewehrte Schloß, beide auf behervschendcr Höhe. Das Strehlaer Schloß, seit sechs Jahrhunderten km Besitze der zum meißnischen Uradel gehörigen Familie von Pflugk. ist in seiner heutigen Gestalt in der Haupt sache ein Renaissancebau und zwar von so bedeutenden Dimensionen, daß er einem Thüringer FUrstensitze wenig nachgiebt; doch enthält es auch viel ältere, burgähnlichc Bauglteder und geht in seiner Geschichte bis in die ersten Zeiten deutscher Siedlung zurück. Dann führt unS -er Wanderer nach Mühlberg und in einem anderen Capitel nach Lochau. Die Lochauer Heid«, in deren Mitte wir hier stehen, ist da» größte Waldstück, da» von dem sich einst zwischen Elbe und schwarzer Elster erstreckenden Urwald Übrig ge blieben ist. Bon Norden nach Süden etwa 18 Kilometer lang und durchschnittlich 18 Kilometer breit, ist sie größten, »heil» von Kiefern bestanden, zwischen denen sich hier und da Gruppen von Eichen und Birken finden. Doch müssen einst der Eichen viel mehr gewesen sein, da ihre Früchte die Hauptnahrung der damal» hier massenhaft vorhanden geFesene«, nicht eingehegten Wildschweine au-machte«; ebenso waren früher viel mehr Wassergräben, Sümpfe und Wasserlachen vorhanden als heute; der große Schwanenseez. B. östlich von Dautzschen, einst der Schlupf winkel von Waffervögeln aller Art, ist jetzt fast ganz aus getrocknet. Die Verminderung des Wassers in diesen Gegenden hängt wohl mit der fortgeschrittenen Ein deichung der Elbe zusammen. Ueber die Zett der Ent stehung des Ortes Lochan und seines Schlosse» läßt sich nichts Bestimmtes ermitteln. Doch kann man auS einem im sechzehnten Jahrhundert in der Nähe aufgcfundenen Urnenfelde schließen, daß hier schon in slawischen oder vor slawischen Zetten eine Stedelung vorhanden war. In die Geschichte tritt die „Lochau" gleich als Jagdschloß sächsischer Kurfürsten au» dem Hause Askanten ein, und zwar als Schauplatz eines bösen Verhängnisses. Nachdem schon tm Jahre 1406 im nahen Schlosse Schweinitz lnördlich von Lochau an der schwarzen Elster) die aSkanischen Prinzen Wenzel und Siegismund nebst dem Hofmeister und sechs Edelknaben von einem etnstürzenden Tbunne erschlagen worben waren, brannte daS ebenfalls bairfällige Schloß Lochau in einer Sommernacht des Jahre» 1422, währen der Hof im tiefsten Schlummer lag, so schnell ab, daß der letzte ASkanier, Albrecht HI., von einem Jagdhunde ge- weckt, nebst der Kurfttrstin zwar noch auS den Flammen entkam, aber zusehen mußte, wie fünfzehn Ritter, Frauen und Diener dnrch daS Feuer nmkamen. Gr wurde vor Schrecken krank und starb am 25. Juli 1422 in Wittenberg: fo nahm also daS Ende des ruhmreichen aSkanischen Hauses in der Lochau seinen Anfang. Tie wcttinischcn Kurfürsten stellten das Schloß wieder her und besuchten es öfter. Ein« besondere Vorliebe für die Pillen Jagdschlöffer im Gebiet -er Schwarzen Elster
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