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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 10.11.1907
- Erscheinungsdatum
- 1907-11-10
- Sprache
- German
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-190711102
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19071110
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19071110
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-11
- Tag1907-11-10
- Monat1907-11
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Morgen-Ausgabe 8. Bezugt-Prei» «ad Nr. 312. Briefträgern. Ve einzeln« «mmner t-ftrt IN Oft». Nedaktt»» nnt Expedttt»»« Jo-a»»irgafie «. rrlevbnn «r. 14SV2 Rr. I4«k. Rr. !ä»t. Berliner «edaktton» Bnrenn: Berlin KV. / Prinz Loml Ferdinant». Br HeiMi« nn» Bornrt» durch «chm, trß^r «L «»«dil«« in» Hau* gedrecht: Anägab« n (nur Mnrgenl) vierteljährlich 3 Wä mnneaich 1 »l. Nutaaix S (»»raen» und adend«) viertel, jährlich <50 M. monallich 1.50 All. Durch di« A>»ü dezoeen <2 mal «agltch) innerhalb Deutichland« und der deutjchen Kulanten vierteljährlich 5.2b«. maaatlich 1.7L « -uäjchl. Pa«- deftellgeld «ür Oesterrnch 9 L6K N. Ungarn S lt vierteljährlich. Lbonn Anzeige«. Preis Amtsvlatt des Nates imd des Nolizeiamles -er Ltadt Leipzig 101. Zabrqang Sonntag 10. November 1907. Haupt -tltnle Berlin Carl Dunck; Hcr-o-l. Bahr. Hofbuch» Handlung Lützowstrahe IL «L-Iephon VI. «r. «M8) eiMMTagMM Handelszeitung. Mr Znserate au» Leihet- u-ch Umgehn», die Sgejpaltene Petilzeile 2S Pf., finanziell« Anzeigen 30 Pj., Reklamen l «.; von aulivärt« 30 Pi , Reklamen I.2k> P! vom Ausland bi> Pf., finanz. Anzeigen 75 Pf Reklamen M Fnjerat« v. Bebirden i» amtlichen Peil 40 P- Peilagegebübr 5 «. p. Lausend exkl. Pvli gebühr, «eichasttanzeigen an beoorzugie, stelle im Preise erhöht. Rabat« nach Tarn Feftertetlle Aufträge können nicht zurück gezogen werden. Für da« lLrfcheinen an bestimmten Tagen uud Platzen wird kein Saran Ne übernommen.. Anzeigen-«nnabme: Luguftushlatz 8 bei sämtlichen Filialen m allen Laaouceu- Expeditionen de« Fn- und Ausland»« Das Wichtigste vom Tage. * Die englische Kanalflotte ist zur Begrüßung de? deutschen Kaiserpaares nach Spithead gefahren. * Die Universität zu Oxford verlieh gestern dem Deutschen Kaiser die Würde eines Ehrendoktors der Rechte. - Die Beratungen der Minister von Bcthmann-Hollweg und Del brück über die Revision derArbeiterversicherung werden am Montag in einer letzten Verhandlung inBerl-in vorläufig beendet. * Der Prozeß gegen Harden wird in der 2. oder 3. De zemberwoche stattfinden. Oberstaatsanwalt Dr. Jsenbiehl wird die Klage persönlich vertreten. * Bei Casablanca ist wegen des Bairamfcstes eine mehrtägige Waffenruhe eingetreten. iS. Ausl.I * Ter sozialdemokratischen Partei der zweiten Duma ist nunmehr die Anklageschrift wegen Hochverrats zugegangen. (S. Ausl.I Wrrd's je anders werden? Viermal ist Herr Oberst Gädke von der erschröcklichen Anschuldigung sreigejprocheu worden, sich unbesugtermcßen Oberst a. D. be titelt zu haben. Nun aber ist er, bis auf weiteres, gerichtet und gehalten, sich völlig nackt und titellos als Herr Gädke dem großen, ach so großen Hausen der gänzlich Ungraduierten zuzugesellen. Ein furchtbares Schicksal und in seiner ganzen Tragik nur zu würdigen von dem Bewohner der deutschen Gaue. Die Götter unserer Fluren Haden uns gelegner mit der Grnndlichleit und dem methodischen Denken. Aus ihnen entsprossen die Gelehrjamkeit und die Disziplin, aber leider auch der Burcaukratis- nurs, das Amusische des deutschen Wesens, der Hang noch einem behörd- lichen Stempel. Es sei nicht von den Abnormitäten geredet, nicht von der gräflichen Oberforstamtsbuchhalters Tochter, nicht von dem Staats- anwallschoftsrat, nur von der Schätzung, der sich die geläufigen Titula turen erfreuen. Und von dem grauenvollen Gruft, mit dem alle diese Nichtigkeiten bei uns behandelt werden. Gewiß wird auch anderswo gesündigt. Aber man beachte die Nuancen. In Wien wird einfach feder, »er seine zehn Kreuzer Trinkgeld gibt, zum Baron ernannt. Sträuben hilft nichts. Und mit der Popularisierung des Titels ist sein Nimbus unwiederbringlich dahin. Im Deutschen Reiche ist es anders. Da wird auf Ordnung gehalten. Und wir zweifeln keinen Augenblick, daß ein Geheimrat, den jemand in Kenntnis des Ranges als Herr Soundso an- zuredeu erdreistete, in einem Beleidigungsprvzeß obsiegen würde. Zur Illustrierung der Zustände eine kleine Stammt,jchgeschichte: An einem Tische verkehrte jahrelang ein wohlsituierter, unabhängiger Herr von guten Manieren und heilerem Wesen, wohlgelitten wegen seines Be nehmens und seiner offensichtlichen Zahlungsfähigkeit. Und es stellte sich heraus, durch einen Zufall, daß der Mann promoviert und das sogar Warna oum lavcks erworbene Recht hatte, sich Herr Doktor anreden zu lassen, ohne auch nur je von diesem akademischen Grad eine An- deutung gemacht zu haben. Natürlich wurde er kor giriert, worauf er folgende Ansprache an die Gesellschaft hielt: „Meine Herrens Ich habe in jungen Jahren promoviert wie viele andere. Darauf habe ich jahre lang meinen ehrlichen Namen nicht mehr zu hören bekommen, denn ich war für jeden der Herr Doktor. Das ward mir über, und ich bediene mich deshalb schon lange des Titels nicht mehr. Da ich aber weiß, daß Sie mich von nun an, auch wenn ich protestieren wollte, nicht mehr bei meinem Namen nennen würden, so erlauben Sie, daß ich mich empfehle." Nahm Hut und Stock und verschwand wie weiland Lohengrin. Das Staunen der Runde war maßlos. Und das mildeste Urteil über den ver- schwundenen Gast lautete „Komischer Kauz". Daß lemand sich einen Titel widerrechtlich angemaßt, war schon jedem, daß jemand sich aber einen rechtmäßigen Titel „verkniffen" hatte war noch niemand vorge- kowmen. ES ist leicht scherzen über diese Verhältnisse. Und zumal die AuS- lävder finden diese Seite des deutschen LedenS überaus komisch. Wer aber mit den Anschauungen rechnen muß, steht ihnen als Einzelner fast machtlos gegenüber und hat sich je nach Veranlagung mit ihnen abzu finden. Der Choleriker schimpft, und der Phlegmatiker zuckt die Achsel». Der LebenSklnqe aber macht sein Kompliment und — sein Ge schäft. Um ganz aufrichtig zu sein, so will uns dieser letztere Typ noch gar nicht so unsympathisch erscheinen. Es steckt häufig ein gut Stück philosophischer Erkenntnis und persönlicher Ueberlegenheit darin. Denn zum Reformator oder Stachellöker ist schließlich nicht jeder geboren, hat auch nicht jeder die Mittel. Aber die Titelsucht selbst bleibt deshalb doch «ne ärgerliche Erscheinung und ihre Folgen sind durchaus ungesund. Der Staat trägt die Hauptschuld daran. Er fand eS billiger, feine Beamten mehr durch klingende Titel als durch hoben Lohn zu fesseln. Und die nur bei unS in dem Maße übliche Uebernahme der Amtsbezeichnung als Titel ins private Leben hat dann jene Sucht erzeugt, nicht mehr Herr Müller, sondern Herr Rat oder wenigstens Herr Hoflieferant zu heißen. Und diese Titel werden toternst respektiert und verleihen dem Inhaber tat sächlich in de» Augen der deutschen Welt eine höhere persönliche Würde und verbürgen unter Umständen materielle Erfolge. Das ist nicht zn übersehen, denn hierin liegt zum Teil das Geheimnis des allgemeinen Respekts. DaS geht so west, daß manche Leute e« heute noch nicht fasten können, wie Gerhard Hauptmann sich unterstehen konnte, Dramen zu dichten und sogar mit Erfolg, ohne die Reife für Tertia erlangt zu haben. Bon de« Studenten Marroni ganz zu schweigen. Besten Benehmen ist ia überhaupt unerhört. I» der Kritik «iueS tzohenstaufendramas, da» mit eiai-e« Beifall an einer Svmmerbühne ausgeführt wurde, konnte der do»» Glück begünstigte Zeitgenosse folgenden Witz leien: „Der Ver- fast« hat pch dB a» ei«, Stoff gewogt, an dem sich schon viele, auch Gymnasialoberlehrer, vergebens versucht haben." Ist das nicht bildschön? Und dazu ist es erweislich wahr. Das Schlimme ist die allgemeine und systematische Förderung des Scheinwesens und die Herabsetzung des individuellen Werte». Im amt lichen wie im nichtamtlichen Leben sind die Folgen zu spüren. Seit Jahren wird geklagt über den Mangel an frischem Blut, in unserer Diplomatie zum Beispiel. Aber der Grund ist vielleicht nicht einmal so sehr in der Befangenheit oder Voreingenommenheit der amtlichen Stellen zu suchen als in der Schwierigkeit der Rangierung der Externen. Der Staat müßte immer erst seine eigenen Grundsätze für den einzelnen Fall über den Haufen stoßen. Er scheut sich auch vor der Verantwortung und hält sich an die bequemeren Normen seiner alten Praxis, auch wenn diese nicht immer das Höchstmaß der möglichen Erfolge verbürgt. Und im bürgerlichen Leben sind die Verhältnisse ganz analog. Auch wirkliche Talente haben Schwierigkeiten, sich ohne behördliche Atteste ihrer Fähig- leiten durchzusehen, während dem Mann von Graden ohne weiteres ein Mindestmaß von Leistungsfähigkeit zugetraut wird. Beispiele aus der Praxis sind nicht nötig, denn jeder kennt solche Fälle. Und wohl jeder hat schon unter der Ueberschätzung eines Titels gelitten, und sei es nur durch eine pekuniäre Einbuße. Erst die ganz allgemeine Anschauung vom Werte eines Titels schasst die Notlage. Und erst aus dem Verständnis dieser Lage kann man den blutigen Ernst eines Kampfes, wie ihn Herr Gädke führt, verstehen. Er bat recht, wenn er sagt, die Mitwelt sehe in der Aberkennung des Titels eine persönliche Herabsetzung swas sie in diesem Fall Wohl auch sein sollj. Und von diesem Standpunkt aus betrachtet, mischt sich mit dem Humor der Situation die gehörige Portion Wehmut, daß Menschen unserer Zelt ihre Kräfte an solche Aeußcrlichkeiten setzen und setzen müssen, obwohl noch manche wichtigere Kulturarbeit zu tun wäre. Und die Wchmnt ist auch insofern berechtigt, als kein Ende dieser Titelnot abzusehen ist. Der Ein. Zeine kann nur im kleinen Kresse wirken. Widerspruch wird er kaum finden, aber der praktische Erfolg wird nicht groß sein. Der Staat, der helfen könnte, tut es ganz sicher nicht. Bleibt also nur die Hoffnung aus eine freiere, verinnerlichte Erziehung und die klärende Wirkung des internationalen Verkehrs. Das Titelwescn ist zu seiner Herrlich keit wesentlich mit als Folge der kleinstaatlichen Abgeschlossenheit ge diehen. Möglich a'so, daß der siönkch c und sich stetig steigernde Verkehr mit Völkern, die sich, wenigstens -n .r^iv«An.'L«b->1, ohne Titulaturen zu behelfen wissen, auch bei »ns die Ächtung vor dem Titel auf ein er trägliches Maß reduzieren und damit die Achtung der Persönlichkeit als solcher steigern wird. In Frankreich überschreibt man Briefe „Monsieur" und in England „Dear Sir". Vielleicht erleben wir es also noch, daß man auch in Deutschland einen Brief an einen Gcheimrar „Mein Herr" ansangen darf, ohne wegen Neleidignra lit' 'i n-"-den zu können. Das Aabinett -es Thronfolgers. Kaiser Franz Josef wird in Bälde das PsalmistenaUer erreicht haben, „wenn es hpch kommt". Seine durch ein reges Greisenalter ge klärte Einsicht in Unabänderlichkeiten, sein uneigennütziger Patriotismus lassen ihn dem schwersten Persönlichkeitsopser mit festem Blicke ins Auge schauen: der Uebcrleitung der Gegenwart in eine Zukunft, in der er selber nicht mehr zu entscheiden hat, der Anbequemung des eigenen Willens an einen künftig herrschenden. In wachsendem Um fange wird seit Jahren der Thronfolger zur Teilnahme an den Regie rungsgeschäften herangezogen, nnd ihm ein bestimmender Einfluß schon jetzt eingeräumt, um ihm den in Oesterreichs verwickelten Reichsver hältnissen besonders schweren Anfang zu erleichtern. Man weiß, daß die christlich.soziole Partei Oesterreichs ursprünglich nicht eine Schöpfung nach dem Herzen des Monarchen war. Ihr Führer, Dr. Lueger, wurde anfänglich mit großer Ungunst von oben behandelt. Zu der liberalen Verwaltung der Reichshauptstadt war im Laufe der Jahre ein recht be friedigendes Verhältnis gewonnen. Die christlich-soziale Bewegung da gegen stellte sich als ein problematisches Neues dar, an dem zunächst nur der allezeit „oben" verdächtige Radikalismust in die Erscheinung trat, von dem man nicht gleich vorausseken konnte, ob er die den Monar- chismus vom Antimonarchismus scheidende Grenzlinie mit Sicherheit innehalten werde. Aber nach LucgerS Bestätigung gelang es den österreichischen Christ lich-Sozialen, zur eigenen Klarheit über ihre Aufgabe durchzudringen und sich auf einem breiteren Grunde aufzubauen. Sie nahmen den klerikalen Gedanken in ihr Programm auf und zogen durch ihn die durch keinen Verteidigungskampf in einem Kulturstreit organisierten, aber in dem katholischen Lande sehr ausdehnungsfähigen Kreise, die für diesen Gedanken empfänglich sind, in ihre Reihen herüber. So wuchs die siegreich in das Wiener Rathaus eingedrungene örtlich eng begrenzte Partei des „schönen Carl" zur mächtigsten Reichspartei aus. Schon heute, nach der ersten Schlacht des allgemeinen Wahlrechts, steht sie der Zahl nach an der Spitze der Reichsparteien und über- ragt sogar die merkwürdigerweise noch in nationale Gruppen gesonder ten Sozialdemokraten. Aber nicht eine neue Million Rekruten würde den Gewinn aufwiegen, den sie durch ihre Befreundung mit einem ein zigen Mann errungen bat. Für ihre Bedeutung, für ihre zukünftige und schon gegenwärtige Macht ist das Entscheidende, daß die Sympathien von Oesterreichs Thronfolger sich ihr zugewandt haben. Die heutige christlich-soziale Partei ist die Partei des Erzher zog» Franz Ferdinand. Selbstverständlich wird niemals eine offiziöse Feder diesen Znsam- menhang zugeden dürfen. Aber es läßt sich ein Indizienbeweis bei- bringen. DaS vielberufene Protektorat des Erzherzogs über den katho lischen Schulverein würde für sich bei weitem nicht zu einem solchen auS- reichen. Freilich ist der Schulverein eine Gründung der ultramontanen Partei: aber dieser Charakter kann zur Not noch mit einem unpolitiich- humanitären Mäntelchen freilich weniger verhüllt al» symbolisierend bekleidet werden. Entscheidend indessen ist die ausgesprochen ungarn feindliche Richtung der christlich-sozialen Partei. Mag Lueger» Ungar-Feindschaft noch so viel von seinem ganz persönlichen Antssemi- tiSmus an sich tragen: es ist unverkennbar, daß er erst in späteren Jahre» sie mit solcher Geflissentlich»«»» in den Vordergrund Drückt hat — seitdem er nämlich erfuhr, daß diese Tendenz ihn mit dem aus militärischen Bestimmungsgründen dem Dualismus bitterfcinden Erben der Krone zusammenzuführen geeignet sei. Der christliche Sozialismus hält jetzt seinen Einzug in das öster reichische Ministerium. Zwei Minister werden ihm entnommen sein Zwar ist Ebenhoch Altklerikaler und erst mit dieser Sondergruppe in den christlich-sozialen Verband eingeschwenkt. Ader Geßmann ist der echte Jünger des Oberbürgermeisters von Wien. Das Menschenalter der Parteizersplitterung geht seinem seligen Ende entgegen. In Deutschland, Oesterreich und Frankreich erleben wir gleichzeitig einen zur Einheit, zur Bildung großer, machtvoller „Blöcke" drängenden Zug. Man darf es getrost einem historischen Sinne des deutschen Volkscharakters zurechnen, daß dies: Bewegung in Deutschland und Oesterreich durch die Tradition des „Fraktiönli"-Geistes so arg verlangsamt wird. Bruder Magyar ist allzeit schneller bei der Hand gewesen, seine Fraktionsgebilde in der chemischen Retorte zu scheiden und zu vereinigen. Nichtsdestoweniger wird der Zug der Zeit auch bei uns, auch in Oesterreich in nicht mehr allzuferner Zeit zum Ziele, zur Schaffung Macht verbürgender Organisationen gelangen. Wenn die große Jneinanderschweißung in Oesterreich gelingt, wirs sie auch dort, glauben wir, in einer neuen Heraushebung der uralten Gegensätze des Fortschritts und der Beharrung geschehen. Noch wider strebt die nationale Entwicklung des österreichischen ParteiwesenS. Aber so gewiß, wie die deutschen Agrarier die ersten sein werden, welche sicki dem christlich-sozialen Ning anschließen dürsten, so wahrscheinlich ist, daß die gleichgerichteten Elemente der tschechischen Nation: die Agrarier, die Alttschechen als zweiter Ring sich nm das Zentrum der „Gruppe Lueger" legen werden. Das war ja auch die Meinung, als die Hofburg das demokratische Wahlrecht als ihren Willen verkündigte. Schon finden sich alle Elemente der künftigen ParlamentSmehrhen im Kabinett zusammen. Der liberale Prade scheidet aus, ein deutscher Agrarier wird sein Nachfolger. Ein tschechischer Agrarier tritt gleich zeitig ein. Wie ein Schönheitsfehler aus dem einheitlichen Bilde deS neuen Kabinetts könnte das Wiedererscheinen eines Jungtschechen ge deutet werden, nachdem soeben zur anderen Pforte Forscht und Pacak hinausgeschlichen sind. Aber Herold steht vielleicht von allen Jung tschechen der konservativ-klerikalen Seite am nächsten. Auch wagte mau vielleicht noch nicht, der im Böhmerland noch immer einflußreichen Gruppe ganz den Stuhl vor die Tür zu setzen. Der Liberalismus ist heute in die Minderheit geraten und aus der Regierung endgültig ausgeschlossen. Ihm fällt die nicht ganz leichte Aufgabe zu, sich als Opposition die Rückkehr an das StaatSruder zu erkämpfen. Wir hoffen, daß ihm diese Entwicklung heilsam sein wirb Seit bald drei Jahrzehnten hatte er die Alleinherrschaft verloren. 2rnr ganz vorübergehend vermochte er sich neben Konservativen, Pole» und Tschechen ein Segment im Kabinett zu gewinnen. Erfolge hat er da mit nicht erzielt. Er hat Schritt für Schritt seinen Boden >m Volke cingebnßt und sich zu guter Letzt mit einem radikalen Nationalismus ver schmelzen müssen, an dessen liberalen Charakter nur der glauben mag, welcher den Liberalismus mit einer gehässigen Feindschaft gegen die römischen Kirche identifiziert. Eine Zukunft kann der österreichische Liberalismus erst dann haben, wenn ihm gelungen sein wird, was der christlich-sozialen Partei gelungen ist: die Brücken zu den gesinnungs verwandten Elementen der nichtdeutschen Nationalitäten im Cts zu schlagen. Bis dahin ist der Weg heute noch weit. Der künftige Kamps wird ihm aber erheblich erschwert werden, wenn ein extrem gerichteter persönlicher Wille der klerikal-konservativen Partei einen starken Rück- halt gewähren wird. Bemerkenswert ist noch, daß der ursprünglich nach der Durch beratung der Ausgleichsvorlagen beabsichtigte Ministcrwechsel schon jetzt vorgenommen ist. Wird er nicht die Annahme des Ausgleichs iu Pelt erschweren? Oder — ist diese mögliche Folge die causa kiuulis der Verfrühnno? Wird auch schon das Tempo der österreichischen Politik vom Thronfolger bestimmt? O Wie die „Neue Freie Presse" meldet, ist im Polenklud eine Krise auegebrochen. Der Obmann Abrahamowicz und fein Stellvertreter haben demissioniert. Die Krise bat auch den polnsschen Landsmann- Minister erfaßt. Graf Dzieduszycki steht unmittelbar vor seiner De mission und soll durch David Abrahamowicz ersetzt werden. Die ideale Verkehrsftadt. Von Eduard Engel. Laß ich's nur gleich sage: diese ideale Stadt heißt New Vor?, und wir haben hier einen der im Erdenleben so seltenen Fälle, in denen ein bescheidenes Ideal ganz oder so gut wie ganz erreicht ist. Mit Aus nahm der „Wolkenkratzer", dieses Wahrzeichens für jeden, welcher sich der Riesenstadt vom Meere aus nähert, hat aus mich nichts anderer einen jv tiefen Eindruck gemacht, als der Grad der Vollendung des öffentlichen Verkehrs in einer Stadt, welche allerdings bei ibrer ungeheuren Longen ausdehnung ohne zweckmäßige Verkehrsmittel nahezu unbewohnbar jein würde. New Aork bat klägliche Einzelverkchrsdcrhältnisse, dagegen dle besten Gesamtverkehrsmittel, welche ich in der Alten oder in der Neuen Welt je gesunden habe. Mit New Bork verglichen sind alle europäischen Welt- und Großstädte paradiesisch, soweit oas Troschkcnwesen in Be tracht kommt. In New Pork Droschken zu benutzen, kostet täglich unge- führ so viel wie das Monatsgehalt eines preußischen Dorfscbulmeisters Aus dem Pier der großen deutschen Tampfergeselljchasten stehen Drosch- kenpreistafeln, aus denen der Satz von 5 Z für eine Fahrt vorkommt, die Gebühren für die Flnßsäbren von Hobokcn oder Brooklyn nicht ein- gerechnet. Wer mit einem der europäischen Dampfer in Hoboken an- kommt und durchaus eine Droschke nimmt, um in ein entferntes Hotel zu fahren, was bei dem hochentwickelten Paketfahrtwcsen New Parks ganz überflüssig ist, darf sich je nach der Entfernung aus einen Fahrpreis von 12 bis 20 und darüber gefaßt machen. Im Droschkenwesen also sind wir Europäer den Amerikanern bei weitem über: dagegen würden die städtischen Verwaltungen auch solcher Städte Europas, welche sich einbilden, ein vortreffliches Verkehrswesen zu besitzen, aut tun, in New Uork zu studieren, wie man den Ricsenver- kehr einer Riesenstadt in wirklich angemessener Weise bewältigt. New Norks städtisches Verkehrswesen unterscheidet sich in einem Punkte, näm lich dem wichtigsten, von dem aller europäischen Weltstädte: ,n der Schnelligkeit. Hn Berlin z. B. steht man immer noch auf dem Standpunkt daß es für eine Großstadt genügt, irgendwo Scbienen zu legen, auf, über oder unter der Straße, um ein großstädtisches Verkehr-mitel zu schasse». Die ser Standpunkt war eigentlich schon vor N Jahren falsch, als Berlin nur 1 Million Einwohner zählte: er ist beute ganz unhaltbar. Großstädtische» VerkehrSmitel bedeutet SchnellverkebrSmittel. und eiu solches besitzt Ber lin nicht einmal in seiner vielgerühmten und ja auch nicht ganz üble»
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