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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.07.1903
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-07-11
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030711012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903071101
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903071101
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-07
- Tag1903-07-11
- Monat1903-07
- Jahr1903
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Bezugs-Preis in d« HemptexpedMon oder deren Ausgabe stelle» abgebolt: vietteljährltch 8.—, bet zweimaliger täglicher Zustellung ins Hau» 8.7k. Durch die Post bezogen für Deutsch land u. Oesterreich vierteljährlich 4.50, für di« übrigen Länder laut ZeitungSpreisüst«. Redaktion und Expedition: IohanniSgaffe 8. Fernsprecher 158 und LLL Filialrrprditionr« r Alfred Hahn, Buchhandlg., UuiversitütSstr.8, L. Löschs Katharinenstr. 14, u. KönigSpl. 7. Haupt-Filiale Dresden: Marteustraße 84. Fernsprecher Amt I Nr. 1718. Haupt-Filiale Lerlin: E«l vuncker, Herzgl. Bayr. Hvsbuchhandlg« Lützowstraße 10. Fernsprecher Am! VI Str. 4603. Nr. 347. Morgen-Ausgabe. Anzeiger. Ämlovlatt des Königlichen Land- und des Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, des Nates und des Nolizeiamtes der Ltadt Leipzig. Tonnabend den 11. Juli 1903» Anzeigen-Preis die 6gejpaltene Petitzeile LS H. Reklamen unter dem Redaktionsstrich (»gespalten) 75 vor den Familienuach- richten (vgespalteo) 50 L». Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren sür Nachweisungen und Offertenanaahme LS H (ezcl. Porto). Extra-Beilagen (gesalzt), an? mU oer Morgeu-AuSgabe, ohne Postbesörderuu« ^8 SO.—, mit Postdesörderung ^l 70.— Äunahmeschluß für Anzeigen: Abeud-AuSgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgea-Au-gabe: Nachmittag- 4 Uhr. Anzeigen sind stet- an die Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi- abends 7 llbr. Druck and Verlag von E. Pol» in Leipzig. 87. Jahrgang. Die Jukunst Oberschlesiens. SS Die „Kölnische Volkszeitung" hat neulich aus den Wahlen in Oberschlesien den Schluß gezogen, daß man vor den Polen kapitulieren müsse. Der polnische Gedanke sei in Oberschlcsien so rege geworden, daß nur solche Männer Aussicht hätten, in -en Reichstag zu gelangen, welche die Sprache des oberschlesischen Volkes sprechen könnten. Deshalb sei es unmöglich, in Oberschlesien Wahlen gegen die „Katholik"-Partei zu machen. Dagegen, daß oberschlesische Abgeordnete die polnische Sprache beherrschen, wäre an sich nichts einzuwenden — wofern sie nur sonst gute Preußen, bezw. Deutsche sind und sich von polnischen Bestrebungen fernhalten. Das aber kann man von der „Katholik"-Partet heute kaum mehr sagen. Sie unterscheidet sich von den radikalen Polen nur durch die gemäßigtere Form, ebenso wie in der Provinz Posen die sogen, polnische Hofpartei von der polnischen Volkspartei. Männer, wie die Herren Szmula und Strzoda, sowie der nengcwählte Abgeordnete Krolik, fühlen sich durchaus als Polen. Mit der „Kathvlik"-Partei Frieden machen, daß heißt also die Kandidaten von iGnaden der „Katholik"-Partei acceptieren und bedeutet demgemäß nichts an-beres, als Oberschlesien politisch-par lamentarisch dem Polentum prciszugeben. Dazu kommt noch die Frage, ob sich denn in Zukunft mit der „Katholik"-Partei mit Sicherheit werden Wahlen machen lassen. Wenn man bedenkt, wie jung die politische Organisation der radikalen Polen ist, so wird man deren Erfolge gewaltig finden müssen. Im Wahlkreise Kattowitz habe» sie bekanntlich gesiegt, im Wahlkreise Pleß erhielten sie bet i-er Hauptmahl die meisten Stimmen und cs fehlte nur wenig zum Siege in der Stichwahl; in den Wahl kreisen Lubliniv und Bcnthen erhielten sie viele Tausende von Stimmen. Es ist keineswegs ausgeschlossen, daß, wenn es so weiter geht, ihnen die letzterwähnten drei Wahlkreise bei den nächsten Wahlen in die Hände fallen, sodaß sie dann über ein Drittel der oberschlesischen Wahlkreise verfügen würden. Wir haben vorhin die „Katholik"-Partei mit der polni schen Hofpartei in der Provinz Posen verglichen. In Posen ist die Hofpartei mehr und mehr durch die radikalen Polen ins Hintertreffen gedrängt und einige früher der Hofpartei angehörendc Abgeordnete sind über haupt nicht wieder ausgestellt worden. Ebenso wird sich in Oberschlcsien die „Katholik"-Partei nur als Vorfrucht der radikal-polnischen Partei erweisen, und wenn das Zen trum sich an die ,„Katholik"-Partei anklammert und da durch natürlich derenEtnfluß bedeutend steigert, so wird die Entwicklung sein: von dem immerhin noch deutsch empfin denden Zentrum zur polnisch empfindenden „Katholik- Partei und von der gemäßigt-polnischen „Katholik"-Partei zur grvßpolnischen Radikalvartet. Daß aber die ober schlesische radikal-polnische Partei noch demagogischer un gefährlicher ist, als die Posenfche polnische Volkspartei, das haben die verschiedenen groben Exzesse gelegentlich der Wahlen zur Genüge dargetan. Will das Zentrum durch die Kapitulation vor der „Katholik"-Partei die Herrschaft des polnischen Radikalis mus vorbereiten, so hat es dafür die Verantwortung selbst zu tragen.Die preußische Negierung aber hat die Verpflich tung, nach aller Möglichkeit dafür Sorge zu tragen, daß es nicht soweit kommt. Sie muß, soweit sie irgend Einfluß auf die katholische Geistlichkeit besitzt, diese zu bewegen suchen, daß sie die deutschen oberfchlesischcn Katholiken vor dem ge fährlichen Wege, auf den die „Kölnische Volkszeitung" sie drängen will, warnt. Sie muß ferner ebenso systematisch daran arbeiten, in Oberschlesien dem Vordringen des Polentums einen Damm entgegen zu werfen, wie dies seit einigen Jahren in Posen und Westpreußen geschieht. Sie muß endlich selbstverständlich den Exzessen grotzpolnischer Roheit mit rücksichtsloser Strenge entgegentreten. Es scheint uns durchaus nicht unmöglich, die polnische Bevölkerung Oberschlesiens, die ja noch vor einem halben Menschenalter gut preußisch gesinnt gewesen ist, wieder zur Vernunft zu bringen: aber wir meinen, es sei die höchste Zeit, daß endlich einmal ein Anfang damit ge macht wird. Der Kaiser an Lord der „Kearsarge". Nachfolgender Bericht der „Assortierten Presse" auS Kiel, vom 2V. Juni, hat vielleicht noch heute Interesse: „Ich werbe heute an den Präsidenten Roosevelt tele graphieren, meine Herren, und ihm sagen, in welch' vor- trefflichem Zustande ich Ihr Schiff gefunden habe." So erklärte Kaiser Wilhelm, als er sich, begleitet von Rear- Admiral Cotton und Kapitän Hemphill, nach anderthalb- stündigem Aufenthalte auf der „Kearsarge" an der Treppe von deren Offizieren verabschiedete. Während dieser anderthalb Stunden inspizierte der Kaiser so genau, wie ein Marine-Inspektor nur tun konnte, das «chiff in allen seinen Teilen; er ließ die Türme spielen, untersuchte die Mannschaftsquarticre, schaute in die Proviantkammer und plauderte inzwischen gemütlich mit den ihm begegnenden Mannschaften. Der Kaiser kam an Bord der „Kearsarge", indem er eine Barke selbst steuerte: er war begleitet vom dienst tuenden Flügeladjutanten Korvcttcn-Kapitän v. Grumme, während die anderen Herren seines Gefolges auf einer anderen Barkasse kamen. Es waren dies Staatssekretär Vizeadmiral v. Tirpitz, Generaladjutant Vizeadmiral v. Senden-Btbran, Generaladjutant General v. Plessen und Graf Eulenburg. Admiral Cotton und sein Stab, Kapitän Hemphill un alle anderen Kapitäne und die Offiziere der „Kearsarge" empfingen den Kaiser auf dem Quarterdeck. „Ich schätze mich glücklich, Ew. Majestät auf einem amerikanischen Schiffe willkommen zu heißen", sagte Admiral Cotton, „und ich wünschte, daß ich Sie auf ameri kanischem Boden empfinge." „Ich bin glücklich, hier zu sein", antwortete der Kaiser. Er schüttelte dann allen Kapitänen, die er gestern kennen gelernt hatte, die Hand und nannte jeden bei Namen; dann begrüßte er die jüngeren Offiziere, die ihm vorgestellt wurden. Nachdem dies geschehen, sagte der Kaiser zu Kapitän Hemphill: „Jetzt, Kapitän, möchte ich Ihr Schiff sehen." Kapitän Hemphill schritt mit dem Kaiser voraus; es olgten Admiral Cotton und Admiral v. Tirpitz, dann die anderen amerikanischen Kapitäne und Offiziere mit den Begleitern des deutschen Kaisers. Kaiser Wilhelm betrat einen der Doppeltürme und prüfte den Mechanismus. Leutnant Anstin von der „Kearsarge" zeigte ihm, wie leicht und glatt sich der Turm drehen lasse. „Welches ist der wahre Wert dieser Türme?" fragte der Kaiser, sich an Kapitän Hemphill wendend. „Das kann einzig der Krieg entscheiden, Sir", ant wortete der Kapitän und entwickelte dem Kaiser die theore tische Wirkung deö Geschntzseners. Der Kaiser sprach dann von einigen der letzten fran zösischen Versuche mit Dovpeltürmen, bei denen Schafe in dem einen Turme durch die Erschütterung durch Kanonen feuer im anderen Turm getötet wurden. „Das", sagte der Kapitän, „hatte seinen Grund in den kurzen Kanonen, welche die Franzosen anwandten. Die langen Geschütze der „Kearsarge" schützen den Boden vor zu großer Erschütterung." Indem der Kaiser ein Mitglied seiner Suite auf Kapitän Hemphills Dienst auf einem Monitor, als diese zuerst zur Verwendung gelangten, und während anderer scharfer Seegefechte während des Bürgerkrieges aufmerk sam machte, sagte er: „Diese Leute sind für uns Götter." Der Kaiser sagte ferner, der Kommandoturm sei der ge räumigste, den er »bisher gesehen habe. Mit den telepho nischen und den Signalapparaten in jedem Teile deS Schiffes zeigte der Kaiser sich sehr vertraut, und er mies auf eine oder zwei gute Neuerungen hin. Tie deutschen Konstrukteure sollen mit elektrischen Verbindungen viel Schwierigkeiten gehabt haben und der Kaiser dafür großes Interesse zeigen. Zur Zeit ist das allgemeine elektrische System auf der „Kearsarge" nicht sichtbar, da es von zur Hälfte feststehenden Konstruktionen eingefaßt ist. Während der Kaiser die Mannschaftsguartiere besich- tigte. sprach er mit mehreren Blaujacken und fragte scherzend einen alten Matrosen, wie lange er diene. „24 Jahre." „Das ist lange genug, um Admiral zu werden." Als die Besichtigung der „Kearsarge" durch den Kaiser beendet war, ging die Gesellschaft nach der Admirals- Kajüte, wo der Kaiser, als er dort einen großen Schaukel stuhl erblickte, fragte: „Wozu ist der da?" „Für Kaiser", antwortete Admiral Cotton. „Dann will ich ihn gebrauchen", sagte der Kaiser. Nach einer Viertelstunde allgemeiner Unterhaltung, während welcher Champagner gereicht wurde, verließ der Kaifcr das Schiss unter dem Donner von 23 Schüssen jedes amerikanischen Kriegsschiffes. Unmittelbar darauf ver sammelte Admiral Cotton die Offiziere und Mannschaften um sich und hielt folgende Ansprache an sie: „Der Kaifer hat das Schiff schnell, aber gründlich in spiziert. Der Kaiser ist ein gründlicher Kenner der Schiffstechnik, und er hat sich sehr entzückt ausgesprochen von dem, was er hier gesehen hat. Ich danke den Offi zieren und der Mannschaft für den Zustand des Schiffes. Ich hoffe, ein jeder wird daran denken, daß er ein Ver treter der Vereinigten Staaten ist, und sich so führen, daß er sein Land und seine Flagge zu Ehren bringt. Wir sind hier auf Befehl des Präsidenten Roosevelt. Es ist unsere Pflicht, alles zu tun. waS in unseren Kräften steht, umdasGefühl derFreundschaftundderHerzlichkeit zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland zu erhalten. Drei Hurras für Se. Majestät den Kaiser." Die 700 Offiziere und Mannschaften der „Kearsarge" brachten dann drei brausende Hurras auf Kaiser Wilhelm aus. Der Kaiser empfing Botschafter Tower auf der kaiser lichen Jacht „Hohcnzollern" unmittelbar nach seiner Rück kehr von der Besichtigung des amerikanischen Flaggschiffes und drückte dem Botschafter seine Befriedigung über das Gesehene aus. „Kapitän Hemphill versteht sein Handwerk, und er ist ein Kapitän, der sein Schiff kennt", sagte der Kaiser. „Er braucht nicht andere Leute zu fragen, wenn er Rede und Auskunft geben soll." Leo XIII. * Rom, 10. Juli. (Telegramm.) Der Papst nahm während der Nacht r!waS Bouillon mit Fleisch zn sich. Marzoni und Rossoni verließen den Vatikan um 11'/« Uhr. Die dem Papste entzogene Flüssigkeit wird untersucht. Die Aerzte be- stäligten Berichterstattern gegenüber, daß die heutig« Operation sehr gut gelungen sei. Der Papst fand infolge derselben eine wesentliche Er- lrlchterung. Die Cyanose ist fast verschwunden. Während derOperation waren imNebenzimmer die beimVaiikan beglaubigten BotschasterOester. reich-Ungarn», Portugals und Spanien-, sowie 14 Kardinäle an» wesend. Dir Aerzte trafen bei ihrem Eintritt den Papst im Lehn stuhl sitzend, worauf sie ihn ersuchten, sich zu Bett zu begehen. Nach der Operation wollte der Papst die Kardinäle sprechen; die Aerzte ließen dies nicht zu. * Rom, 10. Juli. Professor Rossoni bestätigte der „Giornale d'Jtalia", daß keine unmittelbare Gefahr bestehe. Der Zu- 'tand des Papstes sei aber sehr ernst. Der Papst weiß »och immer nichts von dem Tode Volpinis. Dir Leiche wurde heute morgen ohne besondere Feierlichkeiten und ohne Glockengeläute nach der Peterrkirche übergcführt. Aus die Kardinäle, die sich während der Operation im Vatikan befanden, machte e- einen tiefen Eindruck, daß die Aerzte lange Zeit zur Abfassung des Krankheitsberichtes brauchten. Man vermutete, Laß die Aerzte in ihrem Urteil über die Krankheits erscheinungen nicht einig seien. Die Aerzte erklärten Berichterstattern gegenüber, sie seien lange Zeit im Vatikan geblieben, La sie den Papst, der eingejchlasen war, nicht wecken wollten. Der Papst sagte den Aerzten, er habe die Nacht in ziemlich guter Ruhe verbracht. Gegen Morgen sei er etwas unruhig geworden und habe nicht länger ichlosen können. Er habe ein unbestimmbares Uebelbefinden empfunden. Deutsches Reich. * Berlin, 10. Juli. Die anderweite Rege lung des Militärpenfionswesens gehört, wie die „Berl. Börscnztg." mit Recht hervvrhebt, zu den zwingendsten Aufgaben der nächsten Zeit. Die Vor arbeiten sind vollendet; aber die Einbringung der ent sprechenden Vorlage wurde durch einen Beschluß des preußischen Staatsministeriums verschoben, weil sich einstweilen nicht absehen läßt, wie die Kosten deckung beschafft werden soll. Inzwischen dauert die Verjüngung der Armee fort. Der Offizier muh nicht selten in den Pensionsstand treten, wenn er noch verhältnismäßig jung an Dtenstjahren ist. Nach dem geltenden Pensionsgesetze hat er dann nur ein Ruhegehalt zu gewärtigen, das schmal ist. Das trisst ihn doppelt hart, wenn er Familie besitzt und sür die Erziehung der Kinder nicht unbeträchtliche Aufwendungen zu machen hat. Stach dem neuen Pensionsgesetze (wenn man von einem solchen bereits reden darf, so lange es sich bloß um erste Entwürfe handelt) soll in dieser Hinsicht eine Besserung eintreten. Die Anfangspension soll höher sein, als sie jetzt ist, und es ist kaum zu bezweifeln, daß das Gesetz auch rückwirkend«: Kraft erhalten wird, wenn cs einmal im Reichstage eingebracht ist. Bei der Fertig stellung der Vorarbeiten für den neuen Militär- Peusivnsgesetzentwurf ist in Berücksichtigung gezogen worden, ob und wie weit die Aenderung der Grundsätze für die Pensionierung des Militärs früher oder später auch von Einfluß sei« möchte auf die Ansprüche an eine neue Ordnung der C i v i l b e a m t e n - Pensionsver hältnisse. Der Civilbeamtc wird nur in den seltensten Fällen so frühzeitig pensioniert, wie der Militär. Des halb erscheint es hier weniger notwendig, dafür zu sorgen, daß die Anfangspension so auskömmlich bemessen werde, daß das Bestehen bei ihr überhaupt möglich sei. Es fragt sich aber im Zusammenhänge hiermit, ob nicht, wenn auch nicht durchgängig, so doch in vielen Fällen, die Anfaugs- gehältcr der Civilbeamten so niedrig bemessen sind, daß der nach langem Hängen und Würgen endlich zur An stellung gelangende Jurist, Theologe oder Philologe sich von Beginn der letzteren an in die denkbar schiefste Lage gebracht sieht. Es erscheint vielfach nicht nur erwünscht, sondern auch nötig, daß der junge Beamte einen Haus stand gründet. Da ist es aber weder recht noch billig von Staat und Reich, daß sie den jungen Richter, Pfarrer oder Lehrer gerade in der Zeit seiner Daseinsbetätigung so schlecht wie möglich stellen, in der er verhältnismäßig dienstlich mehr leisten muß und in Bezug auf seine Lebenshaltung mehr in Anspruch genommen wird, als auf einer höheren Dienstaltcrsstufe. Die vielfach in Be amtenkreisen sich zeigende Mißstimmung, die sich auch auf die Bevölkerungskreise überträgt, mit denen die be treffenden Herren dienstlich oder gesellschaftlich am meisten in Berührung kommen, ist nicht selten auf die Not und die Sorgen zurückzuführen, mit denen der angehende Beamte von vornherein zu kämpfen hat. Wenn die liberalen Parteien sich wirkliche Verdienste um Staat und Gesellschaft erwerben wollen, werden sie gut tun, sich in der Richtung zu bemühen, in der die im vorstehenden gestreiften Unzuträglichkeiten, wenn auch vielleicht nicht beseitigt und behoben, doch nicht ganz unbeträchtlich herabgemindert werden können. * Berlin, 10. Juli. (EinAppell dcsPfarrers Naumann an den Genossen v. Vollmar.) Pfarrer Naumann, der mit seinen national-sozialen Ge treuen dem Zentrum mehrere neue Mandate hat zu schanzen helfen, richtet jetzt in der „Zeit" die dringliche Mahnung an den Genossen v. Vollmar, seine Partei von der Illusion zur Politik zu führen. Die Mahnung lautet: „WaS dem Sozialdemokraten zugemutet wird, ist Einschränkung seiner Illusionen zum Zwecke der nützlichen Verwendung seiner wirklichen Kraft. Da er nun bisher gerade die Illusion für das Kräftigste hielt, was es geben kann, und da in der Tat die Illusion von gewaltiger psychologischer und agitatorischer Wirkung mar, so opfert er sie nur mit dem peinliche» Gefühl des ManneS, dem man sein Her zerbrechen will. Es gehört zu den Ironien, an denen das Leben so reich ist, daß Erfüllung von Wünschen inner lich ärmer machen kann. Wie mag sich vor 30 Jahren der Gedanke in einem sozialdemokratischen Kopfe dargestellt haben: 3 Millionen Wähler! Jetzt sind die 3 Millionen da, was nun? Jetzt ist es nötig, nüchterner zu werden, eben weil die Träume sich zu erfüllen beginnen. Es ist leichter, sich auszudenkcn: was würde ich anfaugcn, wenn ich eine Million Mark erben würde, als zu entscheiden: wie verwende ich 10 000 die ich habe? Die Zahl von 82 Ab- geordneten ist zu groß, um mit ihnen nur zum Fenster hinaus zn reden, ist zn klein, nm die Gesellsckwft und den Staat tiefgreifend zu ändern. Diese Zahl darf nicht mit leerenHänden auS dem Reichstage nach Hause kommen, das aber, was sie Heimbringen wird, kann gar nicht anders als kärglich gegenüber den Wünschen der Agitation sein. Eine zettlang wird gesagt: Wartet nnr, wartet, später, wenn mir hundert Leute sind, wenn wir 120 oder 150 sind, daun wird es mehr! Ja, dann wird es auch in der Tat mehr sein, aber längst nicht das Gewünschte, und dann werden die Volksvertreter sprechen müssen: Es ist doch schon sehr viel, was wir erreicht haben, sehr viel! Und das soll ihnen dann von denen geglaubt werden, die jetzt eine Welt um schaffen wollten. Diesen schweren Glauben vorzubereiten, ist von nun an das Werk der 82. Man merkt es jeder Zeile an, die jetzt von Sozialdemokraten geschrieben wirb, daß einer auf den andern wartet. Bernstein wagte das erste Wort: Wir wollen unfern Platz im Reichstags präsidium einnehmenl Ter „Vorwärts" win'/ sofort ab: Tas wird sich später finden! Soll ein Genosse den Kaiser offiziell besuchen dürfen? Es ist nichts als eine Formfrage, aber alle großen Sachsragen verkleinern sich irgendwann und irgendwie zu Formfragen. Das revolutionäre Proletariat von einst überlegt in schweigen- der Sommerhitze, ob es besser ist, vor Wilhelm II. Reve renz zu machen oder nicht. Und Wilhelm II.? Er über legt gelegentlich, was er dem Sozialdemokraten sagen soll, wenn er wirklich kommt. Dann wird in kleinen Höflich keitsformen alte Vorgeschichte begraben, oder ist sie dazu noch nicht tot genug? Gut ist unter allen Umständen, daß eben jetzt Bülow Reichskanzler ist. Bülow schafft keine grellen neuen Konflikte. Er verzögert die handelspolitische Entscheidung und wird militärische und maritime Forde rungen stückweise und nicht vulkanisch bringen. DaS ist viel besser, als wenn er Anlaß zu großen Protesten geben würde. Er ladet keinen großen Zorn auf sein sreundlich lächelndes Haupt. Selbst wenn der Kaiser grollt, Bülow bleibt wie ein Stück italienischer Sonne auf deutschem Boden. Er ist nicht der Staatsmann, der Demokratie und Kaiserreich znsammenfnhrt; aber er läßt sachte Bäume weg schlagen, wo später Wege gebaut werden muffen. Was aber tut v. Vollmar? Jetzt sollte er aus seinen Bergen herauskomm en, jetzt oder nie. Er ist der geborene Mann für diese Entwickeln ngsperiode des Sozialismus; aber mancher läßt sich von der Geschichte vergeblich locken und bleibt unter den Lotophagen, auch wenn die Schiffe seiner bedürfen. Alle die andern, die Heine, David, Bern stein, können das nicht tun, was er kann, wenn er will. Er hat den ganzen Weg von der Illusion zur Politik in sich erlebt, nun sollte er mehr sein wollen als ein bayeri scher Berggeist. Sein Volk braucht ihn — ob er aber will, wer weiß es?" — Ob Herr v. Vollmar wohl antworten wird? Wir fürchten, daß Herr Naumann über das Wollen und das Können des bayerischen Sozialisten führers sich noch weit größeren Illusionen hingibt, als dieser über die politischen Qualitäten des Führers der National-Sozialen. * Berlin, 10. Juli. (Ein sozialdemo kratisches Experiment.) Neber einen von sozialdemokratischer Seite auf dem Gebiete der Woh- nungsfrage in Scene gesetzten Versuch, von dem man freilich noch nicht weiß, ob er als vorbildlich für den „Zukunftsstaat" anzusehen ist, berichten verschiedene Berliner Blätter das folgende: Die bekannte sozialdemokratische Agitatorin Lilly Braun agitierte seit Jahr und Tag energisch für einen kommu nistischen F a m i l i e n h a u s h al t, bis sie jetzt nahe am Ziel ist. Es hat sich eine Art Vereinigung gebildet, die einen Erwerb von Wohnhäusern in Berlin und der Um gebung mit gemeinschaftlichem Wirtschafts betrieb bezweckt. Ausgenommen werden in diese Genossen schaften Familien und Einzelpersonen. Aufnahmefähig sind großjährige, im Besitz der bürgerlichen Ehrenrechte befindliche Männer jeden Standes, d. h. wenn sie die nicht unbedeutenden Beiträge zahlen. DaS Eintrittsgeld beträgt allerdings nur 1 aber es muß mindestens ein Geschäftsanteil in Höbe von 200 Mark erworben werden, der in monatlichen Raten von 2 -V aufwärts bezahlt werden kann. Im übrigen gelten für die Genossenschaft ähnliche Bestimmungen, wie sie bei den Genossen schaften im allgemeinen Geltung haben. Die Hauptsache war. einen Unternehmer zu finden, der die Häuser für die Haus haltungsgenossenschaft baut. Die Frage soll jetzt gelöü sein, eö hat sich ein Baumeister bereit erklärt, zunächst im äußersten Westen auf dem Olivaer Platz ein Haus nach dem Plan der Ge nossenschaft zu errichten. Dort wird eine Anzahl größerer und kleinerer Zimmer für Familien und Einzelpersonen vorhanden sein, dazu die nötigen Wirtschaftsräume inkl. großer Kucke und Kellerraum, ferner ein gemeinschaftlicher Eßsaal, ein Lesezim mer und ein Garten. Die Miete wird für ein kleines Zimmer 300—350 -F betragen, WaS durchaus nicht billig ist. Für die Pension wird 75 -/t pro Monat berechnet. Familien haben einen etwas geringeren Satz pro Kopf zu zahlen. Außerdem rechnet man auf Mittagsgäste, die pro Monat 80 entrichten. Die Genossenschaft verpflichtet die Mitglieder, mindestens ein ^tahr lang der Vereinigung anzugehören, im übrigen ist eine viertel jährliche Kündigung zulässig. Bei genügender Beteiligung hofft man im Herbst nächsten Jahre» das erste Hau- beziehen zu können, das über 100 Personen beherbergen soll. Es wird abzuwarten sein, wie Frau Lilly Braun mit ihrer Haushaltungsgcnoflenschaft abschneidet. (-) Berlin, 10. Juli. (Telegramm.) Tie „Nordd. Allgem. Zeitung" meldet: -Ein Berliner Morgenblatt be richtete am 7. Juli, der Kaiser habe am letzten Sonntag beim Schiffsgottesdienst an Bord der „Hobenzollern" ein Erbet für den erkrankten Papst gesprochen. Andere Blätter wußten zu melden, daß der Antritt der Nordlandsreise sich des halb verzögert habe, weil der Kaiser sich im Falle de» Tode« des Papstes zu den BeisetzungSfeierlrchleiten nach Italien begeben wolle. Wir sind ermächtigt, alle I diese Meldungen als erfunden zu bezeichnen. Die Nord- I land-reif, wird vermutlich morgen angetretea."
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