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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.02.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-02-02
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030202027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903020202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903020202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-02
- Tag1903-02-02
- Monat1903-02
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Bezug-«PreiS i» der Hauptexpedtttlm oder deren Ausgabe stelle« ab,,holt: vtttteliLhrltch X 5.-, bei zweimaliger täglicher Zu stell »na tu» Hau- 8.7». Durch di« Post bezogen für Deutsch land u. Oesterreich vierteljährlich ^tl L.SO, für die übrigen Länder laut gettm»g«prei»llste. Ue-aktio« »a- Lrpeditionr JohanniSgast« 8. Fernsprecher ISS und 822. FUtuleupovttt»«,« r Alfred Hahn, Buchhaudlg, LniverfitätSstr.S, L Lisch«, Kathariueustr. 14, ». KünigSpl. 7. Haupt-Filialr Dresden: Strehlen er Straße S. Fernsprecher Amt I Nr. 1718. Haupt-Filiale Serlin: Carl Duncker, Herzgl. Bayr. Hosbvchhanhlg., Lützowstraße 10. Fernsprecher Amt VI Nr 4808. Abend-Ausgabe. Anp.'.igrrTagtblalt Anzeiger. Kmtsölatt des Königlichen Land- «nd des Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, -es Rates und -es Rolizeiamtes der Ltadt Leipzig. Anzeigeu-Prei- die «gespaltene Petitzeile 2ö Reklamen aut« d«n Redaktiousstrich (4 gespalten) 7b Ltz Var d«, Familiruuach- richten (L gespalten) SO H. 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Daß da- möglich war, ist in erster Linie der sorgfältigen Arbeit der Kommission zu danken, in zweiter den klaren Aus führungen des Abgeordneten 0r. Hasse, der bei der Weilerführung der am Donnerstag abgebrochenen Debatte über Z 1 den von der Kommission abgeleynten, aber im Plenum wieder eingebrachten sozialdemokratischen Antrag auf Ausdehnung der Bestimmungen der Vorlage auch auf die Landwirtschaft sehr wirksam bekämpfte. Er bestritt keines wegs, daß auch die Zustände auf dem Lande einer Besserung bedürftig seien, wie« aber auch nach, daß diese Zustände noch viel zu wenig geklärt seien, um schon jetzt ein gesetzgeberisches Eingreifen zu gestatten, und empfahl deshalb die von der Kommission vorgeschlagene, Er hebungen in der Landwirtschaft befürwortende Resolution. Da auch der Staatssekretär Graf v. PosadowSky, die konservativen Redner, der Zentrumsabg. Trim dorn und sogar der landwirtschaftliche Fachmann der freisinnigen Volks partei, Abg. Braesicke, gleicher Ansicht waren, so wurde nach langer Debatte, über die unser Sitzungsbericht ausführ lich genug sich verbreitet, der 8 l unverändert, also unter Ablehnung des sozialdemokratischen Antrags, angenommen. Kürzer gestaltete sich die Debatte über die übrigen Para graphen, aber doch nicht so kurz, wie man nach unserem Sitzungsberichte wohl aonehmeu konnte, den wir zu ergänzen uns um so mehr verpflichtet fühlen, je wichtiger der behandelte Gegenstand rst. Auch zu diesen Paragraphen lagen ver schiedene sozialdemokratische Abanderungöanträge vor, doch wurden sie, ohne daß man sich lange mit ihnen aufhielt, zum Teil sogar ohne jede Debatte, gleichfalls verworfen. Annahme sand dagegen ein Antrag de- ZentrumSabgeordueten Trimdoru zum F 3. Dieser Paragraph stellt fest, welche Kinder im Sinne diese« Gesetzes als „eigene' gelten sollen. Regierungsentwurf und Kommttsion schlugen vor, als eigene Kinder auch solche gelten zu lassen, die dem sie Beschäftigenden als Fürsorgekinder, d. h. zur gesetzlichen Zwangserziehung, über wiesen seien. Durch Annahme des Antrages Trimdorn wurde diese Begriffsbestimmung dabin eingeschränkt, daß dieFürsorge- linder als „eigene' nur dann angeiehen werden sollen, wenn sie „zugleich mit eigenen Kindern' beschäftigt werden. Von Interesse war dann namentlich noch eine kurze Unterhaltung bei dem tz 5, der von der Kinderbeschäftrgung in Werkstätten handelt und u. a. bestimmt, daß mittags eine mindesten« zwei stündige Pause „zu gewähren' ist. Von sozialdemokratischer Seite war hierzu eine etwas andere Fassung in Vorschlag gebracht. Motiviert wurde dieses Verlangen durch den Abg. Wurm mit dem sehr angezeiglen Hinweis darauf, daß da» OberlandeSgericht BreSlau die gleichartige DiS- positiv-Vorschrift („ist zu gewähren') in der die schankgewerbliche Ruhezeit betreffenden Bundesrats- Verordnung so auSgelegt habe, daß es dem Gewerbegehülsen, dem Kellner, gestattet sei, auf die ihm „gewährte" Ruhepause „freiwillig zu verzichten". Aus diesem Grunde hielt eS der sozialdemokratische Abgeordnete sür unerläßlich, daß fortan in sozialpolitischen Schutzgesetzen von dem so bedenklichen Ausdruck „gewahren" Abstand genommen werde. Bon großer Wichtigkeit war di« Erklärung, die Graf PosadowSky zu dieser Angelegenheit abgab. Er stimmte dem Vorredner in der Beurteilung deS Erkenntnisses des Breslauer ObrrlandeSgerichtS vollkommen bei. Die be treffende Entscheidung stelle unsere ganze sozialpolitische Gesetz gebung ins Ungewisse, zumal in der Gewerbeordnung die Worte „ist zu gewähren" sich wer weiß wie oft wieder holen. Und jedesmal, wo der Reich-lag eine solche Vorschrift beschlossen habe, seien Reichstag und Regierungen davon auSgegangen, eS handle sich thatsächlich um «ine disposilive Vorschrift, die durch keine Abmachung privater Natur, durch kein freiwilliges Anerbieten zum Weiterarbeiten illusorisch gemacht werden könne. Um so weniger, al« es sich hierbei um Fragen des öffentlichen Rechts handle. Genau den gleichen Standpunkt habe das Reichsgericht bereits dreimal in ganz bündigen und klaren Erkenntnissen, die der Staatssekretär vorlas, eingenommen. Graf PoiaoowSky bat zugleich, nun gerade und ausdrücklich an der Vorschrift „ist zu bewähren' festzuhalten, weil eS anderenfalls scheinen könne, als erkenne der Reichstag die Auslegung des Breslauer OberlandevgerichtS als richtig au. — Eine längere Debatte entspann sich dann noch um den tz 15, welcher die Bedienung der Gäste durch Kinder im Betriebe von Gast- und Schankwirtschaften regelt. Wenn auch im all gemeinen anerkannt wurde, daß Kinder dafür ungeeignet find, so wurde doch anderseits hervorgehoben, daß in kleinen Verhältnissen die Bestimmung deS tz 15 als Härte empfunden werden müsse. Man nahm trotzdem den tz 15 in der Kom missionsfassung an, aber mit der mehrfach ausgesprochenen Absicht, bei der dritten Lesung eine Verbesserung zu ver suchen. Die übrigen Paragraphen wurden in der Korn- MlssionSfassung angenommen. — Am Dienstag beginnt die zweite Lesung des Etats. Preutztsche Regierung und Landbündler. Die Frage, ob die im preußischen Abgeordnetenhaus« vom LantwirlschastSminister v. Podbielskl dem Abg. vr. Hahn und dem ganzen Bunde der Landwirte erteilte Absage lediglich ein Privat akt deS Herrn v. PodbielSki sei oder aber als eine RegierungSkundgebuug betrachtet werden müsse, hat ihre Lösung noch nicht gefunden. Die Offiziösen schweigen wie die Gräber. Um so bemerkenswerter scheint eS unS, daß ein Berliner Gewährsmann der Münchener „Allgem. Ztg." dem Beziehungen zu preußischen Regierungs kreisen nachgesagt werden, entscheidende Schritte gegen den Bund Voraussagen zu dürfen glaubt. Er schreibt nämlich: „Für die politische Bewertung deS sensationellen Vorganges fragt eS sich, ob man eS hier vielleicht mehr mit einer äugen- blicklichen Aufwallung des Ministers oder mit einem wohl- bedachten Schritte zu tun hat. Wir möchten das letztere annehmen. Konnte das nicht immer ganz gleichmäßige und klare Auftreten deS Ministers in den vorangegangenen Tagen den Eindruck machen, als ob die Regierung noch immer auf einen woäu» vivonäi mit den extremen Agrariern hoffe, so scheint anS seinem nunmehrigen Verhalten hervorzugehen, daß die Regierung di» schlechtweg unversöhnliche Feindseligkeit der Pläne der BuudeSleitong erkannt hat. In der Tat sind diese Pläne ja nicht schwer zu durchschauen. Man will den Grasen Bülow, sei es durch die Ver dächtigung seiner sozialpolitischen Haltung, sei es durch Ableh nung der bevorstehenden Handelsverträge, zu Falle bringen und hofft dann auf eine» Nachfolger, der den neuen Zoll tarif ohne Handelsverträge mit Konventionaltarifen in Kraft setzen soll. Bon den Reichstags wählen ver- spricht man sich unter der Losung: „Gegen die Bülowsche Politik!" einen so durchschlagenden Erfolg, daß die Umstim mung an der maßgebenden Stelle nicht mehr lange auf sich warten lassen würde. Sind die Konservativen wirklich gesonnen, diese Kampagne durch dick und dünn mitzumachrn? Die durch das Verhalten der Regierung gegenüber der Sozialdemokratie tu den konservativen Kreisen hervorgrrufene Verstimmung ist begrrifltch. Eine tendenziöse Ausbeutung desselben aber, wie eS z. B. in der Hahnschen Angriffsrede klar hervortrat, können besonnene Konservative weder sür gerechtfertigt noch für zweckmäßig halten. Ebensowenig werden sie die Gegnerschaft um jeden Preis gegen die künftigen Handels- vertrage billigen können. Und soll es trotzdem beim engen Zu sammengehen mit dem Bunde bleiben? Jedenfalls darf man erwarten, daß die preußische Regierung nun endlich ihren Verwaltungsorganen di» Unterstützung des Bundes verbietet. Das wird wohl auch aus die Konservativen nicht ohne Wirkung bleiben." Da die Neichstaaswahlen jedenfalls frühzeitig im Jahre stattfinden werden, so wird die preußische Regierung, wenn sie wirklich einen entscheidenden Schritt tun will, mit einem solchen nicht lange zögern dürfen. Tschechische Gerechtigkeit. lieber die „Unterdrückung" der Polen im Deutschen Reiche haben mit am lautesten die österreichischen Tschechen geschrien. Um diese Angriffe, sowie die tschechischen Klagen über ihre eigene „Entrechtung" in das richtige Licht zu setzen, genügt die Angabe einiger Zahlen: Böhmen zählt nach der letzten Volkszählung 8 930 098 Tschechen und 2 387018 D e u t s ch e; die Deutschen zahlen sicherlich mehr als die Hälfte der gesamten Steuern. Man beachte, wie sie bei der Verteilung und Besetzung der Landesämter bedacht werden. Bon -en 9 Landesausschuß- mttgliedern find 7 Tschechen, von dem Konzeptsbeamten status des Landesausschusses 41 Tschechen. Der technische Landesbeamtenstatus zählt 50 wirkliche und 86 provisorische Beamte, von ersteren sind 45 Tschechen, die 36 provisorischen Beamten sind durchwegs Tschechen. Im Landesarchiv sind sämtliche 5 Beamten Tschechen, ebenso im statistischen LandeSamte die 7 Beamten. In der Landesbuchhaltung sind von 110 Beamten 101 Tschechen, von den 56 gemein samen Beamten der beiden LanbeSkulturräte alle Tschechen, ebenso sind sämtliche 85 Beamten der Landesbank Tschechen. Bet der Landes-Hypothekenbank sind von 94 Beamten 87 Tschechen. Bei den Landesspitälern sind sämtliche Aerzte, sowie das gesamte Verwaltungs personal (im ganzen 144 Personen) Tschechen. Bon den 1058 Landesbeamten und Angestellten (Dienern usw.) sind also 996 Tschechen und nur 14 Deutsche. Die Na tionalität der übrigen ließ sich nicht genau feststellen. Nach den Bevölkerungsziffern würden auf die Deutschen 421 Beamtenstellen, auf die Tschechen 682 Posten entfallen, u^d nun vergleiche man damit die Wirklichkeitszahlen! Das Gegengift gegen die Teutophobie. Unter dieser Ueberscbrift bringen die „Daily News" einen Artikel, in dem als eines der schlimmsten Resultale des venezolanischen Imbroglios der unglückliche Argwohn hingestellt wird, der in England gegen Deutsch land wachgerusen wurde. I» vieler Hinsicht sei diese Krankheit ebenso gefährlich wie dir Russophobie frü herer Jahre. „Wir fürchteten Rußland, weil es uns Widerstand entgegensetzte, ließen es aber in Ruh«, so bald es sich ruhig verhielt. Unser« Scheu vor Deutsch- land ist dagegen daun am größten, wen» wir am engsten mit ihm zu gemeinsamem Handeln verbunden sind, und ein solcher Argwohn zwischen Partner» trägt stets bittere Früchte als die offen« Gegnerschaft von Konkurrenten. Wir heißen deshalb jede» Versuch, in der Presse und auf der Rednerbühnr willkommen, die Be ziehungen zwischen den beiden Mächten bester zu ge stalten und der Flut sorgfältig überlegter Anklage« entgegenzutreten, die au« den Federn derjenige« fließe», die die „Times", die „National Review' und den „Speklator" schreiben." Die Zeitung nimmt dann Be zug auf emen Artikel in der „Empire Review" aus der Feder eines „Schriftstellers aus der BiSmarckschen Schale". Die „Daily News" finden die Behauptung ganz gerechtfertigt, daß man Deutschland nicht deshalb anklagen dürfe, weil e« sich weigere, ein Bündnis gegen Rußland eiuzugehe». „Wir werden von dem Schreiber aus der BiSmarcksche» Schale daran erinnert, daß Deulschlaud, wie alle andere» Nation«», seine berechtigten Ziele habe . . . und daß schließlich da offizielle Verhalten unS gegenüber stets ei» sorg fältig achtungsvolles gewesen sei. Wir ksunea de» Gründen des Verfasser« in fast alle» Punkte» «»stimme», glauben aber nicht, daß derartige logische Schlüffe etwas a» der bedauerlichen Stimmung de< Augenblicks z» ändern vermöge». Wir haben in England ebenso uuser« BiSmarcksche Schul«, wie die Deutschen, und diese Bismarckschen Schulen ans beiden Sette» des Kanals tragen di« Schuld an dem AnSbruch der gegenseitigen Feindschaft der beiden Nationen. Di« Nutzlosigkeit aller Bestrebungen ist der Tatsache zuzuschreiben, daß wir zwar BiSmarckS Methode« und Ideale, aber nicht BiSmarck, den Mann, besitze» . . ." Folgt eine scharf« Verurteilung des BorgeheuS i» Beue- zuela, das den britischen Handel geschädigt, den deutsche» vernichtet und das deutsche Ansehe» r» Washington zerstört habe. Der Artikel schließt mit dem Wunsche, vaß in England wie iu Deutschland die , Ideal« des praktischen Liberalismus" realisiert werde» möchte». Also auch diese scheinbar eine Verständigung befür wortende Stimme verfolgt nur parteipolitische Zwecke. Beschwichtigea wird sie aber auch schon deshalb »icht, weil ibr Urheber als Friedensvermittler nicht ganz einwandfrei ist, denn nicht bloß die „Times" u. s. f. haben gegen Deutsch land gehetzt, auch die „Daily New«' haben ihr Schrrfiei» zur Trübung der deutsch-englischen Beziehungen beigetragen. Die Lage t« Marokko. Die letzten Meldungen au« Marokko widersprechen einander direkt. Der Prätendent soll den Sultan, der Sulian den Prätendenten geschlagen haben und nach der dritten Version hätte gar kein Kampf stattgefundrn, da der Prätendent sich aus seine alten Stellungen zurückgezogen habe. Unter diesen Umstanden verdient die folgende Korrespondenz unsere« Madrider Gewährs mannes beachtet zu werden. Derselbe schreibt: Wieder um haben diejenigen, welche die Meldungen über die bevorstehende Eroberung der Hauptstadt Fez durch de» „Propheten" als übertrieben erklärten, vollkommen Recht behalten. Diejenigen Berichterstatter, welche den Propheten Feuilleton. is Dunkle Wege. Roman von I. v. Conring. Nachdruck «erboten. Erstes Kapitel. Oberst von Lindow ging mit großen Schritten im Wohnzimmer auf und ab. Von Zeit zu Zeit warf er eineu Seitenblick auf seine Gattin, die, unbekümmert um ihres Mannes sichtbare Aufregung, in unzerstörbarem Gleichmut die Patience weiter legte. Frau von Lindow trug große Toilette — schwarzen Atlas und ein Spitzen häubchen auf dem glatt gescheitelten dunklen Haar. Sic hatte schöne braune Augen und ein fleischiges, von Stubenluft und Mangel an Bewegung fahl und gelblich gewordenes Gesicht. Der Oberst blieb jetzt vor ihr stehen: „Willst du nun die Karten einmal ruhen lassen, Lucie? Ich bat dich, deine Ansicht über Ottos Bries zu äußern und warte noch immer auf Antwort. Ich kann dir nur so viel sagen, daß ich den Jungen einfach unverschämt finde. Schreibt er da ganz kaltblütig, ich hätte ihn nicht Offizier werden lassen sollen, wenn ich ihm keine Zulage geben wollte, mit der er auszukommen im stände sei." Frau von Lindow hielt die Treffzehn einen Augenblick unschlüssig in der Hand. „Da hat er ja ganz Recht", sagte sie sehr ruhig. „Ganz recht? Du bist wirklich unglaublich naiv, liebe Frau. Woher soll ich denn noch mehr Geld nehmen? Du weißt doch recht gut, daß die Schulden, die Egbert uns hinterließ, noch nicht einmal bezahlt sind, und ich mich deshalb schon auf das Acußcrste einschränken muß. Otto bekommt monatlich dreißig Mark, daS ist eine sehr an ständige Zulage für ein Infanterie-Regiment. Ich selbst habe, als snngcr Offizier, sechSunddreißig Taler jährlich gehabt und dabei noch Ersparnisse gemacht. Ganz be deutende Ersparnisse, sage ich dir! Meine Urlaubsreisen und sonstigen Extraausgaben konnte ich davon bestreiten. Aber, freilich, das Sparen verstand ich au« dem Grunde, und Kneipensitzen. Bummeln und Kartenspielen habe ich mir nie gestattet.- Frau von Lindow war die Aufzählung dieser Tugenden nicht mehr neu, sie hörte deshalb gar nicht darauf. Nach einer kurzen Pause sagte sie langsam: „An Ottos Torheiten bist du ganz allein schuld. Hättest du ihn doch Techniker werden lasten, wie er so sehr wünschte! Aber, das paßte dir nicht: der Junge mußte ins Kadettenkorps, ob er wollte oder nicht. Wahrschein lich ist er jetzt ein recht mittelmäßiger Offizier geworden. Ihm kannst du keine Schuld daran geben." Der Oberst zuckte die Achseln. Augenscheinlich fand er nicht gleich eine paffende Antwort. Mit unmutig zu sammengezogenen Brauen trat er an einen Seitentisch, der ein großes Kissen, aus dunklen Veilchen zusammen gesetzt, trug. Auf dem köstlich duftenden Grunde lag ein Orchideenstrantz — die seltsam zierlichen Blüten wie von Feenhänden zusammengestellt. Der Oberst betrachtete die Blumen prüfend — seine finstere Miene hellte sich plötz lich auf: „Wieder von van Harpen — der geht mit einmal gehörig ins Zeug. Hat Konstanze die Blumen schon ge sehen?" „Ich glaube nicht", sagte Frau von Lindow, ohne von ihren Karten aufzublicken. „Das Ding kostet ein heilloses Geld und ist ungemein geschmackvoll", sagte der Oberst, den Strauß von allen Seiten betrachtend. „Konstanze hat alle Ursache, auf einen solchen Freier stolz zu sein. Gestern, bei dem Diner, ist er kaum von ihrer Seite gewichen, so daß man mich schon mehrfach ans die bevorstehende Verlobung an geredet hat." „Ich glaube nicht, daß er bei Konstanze mit solcher Art von Werbung viel erreicht", meinte Frau von Lindow. „Ihr ist alle» Auffallende zuwider." „Bitte, rede ihr nur nicht so etwas vor, liebe Frau. Es ist ganz überflüssig, daß du sie noch in ihren Torheiten bestärkst." „Ich wüßte nicht, wieso?" Frau von Lindow mischte seelenruhig ihre Karten. „Du bist mir viel unbegreif- licher als Konstanze, der ich gar nicht verdenke, daß sie van Harpen nicht mag. MaS weißt du überhaupt von ihm, was bringt dich dazu, ihn Konstanzen immer wieder anzupreisen? Nur weil er viel Geld hat, soll sic ihn nehmen, nicht wahr? Und ich möchte wissen, ob du es gezählt hast?" . „Mit dir ist heute wieder einmal nicht zu reden. Der Oberst war sehr ärgerlich. „Natürlich will ich mein Kind nicht zu einer Geldheirat zwingen. Aber man muß doch einen Freier nicht aowetsen, weil er reich ist. Und darauf kommt es schließlich noch bei Konstanzens sentimentalen Torheiten heraus. Was will sic denn eigentlich? Bau Harpen ist ein schöner, eleganter Mann, in den besten Jahren, hat ein herrliches Haus hier in Rhcinfeld und ein Gut im Münsterschen, liebt bas Mädel ganz unver nünftig und tut, was er ihr an den Augen absehen kann. Dafür ist sic immer bockig und absprechend gegen ihn." „Sie sieht ihn also wohl mit anderen Augen an als du, lieber Mann." „Unsinn! Das ist es nicht! Ich fürchte immer, cs steckt ihr jemand anders im Kopf. Wenn ich dahinter komme, kann sie sich gratulieren." Er drückte auf den Knopf der Klingel. Der Bediente erschien. „Herr Oberst befehlen?" „Gehen Sie hinauf. Daß gnädige Fräulein möchte zu mir kommen. Ist der Wagen da?" „Seit einer Viertelstunde, Herr Oberst." In diesem Augenblick trat Konstanze von Lindow ins Zimmer. Sie mar bereits zur Fahrt fertig, lieber dem weißen Ballkleids trug sie einen silbergrauen, pelz gefütterten Abcndmantcl,' ein Spitzentnch schlug sich nm daS feine Köpfchen mit seinem schimmernde» Goldhaar. Ihr Gesicht war zart, fast zu schmal, mit großen, dunkel grauen, ein wenig zu tief liegenden Augen unter dnnklen Brauen, einem feinen, geraden Näschen und dunkelroten Lippen. Konstanze ging sofort ans ihre Mutter zu und umfaßte sie sanft. „Nun, Mütterchen, noch ohne Mantel? Du kommst doch mit uns?" „Nein, Kind, heute lieber nicht. So gern ich es täte, doch ich habe etwas Kopfweh." „Wieder ein Leiden, daS man nicht sehen kann", rief der Oberst ärgerlich herüber. „Wozu in aller Welt machst du da erst große Toilette? Natürlich ist deine Patience nicht aufgegangcn, ober du bist mit dem linken Fuß zuerst aus dem Bette gestiegen, und es müßie dir beute abend noch etwa» Fatales pastieren, wenn du au«» gingest! Nicht wahr, das ist e« doch?" „Arme Mutter", sagte Konstanze, die an solche Aus fälle ihres Vater« so gewöhnt war, baß sie gar nicht mehr darauf achtete. „Willst du denn nicht lieber gleich zu Bette gehen? Ich will nach der Jungfer klingeln »nd dir deine Tropfen holen lasten. Dann wird es für uns wohl Zeit, Papa?" „Natürlich. Ich habe nur auf dich gewartet." Der Oberst sah, daß Konstanze nach einem flüchtigen Blick auf van Harpens Blumen zur Tür schritt, und Äef ihr nach: „Halt, Kind, du vergißt deine Orchideen." „Danke, Papa, ich nehm« sie nicht mit." Frau von Lindow schob, als sie das Rollen des ab fahrenden Wagens hörte, mit einem Seufzer der Er leichterung ihre Karten zusammen und erhob sich schwer fällig. Sie haßte die geselligen Vergnügungen. Stunden lang im pressenden Korsett, mit unbequemer Frisur und engen Schuhen dasitzen, sich unterhalten müssen, und schließ lich noch ein langes, langweiliges Souper über sich er gehen zu lassen, das war sür sie, die ihre Bequemlichkeit über alles liebte, eine wahre Marter. Sie legte sich jetzt zu Bett. Einen Teller voll Obst und Kuchen neben sich, einen abgegriffenen Leihbibliothekroman in der Hand, so brachte sie, behaglich hingestreckt, die hellbrennende Lampe zur Leite, die nächsten Stunden zu. Oberst von Lindow und Konstanze fuhren indes ihrem Ziele, der Kommandantur, zu. Dort gab an diesem Abend der General von Deren den letzten Ball der Saison. Lange Zeit herrschte im Wagen ttefeS Schweigen. End lich begann der Oberst, besten Gedanken sich immerfort mit dem einen Gegenstand beschäftigt hatten: „Was ist das nun wieder für ein Eigensinn von dir, ohne die Blumen auf den Ball zu gehen?" „Ich habe Herrn van Harpen gestern gebeten, mir keine mehr zu schicken und möchte ihm gern zeigen, wie taktlos ich cs finde, daß er eS doch getan hat." „Du weißt recht gut, daß der Mann dich vergöttert und dein Verbot nicht ernst genommen haben wird." „Umsomehr muß ich ihn verhindern, sich falschen Hoff nungen hinzugeben." „Willst du damit sagen, Konstanze, daß du van Harpen abzuwcisen gedenkst, wenn er dir die Ehre erzeigen wird, um dich anzuhalten?" „Ja, Papa, das meine ich allerdings." „Du törichte«, törichte- Geschöpf", rief der Oberst. „Was bist du, was kannst du, wenn ich einmal die Augen zumache? Verwöhnt bist du, wie eine Prinzessin, kxin keinen Pfennig Vermögen, keine Verwandten, die dich auf nehmen könnten, und willst eine solche Partie ableynen? Hast du einen vernünftigen Grund dazu, dann sag« ihn mir. Sonst mutz ich annebmen, daß du, trotz deiner ein- nndzwanzig Jahre, kindisch und unverständig handelst." (Fortsetzang folgt.)
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