Delete Search...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.02.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-02-22
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010222029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901022202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901022202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-02
- Tag1901-02-22
- Monat1901-02
- Jahr1901
- Links
-
Downloads
- Download single page (JPG)
-
Fulltext page (XML)
Bezug-»Preis Kl der Hauptexpedittou oder den im Stadt bezirk und den Bororten errichteten Aus gabestellen abgeholt: vierteljährlich 4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins HauS 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland u. Oesterreich: vierteljährl. 8. Mau abonnirt ferner mit entsprechendem Postausschlag bei den Postanstaltrn in der Schweiz, Italien, Belgien, Holland, Luxem- bürg, Dänemark, Schweden und Norwegen, Rußland, de» Donaustaaten, der Europäischen Türkei, Egvpten. Für alle übrigen Staaten ist der Bezug nur unter Kreuzband durch die Expedition dieses Blattes möglich. Die Moraen-AuSgabe erscheint um '/,7 Uhr,, die Abend-AuSgabe Wochentags um 5 Uhr. Uedaction unL Expedition: JohanniSgasse 8. Filialen: Alfred Lahn vorm. O. Klemm'- Sortim. Nuwersitätsstraße 3 (Paulinum), Louis Lösche, Kathariuevstr. 14, Part, und KönigSplatz 7. Abend-Ausgabe. MpMer TaMatt Anzeiger. Amtsblatt -es Königliche« Land- ««- Amtsgerichtes Leipzig, -es Ratyes un- Polizei-Amtes -er Lta-L Leipzig. Anzeigen »PreiS die 6gespaltene Petitzeile 25 Reklamen unter dem RedactionSstrich («gespalten) 75 H, vor den Familiennach- richten (8 gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahmr 25 H (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesürderung 60.—, mit Postbesürderung 70.—. Annahmeschlnß für Anzeigen: Ab end-Ausgabe: BormtttagS 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeige« find stets an die Expedition zu richten. Die Expeditton ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Freitag den 22. Febmar 1901. 95. Jahrgang. Der Krieg in Südafrika. —2m Westen de- Transvaals, wo Delarey das Ober kommando führt, haben die Engländer bis jetzt äußerst schlechte Geschäfte gemacht. So oft sie hier mit dem Feinde zufammenstießen, haben sie eine Schlappe davongetragen, und so ist denn jetzt auch — einer nach dem andern kommt an die Reihe — Lord Methuen geschlagen worden, Lord Methuen berüchtigten Angedenkens, dem Eng land die Decimirung der besten englischen Streitkräfte s. Zl. am Modderflusse zu verdanken hat, als cS galt, Kimberley von Süden her zu befreien und die Goldminen zu retten. Die Fehler, die er damals gemacht hat, waren so haarsträubend, daß seine Freunde es für »«gezeigt hielten, ihn als geistig nicht mehr völlig intact hinzustellen. Unbegreiflicher Weise hat weder Lord Roberts noch Kitchener den unfähigen — freilich sehr hoch prolegirten — General nach Hause ge schickt, wenn man ihn auch nach der Befreiung Mafekingö dort in fast ungefährdeter Stellung so ziemlich kalt gestellt hatte. Nun machte aber der Guerillakrieg mit seinen überall auftauchenven BocrencommandoS doch auch für Methuen einige Operationen nölhig und er erhielt Ordre, das Gebiet zwischen Maseking und dem Vaalflusse in der Richtung auf Polchefstroom und die Bahnlinie Krügersborp—Klerksdorp— Johannesburg „sauber" zu halten. Wie übel ihm das be kommen ist, zeigt folgende Meldung: r. London, 22. Februar. (Privattelegramm.) 1500 Boeren unter Llcvenbcrg attakirtcn Methuen bei Hartdcstfontciu und warfen denselben nach Klerksdorp, wo Kuchcner mit Verstärkungen etn- getroffcu war, zurück. Methuen verlor 4 Lnicicre uud 21 Mann au Tobten, 7 Lfficierc und 37 Man» a» Verwundeten und 1 Lfficicr und 13 Mann au Gefangene». Die amtliche Version lautet etwas abweichend: * London, 2l. Februar. Lord Kitchen .r meldet aus Klecks- dorp: General Methuens Abtheilung ist hier einmarschirt, nachdem sie das Land üocr Wolmaranstad hinaus aufgeklärt hat. Bei Hartbestfontein stieß sie aus 1400Boeren unter den Generalen de Billiers und Liebenberg. Die Boeren leisteten in einer starken Stellung hartnäckigen Widerstand, wurden aber nach einem heftigen Kampfe aus ihrer Stellung geworfen. Tie Verluste der Briten betragen: 3 Oificiere und 13 Mann todt, 5 Osficiere und 29 Mann verwundet. Die Boeren hatten schwere Verluste, sie ließen 18 Todte zurück. Diese officielle Darstellung, die offenbar im KriegSamt all usum populi zurechtgestutzt ist, giebt gerade noch genug zu, um uuS zu erlauben, daß wir unsere Privatmeldunz für richtig und ccrrect halten. Eins verichweigt Kitchener, nämlich daß er Methuen zu Hilfe eilen mußte, aber er verräth «S wieder dadurch, daß er selbst aus Klerksdorp depeschirt. Ueberallhin muß er hasten und jagen, um seinen famosen Unterführern auS der Patsche zu helfen. Hartfesl- sontein liegt nordwestlich von Klerksdorp, nicht weit von diesem südlichen Endpunkt der bezeichneten Bahnlinie. Vor dc» Thoren Johannesburgs setzen die Boeren mittlerweile die Zerstörung der Bahndämme und die Wegnahme von Proviamladungen mit unerreichter Virtuosität fort. So wird unS heute wieder berichtet: * Johannesburg, 20. Februar. (Reuter's Bureau.) Ver- gangen« Nacht zerstörten die Boeren den Bahndurchlaß bei Klipriver, erbeuteten eine Zugladung von Lebensmitteln, verbrannte« ungestört den geleerten Zug und zogen als- dann ab. - d Ungestört — also nicht einmal bis wenige Kilometer unter Johannesburg vermag Kitchener die Bahn zu decken! DaS sieht bös auS. Wäre er doch selbst vor einigen Tagen bei Klipriver den Boeren in« Netz gelaufen! Es giebt überhaupt kaum noch einen Theil der verschiedenen Eisen bahnlinien, auf denen die Boeren nicht vollständig nach ihrem Belieben die Controle über den Verkehr auS- üben und ihren Bedarf an Lebensmitteln, Kleidung, Munition, Pferdefutter u. s. w. mit geradezu verblüffender Regelmäßigkeit decken. Sie spare» damit natürlich ein eigenes Conimissariat und können ja auch anscheinend mit ziemlicher Sicherheit auf diese „regelmäßigen Lieferungen" der Engländer rechnen. Louis Botha AuS Standerton im südöstlichen Transvaal läßt sich „Reuter's Bureau" depeschiren: Ein Deserteur von Botba's Armee erklärte, General Botha habe seinen Leuten gesagt, sie dürften sich nie ergeben. Aus eine Ent gegnung der Burghers, daß sie nicht länger kämpfen könnten, da die Engländer ihr Vieh wegnäbmen und die Munition fast erschöpft sei, habe General Botha erwievert, Gott werde sie mit Kampfmitteln versehen. Von Kampfesmüdigkeit der Boeren haben wir bisher noch nichts gemerkt — im Gegentheil, wohin man blickt, sind sie an der Arbeit. Zhr Vieh haben die Engländer schon fängst weggenommen, zu verlieren haben sie also nichts mehr, nur gewinnen können sie, wenn sie auShalten. Tic Pest. - Kapstadt, 21. Februar. (Reuter s Bureau.) Zwei ucuc Pcstfälle unter den Meiste» find fcstgestcllt worden. Die wirren in China. Tie neue Expedition Waldcrscc's. Die amtlichen Stellen schweigen noch immer über den Plan und die Ausdehnung deS neuen Feldzuges ins Innere EbinaS. Wir sind, bemerkt hierzu die „Tägl. Nundsch.", an dies Verfahren während deS Verlaufes der Chinawirren so gewöhnt, daß wir eS als selbstverständlich betrachten, alle Nachrichten von Bedeutung, auch über die Schicksale der deutschen Truppen, von den großen Londoner Blättern zuerst zu erfahren. An sich konnten also die auftauchenden Mel dungen über neue umfassende KricgSpläne des deutschen Ober kommandos, die unS durch die englische und amerikanische Presse übermittelt wurden, sehr Wohl als zutreffend angesehen werden. Jetzt endlich läßt sich die gemeinhin officiös gespeiste „K. Z." also über die fraglichen Feldzugspläne vernehmen: „Was bisher in China geschehen ist, stand unter Lein Zeichen der Einigkeit der Mächte (mit dieser naiven Ansicht dürfte das Weltblatt am Rhein ziemlich vereinsamt dastehen); dieser Grundiatz wird selbstredend auch in Zukunft beobachtet werden. Sollte sich die bisher höchstens theoretisch in Betracht gezogene Nothwendigkeit ergeben, einen neuen starken mili tärischen Druck auszuüben, so könne man überzeugt sein, daß das Mittel für diesen auch die Zustimmung der Mächte finde, die etwas abseits halten. Die ausdrücklich als unwiderruflich be zeichneten Friedensbedingungen tragen die Unterschriften der Ver treter sämmtlicher betheiligteu Mächte. Wenn bisher in Einzel- beiten weises Nachgebeu geboten gewesen sei, könne cs doch sehr wohl Bedingungen geben, auf deren genaue Ausführung nicht ver zichtet werden kann." Aus diesen langen und gewundenen Erklärungen ent nehmen wir mit dem genannten Berliner Blatte mit Genug- thuung, daß neue militärische Unternehmungen „bisher höchstens theoretisch" in Betracht gezogen sind. Wir brauchen also die Hoffnung nicht aufzugeben, daß der neue Feldzug unterbleibt, wiewohl man auch aus den obigen Sätzen der „K. Z.", wenn man sie aus dem Officiösen ins Deutsche übersetzt hat, soviel ersehen kann, daß die Möglichkeit neuer kriegerischer Verwickelungen nicht ausgeschlossen ist. Politische Tagesschau. " Leipzig, 22. Februar. WaS man auch dem jetzigen Reichstage zum Vorwurf machen kann: das Eine muß man ibm lassen, er läßt sich aus seiner vornehmen Ruhe durch alle diese Vorwürfe auch dann nicht bringen, wenn sie in beleidigender Form erhoben werden. Bis jetzt wenigstens bat er unseres Wissens noch nie seine Einwilligung zu strafrechtlicher Verfolgung eines Beleidigers gegeben. DaS tröstet unS in dem uiederschlazenden Bewußtsein, die Hobe Körperschaft gestern durch die Annahme, sie sei in der vorgestrigen Abendsitzung, in welcher der Antrag auf Gewährung von Anwesenheitsgeldern einstimmig einer Commission überwiesen wurde, beschlußfähig gewesen, schwer beleidigt zu haben. Ter Reichstag war, wie wir hiermit reumüthig feststellen, in dieser Abendsitzung ebenso be schlußunfähig, wie er cs in der Nackmittagssitzunz, Vie sich mit dem Anträge auf Abschaffung der Theatercensur beschäftigte, gewesen war. Es kam nur am Abend zu keiner Auszählung, die ergeben haben würde, daß die Zahl der Abwesenden größer war, als die der Anwesenden. Wir entnehmen diese Tbatsache einer Ausführung der „National-Ztg.", die zugleich eine sehr lehrreiche Darlegung über die vergeblichen An strengungen, vorgestern ein beschlußfähiges Haus zusammen zubringen, wie über die Manöver enthält, die gemacht zu werden pflegen, um die Wähler über das Pflichtbewußtsein des größten TheileS ihrer Erwählten zu täuschen. Die ge nannte Zeitung schreibt nämlich in ihrer gestrigen Morgen ausgabe: „Im Reichstage waren gestern unerhörte Anstrengungen für eine möglicherweise vorzunehmende wirkliche Abstimmung gemacht worden. Der harmlose Leser der Sitzungsberichte, welcher in vielen derselben liest, daß Etatspositionen bewilligt, Anträge angenommen oder abgelehnt werden, glaubt freilich, daß in dem hohen Hause beständig Abstimmungen stattfinden; aber das ist ein bloßer Schein; waS man als Abstimmungen gelten läßt, sind Be- wegungcn mit markirten Parteien, ähnlich den militärischen Uebungen mit markirtem Feind. Aus dem Nufstehen und Sitzenbleiben der durchschnittlich anwesenden 30 bis 40 Mitglieder wird gefolgert, wie die Abstimmung ausgefallen wäre, wenn die Fractioncn in entsprechender Stärke zur Stelle wären, und danach wird das Ergebniß festgestellt, ungefähr wie beim Manöver die Schiedsrichter einen Truppentheil für vernichtet, eine Position für erobert erklären. Widerspruch gegen diese Art von Abstimmungen wird in der Regel nicht erhoben, weit es, wen» man diese parlamentarische Geschäftsführung nicht im gegenseitigen Einverständniß duldet«, mit dem Reichstage überhaupt zu Ende wäre, da ein beschlußfähiges Haus, in dem unanfechtbare Abstimmungen stattfinden können, nur noch in den seltenste» Fällen vor- Händen ist. Für gestern, wie gesagt, hatte man nach allen Seiten die Aufforderung zum Erscheinen am Königsplatz ergehen lassen, denn an erster Stelle stand abermals der Antrag auf Abschaffung der Theatercensur auf der Tagesordnung, der den Reichstag schon wiederholt beschäftigt hat. So war denn das Haus nach der Bemerkung der in dieser Hinsicht überaus bescheiden gewordenen Berichterstatter „gut besetzt". Aber was dies heut zu Tage bedeutet, ergab sich, als Las Bureau bei der Ab stimmung über Len Antrag zweifelhaft war und deshalb gezählt werden mußte: 74 Abgeordnete hatten für die Ueberweisung an die Commission gestimmt und 73 dagegen, macht zusammen 147, mährend zur Beschlußfähigkeit 199 erforderlich sind; das Haus war somit beschlußunfähig, die Sitzung mußte unverrichteter Sachegeschlossen werden, und der Präsident beraumte eine neue aus eine halbe Stunde später zur Berathung eines anderen Gegenstandes an. Wenn aber nicht einmal mehrLcrZorn Ler„ausjchlaggebendcn"ParteiüberihreNiederlag« beim Heinze-Gesetz im Stande ist, rin beschlußfähiges Haus zujammen- zubringen, dann muß man fast bezweifeln, ob dies unter den jetzigen Verhältnissen überhaupt noch in irgend einem Falle erreichbar ist In der zweite« Sitzung, welche auf di« erste, beschlußunfähige folgte, wurde der Antrag auf Gewährung von Anwesenheits geldern an eine Commission verwiesen; «S trat hier wieder dcS oben geschilderte, stillschweigende AbsttmmungS- Ueberei nko mmrn in Kraft." ES ist also nur eine Minderheit gewesen, die de« Beschluß faßte, eine Commission mit der Aufgabe zu betrauen, den Speck zu braten, mit dem die Mehrheit in den kostbaren Bau gelockt werden kann, für den bisher der rechte Name noch nicht gefunden ist. Vielleicht findet sich nun auch dieser. Die Iustizcommission deS Reichstag« hat soeben die Beratbung über die Reformanträge Rintelen, Lenzmann, Salisch in zweiter Lesung zu Ende gebracht. Während der Beralbungen der Commission mußte wiederholt darauf hin gewiesen werden, daß eine Reihe der in der Commission gut- gebcißenen Anträge zweifellos nicht die Zustimmung der ver bündeten Negierungen finden und daß mithin das praktische Ergebniß der Bcratbungen sehr Wohl ebenso negativ ausfallen werde, wie im Jahre l896. Ganz am Schluffe der zweiten Lesung hat nun die Iustizcommission einen Antrag angenommen, der ebenfalls geeignet erscheint, eine Verständigung zwischen der Negierung und dem Reichstage zu erschweren. Der Ab geordnete Stadthagen beantragte nämlich, daß den Schöffen Tagegelder zuzebilligt werden sollten, und dieser Antrag fand die Zustimmung der Commission. Wenn die Regierung, wie anzunehmen ist, diese Forderung nickt gutheißt, so wird sic fick in erster Reihe darauf berufen, daß Durch die Be willigung von Tagegeldern der ehrenamtliche ^Charakter der Tbätigkeit der Schöffen leiden würde. Man gebt Wohl freilich mit der Annahme nicht fehl, daß nickt sowohl dieser Grund für die ablehnende Haltung der Regierung maß gebend sein würde, als vielmehr die Rücksicht auf die dadurch erwachsenden Mehrausgaben. Die Strafjustiz weist ja ohnehin ein sehr stattliches Deficit auf und deshalb dürste der Reichstag, wenn er das Deficit durch Bewilligung von Tagegeldern an die Schöffen ver größern wollte, kaum die Zustimmung der ver bündeten Negierungen finden. Die nothwendigen Auf wendungen aber würde» um so größer sein, je weniger man gerechter Weise nicht bei der Bewilligung von Tagegeldern für die Schöffen stehen bleiben könnte. Der Aufwand der Geschworenen an Zeit und Geld ist ein viel größerer, als derjenige der Schöffen, und deshalb hätten die Geschworenen in erster Reihe einen Anspruch darauf, diesen Aufwand zurückvergükel zu erhalten. Es dürste kaum ein Amtsgericht geben, das so ausgedehnt wäre, daß auch ein im entferntesten Winkel deS AmtsgerichlSbezirkS wohnender Schöffe nicht noch spätestens gegen Abend an seinem Heimatbsorie wieder au- gelangt sein könnte. Da der Schöffe im Jahre höchstens an fünf SitzungStagen einberufen werden soll, so versäumt er höchstens fünf ganze oder, wenn er am AnitsgericktSorte selbst oder in dessen unmittelbarer Nähe wohnt, in der Regel sogar nur fünf halbe Arbeitstage. Der Geschworene hingegen versäumt unter Umstände» 14 Arbeits tage oder noch mehr und muß diese ganze Zeit über, wenn er nicht zufällig am Landgerichtsorle selbst seinen Wohnsitz hat, im Hotel übernachten,waS auch bei bescheidenen Ansprüchen erheblich mehr Kosten verursacht, als der Schöffe zu tragen hat, der ja doch höchstens das Miltagsessen außerhalb seines HauseS einzunehmen gezwungen ist. Dazu kommt noch, daß Derjenige, der fünf Tage hintereinander seinem Geschäfte fern bleiben muß, mehr geschädigt wird, als Derjenige, der an fünf ganzen oder halben Tagen in weit auseinander liegenden Zwischenräumen durch ein Ehrenamt in Anspruch genommen wird. Man sieht also, daß den Geschworenen unzweifelhaft ein größerer An spruch auf Entschädigung zustehl. Mit den Geschworenen und den Schöffen aber wäre eS noch nickt abgetban, denn mit demselben Rechte könnten auch die Theilnehmer an de» Gewcrbegerickten, die Handelsrichter, kurz Alle, denen durch Ehrenämter pecuniäre Ausgaben oder — was häufig noch viel nachtheiliger ist — Verluste an Zeil erwachsen, Ansprüche auf Entschädigung erheben. FrurHetsn» Die Geschwister. 20s Roman von Alexander Römer. Nachdruck verhole». Ellen faßte ihre Hand mit festem Drucke und beugte sich zu ihr nieder. „Gott hat ja nun auf andere Weise geholfen", flüsterte sie; „ich sah diese Enttäuschung voraus' und fürchtete mich sehr vor dem heutigen Tage. Nun wird ja doch Alles über unser Bitten und Verstehen gut. Bitte, nimm Dich zusammen, trübe mir mein Glück nicht." Leopold, der «in paar mühsam erzwungene höfliche Worte mit Wclcord gewechselt hatte, wendete sich zur Thür. „Das Brautpaar wird Niemand vermissen", sagte ec. „Ich empfehle mich; ich habe drüben noch allerlei zu erledigen." Er ging, und Ellen sah ihm mit einem angstvollen Blicke nach. Die Mutter lehnte bleich und fassungslos in ihrem Stuhl. Trotz des Glückes, das da vor ihr aufleuchtete, vermochte sie sich in das Unerhört« nicht zu finden. Welcord flüsterte mit seiner Braut. Ec wollte jetzt gehen, zunächst zu Frau Rose, um ihr die Nachricht seiner Verlobung zu bringen. Am Nachmittag kam er wieder, um alles Nöthige zu berathen. Er küßte der Mutter sie Hand. Die alte Frau riß sich gewaltsam aus ihrer Verstörung empor. „Ach, Ellen", rief sie in einem angstvollen, hilflosen Tone, „wie soll das nun werden, wenn Du auch von mir gehst, und die Aussteuer — die Hochzeit —" Ihr dämmerten plötzlich di« Worte auf, welche Leopold in Bezug auf ein Legat gesprochen, das Ellen zugefallen sei. „Gottlob! Du hast jetzt wenigstens ein kleines Heirathsgut", setzte sie hinzu, aber binnen so kurzer Zeit läßt sich ja gar nichts beschaffen " Welcord fühlte Mitleid mit der schwachen, durch die wider sprechendsten Aufregungen verwirrten Frau. „Mütterchen", sagte er scherzend, „wenn Sie Ihre Ellen lieb haben, so dürfen Sie jetzt um nichts mehr sorgen. Was die Aussteuer anbelangt — so notirt mir Ellen ihre Wünsche; ein paar Telegramme nach Paris, Berlin oder Hamburg, an die betreffenden Magazine, und wir haben binnen ein paar Tagen Alles, was wir brauchen." Die Doctorin sah ihn sprachlos an, dann flog ein dunkle Röthc über ihr blasses Gesicht und sie athmete tief auf. „Verzeihen Si«, es überwältigt mich — aber Ellen, Kind, wie glücklich siehst Du aus! Gott segn« Euch!" Sie schlang ihre Arm« um die Tochter und Thränen stürzten aus ihren Augen. Als Ellen draußen Abschied nahm von dem geliobten Manne, überkam sie plötzlich das Gedenken an all die Wirren, die hier noch zu ordnen waren, bevor sie schied. „Wegen meines Bruders möchte ich später mit Dir reden", sagte sie zaghaft, und ein schamhaft peinliches Erröthen glitt über ihr« Züge. „Er hat mir viel Sorge gemacht und nun große Täuschungen erfahren, nicht nur diese, die der heutige Tag ihm brachte; auch noch andere, tief in sein Gcmüth greifende. Ich seh« noch keinen Weg, wie er sich zurechtfinden soll. Du bist so gut, so klar und besonnen; Du wirst uns berathen. O, Du mein Retter, mein Lichtbringer!" Sie schmiegte sich an ihn. Schon in der ersten Stunde ihres Glückes mußte sie ihm mit diesen bösen, verworrenen Dingen kommen. Er sah lächelnd auf sie herab und küßte ihre Stirn. „Quäle Dich nicht! Sieh! Das erhöht mir ja mein Glück, daß ich nun hoffentlich all diese Qual, die Deine Augen trübte und Deine Wangen schmal machte, von Dir nehmen kann. Meinst Du, daß ich nicht das Meiste schon wüßte? Ich habe mich doch, so lange ich hier bin, nur mit Dir beschäftigt, und nach dem Grund Deiner Sorgen mußte ich wohl zuerst forschen. Die Leute wissen dann gemeiniglich ein gut Theil von den inneren Zuständen in einer Familie. Dein Bruder har ein unver ständiges Leben geführt, und seine Erfahrungen ahne ich. Er kennt mich noch nicht, ich ihn vielleicht mehr. Ich denke, er ist noch im Stande, sich aufzuraffen. Wir müssen ihm jetzt Zeit lasten, aber in den nächsten Tagen, wenn wir ein wenig warm mit einander geworden sind, da nehme ick ihn mir allein, und wir werden uns schon verständigen." Ellen blickte dankbar zu ihm auf, wie zu einem Höheren. „So war schon ein liebreicher Gast vorsorgend thätig, als ich noch keinen Ausweg sah", sagte sie weich, „mir ist heute, als sei ich von Wundern umgeben. Ich fürchte nur, Du findest noch mehr, als Du vermuthest, ein Mensch, wie Du, kann keinen Begriff haben von dem Leichtsinn eines so Gedankenlosen. Leopold beichtete mir, daß er Schulden habe, für ihn jetzt untilg bare. Das mir so unverdient zugewicsene Legat könnt« da vielleicht decken " Welcord lachte. „Ei, ei! Dein Heirathsgut willst Du gleich in der ersten Stunde weggeben, das läßt tief blicken. Di« Schulden — das wird allerdings ein« böse Arbeit werden, sie zu ordnen, und wir haben sehr wenig Zeit. Ich will sehen, was sich thun läßt. Er muß mir eine Liste der sauberen Herren, in deren Hände er gefallen ist, anferttgen, und ich, oder event. der Geschäftsträger unseres Hamburger Hauses wird mit den Kerlen abrechnen. Die werden unter den jetzigen Ver hältnissen froh sein, wenn sie Procente von ihrem Raub erhalten. Jedenfalls sollen Deine Augen jetzt ihren klaren fröhlichen Glanz behalten, ich will nur Glück aus ihnen leuchten sehen." Er konnte zufrieden sein. Das Glück leuchtete auS ihnen. Zwei Jahre 'sind verflossen, zwei wolkenlos glückliche Jahre für Ellen. Sie kehrte mit ihrem Gatten aus Valparaiso nach Deutschland zurück, um in Hamburg bleibende Stätte zu finden. Welcord besaß dort ein schön eingerichtetes Haus an der Alster. Ellen's Herz schwoll in Sehnsucht, die Ihren wiederzuschen. Die Mutter weilte zu ihrer Erholung in Norderney und Leopold war bei ihr. Er hatte diese letzten zwei Jahre auf Haiti zu gebracht, wo er als juristischer Vertreter des Hauses Wclcord in dem großen Zweiggeschäfte dort thätig gewesen war. Er hatte selten geschrieben, aber cs war nur Gutes über ihn berichtet wor den. Ellen war sehr gespannt, wie si« ihn finden mochte. Alles lag noch ungewiß, ob er sich hier «inen neuen Beruf wählen oder nach Haiti zurückkehren werde. Es war allseitiger Wunsch gewesen, einander hier zu treffen und das Weitere mündlich zu berathen. Nach kurzem Aufenthalt in dem neuen Heim in Hamburg reisten Ellen und ihr Gatte nach Norderney. Ellen war freudig überrascht über das Aussehen der Mutter, die sorgenlosen Jahre hatten sie gekräftigt. Bei den reichlichen Mitteln, welche Welcord ihr überwiesen, hatte sie ein stilles an genehmes Leben nach ihrem Sinne geführt, und mehr für ihre Gesundheit thun können, als je zuvor. Als Leopold's Schulden beglichen und ihm «ine gewinn bringende Stellung in dem großen Handelshause angoboten wurde, schickte sie sich auch in die Trennung. Wie es in dem Herzen ihres Sohnes aussah, hatte sie nie recht gewußt, und so verstand sie auch damals nicht, waS in ihm vorging. Des Bruder- Erscheinung und Wesen stimmte Ellen traurig. Er war sehr hager geworden und sah weit älter au«, als er war. Seine Gesichtsfarbe war gelblich und die Augen blickten finster. Auch in seinem Wesen war er verändert, wortkarg, verschlossen. Ellen erkannte bald aus seinem Gebähren ihrem Manne gegenüber, Saß ihn di« Wohlthaten, welch« er demselben schuldere, schwer drückten. Die Mutter sprach in den ersten Stunden, als sic allein waren, sich über ihre Eindrücke in Betreff ihres gelieb ten Poldel aus. „Ihr habt ja unsäglich viel für rhn gethan", sagt« sie, „aber er verwindet's doch nicht, den furchtbaren 'Schlag. Man muß immer bedenken, er betrachtete sich von früh an als der Erbe eine»
- Current page (TXT)
- METS file (XML)
- IIIF manifest (JSON)
- Show double pages
- Thumbnail Preview