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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 10.11.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-11-10
- Sprache
- German
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18981110028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898111002
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898111002
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-11
- Tag1898-11-10
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BezuqSPrelS in der Haupterpedition oder den im Stadt- kezirk und den Vororten errichteten Aus gabestellen abgeholt: vierteljährlich ^(4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins Hans ./t 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Ocuerreich: viertcljäbrlich 6.—. Directe tägliche Kreuzbaudicnduug ins Ausland: monatlich ./s 7.50. Die Morgcn-AuSgabe erscheint nm '/,? Uhr. die Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. Nedaciion und Erpedition: Joynnncsgaffe 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von jriih 8 bis Abends 7 Uhr. Filialen: Ltto Klemm's Sortim. (Alfred Hahn), Univerjitätsslrahe 3 (Paulinum), LoniS Lösche, Katbarinenstr. 14, Part, und KönigSplotz 7. Abend-Ausgabe. - ——»E KiMer TagMaü Anzeiger. Amisökatt des königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Aatljes und Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. 571. Donnerstag den 10. November 1898. Anzeigen-PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reclamen unter demRedactiousstrich (4ne- spaltea) b0^, vor den Familirnnachrichtea (6 gespalten) 40^. Größere Schristen laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. -o—cx— Extra-Bei lagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderuu; 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-AuSgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen.Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je ein» halbe Stund« früher. Anzeigen sind stets an die Ex-e-ittan zu richten. - Druck und Verlag von E. Polh in Leipzig S2. Jahrgang. politische Tagesschau. * Leipzig, 10. November. Wie vorauszusehen war, bat weder daS Geschenk des Kaisers an die deutschen Katholiken, noch der Preis, den er für das Grundstück „vorwition 6o tu, 8uinto- Viorzxo'- bezahlt hat, die vnticanische Diplomatie befriedigt und zum Verzicht auf die Fortführung des Kampfes gegen das deutsche Protectorat über die deutschen Katholiken im Orient veranlaßt. AuS der vatikanischen „Voce della Vcritü" gebt klar hervor, daß die Hintermänner dieses Organs jenes Geschenk als eine peinliche Niederlage empfinden und eifrig nach Gründen suchen, welche die Schenkung als unangebracht und nachtheilig erscheinen lassen konnten. Die „Voce della Veritü" benutzt nämlich die recht ungeschickt erfundene Nachricht von einem Protest Rußlands gegen das deutsche Protectorat im Orient zum Vorwande für eine Ausführung, über die dem „Berl. Tagebl." von ihrem römischen Korrespondenten Folgendes gemeldet wird: Nachdem die „Voce" zunächst ausgesührt hat, wie nothlvcndig es sei, daß das Protectorat ein einheitliches sei und daß allein Frankreich die nöthigen Mittel zur Aufrechterhaltung des Pro tektorates besitze, führt sie fort: „Trotz des guten Willens des deutschen Kaisers und der guten Absichten der deutschen Katholiken ist cs schon heute ersichtlich, daß das Vorgehen Deutschlands »oth- wendigcrweisc von einer Menge von Umständen begleitet ist, die mit Len religiösen Interessen nichts zu thun haben, ja dieselben praktisch sogar schädigen können. Zur Uebernahme des neuen Protcclorats bedurfte es der ostentativen Kundgebung der persönlichen Freundschaft des Kaisers und des Sultans, bedurfte es ferner der Conccssioncn, Privilegien, sowie der Schenkungen von mohamedanischer Seite, die einer bestimmten Nationalität, nicht ader der Religion an sich galten. Gesetzt nun auch, daß die Deutschen als Deutsche daraus Vortheil ziehen, in welcher Lage befinden sich aber die Katholiken der übrigen Nationen, die nach orientalischem Usus die Kosten für die Bevorzugung jenes einen Clementes werden tragen müssen? Nach dem Beispiele Deutschlands werden nun auch alle übrigen Mächte ihre Mitbürger beschützen »vollen, aber nicht alle sind mit Frankreich und Deutschland ver gleichbar." Tie „Voce della Vcritä" befürchtet als Folge des deutschen Vorgehens eine allgemeine Confusion im Orient, welche der heilige Stuhl im Interesse des Friedens und der Ein tracht der Völker bisher stets hintanzuhaltcn gewußt habe. Es ist selbstverständlich, daß die Behauptung, die Katho liken der übrigen Nationen würden die Kosten für die Be vorzugung der deutschen Katholiken tragen müssen, ebenso aus der Lust gegriffen ist, wie die, daß das „Vorgehen Deutsch lands" die religiösen Interessen praktisch zu schädigen geeignet sei. Letzteres könnte nur dann eintreten, wenn von vatica- nischer Seite versucht würde, jene „allgemeine Eonfusion im Orient" herbeizufübren, welche die „Voce della Berits" als die mögliche Folge des deutschen Vorgehens bezeichnet. Auf solche Versuche wird man gefaßt sein müssen. Die preußische Negierung hat sich nun doch entschlossen, die Frage der Besteuerung der Waarenhäuser für das Gebiet der Monarchie durch ein Gesetz zu lösen, über dessen Form und Inhalt freilich die Verhandlungen noch nicht weit gediehen zu sein scheinen. Die im heutigen Morgenblatte bereits erwähnte Ankündigung eines hieraus bezüglichen Gesetz entwurfes lautet nämlich: „Bezüglich der Besteuerung der Waarenhäuser steht die preußische Regierung bekanntlich auf dem Standpunct, daß es in erster Linie Sache der in dieser Hinsicht völlig autonomen Communen sei, eine Form zu finden, wonach die Waarenhäuser zu höheren gewerbesteuerlichen Leistungen herangezogen werden könnten. Tie Re gierung hat ein Muster für die Regelung der Communalsteuer ge- schaffen, welches de» Weg zeigt, wie die Communen zu einer höheren Belastung der Waarenhäuser und der Versandthäuser gelangen können. Die Hoffnung, daß die Gemeinden diesen Weg be- schreiten würde», hat sich aber bisher nur in sehr beschränktem Maße erfüllt, und es dürfte daher nicht ausgeschlossen sein, daß die Negierung die Zeit für gekommen erachtet, ein Staatsgesetz vorzuschlagen, wodurch die Gemeinden ge zwungen werden, an eine höhere Gewerbesteuerbelastung der Waarenhäuser hcranzugehen. Ein diesbezüglicher (!) G e s e tz - E nt - Wurf ist indessen noch nicht fertigge st ellt, doch finden darüber Verhandlungen zwischen den Ministerien der Finanzen, des Handels und des Innern statt. Dies Gesetz müßte selbst verständlich die Form der Steuer vorschreiben, eine Aufgabe, die angesichts der außerordentlich schwierigen Materie keine leichte ist. Die kürzlich von der Presse gebrachte Nachricht, die Regierung habe sich die französische Steuer zum Muster genommen, ist natürlich unbegründet. Das französische Gcwerbesteuersystem ist von dem unsrigen so grundverschieden, daß sich eine Benutzung desselben von selbst verbietet." In Frankreich ist bekanntlich die Besteuerung der Waaren- magazine nach der Zahl der zum Verkauf gelangenden Waarengatlungen und der Angestellten bemessen, wozu dann eine Proportionalabgabe des Miethswerthes der benutzten Räume tritt. Das im Jahre 1896 vom preußischen Finanzministerium ausgegebene Besteuerungsmuster faßte den Maßstab für die Heranziehung der Waarenhäuser erheblich Weiler. Es wies darauf hin, daß man nicht bloö nach den feststehenden Elasten der Gewerbesteuer progressive Sätze einführen könne, sondern auch darauf, daß man für die großen Betriebe in progressiver Weise, nach den Leuten, die beschäftigt werden, nach den Gebäuden, die dem Betriebe gewidmet sind, nach dem Anlage- und Be- triebScapitalZuschläge zur Gewerbesteuer machen und endlich eme Eombiuation der verschiedenen Besteuerungsgrundlagen herbei führen könne. Die Umsatzhöhe hatte man noch aus dem Spiel gelassen, indessen gab der Generalsteuerdirector Burg hardt im Abgeordnetenhause zu, daß cs „keineswegs aus geschlossen erscheine, dieses Moment bei der Steucrbemessung zu verwerthen." Der Finanzminister vr. von Miguel hat damals mehrfach betont, man dürfe die grund verschiedenen Verhältnisse in den einzelnen Orten nicht über denselben Leisten schlagen; eine Besteuerungsform könne hier Passen, dort nicht. Aus diesen und anderen Gründen wird man schließen dürfen, daß die „diesbezügliche" Vorlage in der Hauptsache nur die procentuale Besteuerung der Waarenhäuser zu Gunsten der Eommunen obligatorisch machen und die Formen, in denen sich diese Besteuerung bewegen kann, festsetzen, die Wahl dieser Formen aber den Communen frei stellen werde. Ein Urtheil über den Entwurf, sowie darüber, ob er vorbildlich auch für andere Staaten werden könne, kann man natürlich erst fällen, wenn er vorliegt, was jeden falls in der nächsten Zeit noch nicht zu erwarten ist. Tie englisch-französischen Differenzen eröffnen, wenn sie auch für den Augenblick beigelegt erscheinen, doch in hohem Grade besorgnißerregende Perspectiven. Wir wiesen schon wiederholt darauf hin, daß der Faschodafall an sich von untergeordneter Bedeutung sei, daß England sich vielmehr für die große Auseinandersetzung vorbereite, der eS mit Frankreich in Afrika und mit Rußland in Asien unaufhalt sam entgegengebt. Mit ziemlicher Offenheit hat sich darüber der englische Premierminister Lord Salisbury in seiner Banketrede in Guild Hall ausgesprochen. Man meldet unS: * London, 10. November. Lord Salisbury führte u. A. aus: „Ganz neuerdings haben wir die Frage eines europäischen Krieges ins Auge fassen müssen. Die Angelegenheit ging glücklich aus. Es schien einen Augenblick, daß sie in anderer Weise enden werde, aber die große Weisheit und der gesunde Verstand, den Frankreich unter Umständen von ungewöhnlichen Schwierigkeiten entfaltet hat, haben Europa, glaube ich, vor einem sehr gefährlich drohenden Sturm gerettet. Der Krieg ist vielleicht nicht so nahe gewesen, wie die Zeitungen vermuthen ließen, aber diese Erwägungen und viele andere, Wie Sie leicht begreifen werden, verpflichteten die Regierung, Vorsichts maßregeln zu ergreifen, damit sie nicht überrascht würde, wenn plötzlich irgend eine Gefahr eintrcten sollte. Diese Vorsichts maßregeln wurden mit großer Raschheit und großem Erfolge getroffen. Die Nothwendigkeit für diese Maßregeln war zum Mindesten eine ganz unmittelbare. Rian hat sein Erstaunen darüber ausgedrückt, daß die Vorsichtsmaßregeln nicht plötzlich wieder beseitigt worden sind. Wir können aber nicht alle Vorsichtsmaßregeln im Augenblick wieder ein stellen. Es darf jedoch nicht angenommen werden, daß diese Maß- regeln, weil nicht sofort eingestellt, jetzt noch die Gefühle anzeigen, von denen sie ursprünglich eingegeben waren. Man sagt, daß wir uns Kretas und Syriens bemächtigen oder das Protectorat über Egypten proclamiren wollen; wir sind mit der gegenwärtigen Lage in Egypten ganz zufrieden und glauben nicht, daß jetzt ein Grund vorhanden ist, sie abzuändern." Dann fuhr Salisbury fort, er wolle zwar nicht sagen, daß die Ereignisse der letzten drei Monate keine Einwirkung auf die Stellung Britanniens in Egypten, die ja nach dem Siege bei Omdurman nicht dieselbe gewesen sei, wie vor diesem Siege, gehabt hätten, aber er hoffe aufrichtig, daß keine Umstände eintreten werden, die es nothwendig machen, die britische Position in Egypten zu modificiren; denn er sei überzeugt, daß es dann in der Welt nicht so friedlich weiter gehen werde. Wenn man nun frage: „Warum diese Vorbereitungen, wenn es sich nicht um Kreta, Egypten oder Syrien handelt?", so müsse er bitten, doch die allgemcineWeltlage zu betrachten. Salisbury preist warm den Abrüst ungs vor sch lag des russischen Kaisers, der der Sympathie und Unterstützung Englands sicher sei. „Aber ist der Wunsch des russischen Kaisers", fährt Salisbury fort, „nicht von Erfolg gekrönt, so müssen wir auf die Gefahren um uns achten und Vorsichtsmaßregeln treffen." Dann sprach Salisbury von einer gewaltigen Macht inAmerika. Von den europäschen Nationen könne nicht Eine leugnen, daß das Erscheinen der Amerikaner unter den Factoren der europäischen Diplomatie ein schwer wiegendes ernstes Ereigniß bilden, das vielleicht nicht den Interessen des Friedens dienlich sein möge, aber gleichwohl jedenfalls die Interessen Großbritanniens fördere. Daraus sprach Salisbury über die Frage, wer die Besitzungen gewisser Nationen erben solle. Heutzutage könne ein Krieg mit schrecklicher Schnelligkeit ausbrechen. Wirsind eine große Colonial- und Seemacht, fährt Salisbury fort, haben keine Landesgrenzen; aber werden wir jemals erlauben, daß unsere Ver- theidigungskräste zur See in einenZustand der Unwirksamkeit verfallen, so wird unser Reich mit Krachen zu Grunde gehen. Aus diesem Grunde kann England die militairischen und die Marine vorkehrungen nicht aussetzen, die durchaus nicht gefährliche Unternehmungen und Erörterungen zum Ziele haben. Wir ver abscheuen den Krieg, aber es ist unsere Pflicht, daS Reich in un versehrter Gestalt den Nachkommen zu übergeben. Man kann nicht sagen, daß die Rede des englischen Premiers, namentlich was die egyptische Frage anlangt, sich durch große Klarheit auszeichne. Möglich ist auch, daß die Schuld an der Berichterstattung liegt. Trotzdem scheint un verkennbar aus der Rede Salisbury's hervorzugehen, daß, wie wir Eingangs andeuteten, es sich nicht mehr nm bloße Demonstrationen, sondern um Vorbereitungen für den Ernstfall handelt. Salisbury versichert Frankreich der freundschaft lichsten Gesinnung der englischen Diplomatie, aber er läßt doch durchblickcn, daß, wenn etwa von gewisser Seite — möglich wäre dies auf der „Friedensconserenz" — die egyptische Frage auf geworfen würde, dies für England den Krieg bedeute. Salisbury macht dem Zaren wegen seines Abrüstungsvorschlags eine Verbeugung, giebt aber zu verstehen, daß er an den Erfolg desselben nicht glaube, und spielt mit der Frage, wer die Besitzungen gewisser Nationen erben solle, nicht bloS auf den afrikanischen Eolonialbesitz Portugals,um deswillen England mit Frankreich in Krieg gerathen könnte, sondern unverkennbar auch auf China an, wo Rußland sein gefährlichster Concurreut ist. Von besonderem Interesse ist auch Salisbury's Hinweis auf die imperalistischen Gelüste in den Vereinigten Staaten und das Eintreten derselben in die europäische Eoncurrenz, wobei der englische Staatsmann sich sofort auf die Seite der Union stellt. Heute kann, daS ist die Quintessenz der AuSführungeu Salisbury's, einKrieg miterschrecklich er Schnelligkeit auSbrechen und deshalb rüstet Eng land weiter. Wie werden dieser Thatsache gegenüber sich Frankreich und Rußland verhalten? Ueber russische Kriegs vorbereitungen verlautet noch nicht das Mindeste und was Frankreich betrifft, so wird heute die Meldung, daS Mittel meergeschwader sei seeklar, durch den Marineminister als falsch bezeichnet. Es liegen auch sonst keine Anhaltspunkte vor, welche auf Rüstungen auf dieser Seite schließen lassen, doch dürfte die Guild Hall-Rede Salisbury's ihre simulirende Wirkung nicht verfehlen. Bezeichnend ist, daß die „Times" im Hinblick auf den kommenden großen Krieg die Bundes- genossenschaft Deutschlands aurufen. Man be richtet unS: * London, 10. November. (Telegramm.) ' Die „Times" führen in einer Besprechung der gestrigen Rede Salisbury's aus: „Unsere Stellung in der Welt und unser Ruf bei dm Nationen hängen von unserer sichtbaren und nicht mißzuverstehenden Fähig keit und Bereitwilligkeit ab, unser« Interessen zu ver teidig en und unsere Ehre zu wahren. Ein Erfolg ergiebt den andern, und selbst eine feindliche deutsche Presse entdeckt jetzt, daß ein England, stark zur See und fähig, seinen Besitz auch im Felde zu behaupten, eine Macht ist, mit der Deutschland ganz wohl eine Verständigung suchen könnte, wenn nicht gar ein wirkliches Bündniß". Das ist die Achillesferse! Wäre England tbatsächlick in der Lage, dem vereinigten Frankreich und Rußland zur See und auf dem Lande die Spitze zu bieten, was die „Times", den Fenrllstsn» Oie Oeltelmaid. 1j Roman von Fitzgrrald Molloy. Nachdruck verboten. Erstes Capitel. „Still gesessen, Capri!" rief Marcus Phillips, hörte zu malen auf, blickte prüfend von der Leinwand auf das Antlitz des jungen Mädchens und dann wieder zurück. „Das ist leichter gesagt als gethan, Marc", entgegnete sie vertraulich. „Ich kann ja gar nicht stillsitzen — außer wenn ich ernstlich nachdenke." „Pflegst Du das zu thun?" „Welche Frage! Du denkst wohl, ich sei immer so kindisch wie hier bei Dir?" „Es thäte mir leid, wenn Du es nicht wärst", bemerkte er, eifrig weiter malend. „Lieber Freund, es giebt Tage, an denen ich denke und denke, bis mich der Kopf schmerzt! Nächte, die ich wachend verbringe, von dem einen Gedanken gequält, wie sich mein künftiges Leben gestalten wird." Sie seufzte bei diesen Worten tief auf und warf den Kopf zurück. „O weh, da hast Du die Stellung schon wieder geändert! Du könntest die Geduld eines Fra Angelico auf eine harte Probe stellen. — Blicke etwas mehr nach rechts. — So geht's nicht." Damit trat der Künstler auf das Mädchen zu, nahm ihr Köpfchen in beide Hände und gab ihm die gewünschte Haltung. „Ich bitte Dich, sitze nur noch ein kleines Weilchen still, wir können ja dabei weiter plaudern. — Doch, um auf unser Gespräch zurückzukommen: Jeder Mann und jedes Weib hat auf Erden seine Bestimmung zu erfüllen. Wäre es nicht besser, Du über ließest dem allgewaltigen Schicksal, das Räthsel Deines Lebens weiterzuspinnen?" „Ich weiß nicht; das Schicksal scheint mir sehr langsam vor zugehen." „Du bist ja noch so jung!" „Nicht so jung, wie Du glaubst", entgegnete sie nachdenklich. „Ich zähle schon achtzehn Jahre. Wir Kinder des Südens ent wickeln uns rasch. — Ich werde bald eine „junge Dame" sein, lange Kleider und hohe Frisuren tragen und Dich Herr Phillips nennen müssen." Dabei lachte sie fröhlich auf wie ein über- miithiges Kind. „Ich kann mir Dich gar nicht als steife englische „Miß" vorstellen." „Davor mögen mich auch alle Heiligen bewahren! O Marc!" fügte sie nach einer Weile ernst hinzu. „So lange man jung ist, ist es sehr schön und angenehm, aber hier in England muß man ehrbar und reich werden, wenn man die „zehn" hinter sich hat, — namentlich eine Frau." „Muß man?" „Ja; nicht, daß ich viel nach der sogenannten „Achtbarkeit" frage; sie macht die Leute dumm, schwerfällig und langweilig; aber ich wünsch« mir Geld, viel Geld." „Es giebt bessere Dinge in der Welt", entgegnete er, ihr ernst ins Gesicht blickend. „Ich kenne nichts Besseres", sagte sie mit niedergeschlagenen Augen. „Jetzt vielleicht noch nicht; aber es dürfte eine Zeit kommen, da Du anders denken wirst." „Nein, Marc, ich niemals. Glaube mir, nichts in unserer Welt, wie sie beschaffen ist, ist so begehrenswerth wie Reich- thum. — Die Erfahrungen und Gedanken eines Weibes sind oft reifer als die des Mannes" Sie nickte ihm überlegen zu und ließ dann ihre Blicke durchs Dachkammerfenster über die gegen überliegenden Dächer schweifen. „Wenige empfanden und empfinden den Mangel des Geldes so sehr wie ich, aber ich habe nicht vergebens gekämpft und weiß, wo seine Macht aufhört. Es verhilft den Menschen zu werth vollen Dingen, selten jedoch zu ehrlichen Freunden und treuer Liebe." Er suchte ihre Augen, während er sprach, aber sie hielt sie zu Boden gesenkt, damit sie den seinigen nicht zu begegnen brauchten. „Man kann ohne Freunde und Liebe leben, aber nicht ohne Geld!" antwortete sie hart. „Welch' kaltes, elendes, glanzloses Dasein wäre das!" sagte er, ging zum Kamin, stopfte seine kurze Pfeife mit billigem Tabak, zündete sie an, kehrte zur Staffelei zurück und nahm die Pinsel wieder zur Hand. .Geld zieht Freunde an wic Blumen die Bienen", fuhr sie nach einer Weile fort, „und für Geld kann man täglich Liebe kaufen." Diesmal lachte sie bi'ier auf und blickte dem Maler voll ins Gesicht. „Dem Manne wünsch« ich Glück, der Liebe für Geld erkauft!" „Wirklich? — Ich gebe zu, daß man so starke Ausdrücke w'e kaufen und verkaufen im Alltagsleben nicht anwendet. Die Phrase „Ehecontract" klingt bei Weitem besser. — Cupido ist alt und weise geworden und hat die Binde von seinen Augen entfernt. Er sieht jedoch noch scharf genug, um die Herzen der heutigen Weiber nur für diejenigen Männer in Liebe entflammen zu lassen, die schwere Renten haben oder volle Geldcassen ihr eigen nennen." „Du bist ungerecht!" „Durchaus nicht; ich spreche die Wahrheit. Wir leben leider nicht mehr in Arkadien. Die guten alten Götter und Göttinnen verliebten sich nach Herzenslust, ohne viel nach Geld, Equipagen, kostbaren Kleidern zu fragen, und waren glücklich dabei. Ich wünschte, ich hätte damals gelebt!" Der junge Künstler blieb einige Minuten die Antwort schuldig, dann nahm er die Pfeife aus dem Munde und sagte: „Etwas muß Dir heut« quer gegangen sein, sonst würdest Du nicht so verbittert sprechen." „Vielleicht; das wäre übrigens bei mir nichts Neues", ent gegnete sie erröthend. „Erzähle mir Alles, es wird Dich erleichtern." „Und Dich langweilen!" „Capri!! Du weißt, daß Du mir versprochen, mich als Deinen wahr«n Freund zu betrachten. — Mißtraust Du mir?' Sie sprang auf und schlang ungestüm ihre Arme um seinen Hals, so daß die Palette aus seiner Hand mit den Farben nach unten fiel. „Du bist der treueste, beste Freund, den Männlein und Weib lein sich wünschen kann", rief sie stürmisch und küßte ihn mit der Freiheit und Sorglosigkeit eines Kindes auf die Stirn. Das Blut stieg dem Jüngling heiß ins Gesicht und in seinen Augen flammte es seltsam auf. „Nun, was hat Dich heute so verstimmt?" fragte er, als sie ihn von der süßen Last ihrer Arme befreit und rasch wieder ihren Sitz eingenommen hatte. Si« antwortete nicht gleich und er benützt« die Zeit, um die beim Fall durcheinander gemischten Farben zu reinigen. „Bitte, bitte, Capri, beichte mir, während ich diese wenigen Striche vollende, so lange es hell ist. Dann sollst Du Kassie kochen, ich habe kaltes Brathuhn, Schinkenwurst und Weißbrot). Wir wollen das lukullische Mahl genießen und lustig sein wie ." „Di« Bacchanten. — Manchmal denke ich, Du, Marc, müßtest ein Faun gewesen sein und in Arkadien gelebt haben. Ich bin überzeugt, Du tanztest einst nach PanS Pfeife in den kühlen, herrlichen Wäldern, nahmst an den Gelagen von Silenus theil und tummeltest Dich, mit heiligen Rosen und Myrtenketten ge bunden, mit den Dryaden um die Wette herum —." „Wir glücklich muß ich gewesen sein!" , „Und Du wärst es noch, wenn Du Dich nicht in die Tochter eines Sterblichen verliebt hättest, zur Strafe aus Arkadien ver bannt und als Sterblicher in diese hausbackene, Fleisch uns Pudding essende Welt verseht worden wärst." „Ich wollte, ich könnte in diese meine Heimath zurückkehren", bemerkt« er, auf ihren Scherz eingehend. „Das würde Dir nichts mehr nützen, da Du einmal unter den Erdenkindern gelebt und von dem Baume der Erkcnntniß ge nossen hast. — Die liebe Einfalt, die Du als Faun besessen, hast Du verloren, und kannst sie ebensowenig wiederfinden, wie die armen Sünder, trotz aller Buße ihre Seelenreinheit wiederfinden können." „Vielleicht doch! Mein Erdenwallen würde mir als Traum erscheinen." „Sehnen wir uns denn niemals nach Dingen, die wir im Traume erschaut oder empfunden?" fragt« sie gedankenvoll, und saß dann eine Weile still, die der Künstler benützte, um hier und dort einen Strich an dem Bilde zu ändern. Endlich hielt er inne und sagte: „Du hast mir noch immer nicht mitgrtheilt, was Dich heute so verstimmt?" „Es ist nichts. Immer und immer wieder die alte Geschichte. Papa heckte mit unserer Hausfrau wegen der rückständigen Miethe Streit und nicht einen Penny in der Tasche. Seine Pension ist erst nächste Woche fällig." „Und bis dahin?" „Lebt er von dem Geld«, das er seinen Freunden entlehnt", entgegnete sie bitter. „Seit Jahren und Jahren kenne ich nichts Anderes, und doch kann ich mich an ein solches Dasein nicht gewöhnen, es ekelt mich an." „Mir war es immer ein Räthsel, wovon Du lebst. — Sage es mir, Capri." „Ich schlage mich schon durch. — Papa hat ganz Recht: Mrs. Fums — unserer edlen Wirthin — Bellen ist weit schlimmer als ihr Beißen. Ich gebe ihren beiden Töchtern Gesangsstunde und hab« es zuwege gebracht, daß sie mich lieben, ihr« Liebe ist der sichere Paß zum Herzen der Mutter. Papa muß die Geduld der braven Frau auf eine harte Probe gestellt haben, daß sie heute so barsch mit ihm umging. Glaube mir, es tst schrecklich, einen Vater zu haben, der all' seine Freunde ausbeutet und bei Bekannten Schulden macht, aber noch schrecklicher, in zwei Hinter zimmern zu wohnen, die man nie bezahlen kann! — Ich stehle mich oft wie eine Verbrecherin Trepp auf Trepp ab, aber ich kann eS auf die Dauer nicht ertragen und werde —" „Was?"
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