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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 11.11.1907
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-11-11
- Sprache
- German
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19071111021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907111102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907111102
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-11
- Tag1907-11-11
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Bezug«-Preis tzr Leiv»!, u»d »oroit« durch mrjire Läger mW Epediteu» tut Haut gebracht: Lutaabe ä (mir morgen») »irrtrljährlich 3 tR. monatlich I vt. Lutgab« S (morgen» und abend») viertel, jährlich 4.50 M. monatlich 1.50 M. Lurch di« Vo« bezoaeu (Z mol tLglich) innerhalb Deutschland» and der deutschen Kolonien vierteljährlich 5,25 Dl-, monatlich 1.75 M. autlchl. Post, beftellgetd ihr Oesterreich S L 68 o. Ungarn 3 L vierteljährlich. «bonnemend«nnabine. Lugustutplatz Sh bei unseren Trägern, Filialen, Spediteuren und und Die einzelne «ummer lostet Ist Pfg. «edaktiou und Erpedtttrn: Iohanui»gasse 8. Telephon Nr. 14SS2 Nr. 11«» Rr. 14604. Lerltner lstedaktion» Bure«: Berlin / Prinz Loui« Ferdinand» Straße 1. Telephon I. Rr. 9275. Abend-Ausgabe 8. WMgerTagMM Handelszeitung. Amtsblatt des Rates und des Nolizeiamles -er Lladt Leipzig. Luzeigen-Preit lstr Inserate au» Leipzia und Umgebun« die 6-espaltene Pettpzeil« 25 Ps., «nanziellc Nngeigea 30 Pf., Nellamen 1 Pt.; von autwärt» 30 Pf., Nevawen 1.20 M. »omNutlandSOPf., stnanz.Nnze,gen75Pf. Reklamen 1.50 M. Inserate v. Behörden >m amtlichen Teil 40 p- Beilagegebübr 5 M. P. Tausend exkl. Posi gebühr, «elchästlanzeigen an bevorzugter i-telle im Preise erhöht. Rabatt nach Tori' Aefterteilte Nustrüge können nicht zurück gezogen werden. Für da» erscheinen a, drstimotten Tagen und Plätzen wirb keine Garantie übernommen. Anzeigen-Annahme: Augustutvlatz di bei sämtlichen Filialen u. allen Annoncen Grveditiooen der In» und «Utlande» Haupt Filtal« Lerll». 2rrl Dunck: Herzog!. Bohr. Hofbuch handlung, Lützowstraße 10. (Telephon VT. Rr. 4803). Nr. 313. Montag 11. November 1907. 101. Jahrgang. Das wichtigste vonr Tage. * Am heutigen Tage trifft das deutsche Kaiserpaar in England ein. (S. Art. und Letzte Dep.) * Prinz Arnulf von Bayern erkrankte auf der Rückreise aus Asien in Venedig. Seine Schwester Therese und sein Sohn Heinrich reisten nach Venedig ab. Prinzessin Arnulf ist ihrem Gemahl vor mehreren Tagen entgegengesahren. * Dem Reichstage gehen bei seinem Zusammentritt die Flöt- tenvor läge, die neue Maßordnung, das Wechselprotest- gesetz und das Viehseuchengesetz als Gesetzentwürfe zu. Das preußische Staats Ministerium wird in dieser Woche die Ost markenvorlage annehmen. * Der Schade», der durch Ueberschwemmungen in Züdfrankreich angerithtct worden ist, wird auf Millionen geschätzt. * Die Mahalla des Sultans Abdul Aziz soll einen wichtigen Sieg über die Truppen des Gegensultans erfochten haben. iS- Ausl.f Die Aaiferreise nach England. Die politische Bedeutung der Reise lvird in der Wochenschau der offiziösen „Norddeutschen Allge mein e n Z e i t u n g" in einer Darlegung gewürdigt, in der es heißt: „Wie in dem Besuch Sr. Majestät des Königs von England in Wilhelmshöhe, so werden in dem Aufenthalt der Kaiserlichen Majestäten als Gäste des britischen Königshofes jenseits des Acrmelmccres die Be strebungen gekrönt, frühere Mißverständnisse zwischen den beiden Mäch ten endgültig zu überwinden und ihre Beziehungen auf die Basis eines friedlichen und freundlichen Verhältnisses zu stellen. Unzweifelhaft ist der bevorstehenden Begegnung der deutschen und der britischen Majestä- irn inkofern eine nicht zu unterschätzende politische Bedeutung beizu messen, als durch sie der auf beiden Seiten gehegte und deutlich zutage getretene Wunsch nach Erhaltung ungetrübter Be ziehungen neue und wichtige Förderung erfährt. Diese Bedeutung wird keineswegs geschmälert durch die Tatsache, daß entgegen der hier und da laut gewordenen Meinung die Behandlung spezieller politi scher Probleme während des Kaiscrbesuchs in England weder angeregt noch beabsichtigt ist. Ter warme Empfang, der un- serm Herrscherpaar in England zugedacht ist, wird bei uns einen gleich gestimmten Widerhall finden und seinerseits den geweckten freundlichen Gesinnungen zwischen den beiden Nationen neue Kräftigung verleihen." Englands Willkommgruß. Wenn die Begrüßungsartikel der englischen Presse sich auch von einem Enthusiasmus sernhalten, der uns mehr peinlich als erfreulich ein müßte, ist doch eine gewisse Wärme unverkennbar, nicht bloß dem Herrscher, sondern auch dem von ihm vertretenen Lande gegenüber. Wir dürfen dreist sagen, daß die Periode der bloß „korrekten" Beziehun gen heute überholt ist. „Tribüne" schreibt: Der Willkommgruß gen das englische Volk heute dem Deutschen Kaiser entbietet, sei nicht ein Akt von formeller Höflichkeit, sondern außerordentlich herzlich ge meint. Kaiser Wilhelm und König Eduard seien sehr verschiedene Eharaktere, und doch seien beide volkstümliche Monarchen, in denen ein- -clne hervorstechende Züge der Völker, die sie repräsentieren, deutlich zum Ausdruck kämen. Hier der gutmütige, nüchtern berechnende König mit seiner Berücksichtigung verfassungsmäßiger Grenzen und moderner Fortschritte, dort der Kaiser mit glänzenderen Gaben und inmitten der agrarischen und industriellen Forderungen seines Landes bald als eine fast mittelalterliche Figur, bald überaus modern anmutend; kein Mann aus Blut und Eisen vom Schlage Bismarcks, sondern ein preußischer Konservativer, vielleicht allzuviel aus Gewalt sich stützend und doch von unbestreitbar aufrichtig moralischer Gesinnung und Idealismus und Inte- grität seines persönlichen und Familienlebens. Die Monarchen- begegnung werde hoffentlich die freundschaftliche Annäherung beider Länder zu einer vollkommenen machen und zur Wahrung des Weltfrie dens beitragen; ja, man könne weitergehend sagen, daß, nachdem der Geist des Mißtrauens und der Beunruhigung einmal geschwunden sei, sie eine Anerkennung der in Deutschland oft mißverstandenen auswärti gen Politik Englands bedeute. Es gebe so gut eine Realpolitik deS Friedens, welche England befolge, wie des Krieges. Tic Idee einer Friedensliga, die in König Eduard ihren eitrigsten Fürsprecher hat, sei durchaus kein schöner Traum, wie sic wohl englische Toren bezeichnet haben, sei auch nicht, wie gewisse politische Kreiie in Deutschland mein- ten, gegen Deutschland gerichtet, sei vielmehr ein ehrliches Geschäfts programm, wie es bei einem Lande mit ausgedehnten überseeischen In teressen, das billigeren Frieden wünsche, als den in Waffen starrenden, natürlich sei. Aber diese wirtschaftlichen Interessen seien die eines jeden modernen Industriestaates, nicht ausgenommen Deutschland. England befinde sich in der Blütezeit des Liberalismus. Es habe in seinen Gefängnissen zurzeit Wohl keinen einzigen politi- scheu Gefangenen. Was cs von Deutschland lernen könne, lä'c nicht auf politischem Gebiete, sondern auf dem Gebiete der Wissenschaft und der Arbeitersürsorge und auch auf dem Gebiete der Erziehung und der Städteverwaltung. Jede der beiden Nationen könne mit ihrem Er fahrungsschätze der andern zur Seite stehen. Zum Schlüsse heißt das Blatt den Kaiser herzlich willkommen und wünscht, daß mit seinem Be- suche eine Periode nicht nur offizieller Freundschafts beziehungen, sondern auch eine Periode der gegen- seit, gen Unterstützung durch dieTat auf allen Gebieten deS öffentlichen Lebens beginnen möge. „Standard" schreibt: Es kann keine Frage sein, daß die britische und dcutjchc Politik durch den engen freundschaftlichen Verkehr, der zwischen beiden Herrschern diese Woche slattfindet, beeinflußt wird. Wir be dauern aufrichtig die Abwesenheit des Fürsten Bülow, denn das eng lische Volk würde sich gefreut hoben, wenn ibm Gelegenheit geboten wor den wäre, dem Reichskanzler seine Sympathie zu bezeigen. Wir halten den Fürsten nicht für unseren Feind, wir erblicken in ihm vielmehr einen Freund Großbritanniens; denn wir wissen, daß er ein gewiegter Staats- mann und sich vollauf bewußt ist. daß herzliche Beziehungen zwischen den beiden Negierungen in gleicher Weise für Deutschland wie für England vorteilhaft sind. Die englische Polit'k wird durch die mit Frankreich be- stekcnde e-nt^un- oooclsitle und dura, den das Mittelländijchc Meer dc- trrsfenden Vertrag zwischen Frankreich und Spanien, durch das Bünd nis mit Japan sowie durch das kürzliche englisch-russische Abkommen ab gestimmt. Hierin sind alle Punkte der britischen Politik bestimmt; keine auswärtige Macht hat das Rechte dagegen zu protestieren, da in allen diesen Abkommen nur das Bestreben zutage tritt, den bestehenden Zu stand aufrecht zu erhalten. Wir würden es mit Freuden begrüßen, wenn uns Gelegenheit geboten würde, einen ähnlichen Vertrag mit Deutsch land abzmchließen; überglücklicher- oder unglücklicher weise liegt gar kein Grund zu einem Abkommen vor, da keinerlei Veranlassung zu einer Meinungsverschiedenheit gegeben ist. Es liegt kein Grund vor zu gegenseitigem Mißtrauen zwnchcn dem Britischen und Deutschen Reiche, während anderseits Gründe gegeben sind, die dafür sprechen, daß cs gelingen wird, ein Einvernehmen zwlfchen den beiden ausgedehntesten nnd feste st gefügten Welt- Mächten zustande zu bringen. Die Sprache des „Standard" klingt weit zurückhaltender als die der „Tribüne". Jenes Blatt hat dabei das Unglück, seine gequälten Kom plimente für Deutschland mit „Deutlichkeiten" gegenüber Englands engerem Freundeskreis zu verauicken. Man darf übrigens wohl daran erinnern, daß der „Standard das Organ der zeitigen Oppositions partei ist. „Observer" fügt seiner Erklärung, daß dem Kaiserbesuch poli tische Bedeutung abzusprcchcn sei, ergänzend hinzu: Die Diplomatie sei ein Tauschgeschäft, indessen besitze Deutschland keinen Streifen Land, das England zu erwerben wünsche, anderseits habe aber England kein Linsengericht anzubieten. Die Fahrt des Kaisers ist durch den starken Nebel über dem Kanal, wie schon telegraphisch gemeldet, erheblich verlangsamt. Der Nebel stand schon bei der Ab- fahrt von Vltssingen. Ter Flußlotse Degroot und der Seelotse Vcrheul mußten von der Abfahrt abratcn. Gegen 7 Uhr hob sich der Nebel, und 7 Minuten nach 7 Uhr dampfte die „Hohenzollern" aus dem Hafen nach der Reede, von wo die übrigen Kriegsschiffe zur Begleitung der Äaiserjacht in ihrem Kielwasser folgten. Weder der Kaiser nccb die Kaiserin zeigten sich auf dem Verdeck. Nach der Abfahrt brach die Sonne durch und beleuchtete das Meer in wundervoller Schönheit. Der Gesandte von Schloczer wurde am Sonnabend abend zur kaiserlichen Tafel gezogen, bei der mit Schaumwein die Geburt des jüngsten Hohen- zollernsprossen gefeiert worden ist. Die Kaiserjacht und die sie begleitenden Kriegsschiffe liefen Sonntag abend in den Kanal ein und passierten Dover um 6 Uhr. Ter Nebel zog sich abends wieder dicht zusammen. In der Nacht zum Sonntag war er so stark, wie er in diesem Jahre noch nicht dagewcsen ist. Aus allen Richtungen hörte man Nebclsignale erschallen. Zwischen Dover und Deal strandete der Dubliner Dampfer „Cüv os Munich", und westlich von Dover strandete ein französischer Dampfer, der mit einem anderen Schiss kollidiert haben soll. Portsmouth wimmelt von Mannschaften der Flotte. Die Maßregeln, die zur Sicherheit des Kaiserpaares bei der Landung ge troffen sind, sind sehr strenge. Ohne Empfehlung der deutschen Bot schaft, die durch das Auswärtige Amt gegengezcichnel werden muß, erhält niemand Zutritt zur Werkt und der Landungsstelle. Tagesschau. Die Frankfurter Eiuigungsversammlung der drei freisinnigen und demokratischen Gruppen, über deren Beginn wir schon berichtet haben, erreichte Sonntag nachmittag ihren Höhe punkt in der im Hippodrom veranstalteten Versomlung, die von über 6000 Personen besucht war. Der Führer der süddeutschen Demokraten. Abg. Haußmann, begründete die Notwendigkeit des Blocks, weil sonst bas Zentrum wieder ans Ruder komme. Tie Zeit der großen allge meinen linksliberalen Partei mit Einschluß der Sozialdemokratie sei noch nicht angebrochen. Die Führung der vereinigten drei Parteien ge bühre der Freisinnigen Volkspartei. Müller-Meiningen spottete über die Gegner dxr Blockpolitik und bezeichnete diese als eine Versicherung auf Gegenseitigkeit, abgeschlossen zwischen Regierung nnd Blockparteien zugunsten eines dritten, des Deutschen Reiches. Man verlangte von liberaler Seite keine persönlichen oder materiellen Vorteile, nur ent schiedene Betonung liberaler Gedanken um Freiheit der Schule, und das Privileg der persönlichen Tüchtigkeit. Naumann stellt dann als Forderungen auf: freiheitliches Vercinsrecht, Koalitionsfreiheit der Arbeiter, Reform zugunsten der Heimarbeiter und sprach dann schari zugunsten der preußischen LandtagSwahlrcsorm. Der Liberalismus müsse wieder die Kraft gewinnen, die er 1848 besaß. Dw Wi eurer endlich wies auf die Notwendigkeit bin, sich gegenseitig innerhalb der liberalen Parteien nicht zu befehden. Ten Anfang und Schluß der Ver sammlung gaben Worte des Landtagsabgeordnctcn Funck-Frank- surt a. M. Der ganze Verlauf der Versammlungen am Sonnabend und Feuilleton. Die Ehre ist. objektiv, die Meinung anderer von unserem Wert, nnd subjektiv, unsere Furcht vor dieser Meinung. Schopenhauer. winS-or. lVon unserem Londoner X.-Korrespondenten.s Wind'or! Achtzehuhundert Acres Park! Spessartwaldungen im lieblichen oberen Themfetal! Pierhundertjähvige Buchen und Eichen. Neunzig- und hundertjährige Hirsche! An Stelle des rauchigen Nebel geruchs ein feiner säuerlicher Blätterdust; selbst der Londoner „par- lionlar", der torsfarbenc Morgennebel, löst sich in einen durchsichtigen uesseltönigen „mist" auf, der in gespenstischen Figuren zwischen den Bäumen kommt und verschwindet, Zwiegespräch mit den Mysterien des Waldes hält, recht zu den Stimmungen des Totensonntags paffend. Windsor allein besitzt in erreichbarer Nähe Londons einen Wald nach deutschem Herzen. Höchstens im australischen Busch kann der Deutsche wieder so Sehnsucht nach seinem Walde empfinden, wie im südlichen England. Je mehr die Engländer Natursinn erwarben, desto weniger ließen sie von der Natur ihres eigenen Landes über. Der kalbdeutfche Eduard — der heute noch den deutschen Akzent seines Thüringer Vaters nicht verleugnen kann, wußte wohl, warum er den deutschen Weidmann Hohenzollern zur Novemberpirschc gerade nach Windsor lud. Vom Schloß wird der Kaiser den „langen Gang" hinuntergehen, in den Park und in die englische Königsgefchichtc hinein, für drei Meilen mit der Perspektive auf den Schneehügel. Auf diesem Sinnbild der Un schuld fitzt im Jmperatorengewande der dritte Georg auf dem schlimm sten aller Weihnachtspserdchen, womit die englischen Renaifsancekopisten me Bildhauerei geschändet haben. Dieses Denkmal ist von dem bos haftesten König der hannoverschen Dynastie dem dümmsten Fürsten deS Hauses errichtet worden. Wahrscheinlich zum Andenken an den Ver rat an Friedrich dem Großen nnd an den Verlust Amerikas über das Ttempelsteuergesctz, in das sich der König verbißen hatte. Verrückt wurde der dritte Georg, dem das ironische Geschick die beiden geistreich sten Minister der großbritannischen Geschichte zur Seite gestellt hatte, aber erst später „Gott sei Dank", nie völlig genug. Denn der damalige Prinz of Wales war ein solcher Schurke, daß seine Landsleute sich glücklich priesen, seiner Regentschaft zu entrinnen, und cs wie eine Heimsuchung beklagten, als er den Thron bestieg. Vom dritten Georg sprechen alte Leute in Windsor heute noch das Sprüchlein, das sie alsK Kinder gelernt: „Er war ein nobler Mann; ein Verschwender und Ge waltherr und stürzte jedermann in Schulden." Er hatte aber auch Verdienste um Windsor. Er bat dort nicht nur für seine Maitreffen gebaut. Flemish Farm, seine eigenste Schöpfung im Park, ist ein präch tiger heimlicher Jägerwinkel. Die Königin Victoria Pflegte dort mit ihrem Albert zu frühstücken. Nicht weit von dem dichten Gebeg der Pinien und Buchen, hinter dem es sich versteckte, ehe es von dem Muster- larmer Eduard VII. in eine große Mißwirtschaft verwandelt wurde, führte seit 1861 der Prinoe Eoniort Drive vorbei. Neber diele reno vierte und frisch drainierte Fahrstraße wird der Kaiser, die Büchse in der Hand, vordringen; man hat ihm kleine weiße Brücken über die Wasserwechsel des Dammwilds gebaut, jenseits deren der dichteste, tiefste und dunkelste, der schönste Teil des Äindsorwaldes die Hügel vor der Themse hinaufklimmt. Am Totensonntag fand ich dort riesige Herden Hirsche weiden vom hellsten Weiß bis zum tiefen Schwarz. Sechzehn-, Achtzehn-, Zwanzigender sind im Park keine Seltenheit. Uralte Bur schen, aus Großvaters Jugendzeit, hoben witternd, ihre komischen Graubärte, und ein paar jüngere Galane lieferten sich mit krachenden Geweihen ein elegantes Epee-Gefecht. So ungestört fühlen sich die Herrschaften. Die Schwarzamseln und Drosseln konzertieren nur für sie. Für den Kaiser sind über 2000 Hirsche und Rehe bei Flemish Farm zusammengetrieben. Hui, da bricht ein Ast krachend von einer alten Eiche und in wahnsinnigem Galopp flüchtet die ganze spitzsüßige Schar. Am nächsten Dienstag, wenn die Büchse knallt, wird der Rasen von ihren Hufen dröhnen. Fallende Aestc! Am Eingang der Ascotstraßc hat des Königs Parkvcrwalter 1819 ein Schild an den ersten Eichbaum genagelt: „Liebespaare werden gewarnt, sich im Schatten der alten Bäume an dieser Straße niederzulassen. Es ist gefährlich!" Die Burg von Windsor selbst ist ein rechtes Königsschloß, das an der Themse liegt, wie der Otto-Heinrichsbau, vom Königsstuhl gedeckt, über dem Neckar. Es gibt wohl auch kein zweites Schloß, an das sich die Liebe sa vieler Könige geknüpft, an dem der Baueifer so vieler großer Fürsten sich in einen fast einheitlichen Stil ergossen. Ursprünglich war Windsor «in Klostergut der Mönche von Westminster. Sie erhielten cs von Edward dem Bekenner, dessen Schwäche sic deshalb Frömmigkeit nann ten, dessen einziges Verdienst um England aber darin bestand, daß er Wilhelm dem Eroberer zum Throne verhalf. Der kaufte das Kloster gut schleunigst zurück und baute sich einen mächtigen, runden Turm darüber auf der Spitze des Hügels, der ihm einen Blick .in 10 Graf schaften gestattete. Nach ihm wurde eine Kapelle nnd ein zweiter Turm von dem ersten englischen König aufgerichtet, der mit einem deutschen Kaiser in Verwandtschaft trat, von Heinrich I., dem ersten großen Kul- turfürstcn der Nation, den die Zeitgenossen mit Recht den Volksbcschützer nannten. Seine Tochter Mathilde war unseres Heinrich V. Gattin. Ter Fürst indessen, der Windsor zum ersten Male den Glanz der Hof haltung eines mächtigen modernen Herrschcrgeistes verlieh, war Hein- rich II. Der Wald von Windsor war nie ein besseres Jagdrevier als unter ibm. Kaiser Wilhelm mag sich von dem Bilde seines Ahnen, das in der Georgskapelle zu sehen ist, sympathisch berührt fühlen, wenn man ihm dazu die Beschreibung eines zeitgenössischen Bischofs vorliest: „Er war gesund an Körper und Geist, sein Entzücken war die Hebung der Jagd, nie saß er nieder, er zwang die Höflinge, solange au seiner Seite zu marschieren, bis sie müde wurden, und er war ein so blitzartiger Reifender, daß er die Zeitgenossen durch die Plötzlichkeit seiner Er scheinung erstaunte. Er war ein Mann von großer Fähigkeit, gründlich zu Hause in den Künsten des Krieges und der Diplomatie und mit Ent- schudenheit auf die Durchführung der Gesetze bedacht." Henry II. war Englands gewaltigster König; er war sein erster Mittelstandskönig. Edward III. war in Windsor geboren. Er ließ das alte Schloß nieder reißen und durch den Genius der englischen Gotik, der sich William vf Wvkeham nannte, Bischof von Winchester und Gründer von New College in Oxford und Winchester College war. das jetzt noch in seinen Grundzügen erhaltene Schloß, eine feine Spätblnte gotischer Formen- ku.'tur, setzen. Später ist in Windsor noch viel gebaut, viel geliebt und gesündigt, aber wenig geleistet worden. Heinrich VIII. hielt sich wenig in Windsor selbst auf. Ihn litt es besser in den heimlichen Lodgcs, die er an allen Ecken des Windsorwaldes erbauen ließ, nnd wo seine wilde Minne weder Widerstand noch Tadler zu erwarten hatte. Die Reihe der Baukönigc eröffnete ein allznguter Fürst; sie wird von einem Fürsten beschlossen, über den Thackcray das harte Wort gesprochen: „Er war ein böser Sohn, ein böser Gemahl, ein böser Later, ein böser Untertan, ein böser Monarch und ein böser Freund." Georg IV., der seinem Vater jenes Weihnachtspserdchen auf dem Schucchügel er richtete, gab 900 OlO Lstrl. für Renovierung und Vereinheitlichung des Schlosses aus. Und wenn die Königin Victoria später in Windsor resi dierte, wie oft mag sie der Pfennige gedacht haben, die ihr und der Mutter von dem Großvater mit gehässigem Vergnügen entzogen wurden, als die Waise im Süden des Windsorparks, in Frogmore Longe, eine richtige Hungcrexistcnz führte, an demselben Platz, wo sic später dem Princc Eonsort ein rührendes Denkmal errichtete. Gegenüber diesen, Denkmal steht ein anderes: fernes Oak, der 186:1 gepflanzte Nachfolger des Eichenbaums, der in Shakespeares „Lustigen Weibern" eine so hübsche Rolle spielt. Heute atmet alles den Geist der seligen Königin, besonders die beiden Kirchen im äußeren Ring der Burg und die herrliche Ost'.crrasse. Als Ritter vom Garter wird der Kaiser nicht versäumen, seiner Ordens kirche, der George Edapel, einen Besuch ab,zustatten. Heinrich Vlll ruht hier neben Jane Seymour. Aber hier und in der Albert Ebapel sind alle die blutigen und widerlichen Erinnerungen der englischen Königsgcschichte überwuchert und verdeckt von lausend Symbolen einer zarten, den Angehörigen ihres Herzens im Tode nachsorgendcn Frauen- liebe, die mit erlebter Güte und untilgbarer GcmütSeinsalt eine hohe, künstlerische Abklärung suchende Gesinnung verband. Man kann Wilhelms II. Verehrung sür seine Großmutter verstehen, wenn man das Walten ihrer ordnenden und schmückenden Hände in dem milden und doch so Hellen Licht, das aus diese reichen Wände fällt, verfolgen will. Ücbcrall wird der Kaiser diesen Spuren begegnen. In dem inneren Schloßgraben, der aus Victorias Befehl in einen romantischen Rosen hag verwandelt worden ist, und in dem kokett verschnittenen Tudor garten der Ostterrassc mit seinen holländischen Schissskanönchen, den feinpolierten italienischen Bronzestatnetten, der wundervoll klaren Schloßfront hinter sich, dem unbegrenzten Ausblick aus Waldwiesen mit äsendem Rotwild vor sich. Tue ostterrassc von Windsor ist ein Platz, wie lein zweiter geschaffen, zu wandelnder Nachdenklichkeit über große Staatsaktionen und klein« Herzensleidenschaft. Die große Elisabeth liebte die Einsamkeit nicht. Aber aus dieser Lstterrassr bat sic die größten ihrer Gedanken gefaßt und di« stillsten ihrer Liebcsstundcn ge nossen. Es herrscht eine tiefe, unbedingte Geruhsamkeit. Wäre es diese Geruhsamkeit, wäre es der Zauber des herbstlichen Waldes, wäre cs nur der Heißhunger des Weidmanns, was über den Fürstenbesuch in Windsor kommen wird, wenn di« Erinnerungen der alten Stätten den Puls seines Herzens beeinflussen. Wohl und gut, aber da ist so manche Wcndclstiegc in den persönlichen Gemächern der Oueen Victoria, so manche abendrotdurchglühte stille Schloßstub«, so manche «infame Bank in einem stillen Garten, wo ein Enkel, der heut ein deut scher Kaiser ist, einer großen alten Frau die Hand geküßt für ein leiten des Wort, für eine Acußerung der Güte >md Lebensweisheit, wie man
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