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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.10.1896
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-10-05
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18961005012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896100501
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896100501
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-10
- Tag1896-10-05
- Monat1896-10
- Jahr1896
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Di« Morgen-AXgabe erscheint um V,? Uhr. die Abeud-AuSgabe Wochentag» um 5 Uhr. Ne-actto« und Lrpedittour Johannes,affe 8. DteLxpevitton ist Wochentag« ununterbrochen von früh 8 bi« Abend« 7 Uhr. Filiale«: Dtt» Klemm s Eorttm. (Alfred Hahn), UvivrrsitätSstrahe 3 (Paulinum), Louis Lösche. Katbarlnenstr. 14. pari, und KönigSvlatz 7» Bezugs-Preis iu der Hauptrxpeditiou oder den im Stadt« tmtrk «nd de» Bororten errichteten A»S- ««eftrllrn abgebolt: vierteljährlich ^tl4L0^ bei zweimaliger täglicher Zustellung in« Lau« >l üLO. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Direkte tägliche Kreuzbaudsrnduag iX Ausland: monatlich 7.ÜO. — Morgen-Ausgabe. UchMt'r.TWMlltt Anzeiger. AmlsvkM -es Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes und M-lizei-Aintes -er Stadt Leipzig. Montag den 5. October 1896. —W—-WWW— Anzeigen-Prei- die b gespaltene Petitzeile SO Pfg- Reklamen unter demRedaction-strich (^g«» jpaltem Lv^, vor den Familirnnachkichtea (Sg.spalten) 4V Größere Schriften laut unserem Preis» »erzrichniß. Tabellarischer und Zissrrnjatz »ach höher« Tarif. Extra»veilagen (gesalzt), aur mtt d«, Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung SO.—, mit Postbesvrdrruug 70.—. Annahmeschluß filr Anzeige«: Abrud-Ausgabr: vormittag« 10 Uhr. Morge»-Ausgabe: Nachmittag« «Uhr. vet den Filialen und Annahmestelle« je eia» halb» Stunde früher. «»»eigen sind stet« a» die Gr-eVtttaa zu richte«. Druck nnd Verlag von T. Polz ln Leipzig SV. Jahrgang. Amtlicher Theil. Zwangsversteigerung. Da« im Grnndbuche auf den Namen des Schänkwirths Wilheln» Paul Hennersdorf in Leipzig eingetragene, in Leipzig an der Brüdersiraße unter Nr. 51 gelegene Hausgrundstiick Nr. l 276a des Flurbuchs, Nr. 550L des Brandkatasters, Abtheilung U, und Folium 2114 des Grundbuchs für die Stadt Leipzig, geschätzt auf SO 200 Mark, soll an hiesiger Amtsgerichtsstelle, Zimmer 214, zwangsweise ver steigert werden und es ist der 15. Oktober 1806, vormittags 11 Uhr, als Versteigerungstermin, sowie der 26. Oktober 1896, vormittags 11 Uhr, als Termin zu Vcrkündnng des VertheilungsplanS anberaumt worden. Eine Uebersicht der auf dem Grundstücke lastenden Ansprüche und ihres Rangverhältnisses kann in der Gerichtsschreiberei des unter zeichneten Amtsgerichts eingesehen werden. Leipzig, am 13. August 1896. Königliches Amtsgericht, Abth. 11°. 2a. 67/96 Nr. 16. Or. Werner, Ass. Versteigerung^ Donnerstag, den 8. dieses Mts., Vormittags 10 Uhr, soll im Bersteigernngsraume des hiesigen König!. Amtsgerichts der- jenige Anspruch, welcher dem in Konkurs verfallenen Restaurateur Heinrich Stamminger in Leipzig an dem vormals hier wohnhastcn Restaurateur Christian Eduard Schmidt laut vollstreckbaren Schuld titels in Höhe von 18 222 ./L 88 zusteht, auf Antrag des Konkursverwalters meistbietend gegen Baarzahlung versteigert werden. Leipzig, den 2. October 1896. Tas König!. Amtsgericht daselbst. Schmidt. Versteigerung. Dienstag, den 6. Oktober 1896, Vormittags 10 Ubr, sollen im Bersteigernngsraume des uaterzeichneten"AmtSgerichts 1 Drehbank, 1 Harmonium, 1 Waarenregäl, 1 Waarenglas- schrank, Ladentafeln, 1 Eisschrank, 1 Pianino, Rover, 1 Partie bessere Möbel, 20 Meter Federleincwaud u. v. A. meistbietend gegen Baarzahlung versteigert werden. Leipzig, am 3. Oktober 1896. Der Gerichtsvollzieher beim König!. Amtsgericht. Wachs, Actuar. OeLkentlieks ttanäsIÄekran-stalt. -lomelllungoll rum üintritts in «lio I,elirl!llxüabtliel!unx veräen vleu^tnx, cken 6., nn<1 Zllltvoeh, cken 7. Oktober, von 11—12 l.'lir Vormittage entKexevgenommell. ^ukoabmeprUkanx: vounerstax, cken 8. Oetoder, trüb 7 llür. krok. Volkrum, Direktor. Landrvirthschaftliche Arbeiter. Von Bodo Cornelius. Seib längerer Zeit nehmen die Zustände in der Land- wirtbschaft daS öffentliche Interesse in ausgedehntem Maße in Anspruch, und von zwei Seiten wird fort und fort lebhaft agitirt, um in den Dörfern eine Aufregung hervorzurufen, welche vielfach nur künstlich gemacht ist. Auf der einen Seite sind es meistens die Söldlinge der landwirthschaftlichen Groß betriebe, die den eigentlichen Bauernstand, und zwar oft ver geblich, für ihre Zwecke in Bewegung zu setzen suchen, auf der andern Seite bemüht sich die Socialdemokratie, die landwirthschaftlichen Arbeiter für sich zu gewinnen. Auch auf dieser Seite entspricht der Lohn nicht der aufgewendeten Mühe, und zwar aus zwei Gründen: erstens, weil die land» wirthschastlichen Arbeiter, Tagelöhner wie Knechte, von den konservativen Elementen des Großbesitzes viel zu abhängig sind, als daß sie sich feindselige Bewegungen gestatten dürften, zweitens aber — und das ist der bessere Grund — weil sie sich zu einem großen Theile in ihrem ländlichen Leben viel Wohler befinden als die städtischen Arbeitersocialisten. Bei diesem Theile der landwirthschaftlichen Erwerbsthätigen wird die Socialdemokratie nie Geschäfte machen; es liegt in ihm etwas von der gesunden Stabilität des deutschen Bauernthums. Wenn in mehreren Gegenden, besonders in den östlichen Provinzen, über Mangel an Arbeitskräften geklagt wird, so liegt dies sehr mit an den Großbesitzern selbst: sie thun nichts oder zu wenig für die bescheidenste Lebenshaltung nnd Seß haftigkeit dieser Arbeitskräfte. In der Erntezeit möchten sie sie zu ganz bescheidenen Arbeitslöhnen disponibel haben und im Winter lassen sie sie fallen, kümmern sich nickt darum, ob die Familien der Lohnarbeiter etwas zu essen haben, ob sie in ihrem dürftigen Obdach frieren oder nicht. Daher kommt es in vielen, wenn nicht in den meisten Fällen, daß die gesunden, kräftigen Arbeiter und Arbeiterinnen während der günstigen Jahreszeit ausziehen und bessere Löhne suchen, um für den Winter etwas zurücklegen zu können, während die Großbesitzer genöthigt sind, ihrerseits ausländische, meist polnische Arbeiter vorübergehend heranzuziehen, deren An sprüche geringer sind und die sich nach der Ernte wieder entfernen. Dieses Hin- und Herfliegen ist nun schon ein alljährlich bestimmt wiederkehrender Gebrauch geworden, der in moralischer Beziehung als ein großer Mißstand angesehen werden muß. Man schreit nach der Hilfe der Regierung und hätte sie doch in der eigenen Hand. Es wäre besser, die Regierung ge stattete den Wanderzug der ausländischen Arbeiter nicht, um so die großen Landrvirthe zu nöthigen, Mittel anzuwenden, die ihnen eine stabile Arbeiterschaft sichern. Dazu gehört in erster Linie die Beschaffung erträglicher Wohnungen. Thatsächlich befinden sich die Arbeiterhäuser auf einzelnen großen Gütern, z. B. in Oberschlesien und Pofen, in "einem kläglichen Zustande. Um nichts zu be schönigen, muß gesagt werden, daß an diesem Zustande oft die Bewohner selbst schuld sind, indem sie, statt manchmal Hand anzulegen und zu säubern und auszubessern, verfallen lassen, waS verfallen will, und im Schmutz so zu sagen er sticken. Es ist wahr, sie haben wenig Zeit zu solchen Meliorationen, aber Zeit fände sich doch, zumal an Sonn- und Festtagen, und es läge in dieser Hinsicht an den OrtS- geistlichen, nicht für diese Tage von den Arbeiterfamilien rigoros Müßiggang zu verlangen. Wer einen guten, ausharrenden Arbeiterstamm haben und die kräftigsten, jüngeren Leute vor dem Gelüst be wahren will, den Großstädten zuzuströmen, und da früher oder später dem arbeitslosen Proletariat zu verfallen, muß ernst lich etwas Dauerndes für die Lebenshaltung der ländlichen Arbeiterschaft thun. Schwer ist daS nickt, denn unbescheiden, anmaßend ist diese Arbeiterschaft in der Regel nicht, wenigstens die nicht, welche von dem unheilvollen Einfluß großer Städte entfernt lebt. In unseren sächsischen Dörfern sind die Arbeiterzustände durchschnittlich besser. Ich will nun an einem Beispiele zeigen, auf welche Weise sich der Gutsherr des Dorfes, das ich bewohne, Jahraus Jahr ein einen brauchbaren Arbeiter stamm von Männern und Frauen erhält. Daß alle anderen Großbesitzer — nur von solchen kann die Rede sein, der Bauer braucht wenig Tagelöhner — dies Beispiel genau so nachahmen sollten, ist schwerlich anzunebmen, falls sie nur vom Ertrage ihrer Wirtbschaft leben müssen, aber sie können Aehnliches thun, und ich glaube auch, daß manche eS thun. Der Gutsherr, von welchem ich hier spreche, gehört dem alten deutschen Adel mit sehr bekanntem großen historischen Namen an und ist mit so großem Reichthum gesegnet, daß er die Landwirthschaft nur „csr tel v8t mou plsisir" treibt; cs kommt nicht darauf an, ob deren Erträgnisse bedeutende Ueberschüffe gewähren. Der Betrieb ist rationell, aber nach seinem Geschmack. Felder, Wiesen und Forsten sind sehr ausgedehnt, aber keinerlei Maschine kommt zur Anwendung, alle Arbeiten werden durck Menschenkräfte verrichtet, insbesondere Säen und Ernten. Einen großen Theil seiner Felder und Wiesen hat der Gutsherr mehreren Pächtern übergeben, für den eigenen Betrieb hat er nur so viel behalten, als circa 30 Arbeiter — ohne die Mägde — zu bestellen vermögen. Alle Arbeiter sind verheirathet und sowohl die Männer, als auch deren Frauen stehen in seinem Dienst; doch befinden sich unter den Frauen auch einige, die entweder Wittwen sind, oder deren Männer als Handwerker rc. in anderen, auswärtigen Betrieben arbeiten. Die meisten seiner Arbeiter bilden Familien mit mehreren Kindern, und die Kinder finden von einem gewissen Alter an während der Erntezeit ebenfalls Beschäftigung gegen Entgelt. Unter den Arbeitern sind einige, die bereits Altersrente beziehen, sie bleiben nach dem Maße ihrer Kräfte im gleichbezahlten Dienste. Keiner würde ent lassen, auch wenn seine Leistungen nicht mehr vollwerthig sein sollten. Mehrere hat der Gutsherr vom Vorbesitzer übernommen und seit ca. 24 Jahre bebalten. Es giebt also hier keinerlei Arbeitersluctuationen, was lediglich dem System des Gutsherrn zuzuschreiben ist. Er ist nämlich, durch gelegentliche Antaufe größerer und kleinerer dörflicher Anwesen, im Besitz einer stattlichen Anzahl von Haus- wirthschaften gekommen, und diese hat er, gegen ganz geringe Miethsentschädigungen, seinen Arbeitern mit ihren Familien übergeben. Jedes dieser Anwesen, ans Haus, Hof, Stallung, größlentheils auch Garten und zum Theil auch Scheuer bestehend, wird nur von je einer Familie bewohnt, die sich darin so gut wie im eigenen Besitze befindet. Keinerlei Beschränkung oder Beaufsichtigung findet in diesen Hauswesen statt, wie sie z. B. städtische Hauswirthe ausüben. Die Ar beiter leben darin wie kleine Freiherren. Die Zahlung der Miethe, so gering sie ist, spüren sie kaum, da sie durch wöchentlicke Lohnabzüge mit wenigen Groscken erfolgt. Beiläufig bemerkt, Hal der GutShcrr ,einen .igent- lich landwirthschaftlichen Arbeitern auch verschiedene für ibn und das Dorf nöthige Handwerker, wie Schmied, Zimmer mann, Maurer, Schneider, Schuhmacher, Sattler rc., mit solchen ihm gehörigen Anwesen gegen unbedeutende Mieths entschädigungen versorgt. Alle diese Leute halten sich Kleinvieh, wie Schweine, Ziegen, Hühner, Gänse, Tauben, Kaninchen rc. Es giebt bier keine Arbeiterfamilie, die nicht alljährlich ein bis zwei Schweine schlachtet, aber eine ziemliche Anzahl, die außerdem ein bis drei Schweine zum Verkauf heranzieht, Gänse, Hühner, junge Tauben, Eier, nach gedecktem eigenen Bedarf verkauft. Obst und andere Gartenfrüchte wachsen ihnen ohne viele Bemühung zu. Manche, die mit Heranwachsenden Kindern gesegnet sind, erlesen zur Erntezeit auf den GulSfeldern so viel Getreide und Kartoffeln, daß sie davon verkaufen können. Das Hauen und Aufmachen des Getreides erfolgt im Accord, wobei die Männer mit ihren Frauen zusammen arbeiten und so viel Geld verdienen, wie bestbezahlte städtische Arbeiter, die von all den Begünstigungen dieser ländlichen Arbeiterschaft nichts wissen, sondern hohe Miethen bezahlen und jede Kartoffel mit Geld aufwiegen müssen. Zu Kartoffeln kommen alle hiesigen Arbeiterfamilien reicklich und auf allerbilligste Weise. Sie brauchen in ihren Gehöften nur Düngstätten zu halten und tüchtig zu füllen, was sie auch mit wahrer Virtuosität verstehen. Dafür, daß sie der Guts verwaltung den Dünger überlassen, erhalten sie zur Benutzung so viel Kartvffelland, als mit ihrem Dünger bedeckt werden kann. Unter drei bis vier Fudern thutS keine Familie, manche macht aber sechs bis neun Fuder und erntet in guten Jahren dreißig bis vierzig Centner Kartoffeln. Sie haben nichts zu thun, als die Samenkartoffeln hineinzulegen und die ge ernteten aufzulesen. DaS Gut besorgt unentgeltlich daS Ab fahren des Düngers, das Ein- und Herausackern, sowie das Einfahren der geernteten Kartoffeln in die Gehöfte. Auch andere Fuhreti, z. B. für ersteigertes Holz im Forst und für Torf aus der Grube, stellt daS Gut den Arbeitern ohne Entgelt. An Gelegenheiten, sich Stroh, Laub, Kartoffelkraut rc. zum Einstreuen für ihr Vieh und danach zur Dünger ansammlung zu verschaffen, fehlt eS den Arbeiterfamilien niemals, ohne ihrem Geldbeutel weh zu tbun. Mit gleicher Leichtigkeit wissen sie Grünfutter für Sckweine, Ziegen, Gänse rc. einzubeimsen. Die Gewohnheit, zu erringen und zu erraffen, erstrekt sich auch auf ibre Gänse, welche auf den GulSfeldern und in den gutsherrlichen Teichen ihre Futter- und Tummelplätze suchen. Hierorts ist demnach daS Problem, die landwirthschaft» lichcn Arbeiter seßhaft, zu Häuslern und Feldbewirthschaftern zu machen, quasi gelöst. Da die in ihrem Besitz befindlichen Wohnstätten, ihrer ursprünglichen Bestimmung gemäß, bäuer lich eingerichtet, z. B. größlentheils auch mit Backofen ver sehen sind, so können sie sich als Kleinbauern fühlen, ohne die Sorgen derselben auf dem Halse zu haben. Auch die Feld stücke, welche sie beernten, machen ihnen bäuerliche Mühen und Sorgen nicht, wogegen sie, wenn diese Feldstücke ihr Eigentbum wären, nicht Zeit haben würden, sie zu bearbeiten, da Männer und Frauen an allen Wochentagen, in dringenden Erntezeiten auch Sonntags, für das Gut beschäftigt sind. Frei und sorgenlos sitzen sie auch in ihrer Häuslichkeit, denn die auf den Anwesen ruhenden, nach „Einheiten" vertheilten Gemeindeanlagen trägt der Gutsherr, der auch alle Beiträge zur Kranken-, Invaliden- und AlterSversorgungscafse für die Arbeiter allein bezahlt. Was Noth heißt, kennen diese Arbeiter niemals. Viel wichtiger und werthvoller als die Baarlöhne, die sie erhalten, sind für sie die Naturalien. Das ganze Jahr über sind sie für Mensch und Vieh reichlich mit Kartoffeln versehen; bei geordneter Wirtbschaft geht ihr Vorrath an gepökeltem und geräuchertem Fleisck, geräucherter Wurst rc. nicht auS. Sie veziehen vom Gute zu mäßigem Preise stets die frischeste und feinste Butter, sowie Quark und unverfälschte Milch. Ja sogar für ihre Bekleidung gilt, wenigstens zum Tbeil, das Bibelwort von den Lilien auf dem Felde, da die Gutsherr schaft für die Arbeiterfamilien allweihnachtlich eine Be- scheerung von Bekleidungsstoffen veranstaltet. Wenn ich so als unparteiischer Beobachter daS LebenSlooS unserer dörflichen Arbeiter betrachte, lege ich mir die Frage vor: wo ist in der Stadt eine Arbeiterfamilie, die mit dem wohlthuenden Gefühl der Sorglosigkeit von sich sagen könnte: „Mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht"? Sie habe» nur die Verpflichtung pünktlicher Arbeitsleistung, bei jedem Wetter und ohne Widerrede, doch gilt bei ihren Leistungen, außer der Accordzeit, das bekannte Sprichwort „kestiuL Isute" mit Maurerpausen. Daß unter solche»' Umständen bei Arbeitern, wie die hiesigen, die socialdemokratische Agitation ganz ausgeschlossen bleibt, liegt auf der Hand. ES fehlt hier aber auch eine der Grundbedingungen zu deren Erfolg, nämlich daS kost spielige, dem Familienwohl absolut schädliche Kneipenleben. Nüchternheit und ruhige Gleichmäßigkeit sind vortreffliche Züge der hiesigen Arbeiter. Höchstens an Sonntagnach miltagen mögen sie sich im Wirthshause gemüthlich ein Glas Bier leisten. Sie unterlassen aber auch nicht, die Kirch« zu besuchen, weil die Pflege de« kirchlichen Leben« zu den dörf lichen Gewohnheiten gehört. ES wäre durchaus rathsam, daß Gutsherren uud Groß bauern, denen an einem brauchbaren Arbeitsstamm gelegen ist und die da« Wort von der „Lösung der socialen Frage" nicht blos im Munde führen, die hier geschilderten Zustände zum Vorbild nehmen. Biele von den bezeichneten Einrich- Oie Weise von Capo d'Jstria. Von Gustav Johannes Krauß (Neuhardenberg). Nachdruck verboten. Der Padrone Giacomo Ferrari war der geriebenste Schlaukopf von Capo d'Zstria — was von Capo d'Jstria! Im ganzen Küstenlande gab es keinen zweiten, wie ihn. In seiner Jugend war der Padrone — „Pa'ron" sprechen die Istrianer — Handelscapitain gewesen und weit in der Welt herum gekommen, gar bis nach China und Japan. Da batte er hübsch Geld verdient, aber nichts erspart. In den Hafenstädten giebtS zu viele Tavernen mit Spieltischen und schönen Weibern. Na, wie er das lustige, aber anstrengende Leben satt hatte, kam er nach Hause, arm wie eine Kirchen maus, heirathete die Annetta, ein gutes, dummes Mädchen mit einer ziemlichen Anlage zur Fettleibigkeit und ein paar lausend Gulden Mitgift, sagte der Sausewinderei Valet und wurde Schlaukopf. Bei allen geschäftlichen Unternehmungen hatte er die Hand im Spiel, und selten zog er sie leer zurück. Er er öffnete ein Albergo, taufte eS Hotel Central und hing eS um unverhältnißmäßig theuereS Geld einem Deutschen an, einem emeritirten Zählkellner, der das lebhafte Bedürfnis hatte, die gesammelten Trinkgelder der Gartzvnzeit an einem eigenen Geschäfte zu verlieren. Er gründete eine Actien- gesellschaft, die täglich dreimal vaporetti, kleine Dampfer, zwischen dem kleinen Städtchen und dem eine Stunde ent fernten Triest verkehren ließ. Als die Actionaire merkten, daß das Ding sich nicht rentire, hatte Pa'ron Ferrari, der Gründer, seine Antheilscheine längst mit gutem Profit unter der Hand verkauft und lachte sich ins Fäustchen. Er legte sich einen Stall von acht oder zehn hübschen Kutschpferden an und kaufte die Entsprechende Anzahl netter, wohl ge federter Wagen. Da schüttelten die Leute den Kopf, lachten, und sagten: „Nun hat, sich der Pa'ron aber 'mal verrechnet. Wer wird denn fahren in Capo d'Jstria? Die Fischer nicht, und die Weinbauern nickt, die die Erde in ihre Weinberge in den Tragkörben der Esel hinauftragen müssen, und unsere Nobili sind so arm wie die Fischer und Weinbauern — die fahren auch nicht". Giacomo aber trug ein gleichmüthiges Gesicht zur Sckau und behielt Recht. Die Nobili waren zwar arm, aber ihre Hofsarth erwies sich größer als die Armuth. Mochten sie auch die zwei Wochen vorher ungesckmälzte Polenta essen und in den allerbilligsten Wein noch Wasser gießen, wenn sie dann an einem Sonntage auf dem Landwege nach Triest fuhren in einem der hübschen Wagen und in dem unnumerirten Gefährt mit soviel Grandezza saßen, daß jeder schwören mußte, der oder die Nobile fahre in der eigenen Equipage, dann waren sie für alle vorhergegangenen Entbehrungen dreifach entschädigt und zahlten ohne Murren den hohen Preis, den der Pa'ron für solche Fahrten forderte. Kam aber gar ein Fremder von Trieft herüber, um die alte Stadt anzusehrn, die ehedem eine mächtige Rivalin der großen Triefte war, und mit dem allmächtigen Venedig verbündet, der Nachbarin zu Wasser und zu Lande vielen Schaden that, dann wich Herr Ferrari ihm nicht von den Fersen. Während der die alten Venetianer Löwen au den Gebäuden der jetzt so stillen Piazza grande betrachtete und dir bröckelnden Wappen ehedem blühender AdrlSgeschlechter, lag ihn der Schlaukopf unablässig in den Ohren, doch eine Gita, eine Spazierfahrt zu machen nach dem nicht minder romantischen Pirano hinüber, natürlich zu Wagen. Und die neugierigen Fremden, denen die Gulden so locker in der Tasche sitzen, waren leicht zu überreden. Bezahlen mußten sie da« Vergnügen natürlich noch theurer als die heimischen Nobili. Dafür kutschirte sie Herr Ferrari immer selbst. Kam dann der psychologische Moment, in welchem der Fahrgast die Trinkgelderfrage erwog und den Rosselenker fragte: „Sind Sie der Herr selbst oder ein Be diensteter?" so antwortete Herr Ferrari doppelsinnig: „Ik bin die Kuttßrr" und steckte daS also ergatterte „Dringgell'" mit heimlichem Spott über den dummen Kerl, den er da anführte, ein." Solche Schelmenstreiche erzählte er immer wieder im CafS Loggia, wo er seinen Mitbürgern im „Trei-sette", „Bastonare" oder einem ähnlichen Kartenspiel ihre innig ge liebten Kreuzer abnahm, und die Herren schüttelten bewundernd die Köpfe und beneideten den Pa'ron Ferrari wegen seiner überlegenen Geistesgaben. Ja, ja, er war der geriebenste Schlaukopf in ganz Capo d'Jstria — WaS Capo d'Jstria! Im ganzen Küstenlande gabs keinen zweiten wie ihn. Indessen war die Zeit vergangen. Der schlaue Kopf des Padrone war grau geworden, Frau Annetta ganz unglaublich dumm und unbebilflich wie ein Nilpferd vor Fettleibigkeit, und Marietta beider einziger Tochter, war zu einem wunder schönen Mädchen herangewachsen. Zierlich von Gestalt, mit einem elfenbeinernen Madonnengesicht, nachtschwarzen Haaren und nicht minder schwarzen, brennenden Augen war sie die Schönste in Istrien, so wie ihr Vater der Pfiffigste war, und im Cafö Loggia begann man zu erwägen, wen sich der Schlau kopf Wohl zum Schwiegersohn capern würde. Man erwartete nichts geringes von ihm, und selbst die Nachricht, die Marietta wäre mit einem Erzherzog von Oesterreich verlobt, hätte Niemanden sonderlich überrascht. Dem Pa'ron Ferrari war so etwas schon zuzutrauen. Dagegen wunderten fick die Leute höchlich, al« der Schlau kopf mit dem Kaufmann Marini au- dem Orte auffallend viel zu verkehren begann und Marini auch in der Gesell schaft der beiden Damen immer zu sehen war, wenn diese sich öffentlich zeigten. Bei der sonntäglichen Platzmusik auf der Piazza grande, beim Abendcorso auf der Bella vista, einem von alten Kastanien überrauschten, von den Insassen der Männerstrafanstalt schön in Ordnung gehaltenen Spaziergange, auf welchem lustwandelnd man weit hinaus sah auf die blaue, leise rauschende Adria, überall war der Kaufmann Marini mit der Familie Ferrari, spielte bei Marietta den liebenswürdigen Schweren öl her, und Marietta sckien dem hübschen Manne woblgewogen, und der Vater lächelte seine Billigung dazu. Die Capo d'Istrianer waren enttäuscht. Marini war zwar gut, sehr gut sogar, der Reichste im Ort, aber von Ferrari hatten sie mehr erwartet. Die romantischen Gemüther unter den Gästen de« CafS Loggia behaupteten sogar, e« werde noch ander« kommen. Verlobt sei noch nickt verheirathet, und der Kaufmann sei mit Marietta noch nicht einmal verlobt. Und e« schien, al- sollten sie Recht behalten. Ferrari kam eine« Tage« mit dem Abenddampfer von Triest zurück. Ganz Capo d'Jstria war, wie gewöhnlich, auf dem kleinen Molo, an welchem das Schiff anlegte, ver sammelt, um zu sehen, wer von den Einheimischen heute in Triest gewesen war, und ob etwa gar ein Fremder ankäme. Bei dieser Gelegenheit nun behandelte Ferrari seinen jungen HanSfr-und, den Kaufmann, vor allen Leuten ganz aus fallend schlecht. Mit allen möglichen Leuten plauderte er höchst aufgeräumt, nur ihn schien er geflissentlich zu über sehen, so daß Sire Marini sich beleidigt zurückzog und die andern zu tuscheln begannen. Der Padrone ließ sie tuscheln und schritt mit der Miene eine« Imperators nach seinem Hause an der Bella vista, das er nicht auS Liebhaberei für landschaftliche Schönheit, sondern aus Schlauköpfigkeit bewohnte, um nämlich die von Triest kommenden Dampfer zu bemerken, sobald sie in Sichl kamen, und sofort an die Landungsstelle eilen zu können, etwaige Fremde in Empfang zu nehmen, oder sonst ein Ge schäftchen zu ergattern. Bei diesem seinem Hause angekommen, ging er zuerst in Stall und Wagenschuppen, um zu sehen, ob der ver dammte Faulpelz der Pietro, die Pferde auch gestriegelt und die Wagen, wie sich- gehört, gewaschen habe. Als er da Alles in Ordnung gefunden hatte, stieg er über die Hintertreppe in seine Wohnung empor, schleuderte seiner fetten, neben dem offenen Herdfeuer schwitzenden Frau ein Schimpfwort zu, weil die lsn» noch nicht fertig war, das Abendbrod, und trat dann i« die Wohnstube. Da saß Marietta über einer Stickerei: „Die Dummheit mit Marini muß aufhvren!" brüllte er sie an. „Warum, Vater? Ich denke, ich soll ihn heirathen?" „Keine Spur! Du Heiratbest den Banquier Bissaldi in Triest. Heute hat er mit mir gesprochen." „Um Gotteswillen, Vater! Den alten, häßlichen Kerl?" „Er hat eine Million im Vermögen." „Bucklig ist er!" „Seine Villa auf dem Iägrrberg hinter Triest ist eine der schönsten."
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