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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.04.1903
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-04-03
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030403012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903040301
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903040301
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-04
- Tag1903-04-03
- Monat1903-04
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Anzeiger»-Preis die «gespaltene Petitzeile LS Reklame» unter demRedaktion-strich l4grspalte») 75 L» vor den Familiennach- richten («gespalten) K0 Tabellarischer und Ztfferusatz entsprecheud Häher. — Bebübren für Nachweisungen uud Offertenanuahme Lk H (excl. Porto). Extra-Beilage« (gesalzt), u»r mit der Morgeu-ÄuSgabe, ohue Postbefärdenm, SO.—, mit Postbesärderuug ^4 70.—. Annahmeschluß für Anzeige»: Abeud-Au-gab«: LoruNttag-10 Uhr. Morgea-Ao-gab«: Nachmittag» 4 Uhu Anzeigen sind stet- an di« Expedition zu richte». Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet vo« früh 8 bi- abend» 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz tu Leipzig. Nr. W. Freitag den 3. April 1903. 97. Jahrgang. - Die Verstaatlichung -er konfessionellen Schulen in Ungarn. Man schreibt unS: Mit den konfessionellen Schulen in Ungarn sind gegenwärtig auch die deutschen in großer Gefahr, verstaatlicht, das heißt in diesem Falle, magya - rtstert zu werden. Wohl hat die Regierung selbst in der Angelegenheit entscheidende Schritte nicht eingeleitet; allen Anzeichen nach aber ist es nur eine Frage der Zeit, daß auch sie sich wird bewegen lasten, ihre Macht auf einem Gebiete geltend zu machen, das bisher auf Grund von Gesetzesbestimmungen nicht nur unantastbar schien, sondern im Hinblicke auf die Deutschen in Siebenbürgen und im Banate den Bestand des Deutschtums in Ungarn überhaupt gewährleistete. Einer der rücksichtslosesten An hänger des sogenannten „einheitlichen magya rischen Nationalstaates", wie die Magyaren ihr politisches Gemeinwesen der Zukunft gerne selbst be zeichnen, der gewesene Ministerpräsident, derzeitige Ober kurator der magyarischen reformierten Kirche in Ungarn, Baron Desiderius Banffy, hat nun vor kurzem einen Aussehen erregenden Artikel in die Welt gesetzt, in dem er die Verstaatlichung der konfessionellen Schulen in Ungarn alS eines der dringendsten Progrannnpunkte für die Regierung höchst nachdrücklich ausführt. Es ist selbstverständlich, daß auch dieser chauvinistische Politiker in seinen Auseinandersetzungen nicht übersehen kann, welche Schwierigkeiten der Verstaatlichung der kon- fessionellen Schulen in Ungarn auch von Seite der kon fessionellen Schulbehörden magyarischer Zunge ent gegenstehen, würden doch durch die Verstaatlichung auch die diesen angehörigen Schulen ihr bisheriges selbst ständige- Leben etnbüßcn, darunter auch die reformierten Anstalten, derenOberkuratorBaronBanffy gegenwärtig ist. ES ist fast wunderbar, wieBansfy in seiner kirchenbehörd- lichen Stellung diesen Umstand ans dem Auge lassen kann. DaS beweist aber nur die ungeheuere Verblendung, die chauvinistische Magyarcnseelen bis in die höchsten Spitzen der Gesellschaft erfaßt hat, über dem ehrgeizigen Streben, daS Phantom eines einstigen, sprachlich einheitlichen Ungarn herbeizuführen. Die Blicke solcher Männer sind immer auf die nicht magyarischen Nationalitäten Ungarns gerichtet, die nun einmal zu nichts Anderem da zu sein scheinen, als von der alleinseligmachenden magyarischen Kultur ver schlungen und des Heiles einer höheren Wesenheit teil- hastig gemacht zu werden, gleichzeitig ein Piedestal bildend für das Götzenbild magyarisch-chauvinistischer Zukunfts größe. Wie sehr auch Baron Aianssy gerade die deut schen Schulen des Vaterlandes vorschweben, bezeugt ein Citat in seinem Artikel aus dem sächsischen „Sicben- bürgisch-deutschcn Tageblatt", in dem gelegentlich der Satz zu lesen war, daß die Sachsen eins sind mit den Magyaren in dem Bekenntnisse, mit ihnen und den anderen Natio nalitäten zusammen die einheitliche politische Nation Ungarns, wie sic das Gesetz bestimmt, zu bilden, daß sie aber auch die auf die Einheitlichkeit der Sprache, das ist also die magyarische, gerichteten Be strebungen bekämpfen müßten. Aus diesem Satze folgert Banffy, die Sachsen seien geschworene Feinde der mayga- rischen Sprache und Kultur, und somit sei es höchste Zeit, die Verstaatlichung ihrer Schulen, zunächst vornehmlich der Volksschulen, vorzunchmen. Auch ein anderer Grund ist dem ehrenwerten Baron hierfür sehr maßgebend, die Sachsen sollen nämlich das Verbot, bei festlichen Gelegen heiten frcmdnationale Fahnen zu tragen, dadurch um gehen, daß sie einfarbige benützen, aber derart nahe zu sammen tragen lassen, daß die verpönten Farben doch zu- sammcnstimmen. Die Sachsen haben nämlich blau und Rot als Nationalsahncnsarbcn; es ist bezeichnend, daß daS einstige sächsische Klausenburg diese Farben ungestört be nützen darf, ja, daß sie selbst bei der Enthüllung des König Mathias-Denkmals in jener Stadt eine große Rolle spielten, bei den Sachsen aber als die Farben eines außcrnngarischen Staates gelten. Wenn die Sachsen diese Fahne neben der ungarischen Trikolore benützen, wird sic von liberalen magyarischen Behörden an standslos zugelasscn, aber Leute vom Schlage Banffys — er war ja bekanntlich auch einst Obergespan — haben Blau-Rot stets verboten nnd strafgerichtlich verfolgt. Wenn sich die Sachsen dann in der Not zu helfen wissen, müssen ikre Schulen herhaltcn, damit solcher Unsng vei einer magyarisch einheitlich erzogenen zukünftigen Gene ration nicht mehr vorkomme. Man sieht, die Gründe, warum Herr Banffy vornehmlich die deutschen National!- tätcnschulen kassiert wissen will, sind zum Teil auch recht wunderliche und oberflächliche. Banffys Artikel ist nun allerdings auch von Seiten der Magyaren selbst beantwortet worden. Es ist natürlich, daß die chauvinistischen Blätter ihn mit großer Begeiste rung begrüben; denn auch ihnen liegt ja nichts mehr am Herzen, als das Ideal eines einheitlichen magyarischen Zukunftsstaates. Nur unsicher dämmert in diesen Auf sätzen das Gefühl der großen Gefahr, die durch die Ver staatlichung aller konfessionellen Schulen auch denen der Magyaren selbst droht. Es hat sich nämlich gezeigt, daß in den Staatsschulen der U l t r a m o n t a n i s m u s festen Fuß faßt und sich ganz ungescheut zur Geltung bringt, waS schon in der alleinigen Feier der katholischen Feier tage, nicht aber der evangelischen und der national-magya rischen Erinnerungstage, wie sie die konfessionellen magyarischen Schulen pflegen, zu Tage tritt. Das ist etwas, was gar reiflich bedacht werden muß; ebenso aber auch der Kostenpunkt. Der Staat hat gegenwärtig auch die Mittel nicht, um der großartigen, aber zugleich furchtbar teueren heiligen Sache der Schulenverstaatlichung ge wachsen zu sein. Deshalb allein kann man magyarischer seits Baron Banffy nicht ganz mitfolgen und beistimmen. Man könnte glauben, auch für die Regierung wäre wenigstens der letzte Grund maßgebend genug, um sie vor übereilten Schritten in dieser Angelegenheit zu warnen, sollte sic aber zugänglich sein den Ausführungen findiger chauvinistischer Journalisten, so haben ihr diese den rechten Ausweg schon bezeichnet; diese suchen nämlich darzutun, vorläufig sei es ja gar nicht nötig, die konfessionellen magyarischen Volksschulen, in denen ohnehin auch bisher ein guter, ja sogar vorzüglicher magyarisch-natio naler Geist gepflegt worden sei, zu verstaatlichen, not wendig sei dies bloß bezüglich der nichtmagyarischen Volks schulen, aus denen fort und fort Nationsfeinde hervor gingen. Es ist ganz gleichgültig, ob dieser Vorwurf wahr ist, und die Volksschule tatsächlich nichts Anderes zy tun hat, als sich mit Staatsfcindschaft zu beschäftigen; den kon fessionellen Volksschulen, und darunter vornehmlich den deutschen, scheinen die Tage gezählt zu sein, falls die Ge schichte nicht wieder einmal stärker ist, als menschliche gute oder böse Vorsätze. Deutsches Reich. 6. II. Berlin, 2. Slpril. (Sozialdemokratische W a h l h v s s lt u n g e n und Aussichten.) Mt fieberhafter Spannung verfolgen die Sozialdemokraten im A ilslande die Reichstagswahlbeweguug in Deutsch land; überall haben sich Comitos gebildet, um die deutschen Genossen mit „Pulver" zu versehen. Auch in den letzten Tagen sind zahlreiche Spenden aus dem Auslande hier ein getroffen; cs dürste wohl kaum ein Land mit einer nennenswerten Anzahl sozialdemokratischer Elemente geben, in dem nicht zur Zeit für die deutschen Reichstags wahlen mobil gemacht wird. Das könnte auffallen, weil bei vielen Lohnkämpscn in Deutschland die ausländischen Genossen trotz aller Versprechungen die Hände auf den Taschen gehalten haben. Mer zunächst sind seit jenen Streiks einige Jahre vergangen, in denen die internatio nalen Bezielmngcn viel enger geknüpft wurden, und dann kommt jetzt die politische Sozialdemokratie in Frage, während früher die gewerkschaftliche um Hülfe bat. Die Sozialdemokratie im Auslände glaubt mit Recht, baß es ein Triumph der gesamten Sozialdemokratie sein würde, wenn es den deutschen Genoffen gelänge, ihre Vor aussagungen wahr zu machen und soviel Stimmen -u- sammenzubringen, wie alle bürgerlichen Parteien zusam- mcngenvmmen. Und fest dem Ausfälle der Gewerbe- gerichtswahlen in Essen rechnen die Herren Bebel nnd Singer ganz ernsthaft darauf, die Hälfte aller Stimmen im Reiche auf die sozialdemokratischen Kandidaten fallen zu sehen. Bei der Zerfahrenheit der bürgerlichen Parteien und der Heftigkeit ihrer gegenseitigen Bekämpfung ist da begreiflich genug. Und tritt in den Reihen deS Bürger tums nicht eine ganz andere Rührigkeit und ein viel leben digeres Bewußtsein der Pflicht gegenüber -em gemein samen Feinde ein, so ist es nur zu wahrscheinlich, daß der 16. Juni die Hoffnungen der „Genoffen" erfüllt. /S. Berlin, 2. April. Der große Pau versetzt die polnisch sprechenden preußischen Staatsbürger Westpreußen« in die größte Erregung. ES ist nicht der arkadische Wald- und Wiesengott, deS Zeus oder deS Herme« Sprößliag, sondern Pan Victor KulerSki, der Verleger de» ärgsten polnischen Hetzblattes, der „Gazeta Grudziadzka" i« Graudrnz. Pan KulerSk, will unter allen Umstände« in des Reichstag und sein zahlreicher Leserkreis will da« Gleiche; denn KulerSki, so schreit man in den Wählerversammlungeu, „kann alles", KulerSki wird im Reichstage „dreinschlagen, daß die Späne fliegen." Von einer solchen politischen Holzbackerarbeit versprechen sich aber die diplomatisch Gemäßigten unter den Polen verteufelt wenig, und darum ist die polnische Geistlichkeit, unter der Führung de« Blatte« „Pielgrzym", gegen KulerSki tätig. Der große Paa vertraut indessen auf seine 53 000 Abonnenten: er verzichtet auf jede direlte Bekämpfung der Geistlichkeit und fordert seine K3 OVO nur auf, die verirrten Priester politisch gesund za betea. Käme eS zu einer Kandidatur KulerSkiS, so könnt« vom deutschen Standpunkte auS seine Wahl lediglich erwünscht erscheinen. Denn KulerSkiS Radikalismus, vor dem der „Kölnischen Volksztg." je länger je mehr gravt, müßte zur weiteren Klärung der Frage, wa« für eine Ostmarken politik Preußen zu befolgen habe, sehr viel beitragen. Schoa beute entschlüpfen dem Polendlatte am Rhein im Hinblick auf KuleiSkis Streben nach dem Besitz eine- Reich-tagS- mandals zwei wertvolle Geständnisse. Für gewöhnlich stellt sich die „Köln. Volksztg." auf den Standpunkt, daß die polnische Hetzpresse gar nichts bedeute. Heute aber schreibt die „Köln. Volksztg." über daS Graudenzer Hetzblatt: „Jo welligen Jabren hat diese Zeitung eS zu einer Auflage von 53 000 Exemplaren gebracht. Der Einfluß deS Herausgeber« (KulerSki) ... ist em unbegrenzter; KulerSki ist der Ab gott deS Volkes." Ferner ist eS immer eine Lieblingsbeschäftigung der „Köln. Volksztg." gewesen, den „HakatiSmus" für die Haltung der preußischen Polen verantwortlich zu machen. Heute gesteht daS Polenblatt am Rhein: „Er (KulerSki) Hal in seinen Lesern die Unzu friedenheit mit den bestehenden Verhältnissen groß gezogen". Leider wird die Stimmung, die der „Kola. Volksztg." solche Geständnisse abnötigt, nur zu rasch ver fliegen und Entgleisungen dieser Art werden durch ver- Feuilleton. Das Ausrufunnszeichen. Skizze von Anton Tschechow. Deutsch von Stefania Goldcnring. iUaibdrua verboten. Griesgrämig und niedergedrückt ging der Assessor Je- srm Fomitsch Perekladin zu Bett. „Laß mich in Frieden!" schrie er seine Frau an, als diese ihn fragte, weshalb er so betrübt sei. Er war nämlich soeben aus einer Gesellschaft zurück gekehrt, in der man über viele unangenehme, ihn ver letzende Dinge gesprochen hatte. Zuerst hatte man sich über die Bildung im allgemeinen unterhalten, dann war man zu dem Thema von dem Bildungsgrad der Beamten übergegangen, und hierbei waren viele Aeußerungen der Klage, deS Vorwurfs und selbst des Spotts über das niedrige Bildungsniveau derselben gefallen. Und wie es in der russischen Gesellschaft gewöhnlich zu geschehen pflegt, ging man von dem allgcnrctnen Thema auf Per sönlichkeiten über. „Wenn man Sie zum Beispiel hcrausgretft, Jeftm Fo- witsch", wandte sich ein Jüngling an Perekladin. „Sic nahmen eine angesehene Stellung ein . . . und was für eine Bildung haben Sie erhalten?" „Gar keine. Bon uns wird auch keine Bildung ver langt", antwortete Perekladin kurz. „Es genügt, wenn man orthographisch schreibt. . ." „Wo habenSie denn orthographisch schreiben gelernt ?" „Das macht die Uebung . . . Vierzig Jahre Dienst festigen die Hand . . . Zuerst ging » freilich schwer . . . ich machte ost Kehler . . . aber später bekam ich Uebung darin . . . und e« machte sich . . ." „Und die Interpunktion?" „Mit der Interpunktion weiß ich auch Bescheid . . ." ,Hm! . . meinte der Jüngling verlegen. „Uebung ist aber lange nicht dasselbe, wie Bildung. Es genügt nicht, daß Sie die Zeichen richtig stellen! Man muß es mit Bewußtsein tun! Wenn Sie ein Komma machen, so müssen Sie wissen, we-halb! ... ja, Ihre unbewußte . . . . mechanische Rechtschreibung ist gar nichts wert! Das ist «etter nicht« al- Maschinenarbeit. Perekladin verstummte und lächelte sogar freundlich lder Jüngling war der Sohn de- StaatSratS und nahm selber die 10. Rangklaffe ein). Jetzt aber, als er zu Bett ging, war er mißgestimmt und wütend. -Bier-ta Jahre habe ich gedient", dachte er, „und kein Mensch hat mir gesagt, ich wäre dmma; plötzlich fällt's thne» dort ei», mich zu kritisiere». Unbewußt! ...., Mechanisch! . . . Ach, . . . Hol' dich der Teufel! ... Ich weiß vielleicht mehr, als du, obwohl ich deine Universität nicht besucht habe!" Nachdem er im Geiste alle ihm bekannten Schimpfwort«: an den Kritiker gerichtet und sich unter der Decke erwärmt hatte, begann sich Perekladin zu beruhigen. „Ich weiß . . . Ich verstehe. . ." dachte er im Einschlafen. Ich würde kein Kolon hinstcllcn, wo ein Komma hingchört, folglich bin ich mir dessen bewußte Ja . . so ist's . . junger Mann . . Zuerst muß man das Leben kennen lernen, im Dienste Erfahrungen sammeln und dann alte Leute kritisieren.." Bor den geschlossenen Augen des einschlasenden Perc- kladin flimmerte zwischen dunklen, lächelnden Wolken ein feuriges Komma. Dann flammte ein zweites und ein drittes auf, und bald war die ganze grenzenlose, dunkle Fläche, die sich vor seinem geistigen Auge ausbreitcte, mit dichten Massen fliegender Kommas bedeckt . . . „Nehmen wir einmal diese Kommas . . ." dachte Pere kladin, während er seine Glieder allmählich süß erschlaffen fühlte. „Ich verstehe sie vortrefflich und kann für jedes einzelne einen Platz finden, wenn du willst . . . auch be wußt, nicht nur so obenhin . . . Prüfe mich . . . sollst sehen . . . Kommas werden an verschiedenen Stellen ge stellt, wo es nötig und wo es nicht nötig ist. Je verwickelter das Aktenstück ist, um so mehr Kommas sind nötig. Vor „welcher" und vor „daß" muß es immer stehen. Wenn die Beamten im Aktenstücke aufgezählt werden, so müssen sie voneinander durch Kommas getrennt werden . . . Ich weiß es!" Die goldenen Kommas wirbelten auf und vcrschwan- den. An ihre Stelle traten feurige Punkte . . . „Ein Punkt wird am Schluffe des Aktenstückes gestellt. Wo man eine längere Atempause macht und den Zuhörer anschaucn muß, wird auch ein Punkt gesetzt. Nach allen langen Absätzen wird ein Punkt gemacht, damit den, Se- kretär beim Lesen der Speichel nicht aus dem Munde fließt. Sonst wird nirgends ein Punkt gemacht . . ." Wieder eilen die Kommas herbei . . . Sie vermischen sich mit den Punkten, drehen sich mit ihnen im Wirbel tanz, und Perekladin erblickt einen ganzen Haufen von Kolons und Semikolons . . . „Auch die sind mir bekannt. . ." denkt er „Wo ein Komma nicht ausrcicht und ein Punkt zuviel ist, da wird ein Semikolon am Platze sein. Vor „denn" und „folglich" stelle ich immer ein Semikolon . . . Nun, und ein Kolon? Dieses setzt man nach den Worten: „es wurde beschlossen", „es wurde erklärt". Die Kolons und Semikolons verloschen. Nun war die Reihe an den Fragezeichen. Aus den Wolken sprangen sie tanzend hervor . . . „Seht mal an! Tausend können s jein, ich bringe sic alle unter. Man stellt eS immer bei schriftlichen Anfragen ober wenn ein Aktenstück geprüft werben soll .., «Wo sind die Rcstsummen vom Jahre so und so übertragen?" oder „Wird die Polizei-Regierung dies oder jenes gut heißen?" . . ." Die Fragezeichen nickten bestätigend mit ihren Häkchen und dehnten sich augenblicklich, wie auf Kommando, in Ausrufungszeichcn aus . . . „Hm! . . . Dieses Zeichen wird oft in Briefen benutzt. „Sehr geehrter Herr!" oder „Ew. Hochwohlgeboren, Vater und Wohltäter!" . . . Aber in den Aktenstücken?" Die Ausrufungszeichen dehnten sich noch länger aus und verharrten in erwartender Stellung . . . „In Aktenstücken werden sie gestellt, wenn . . . hm . . . wann nur? . . . Wann stellt man im Aktenstück wirklich ein Ausrufungszeichen? Warte mal ... es fällt mir bald ein . . . Hm! . . ." Perekladin öffnete die Augen und drehte sich auf die andere Seite um. Kaum hatte er aber die Augen wieder geschlossen, als auf dunklem Hintergründe wieder die Aus rufungszeichcn erschienen. „Der Teufel hole sie. . Wann muß man sie denn setzen?" dachte er uud bemühte sich, die ungeladenen Gäste aus seiner Phantasie zu vertreiben. „Sollte ich es wirk lich vergessen haben? . . Entweder habe ich's vergessen oder ich lxrbe nie welche gestellt . . ." Perekladin rief sich den Anhalt aller Aktenstücke, die er während seiner vierzigjährigenDienstzeit geschrieben hatte, ins Gedächtnis zurück. So sehr er sich aber anstrcngte, so sehr er die Stirn auch runzelte, er fand in seiner Ver gangenheit kein einziges Ausrufungszeichen. „Welcher Zufall! In vierzig Jahren hatte er kein einziges Ausrufungszeichen geschrieben . . . Hm! Wann wird nur dieser lange Teufel benutzt?" Aus der Reihe der lodernden Ausrufungszeichen blickte die boshaft lächelnde Kratze des Jünglings hervor. Auch die Zeichen lächelten und schmolzen in ein großes Ausrufungszeichen zusammen. Perakladin erhob den Kopf und öffnete die Augen. „Was ist das nur. . . ." -achte er. „Morgen muß ich zeitig aufstehen, und nun geht mir dieser Teufelsspuk nicht aus dem Sinn . . . Pfui! Mer . . . wann wird es ge stellt? Was ist alle Uebung und Erfahrung ? In vierzig Jahren kein einziges Ausrlffungszeichen!" Perekladin schlug ein Kreuz und schloß die Augen, öff nete sie aber bald wieder; ans dunklem Hintergründe stand das Ausrufungszeichen noch immer da! . . . „Pfui! So werde ich die ganze Nacht wachliegen . . „Maruschka!" wandte er sich an seine Krau, die oft da mit prahlte, daß sie in der Pension gewesen war. „Weißt du nicht Herzchen wann man ein Ausrufungszeichen ge braucht?" „Das sollte ich nicht wissen! Bin doch nicht umsonst sieben Jahre in der Pension gewesen. Ich kann die ganze Graonnattk auswendig. Diese» Zeichen wir- -ei An reden, Ausrufen und nach den Ausdrücken der Begeiste rung, des Unwillens, der Freude, des Zornes und anderer Gefühle gestellt . . . ." Der Assessor versank in Gedanken .... Vierzig Jahre lang hatte er Aktenstücke geschrieben, nahezu hundert tausend Stück wird er angesertigt haben, doch entsinnt er sich keiner Zeile, die Begeisterung, Unzufriedenheit oder etwas Derartiges ausgcdrückt hätte .... „Und andere Gefühle . . . ." dachte er. „Werden in Aktenstücken Gefühle gebraucht? .... Die kann auch ein gefühlloser Mensch säneiben . . . ." Die Kratze des kritisierenden Jünglings blickte wieder aus dem flammenden Zeichen hervor und lächelte bos haft. Perekladin setzte sich im Bett auf. Sein Kopf schmerzte, kalter Schweiß bedeckte seine Stirn ... In der Ecke brannte ein kleines Nachtlämpchen, die Möbel sahen blank und sauber aus, allem entströmte eine Wärme, allem merkte mau eine fürsorgliche Frauenhand an — trotzdem aber fühlte der Assessor einen kalten Schauer und eine Un behaglichkeit, als wäre er am Typhus erkrankt. Das Ausrufungszeichen war nicht nur ein Traumbild, sondern es stand im Zimmer vor ibm. neben dem Toilettentisch seiner Frau und nickte ihm spöttisch zu... er sah es auch mit offenen Augen . . . . ' „Eine schreibende Maschine! Maschine!" flüsSerte die Vision und wehte eine trockene Kälte Uber den Beamten. „Gefühlloser Klotz!" Der Astestor hüllte sich in die Decke ein, aber die Vision verschwand noch immer nicht... Er quälte sich die ganze Nacht, und auch am Tage wurde er das Bild nicht ko«. Der Aermste sah eö überall: in den Stiefeln, die er anziehen sollte, in dem Theeglas, tm StaniSlau-or-en . . „Und andere Gefühle . . . ." dachte er. „DaS ist wahr, Gefühle hatte er nicht gekannt. . . Ich gehe sofort zur Obrigkeit, Erkundigung einztehen . i . ob man so mit Ge- fühlen umgebt . . . ." Als Perekladin auf die Straße trat und einen Kutscher rief, da schien es ihm, als wäre anstatt eine- Kutscher» ein Ausrufungszeichen vorgcfahren. Im Vorzimmer des Vorgesetzten sah er an Stelle des Portiers dasselbe Zeichen . . . Und all diese- sprach ihm von Begeisterung, Unzufriedenheit, Zorn.... Auch der Federhalter sah aus, wie ein Ausrufung Szcichen. Perekladin ergriff denselben, tauchte ihn in Tinte ein und zeichnete: „Assessor Jefim Perekladin!!!" Indem er diese drei Zeichen schrieb, war er miß vergnügt, begeistert, erfreut nnd wütend. „Hier hast'«? Hier haft'-!" brinnmte er, mit der Keder fest aufdrückend. Das flammende Zeichen war befriedigt und verschwend
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