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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 06.08.1892
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1892-08-06
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18920806029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1892080602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1892080602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1892
- Monat1892-08
- Tag1892-08-06
- Monat1892-08
- Jahr1892
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Die „Hamburger Nachrichten", die beute den von der CentrumSpresse und den demokratischen Blättern gegen den Fürsten Bismarck erhobenen Vorwurf, er sei jetzt mit einem Male für Parlamentsherrschaft, zuriickweisen und bervorheben, daß der frühere Reichskanzler stets für da« Gleichgewicht der beiden verfassungsmäßigen Gewalten gewesen sei, halten eS am Schlüsse dieses Artikels für angebracht, gegen das „Leipz. Tagebl." in folgender Weise zu polemisiren: „Ein nationatliberales Blatt wie da» „Leipz. Tagebl." sagt, die Regierung könne nicht ander» als mit dem Eentrum gehen wegen der Mtlitair-Borlage: das Centrum verlange et» preußisches Unter- richtSgesetz, das den Wünschen und Interessen der katholischen Kirche entspreche; um diesen Preis sei die Zustimmung zu Militair-Borlagen feil. Wenn das richtig wäre, so läge darin eine Abdication der Regierung zn Gunsten des Centrums. Sollte dies aber der einzige Weg zur Durchdringung der Militairvorlage sein? Wir glauben nicht. Wenn man ohne Weiteres die Militair vorlage einbrächte und sie am Widerstande des Centruins scheiterte, wenn man dann den Reichstag auflöste, — würde das Centrum es aus diese Probe ankommen lassen? Wir sind sicher, daß es dies Scheidewasser gerade in diesem Augenblicke nicht vertragen würde; und jedenfalls »st auf solche Art die Unabhängigkeit vom Centrum zu behaupten." Wir bedauern, daß das jetzige „Kanzlerblatt" bei dieser Gelegenheit in die Gepflogenheiten seines Vorgängers, ungenau u citiren oder einzelne Stellen aus dem Zusammenhänge erauszureißen, verfallen ist. Allerdings haben wir daraus bingewiesen, daß die Reichsregierung sowohl wie die preußische Regierung dem Centruin gegenüber in einer gewissen Zwangs lage sich befinden, aber wir haben keineswegs erklärt oder gar befürwortet, daß die Reichs- oder die preußische Regierung'dieser Lage sich geduldig füge und zu Gunsten des Centrums abdicirc. Im Leitartikel unserer gestrigen Morgenausgabe ist wört lich gesagt: „So lange bei uns der nationale Gedanke nicht stark genug ist, um das Centrum in seine Bestaudtheile auszulöjen, sind wir aus fromme Wünsche beschränkt, deren Erfüllung der Zukunft anheim- gestellt bleibt. An Zeichen dafür, daß die Ungejundheit des bestehenden Zustandes auch von Centrnm selbst gefühlt wird, fehlt es nicht, die nationalen Gesühle kommen auch dort hi» und wieder zum Durchbruch, wie noch neulich beim Frciherrn v. Sckwrlemcr- Alst, als er den Dreibund für vereinbar mit den Interessen des Papstthuins erklärte. Wirkungsvoll würde cs gewiß sein, wenn die Regierung bei den Wahlen offen ausjpräche, daß wir im Parlament kirchliche Interessen nicht kennen, und daß deshalb Ca » dtdaten, die auf ein kirchliches Pro gramm gewählt werden wollen, keine Beachtung ver dienen. Eine Belehrung in dieser Allgemeinheit kann wohl kaum als unberechtigte Wadlbeeinslusjung aufqeiaßt werden. Hat doch die Regierung die Wähler niemals darüber in Zweifel gelassen, daß die Wahl von Mitgliedern der socialdcmokratischen Partei nicht mit den Forderungen des Patriotismus vereinbar sei. Das Centn»» ist keine deutsche, sondern eine internationale Partei, weil cs seine Verhaltungsmaßregeln vom Auslände empfängt. Tie Belehrung der Wähler in dieser Beziehung müßte der Ausrichtung einer nationalen Volksvertretung im deutschen Reiche vorangehc», wenn sie Aussicht auf Verwirklichung haben sollte. So lange können wir nicht warten, bis das Centrum an Entkräftung stirbt, eS muß dafür gesorgt werden, daß sein« Un natur und Gefahr für daS deutsche Reich überall erkannt und bekämpft wird." Entschiedene Stellungnahme gegen daS Ccnirum verlangen also auch wir; es entspricht nur unserer Ansicht und unserem Nathc, wenn die Rcichsregierung das Cent»um durch die Militairvorlage ans eine entscheidende Probe stellt, die viel leicht wie Scheidewasscr wirken, im andern Falle aber der Regierung eine mächtige Waffe liefern würde. Zu einer Polemik gegen uns hätle daS Hamburger Blatt nicht den mindesten Anlaß, wenn eS sich die Mühe geben wollte, unsere Ausführungen genauer zu prüfen. Der russische Versuch einer zollpolitischen An näherung an Deutschland wird von der Mehrzahl der Preßorgane mit der durch die Sachlage gebotenen Zurück haltung beurtbeilt. Nur wenige derselbe» sind kinvisck genug, aus der "Anregung der russischen Negierung Capital gegen den alten CurS zu schlagen, während andererseits die „Hamb. Nachr." sich nicht entkalken können, schon jetzt gewissermaßen die Uebervorthcilung Deutschlands durch die „sehr geschäfts kundige russische Diplomatie" i» Aussicht zu stellen und dadurch der Regierungöpresse die erwünschte Gelegenheit z» geben, dem F ürsten Bismarck eine Thorhcil und Taktlosigkeit aufzumntzen. Un befangen betrachtet, stellt sich der russische Antrag auf Ver bandlungen durchaus nicht als Symptom einer grundsätzlichen Wendung rer russischen Zollpolitik dar. Die Wendung ist vielmehr aus deutscher Seite geschehen durch die Handels verträge, welche den Getreidezoll um l ^ 50 vermindert haben. An dieser Wohllbat will die russische Noggenpro- duction Theil nehmen, und da dies nicht ohne Gegen leistungen möglich ist, sucht Rußland ein Abkommen, welches den statu» yuo ante l. Februar 1892 herstellt, d. h. das russische Getreide zu demselben Zollsatz über die deutsckie Grenze läßt, wie da« österreichisch-ungarische und daS amerikanische. Dem letzteren ist bekanntlich der niedrigere Zollsatz hauptsächlich deshalb bewilligt worden, damit der deutsche Zucker bei der Einfuhr nach Amerika nicht ungünstiger behandelt werde als bisher. Rußland bat gegen wärtig alle Veranlassung, seinem Getreide die Behandlung zu verschaffen, die seinen Concnrrenten zngesichert ist, denn es hat sich gezeigt, daß das RoggenauSfnbrverbot der Staats kasse und den Producenten beziehungsweise Händlern enormen Schaden, den Nothstandöbezirken aber nicht die erwartete Hilfe gebracht bat. Mangelhafte Verkehrsverhältnisse und die Unredlichkeit der Beamten vereitelten den Hilfs- zweck zum größeren Tbeile. Würde nun auch durch eine bleibende Zolldifferenz zwischen russischem und nickitrussischem Getreide an der deutschen Grenze die Auf hebung des RoggcnausfuhrverbotS für ein großes Absatzgebiet unwirksam gemacht, so müßten die finanziellen und vollS- wirthschaftlichcn Folgen unerträglich werden. Tie deutschen Unterhändler werden also eine sehr günstige Lage vorfinden, um so günstiger, als überhaupt die russische Einfuhr nach Deutschland von der deutschen AuSfubr nach Rußland um ein Beträchtliches übertroffcn wird. Nur die Getreikesperrc hat dieses Verhältniß verrückt. Wir sind also diesmal die Umworbenen und die NeichSregiernng wird sich diesen Um stand hoffentlich zu Nutze machen. Aus welchen Industrie gebieten die russischen Gegenleistungen hauptsächlich gefordert werden dürften, braucht jetzt nicht erörtert z» werden. Jeden falls werden alle bctkeiligtcn Gewerbe gut lhun, in Berlin ihre Interessen zur Geltung zu bringen. Zur Beurtheilung der Situation in Oesterreich ist die Entscheidung darüber erforderlich, ob der durch das Aus scheiden des bisherigen czechischen LandSmann-Ministerö Frei herr» von Prazak frei werbende Platz überhaupt wieder besetzt wird. Die „Bohcmia" beschäftigt sich denn auch mit der Erörterung dieser Frage. Sic erblickt in der Thatsache, daß ein ausgesprochener Gegner der Deutschen auS dem Natbe der Krone scheidet, daß ein Mann vom RegierungStische verschwindet, der sich redlich und erfolgreich bemüht hat, den deutschen Interessen Ab bruch zu thu», »och keinen Grund, um daraus aus den Entschluß der Regierung, einen weiteren Schritt nach links zu tbun, zu schließen. Nicht um die Person, sondern »m das Princip handele eS sich, und man werde der Demission des Herrn von Prazak unmöglich früher die Bedeutung eines ent scheidenden politischen Ereignisses beimesicn könne», bevor man nicht Gewißheit darüber habe, ob mit dem adtrctcnren LandSmann - Minister auch die Couleur, die er vertrat, außer Courö gesetzt ist. Man werde abzuwartcn habe», ob Herr von Prazak einen Nachfolger erhält und von welcher politischen Herkunft der Man» sein wird, der a» seine Stelle rückt. Erst wenn diese Frage ihre Lösung gefunken bade, werte sich entscheiden lassen, ob Herr v Prazak wirk lich nur anztSmüde oder auch überflüssig oder gar z» einem Hemmniß geworden ist. Tie „Neue Fr. Pr." will bereits wissen, Baron Prazak werte zunächst nicht wieder ersetzt werden. Wäre daS richtig, so wurde sich damit ohne Zweifel eine Verschiebung in der Grnppirnng der einzelnen Schat- tirungen innerhalb des Ministerraths vollziel,en. In den Lcmberger Blättern tritt die Meldung auf, Baron Prazak werde ins Herrenhaus berufen werden. Der Streit zwischen Frankreich und dem Congo- staate spitzt sich zu einem solchen zwischen der Republik und Belgien zu. Die sranzösische Presse macht Belgien ver antwortlich, sie greift König Leopold als den „Vasallen Deutschlands" au und will von dem Vorschläge, de» Streit ans schiedsrichterlichem Wege zu schlichten, nichts wissen Die nächste Veranlassiing zu dem Eonflictc war bekanntlich der bedauerliche Greuzzwischensall, wobei der französische Lieutenant Poumayrac mit einigen seiner Begleiter von den congo- lanischcn Grenzposten erschossen wurde. Aber dieser Vorfall ist nicht Ursache, sondern bloßer Anlaß, denn taö Verhältniß zwischen Frankreich und der Brüsseler Congo-Regierung ist schon längst ein gespannte«. Beide Staaten nehmen aus Grund der Berliner und Brüsseler Conferenz das unter dem Namen Hakomaland bekannte Grenzgebiet für siä> in An spruch, woher ein langjähriger Grenzstreit rührt. Dann hat die Mouopolisirung des Congohandels Lurch den Conzostaat, wodurch auch französische Interessen berührt erscheinen, in Paris viel döscS Blut gemacht. Hoffentlich wird der ganze Streit bald beigelcgt. Denn erstens hat die Congo-Regierung jetzt mit dem Araber- und Sclavenjägeraufstand alle Hände voll zu thun und kann sich nicht auf ernste Händel mit Frankreich einlassen. Dann aber könnte der Conllicl bei der engen Verbindung des CongostaateS mit Belgien eine gewisse internationale Bedeutung gewinnen, die gewiß nickt wünickcnS- werlb wäre. Jedenfalls bekommt Belgien jetzt den Vor geschmack von dem zu kosten, was eS zu gewärtigen bat, wenn eS durch Uebernahme des CongostaateS in die Reihe der Colcnialstaaten treten wollte. Die Abstimmung, welche daS Schicksal der jetzigen eng lischen Regierung entscheidet, wird wahrscheinlich am nächste» Dienstag erfolgen. Die Thronrede soll bekanntlich am Montag verlesen werden, mag die Eidesleistung der Abgeordneten vollendet sein oder nickt. Sobald die Adresse beantragt und in der üblichen Weise unterstützt worden ist, wird da» „Kein Vertrauen" - Amendement gestellt werden. Das "Amendement wird von den Hinteren OppositionSbänken gestellt und unterstützt worden. Nachdem die Negierung ibrcn Standpunkt dargelcgt hat, wird Gladstone sich zum Worte melden. Wahrscheinlich wird außer ihm kein anderes Mitglied der Front Oppositionsbank an der Debatte tbeiliiebincn. Möglich, daß einige Arbeitcrabgeordncte schon bei dem "Anlässe Gladstone Versprechungen abzuringcn suchen werden, im Uebrigcn aber wird den Unionisten und Nationalisten das Feld überlassen werden. Da die Negierung wenig Neigung spürt, die Debatte zu verlängern, nachdem sie ihre Äcrlheidiguug beendigt bat, so wird eS von den Par- nellilcn abhängen, ob die Diskussion sich über eine weitere Sitzung erstrecken soll. Der Wortlaut des Amendement» wird vor Allem von der Fassung der Thronrede abhängen. Die Gladstoneancr wünschen sich möglichst an den 1859 gegebenen Präccdenzsall anzulebnen. DaS damalige Amendement, welches Lord Tcrby'S Ministerium stürzte, lautete: „Wir erlauben un» jedoch ehrfurchtsvoll, Ihrer Majestät die Erwägung zu unterbreiten, daß es wesentlich ist zur Erreichung be- friedigender Ergebnisse unserer Verathungen und zur Erleichterung der Erledigung der hohe» Functionen Ihrer Majestät, daß die Regierung Ihrer Majestät das Vertrauen dieses Hauses und des Landes besitzt. Wir halten eS deshalb ehrerbietigst sür unsere Pflicht, Ihrer Majestät vorrusteUe», daß die ictzigcn Rathgeber Ihrer Majestät ein solches Vertrauen nicht besitzen." Das Amendement, welches 1811 Lord Melbourne'S Ministerium aus dem Amte brachte, halte denselben Gedanken- inbalk, nur war noch eine kurze Bezugnahme auf die Kora- gesctze und die vamaliae Lage des britischen Handels hinzu- gesnzt. Tie Debatte über das „Kein-Vertrauen"-Amende- ment dauerte 184 l vier und 1859 drei Tage. Die englische Politik in Mittelasien ist etwa- auS ihrem Curse verschlagen und lavirt behutsam, um nicht irgendwo unversehens auf Untiefe» zn gerathcn. DaS bloße Erscheinen russischer Truppen in einer Stärke von nicht mehr als 500 Mann hat hingereicht, daSProgramm der angloindischen Politik zu durchkreuzen. Angesichts des gefürchteten nordischen Concurrentensucht England den übelgelaunten BeherrscherAfgha» nistanS, Abdurrahman Khan, schleunigst an sich zu fesseln; eine englische Gesandtschaft wird sich zu diesem Zwecke ohne Verzug nach Kabul begeben und den widerspenstigen Schützling, sei cs durch Versprechungen oder Drohungen oder durch beides, in Pflicht und Gchorjam zu erhalten trachten. Gleichzeitig gehen zahlreiche englische Ossiciere nach dem Lager von Gilgit ab, um dort nach dem Rechten zu sehen. In dem chinesischen Tbeile der Grenzscheide geht es anscheinend auch leb hafter zu als gewöhnlich — kurz die diplomatische Aktion Englands macht zur Zeit ungleich mehr von sich reden, als die ganz unter der Hanv betriebene militairische Aktion Rußlands. Von der gemischten englisch-russischen Commission behufs Festsetzung der Grenzscheide zwischen den beiderseitigen mittelasiatischen Machtsphären dagegen ist seit Kurzem mit keiner Silbe mehr die Rede, und durfte dieselbe auch keinen ersichtlichen Zweck mehr haben, nachdem die Russen der Commission ihre Geschäfte vorweg abgenommeo und sich ihre Grenze nach eigenem Wunsche zurechtgeschnitten haben. Eng land muß sich beeilen, wenn eS nicht ganz und gar daS Nach sehen haben will. Die russischen Blätter beginnen in Molltönen zu fingen, weil sie erkennen, daß mit Ausnahme von Frankreich ganz Europa auf Seite Bulgariens steht, und auch die Ver- 'ichcriiligcn, daß die wie auS einem unerschöpflichen Born ließcnde» geheimen russischen Aktenstücke gefälscht seien, keinen Glaube» finden. So sagt die „Now. Wr", daß der Haß gegen Rußland den Unglauben der ausländischen Presse gegen die öfficiöscii Auslassungen über die Sofia»« Documeiitcnfälschung hervorgebracht habe, und der deutsch geschriebene „Petersb. Herold" jammert: „Die österreichischen und die deutschen Blätter bringen noch immer Kundgebungen in ihren Leitartikeln, nach welchen sie ihre Sym pathie» sür den bulgarischen Usurpator, Stambulow, unverhohlen äußer». Bisher hatte noch kein deutsche» Blatt ein mensch- licheö Bedauern für die wegen sogenannter politischer Verbrechen Hiuaerichlelen ausgesprochen/' Tie „Nowosti" rufen angesichts der Auslassungen über die Mangettiaftigkett der Beweisführung des „Iourn. de St. Pvtersb." sür die Fälschung der Sosianer Dokumente aus: „Welche Frechheit, zu verlangen, daß auf den Seiten des „Iourn. de St. PSterSb." Beweise geliefert werden für die Fälschung der Sofia»« Dokumente!" Die gemachten Mitthcilungen müßten genügen; eine russische officiose Zeitung könne sich nickt dazu erniedrigen, unrichtige Nachrichten mit- zutbcilc». „Möge der bulgarische „Balmaceda" das Gegcn- tkcil beweisen, wenn dieser „Räuber" eS sür nothwendig hält. Feuilleton. Schloß Fene'trange. Ein Roman aus den Vogesen. 5s Von O. Elster. Nachdruck «erboten. (Fortsetzung.) „Auf meinem Patrouillengange", fuhr der Gendarm fort, „kam ich hier vorbei, und da dachte ick, eS wär' Ihnen ganz lieb, den Ausgang der Geschichte zu kören. Euch aber, Herr Förster, wollt' ich 'neu kleinen Wink in betreff des Burschen, des Jockel, geben. Er ist von Herrn Markwardt wegen Widerspänstigkeit und Trägheit auS der Arbeit entlassen worden, jetzt wird er wohl sein altes Gewerbe, die Wild dieberei, wieder aufnehmen. Und dann Hab' ich noch eine Bitt'. Ich Hab' Meldung bekommen, daß der Schmuggel in dem Bezirk von Finstingen in letzter Zeit wieder sehr zuge- nommen hat; wenn Ihr etwas bemerkt, Herr Förster, lheill's mir, bitte, mit." „'s ist eigentlich meines Amtes net, Kamerad, aber Euch zu Lieb' will ich's schon thun, da Ihr mir meinen jungen Kameraden da nicht sortnchmen wollt." „Danke, Herr Förster. Und nun dies Glas »och und dann au revoir. Muß noch über das Zigeuncrdorf nach Finstingen zurück." Der Gendarm hatte sich entfernt. Fritz Berger schaute wie träumend in das Gewirr der Blätter des Waldes, das der Herbst schon in die herrlichsten bunten Farben gekleidet batte. Da legte ihm der Förster die schwere Hand auf die Schulter und sprach: „Wenn ich Euch rathen soll, mein junger Kamerad, dann denkt nicht mehr an die schwarzen Augen der Zigeunerdirne. Ich kenn' den alten Joseph seit mehr als fünfzehn Jahren; er ist ein Erzballunke, und wenn Jemand bei dem Schmuggel die Hand im Spiel hat, so ist «'S. Ihr könntet da in Teufels Küche gerathcn." „Aber die Marianne wird doch nicht mit betheiligt am Schmuggel sein? Sie ist ja kaum sechzehn Jahre.. „Wer weiß? — Den BohömienS ist Alles zuzutrauen. Hütet Euch! — mehr kann ick Euch net sagen." „Ich danke Euch, Herr Förster. Ich werke an Eure Worte denken. Und jetzt will ich meinen abendlichen Patrouillen- gang antreten." „Schon reckt. Aber den Schröder könnt Ihr net mit nehmen, ich Hab' ihn zum Oberförster geschickt." „Macht nichts. So gebe ich allein." „Auf Wiederscb'n!" Nack wenigen Minuten schritt Fritz Berger, den Hirsch fänger an der Seite, die Bückse über die Schulter gcbänzt, rasch durch den Wald, den bereits abendliche Dämmerung einhüllte. e- «- TeS jungen UnterofficicrS .H?dz war leicht geworden, nachdem ihm Gendarm Fuchs die erfreuliche Mittheilung gemacht batte, daß die Rauferei nicht gemeldet worden war. AuS der Strafe selbst hätte sich Fritz wohl kaum so viel gemacht, Leun er wußte, daß seine Vorgesetzten ihm Recht ' ' ' " Wa" gegeben haben würden, Laß er sich mit der Waffe gegen den Messerhelden vertheidiat batte; aber der Gedanke, daß i daS Vertrauen seiner Ossiciere verloren baden würde, hätte ihn schmerzlich bewegt. „Unterosficicr Berger", hatte der Commandeur zu ihm gesagt, als er sich zu dem Commando auf DackSburg gemeldet, „ich weiß, Sic sind ein braver Bursche, haben das Herz aus dem rechten Fleck und kebalten klaren, rubigen Verstand in der Gefahr. Lasten Sie sich auch in Dachsburg und Finstinaen nichts Schulden kommen; es ist ein schwieriger Posten, den Sie beziehen, aber wir haben daS Vertrauen zu Ihnen, daß Sie ihn ausfüllen können." So batte der Commandeur zu ihm gesprochen. WaS würde er gesagt haben, wenn kaum nach Monatsfrist eine solche ungünttige Meldung über den jungen Unlerofsicier, dem er sein Vertrauen geschenkt hatte, ein- jelausen wäre? Jetzt war die Sache erledigt, und Fritz onnte ausalbmen. Ein lustiges Soldatenliedchen pfeifend schritt er dahin. Er dachte an seine Hcimath in de» Berge» keS waldreichen Harz- gebirgcS. Er liebte den Wald, die Berge, die bimmelan- strrbcnden Felsen und die düsteren Schluckten. Deshalb hatte er sich auch zu diesem Commando nach Dachsburg gemeldet, daS ihm Gelegenheit gab, im Wald und auf de» Bergen umber zu schweifen. Er glaubte sich in seine herrliche Wald- heimath zurückversetzt, er dachte an daS kleine Förstcrhäuscken in Wilkenberg, wo Vater und Mutter lebten und das er dermaleinst auch als fürstlicher Unlersörster zu bewohnen hoffte. Er träumte davon, wie er das Häuschen verschönern wollte, wie er den Garten mit hübschen Blumen schmücken würde, und auf einmal tauchte vor seinem Auge kas lieb liche, rosige, von blonden Zöpfen umrakmte Antlitz eines jungen MäkckenS auf, mit dem er schon als Knabe Hand in Hand die Wälder seiner Hcimath durchstreift batte. Un willkürlich flüsterten seine Lippen: „LiSbcth! Liebe LiSbetb, nein, ich will Dich nicht vergessen, ich werde Dir nicht un treu!" — Der Wind raschelte in den Blättern. Dämmerung bullte den Wald dichter und dichter ein. doch das Laubdach hatte der Herbst schon gelichtet, so daß der zitternde Strahl de- MondeS das WaldeSvunkel etwa« erhellen konnte. Ein Schatten huschte vorüber. War es ein Reh, daS sich vor dem Nabenden flüchtete? Aber Fritz batte keinen Laut gehört, kein Rascheln des Laubes, kein Knacken eines dürren AstcS. Und jetzt war der Schatten wieder verschwunden, aber ein Laut ertönte, wie das Gurren einer wilden Taube — nein, nein, rin balbunterdrückte« Lachen und Kichern! — dort hinter dem dicken Baumstamme, aus dem wirren Ge büsch wilder Rosensträucher, schallte eS hervor so neckisch, so lockend! Fritz befand sich auf einer Anhöhe, die sich ziemlich schroff zum Tbale hinab senkte, durch welche- ein ichmaler, aber tiefer Bach rieselte. DaS Gewässer bildete hier die Grenze nach Frankreich bin. Drüben schloß sich ein sanft ansteigendes Gelände an den Wiesengrunt, das mit herrlichem Hochwald bedeckt war. Ein enger, felsiger Pfad wand sich den Berg hinab, führte über eine kleine bölzerne Brücke und verschwand drüben wieder in dem Dunkel de« Waldes. Der jetzt schon koch am Himmel stehende Mond beschien einzelne Tbeile des PsadcS, so daß man hier und da fast die Steine aus dem selben erkennen konnte. Dort, wo der Pfad den diesseitigen Wald verließ, um durch Gestrüpp und Steingeröll sich in das Thal hinabzuwinden, ragte eine mächtige Eiche empor, unigeben von einem Dickicht auS wilden Rosen, Broinbeeren und Farrnkräutern. Fritz kannte den reizende» Platz unter der Eiche; hatte er doch selbst da eine kleine Bank errichtet. Und von dort her erschallte jetzt das leise, lockende, neckische Lachen! Rasch entschlossen trat der junge Unteroffici« auf das Gebüsch zu. Da schreckte er zurück, denn plötzlich, ohne daß er ein Geräusch gehört oder eine Bewegung gescben halte, tauchte vor ibm aus dem Koben Grase eine schlanke Gestalt empor und streckte ihm wie bittend die Hände entgegen. Der Strabl de« Mondes beleuchtete die Gestalt, flimmerte auf der »achtschwarzeu Lockenfülle, die ein gelblich blasses Antlitz umwogte, und blitzte in einem sanften, dunklen Auge, da stehend an de« Jünglings Angesicht hing. „Marianne!" rief Fritz Berger. „Du hier?" „Ja, ich bin eö", entgegnete die Zigeunerin und senkte daS Haupt, indem sie die Hände vor ihrer Brust faltete. Ein eigenes Gefühl durchbcbte da« Herz de- jungen Soldaten. Allein mit dem schönen Mädchen in der einsamen Waldesnacht. Umflossen von dem sausten Lickt des Mondes! Umringt von dem leise rauschenden Wald! Tiefe Stille ringsum, die nur zuweilen durch den Schrei einer Eule unterbrochen wurde! Die Dirne da vor ihm stehend mit der rührenden, bittenden Geberde, mit dem Ausdruck der sanften Hingebung in dem blassen Angesichte. Fritz Berger hätte nicht jung sein müssen, wenn ihm daS Blut in diesem Augenblicke nicht rascher zum Herzen gewallt wäre. Er athmele schwer. „WaS machst Du hier um diese Stunde?" fragte « mit beklommener Stimme. „Ich wollte^ Euch danken, daß Ihr Euch mein« an genommen, damals auf der Kirchweih .. ." „Mir danken? Jetzt um diese Stunde, an diesem Ort? Wob« wußtest Du, Mädchen, daß ick hierher kommen würde?" „Ich erwartete Euch jeden Tag an dieser Stelle. Ich weiß, daß eS Euer LieblingSplatz ist." „Marianne!" „Verzeiht, wenn ich Euch heimlich nachgeschliche» diu." „Weshalb thatest Du eS?"
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