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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 30.10.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-10-30
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18951030029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895103002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895103002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-10
- Tag1895-10-30
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Putt- kamer-Plauth den Fanatismus als den Rettungsanker der Land- wirthschast gepriesen, schleudert daS Organ deS Bundes der Land wirthe einen Brandartikel in die Welt, dem die Drohungen der Wangenheim und Ruprecht-Ranfern als Muster gedient haben, an den diese der Aera Caprivi entstammenden revolutionirenden Kundgebungen aber nicht im Entferntesten heranreichen. Das jüngste Denkmal ostelbisch-agrarischer Scrupellosigkeit giebt sich in der Form einer Petition, die von den „Frauen zweier Landwirthe" in Ratibor „nach dem Mahle", dem die Demonstrantinnen also beigewohnt haben, dein Landwirtb schaft-minister überreicht worden ist. Man darf in der Wahl von weiblichen Vermittlern Wohl den polnischen Einfluß er kennen. Deutschen Männern sieht eS nicht ähnlich, dem Kaiser durch Frauen sagen zu lassen, die Ihrigen würden in da» Lager der Socialbemokratie übergehen, falls nicht der Antrag Kanitz verwirklicht oder die Doppelwährung eingeführt würde. Indessen die Berliner Leitung de» Bundes der Landwirthe übernimmt durch die Veröffentlichung der Drobschrift auch die Verantwortung für diese Aeußerlichkeit, die sie Wohl für die aus jedem Wort dieser „Petition" bervortretende Absicht, die Krone ein zuschüchtern, förderlich erachtet. Wenn wir bemerkten, die „Frauen zweier Landwirthe" drohten mit dem Uebergaug in das socialdemokratische Lager, so bleibt diese Feststellung, wenn man die nächsten Ziele der Socialrevolutionaire ins Auge faßt, noch hinter der Wirklichkeit zurück. Es wird gesagt: „Nun ist die Geduld des landwirthschaftlichen Mittelstandes erschöpft und seine Erbitterung aufs Höchste gestiegen. Erfüllt die neue Reichstagsjejsion abermals nicht seine Wünsche und bringt die nächste Ernte wieder solche Spottpreise, dann ist sicher zu befürchten, daß er der Versuchung der Socialbemokratie nicht mehr widersteht und in seiner Verzweiflung zu Atlem fähig ist." Nach der nächsten Reichstagssession unter bezeichnet«!! Umständen „zu Allem fähig" — das ist nicht mehr die be dingte Ankündigung des AusgehenS in der die Revolution vorbereitenden Partei, sondern der Revolution selbst. Der Vertiefung deS mit dieser Drohung beabsichtigten Ein drucks dient namentlich folgende Stelle: „Die Regierung erfüllte bisher alle Ansprüche der Industri ellen, willfahrte allen Wünschen der Arbeiter, nur die Bitten des landwirthsckaftlichen Mittelstandes, der verhältnitz- müßig die höchsten Steuern zahlt, fanden kein Gehör. Ew. Ex- rellenz, tausende Unglückliche unseres Standes blicke» vertrauensvoll zu Ihrer Hoheit empor; in Ihrer Hand liegt es, uns zu rette». Ein guter Rath aus Ihrem Munde wird Se. Majestät überzeugen, in welch furchtbarer Befahr der deutsche Kaiserthron und unser schöne» Vaterland sich befindet, und unser gütiger Herrscher wird sich unserer Noth erbarmen. Für uns giebt eS nur ein Mittel, das heißt: „Hebung der Getreidepreise". Ob dies nun durch die Einführung der Doppelwährung oder Antrag Kanitz geschieht, über- lassen wir der Regierung." Daß eine „furchtbare Gefahr" für Thron und Vaterland durch eine solche Sprache, die die Masse der Landwirthe für den Fall der Nichterfüllung der Forderung einer politisch agrarischen Clique gewissermaßen ihres Treueides entbindet, l, eraufbeschworen werden kann, ist allerdings nicht rund weg in Abrede zu stellen. Man darf aber darauf vertrauen, daß der landwrrthschaftliche Mittelstand, in dessen Namen die „Petition" spricht, freilich nicht, ohne wiederholt aus der Rolle zu fallen, fick nicht in einem Treiben sestkalte» lassen wird, das die Grundlage seiner Existenz zu allererst be droht. Die landwirthschaftliche Arbeit erfüllt viejenizen, die sich ihr wirklich unterziehe», mit zu tiefem Ernst, als daß sie für die Unterstützung von Plänen gewonnen werden könnten, deren Mutter eine grenzenlose Frivolität ist. Auch die Ge fahr befürchten wir nicht, daß die Regierung das verstärkte Schüren der Leidenschaften, von dem sie ihre Hilfsaction be gleitet sieht, in dem Bestreben, alles sür die Milderung des landwirthschaftlichen NvtbstandeS nur irgendwie Mögliche zu thun, beirrt werden könnte. Der Regierung und den staalS- erbaltenden Parteien ist der Agrardemagogie gegenüber der selbe Standpunct angewiesen, den sie gegen die Socialkemo kratie beibehalte» habe», als ihnen in der Fortsetzung der socialpolitischen Gesetzgebung vorgehalten wurde, die Fürsorge sür die arbeitende» Claffen habe der socialrevolutionären Agitation eher Vorschub geleistet als Grenzen gesteckt. Daß die Leiter einer Partei, in der die extrem-agrarischen Unterwüblungspolitiker eine große Rolle spielen, nicht daran denken, sammt jenen „Socialpolitik" treibenden Geist lichen, die besonders der ländlichen Arbeiter sich annehmen und dadurch dem Großgrund besitz höchst unbequem werden, auch einen Stöcker abzuschütteln, der lediglich die „be friedigten" Industriellen aufs Korn nimmt, versteht sich eigent lich von selbst. Die „Nordd. Allgei». Ztg." hat daher auch vergebens auf eine Bestätigung ihrer seltsamen Annahme ge wartet, die Erklärung der „Cons. Corr." gegen die Herren Göhre, Naumann, Habermann, Kötzschke. Raub, Wagner und Wittenberg bedeute für Herrn Stöcker ein „Ulti matum", „nach dessen etwaiger Nichtbeachtung binnen einer bestimmten Frist die aus dem Schlußsätze der Erklärung der „Cons. Corr." sich ergebenden Consequenzen gezogen werden sollen". Die „Cons. Corr." würdigt diese seltsame Annahme nicht eines Wortes und überläßt es Herrn Stöcker, selbst das Wort für sich zu führen. Das thut er denn auch in seinem „Volk", indem er erklärt, er wolle nicht annehmen, daß jene Erklärung ein Ultimatum an Stöcker gewesen sei ; zugleich ertheilt er aber auch den Verfassern der Erklärung einen sanften Verweis dadurch, daß er in Fraae stellt, ob die Parteileitung bereit sei, sich mit Form und Inhalt der Er klärung zu identisiciren. Dieselbe enthalte Irrthümer und gehe auch viel zu weit, indem sie an die Kirchen- behörden appellire und die genannten Pastoren be schuldige, von vorn herein verwerfliche Absichten zu hegen, den Classenhaß zu schüren rc. Herr Stöcker füblt sich also offenbar sehr sicher, so sicher, daß er sogar die den Agrariern verhaßten Pastoren in Schutz zu nehmen wagt. Für alle Fälle stellt er aber auch seine Bedeutung für die konservative Partei in möglichst Helles Licht. Er theilt mit, daß in der Versammlung der Vertrauensmänner des Neichs- tagswahlkreises Herford-Halle die Candidatur deS conservaliven AmtSgerichtsrathcS Weibe nur mit 60 gegen 53 Stimmen (für Stöcker) beschlossen worden sei, und behauptet, daß auch dieser Beschluß nur zu Stande gekommen sei, weil Stöcker erklärt habe, er wolle nicht cändidiren, um dem Wahlkreise die Invasion deS zur Zeit ganz dis poniblen Wübl- und Hetzpersonals seiner Gegner zu ersparen. Der proclamirte Candidat kenne übrigens die Stimmung seines Wahlkreises genau und sei daber auch in der Lage, Zeugniß dafür abzulegen, „daß eine „Absprengung" der durch Stöcker vertretenen Richtung gleichbedeutend wäre mit der Zer trümmerung der conservaliven Partei". Zu allem Neberfluß wird denjenigen Conservativen, die etwa auf der Seite der „Nordd. Allgem. Ztg." und ihrer Hintermänner stehen, zugerufen: „Unserer Ansicht nach müssen sich die Hauptanstrcnguiigen der Conservativen derzeit darauf richten, die Trägheit und Gleichgiltig keit in den eigenen Reihen und die Neigung zu bekämpfe», dem Druck von oben nachzugebe». Tenn dieser Truck wird von Leuten erzeugt, denen jedes Verständnis; sür die Zeitbedürsnisse ab geht. Wir leben in einer Zeit, wo schon die Jugend vielfach zur Streberei und Charakterlosigkeit erzogen wird." Es wird »un der „Nordd. Allgem. Ztg." und ihren In spiratoren nichts Anderes übrig bleiben, als das „Ultimatum" für Herrn Stöcker, das sie aus der Erklärung der „Conserv. Corr." herausgelesen haben, selbst zu stellen und eS auf die ganze „durch Stöcker vertretene Richtung" anszudehnen. Die Metropole Oesterreichs bat sich ei» neues Haupt erkoren, eS konnte nach dem Ausfall der Gemeinderathswahlen, welche den Antisemiten das Heft in die Hand geliefert, kein anderer sein, als vr. Lueger. der, wie gcnieldet wurde, mit sämmtlichen nichtliberalen Stimmen — bekanntlich haben die Anlitiberalen es auf die für die Bürgermcisterwahl erforder liche Zweidrittelmehrheit gebracht — auf den Schild er hoben wurde, während die Liberalen Weiße Zettel abgaben. vr. Lueger hat auch bereits sein Programm ausführlich entwickelt, auf das man gespannt war, weil man wissen wollte, wie der Antisemitenhäuptling sich als Bürgermeister der Stabt Wien geberden werbe. Wir hatten unmittelbar nach der Gemcinderalbswahl, als der Sieg der Candidatur Lueger in sichere Aussicht gerückt war, vor der Annahme gewarnt, daß die antisemitische Majorität und das aus ihr hervorgegangene Stadtregiment sofort eine wüste Parteiherrschaft im Sinne des Rassenhasses, der Reaction und der Vergewaltigung der Minderheit etabliren würden. Dazu hielten wir den geriebenen Parteiführer für viel zu klug und setzten im Gegcntbeil voraus, daß die antisemitischen Führer Anfangs durch scheinbare Saiistmuth die Gegner zu beruhigen u»v durch sachliche Arbeit zu beweisen suchen würden, daß das Wohl der Stadt in keine besseren Hände hätte ge legt werden können, um so nach und nach ihre Herrschaft zu befestigen und schließlich ohne Scheu und Gefahr die Maske ab werfen zu könne». So scheint es auch kommen zu sollen, denn die programmatischen Aeußerungen Lueger's, so sehr auch aus ihnen der Iudenbasser spricht, sind dock voll berechneter Zurückhaltung, eS fehlen in dem Bilde die grellen Lichter, die man bei Lueger sonst gewohnt ist, nichts von verletzendem Triumphatorenstolz, nichts von Ueberhebung, kein Spott und keine Drohung. E» muß dem alten Catili- narier schwer angekommen sein, so gemäßigt zu sprechen; aber er hat schon so viel Rollen gespielt, warum sollte er vor der des Friedensapostels zurücksckrecken? Und er bat sie ziemlich gut gespielt, eine vieltausendköpfige Menschen menge, die sich vor dem Ratbbause versammelt batte, klatschte ihm Beifall, und eS ist wohl kaum zu bezweifeln, daß daS Engagement die kaiserliche Bestätigung erkält. Es bat zwar in de» letzten Tagen mehrfach geheißen, Graf Badeni werde dem Kaiser die Sanctionirung der Wahl nicht empfehlen, da Lueger als Feind Ungarns bekannt und seine Bestätigung durch den Herrscher beider Reickshälften unmittelbar vor den AuSgleichSverbandlungen in Transleithanien böscS Blut machen werde. Das wäre allerdings ein Grund, der den Kaiser stutzig machen könnte, allein er kann doch unmöglich ausschlaggebend sein, denn was bat die Bürgermeisterwahl in Wien im Grunde mit den Verhältnissen in Ungarn zu thun! Heute geht uns zur Sache folgende Drahtmeldung zu: * Wien, 30. October. (Telegramm.) Tie „Presse" meldet, daß gestern Nachmittag eine lange Ministerconferenz statt- fand. Dieselbe befaßte sich nach den Informationen des Blattes nichtmitderFrage derWienerBiirgermeisterwahl.daweder die Resultate des Wahlactes, noch dir Berichte der Statthalterei Vorlage» und die Regierung dieser Personenfrag» keine solche Bedeutung beilegt, um ihr »och vor dem Eintreffen der amtlichen Actenstücke näher zu treten. Danach scheint man im österreichischen Ministerium die Wiener Bürgermeisterwabl nickt als eine Haupt-und StaatS- action zu betrachten und dem Beginn der Aera Lueger keinen Stein in de» Weg werfe» zu wollen. Das französisch^ Ministerium Ribot ist über das kleine Panama der Südbahn-Affaire gestürzt, weil es in dem Verbackt stand, die Schuldigen, die der Buckrrsachverständige Flory beim Studium der Acten des ProcesseS Magnier ent deckt und deren Namen er in einer Liste dem Ministerium überreicht hatte, dem Arm der Gerechtigkeit entziehen zu wolle», aber es stand schon seit geraumer Zeit nicht mehr fest, da eS den inneren Halt verloren hatte. ES waren Zwistigkeiten in seinem Schoost entstanden, von denen die beiden Minister deö Innern und der Justiz, die letzte Woche in der Kammer gegen einander sprachen, ein offenes Zeugniß gaben. Diese Zwistigkeiten bezogen sich nicht allein auf den Streik in Carmaux, sondern auch auf andere Dinge, namentlich aus einzelne Fragen deS Budget». Man erinnert sich auch, daß daß Cabinet Ribot einen etwas unsoliden Ursprung hatte. Es war das erste Cabinet deS Präsidenten Faure, das sich zehn Tage lang abmüble, ein Cabinet zu Stande zu bringen, und schließlich zu Ribot griff, der in der kürzesten Frist mit der CabinetSbildung fertig werden mußte, um die öffentliche Meinung, die bereits sehr ungeduldig war, zu beschwichtigen. Ribot raffte die Minister zusammen, wie er sie eben zur Verfügung batte, und unter diesen Umständen konnte von einem starken inneren Zusammenhalt des CabinetS nickt die Rede sei». Tbatsäcklich bat daS Ministerium auch nur mit Mühe sich in die Sommerferien hinübergerettet. ES ist nicht ausgeschlossen, daß Ribot gleich beim Beginn derHerbstsession erkannte, daß sein Ministerium, nachdem eS schon — ein hohes Alter — neun Monate alt geworden, das neue Jahr uuv den Abschluß des Budgets für 1895 nicht erleben werde, und daß er sich entschloß, keine besonderen Anstrengungen zu machen, um den Sturz des CabinetS zu verhüten. Jedenfalls ist die Lage, die eS binterläßt, keine angenehme. Die wichtige und klippenreiche Madagaskar-Frage steht im Vordergrund und harrt der Lösung und daS Budget drängt zum Abschluß, ist aber auch voller Untiefen, denn es liegen zwei grundverschiedene Aufstellungen vor, die von der Regierung und die von der Budgetcommission aus gearbeitete. AuS letzterem Grunde liegt es nabe, daS Cabinet aus der Budgetcomm ission zu recrutiren, was ein ge mäßigt- radicales Ministerium mit BourgoiS, Lockroy, Peytral, Doumer nnd Cavaignac als Kriegsminister bedeuten würde. Demgegenüber weisen die gemäßigten Blätter darauf hin, ein radicales Cabinet könne unmöglich lange bestehen. Jeden falls, glaubt man, beginnt jetzt eine Aera der Schwierig keiten sür Faure, dessen Popularität leicht Schaden leiden könnte, wenn er oie Radikalen bei der CabinetSbildung über gehe und gegen sich aufbringe. Mehrfach wirb der Wunsch geäußert, Hanotaux auch in der neuen Combination bei- zubehalten, besonders wegen des MadagaSkar-VertrageS und weil er in Petersburg persona erata ist. Auch geht in politischen Kreisen daS Gerücht, Faure beabsichtigte das Cabinet Ribot beizubehallen und daraus nur den Justiz minister Trarieux und den durch die Madagaskar-Angelegen heit compromiltirten Kriegsminister Zurlinden zu ernfernen. Die Hauplschwierigkeit der Situation liegt aber darin, Männer für das neue Cabinet — daS 34. — zu finden, die geneigt wären, den jüngsten Wunsch der Kammer nach Auf klärung über die Süvbahn-Affaire schonungslos zu erfüllen; FsrrNlstsn. Der Kampf ums Dasein. LZ Roman von A. vou GrrSdorff. Nachdruck »ertöten. (Fortsetzung.) „Herr Wächter!!" „5h, Männchen, lassen Sie doch die Albernheiten! Weiter ün Text: Nachdem Sie nun also vom Flötenblasen singen gelernt hatten —" „Ja, es war phänomenal! E« flog mir nur so an! Aber da ich ein Mann bin, der nichts halb thut und lieber zu viel als ru wenig wissen möchte, heftete ich mir den musikalischen Hungerleider an die Sohlen, und er hatte da aus seiner Jugendzeit so ein paar alte Beziehungen und — nun kurz, so kam ich trotz Jntriguen, Neid und Mißgunst, wie sie jeven, aufsteigenden Stern entgegen arbeiten, doch zu einem Gastspiel in — na, da» Wo thut nicht« zur Sache — genug —" „Sie fielen durch und verloren infolge dessen di« Stimme", grinste Wächter. „Ich gefiel rasend — mein Herr! Es war «in glänzender Erfolg! Kein Mensch wollte glauben, daß ich fast gar keine Studien gemacht hatte. Der Direktor fiel mir um den Hal-, der Regisseur weinte vor Freuden, und damit war die Sache — „vorüver, ihr Schafe, vorüber." „So. Der Erfolg war denn wohl in seiner Art zu großartig?" „Die Sache war die, verehrter Herr, daß der Director eine Brauerei aekauft batte und ich gerade an seinem letzten Bühnentage erschien. Der Nachfolger aber sang, au» miserabler Sparsamkeit, natürlich ohne jedes Talent, meine Rollen selber. Dann sang ich an verschiedenen Bühnen immer mit kolossalem Erfolg alle möglichen Partien. Ich konnte eben Alle«; Wa ich untrrnabm, machte ich gut. Dann kam eine tolle, ach, eine wunderbare Nacht, ich erkältete mich und verlor meine Stimme." „Na, ja, Männchen, da haben Sie allerdings Pech gehabt", sagt« Wächter ernsthaft und schlürfte an seinem Grog. ES war da« übrigen- sein dritte- GlaS. Der einherschleichende Wirth hatte jede- Mal bei der eifrigen Unterhaltung in einer taschendiebartigen Gewandtheit dir noch nicht ganz geleerten Gläser aus einer Bleckkanne wieder gefüllt, ohne sich durch die allerdings nur leicht ab wehrende Handbrwegung Wächter'- stören zu lassen. „Und nun, lieber Herr Wächter", näselte der Ex-Sänger vergnügt, „Vertrauen gegen Vertraue», denke ich. Wie kommen Sie eigentlich — als sogenannter „reisender Oekonom" — auf die Hasenhaide neben dieMörderkuhle an diesem angenehmen Abende?" „DaS ist keine so lange Geschichte, wie Ihre", faßte Wächter stolz, „aber eine etwas ernstere, als Jbre Firlefanzereien und Aufschneidereien, denn wenn Sie glauben, Herr Meyxr oder Fido, daß ich Ihnen Alles —" Herr Fino erhob sich tief gekränkt. „Herr, Sie sind ein ganz miserabler Landstreicher und Sic erlauben sich wahr scheinlich ebne Paß und Papiere —" Der Wirth stand mit seiner Kanne neben dem schon angetrunkenen Fino und wollte ihm gerade ringießen, als plötzlich vom Schenktisch her ein leises kurzes Canartenvogel- gezwitscher ertönte. Der Wirth setzte die Kanne auf den Tisch, öffnete mit der ruhig ausgestreckten Hand eine kleine, fast nnsichtbare Thür neben Wackter und sah diesen auffordernd an. Wächter schob den Hut verwegen nach hinten und schüttelte den Kopf. Im nächsten Augenblick trat ein Polizist in- Local. Er überflog die Gesellschaft, sah nur Bekannte und trat dann an die Tonne, wo auch Fino ruhig sitzen geblieben war. Wächter hatte schon ein Buch mit ganz sauberen Papieren au- der Joppe genommen und reichte eS dem Polizisten über den Tisch. Der blätterte darin, heftete zwischendurch ein Mal einen eigrnthümlich erstaunten Blick auf Wächter und gab daS Papier mit einem kurzen Nicken zurück. „DaS wäre ausgestanden", sagte der Künstler. »Ihre Papiere scheinen ja in Ordnung zu sein " „Ganz recht. Und nun will ich zu Bett gehen, ich bin müde", sagte Wächter mit schwerer Zunge und erhob sich nicht ohne Mühe. „Sie sind mir aber noch Ihre kurze Geschichte schuldig, Herr —" Wächter starrte ihn nur glasig an und suchte die Tbür. Fino goß den Rest seines Grog« hinunter, während sich daS Mädchen hinter dem Schenktisch ruhig erhob und Wächter am Arm faßte als er ihren Play pasflrtr. „Zahlen!" sagte sie laut. Einige Sekunden blickt« der Mann sie an mit einem Ausdruck sehr lächerlicher Ueberraschung in den schwimmenden Augen. Gatt daS dem kategorischen Anruf, dem energische» Griff der kleinen Faust oder der fremdartigen Schönheit deS WeibeS? Der Wirth stand auf seiner anderen Seite und der Sänger hinter ihm, so dicht, daß er sich berührt fühlte. Da sah er erst den Einen und dann den Anderen stumm einen Augenblick lang an, machte eine kurze Bewegung mit dein linken Arm und dem Kopf nach Hinte», und Beide flogen, wie aus der Pistole geschossen, der Eine zwischen die Kartcn- spieler, der Andere lang auf die Diele. Fino hatte einen so bösen Stoß gegen die lange Nase erhalten, daß daS Blut daraus bcrvorschoß. Den Arm aber, welchen das Mädchen umklammert hielt, batte er kaum bewegt, und ehe die beiden Gestürzten sich aufraffen konnten, hielt er bat Portemonnaie in der Hand und warf ein klingendes Silberstück auf den Tisch. „LangtS?" sagte er heiser. „Zu viel", gab sie lakonisch zurück und warf ihm einige Nickel auf den Tisch. „Kannsts behalten." Sie strich wortlos die Silbernlünzen zu dem anderen Gelbe in den Kasten nnd starrte ausdruckslos in« Weite, während Wächter hinaus taumelte und die Hingeschleuderten sich mehr erstaunt, als beleidigt erhoben hatten und ihm einen Augen blick fragend nackstierten. „Donnerwetter — da« ist ja der reine Ochs von Kräften!" murmelte der Wirth furchtsam und verriegelte, sich die Schulter reibend, die kleine Thür neben der Tonne. Fino aber schlich dem Andern nach, der sich trotz seines trunkenen Zustandes durch den dunklen, verstellten Hausflur zum Fuß der Treppe gefunden hatte. Diese aber zu ersteigen, schien ihm mehr Schwierigkeiten zu machen, unv er nahm den Arm Fino'S, den dieser ihm überaus höflich bot, ohne Weiteres an. Einige Minuten später raffelten die Athemzüge zweier Schläfer in der Schlafstelle deS SänzerS. Die Nacht war bell geworden unv ein verlorener Mond- strabl zitterte über daS Stroh, auf dem Wächter'S breite Gestalt in Hemdsärmeln ruhte. Aber da- himmlische Licht, da« Allel mildert und verschönt, schien hier scheu und fahl weiter zu gleiten über den Boden hin, wo r- eine Secunde lang den Häßlichen Fuchskopf de- Sängers grell beleuchtete, der im Schlafe mit bängenvem Unterkiefer, an kein d.iS Blut noch zum Theil geronnen fest klebte, geradezu leichenhaft erschien. Er hatte seinen Rock ebenfalls ausgezogen und sich damit leicht bedeckt, ohne die Joppe des Andern mit zu benutzen, kaum eine Hanvvoll von dem Bettstroh unter dem Nacken geschoben. „Wenn ich zu bequem liege, schlaf ich zu fest", hatte er beim Einschlafen gemurmelt. Und er schlief in der Tbat nicht fest. Es war kaum eine Stunde später, daS Mondlicht war längst entflohen und nächtliches Dunkel herrschte in der Kammer, als Herr Adalbert Fino leiser athmete und seinen vürren Hals vorsichtig in die Höhe reckte. Er lauschte auf die regelmäßig forttönenden Schnarch- laute seine- Schlafqenossen und wandte das Gesicht nach ihm, als bättc er ihn sehen können. Leise, leise, wie eine große Katze, wandte er sich empor auf die Kniee und zog sich vicht an daS Lager bin. Vorsichtig, immer lauschend, ließ er seine Hand nach der über dem Äettpfosten zu Häupten hängenden Joppe gleiten. Nun hatte er sie berührt, erfaßt, in den Händen gebrückt. Da — da warS, das harte Portemonnaie. Er hielt den Athen» an. ES war nicht ganz leicht, den Verschluß zu öffnen. Irgend ein harmloser Kniff. Man mußte ihn nur kennen. Aber wozu eigentlich? Man konnte eS ebenso gut ganz verschwinden lassen. WaS wußte der betrunkene Mensch morgen früh, wo am Abend vorher sein Geld oder seine Börse geblieben war? Dieser Biedermann vom Lande, der mit einem wildfremden Kerl mitlief und dem erzählte» daß er kein GlaS Wein oder Sprit vertragen konnte, und doch mit ihm trank I Aber um Himmelswillrn nur sachte, denn wenn der brave Ocksenknecht zu sich kam und merkte 'was an seiner Joppe rascheln, dann konnte sich da 'waS Peinliche« erleben lassen! Da sprang der Verschluß mit einem leisen Klingen. Fino erschrak. Er mußte auf dir bewußte Feder zufällig gedrückt haben. Seine langen Finger senkten sich tastend in die Leder- täschchen. Er fühlte — ein, zwei, drei, vier ZrhnpfeNnigstücke, und rill, zwei große Markstücke. Famo«! Er wollte sich sachte, sachte zurückbrwegrn, da fühlte er plötzlich etwa« Furchtbare« seinen Hal« zusainmrnknrifen. Ein gurgelnder Sckrri entrang sich seiner Kehle. Er ließ das Portemonnaie hart auf die Diele schlagen, klingend rollten die Münzen über den Boden. „Hab' ich- mir doch gedacht, Sie Hund infamer, wag
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