Delete Search...
01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 15.03.1907
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-03-15
- Sprache
- German
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19070315015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907031501
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907031501
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-03
- Tag1907-03-15
- Monat1907-03
- Jahr1907
- Links
-
Downloads
- Download single page (JPG)
-
Fulltext page (XML)
LLnyeraen-PreiS BeH«as»PreiS Morgen-Ausgabe ö NWM TagMalt Handelszeitung Amtsblatt -es Males und -es Molizeiamtes -er LLa-t Leipzig Nr. 74 Freitag 15. März 1907. 101. Jahrgang Aesattta» und vrpetzttior JohamliSgaff« 8. Telepho« Str. 1LL Nr. 222, Nr. U7S. Berliner SieSatttonS-Burrau: Berlin k^VV. V, Prinz LouiS Ferdinand» Straße 1. Telephon l, Nr. 9275. die Sgefpattene Petüzetlr für GeschästS- iulerate an» Leipzig und Umgebung 25 Pf„ Familien-, Wohnung»»». Etelleu-Aozeigea, sowi« An- und Verkäufe SO Pf, finanziell« ««zeige» 30 Pf, für Inserate von au-wärt- 30 Pf. Reklamen 75 Pf, auswärts l Mark. Beilage gebühr 4 Mark p. Taufend exkl. Postgebübr. GefchästSauzeigeu an bevorzugter Stelle im Preise erhöht. Rabatt nach Tarif. FörInseratevom Ausland« besonderer Tarif. Für das Ericheinen an deflimmten Tagen u. Plätzen wird keine Garantie übernommen. Aeslerteilte Austrüge köune« nicht zurück gezogen werden. Haupt-Filiale Berlin: CarlDuncker, Herzgl-Bayr^osbuchhauLlg, Lützowftraße 10 (Tel. VI, 4603!. Ftlial-t?rve»it1««:DreSden.Marteustr.34. «uieigeu-Äunadme: AuguftuS-laH 8, bei lämtlicheu Filialen n. allen Annoncen- Expedttiouen d«S In- und Ausland«-. Diese Nummer kotzet auf «44 4» k allen Bahnhöfen und bet I II /I^I den Zeitung«-Verkäufer» für Leipzig und Vororte: In der Haupt» Expedition oder deren Aa»gabrslellrn ab- geholt monatlich: Au-gab« T (1 mal täglich) 70 Pf, «uSgabe ü ,2 mal täglich) 80 Pf, bei Zustellung in- hau- «o-gabe T 80 Pf, Au-gabe 8 1 Mark. Durch unsere aus« wärligen Ausgabestellen und durch die Post bezogen (1 mal tägltchfinnerbalb Deutschland monatlich 1 Mark an-schl. Bestellgebühren, für Oesterreich-Ungarn 5 L 45 k vierteljährlich, die übrigen Länder laut ZettungSpreiSliste. va« (Uicbtigrte vom Lago. * König Friedrich August ist gestern von Cintra nach Lissabon zurückaekehrt und hat in Begleitung deS deutschen Gesandten Graf Tattend ach auf dem deutschen Kreuzer „Falke* eiueu Besuch abgestattet. * Zur Reichstag wurde gestern nach dem Versiche- rungsgesetzentwurf über den Hin terbliebenenver- f-icherungsfondS und den ReichsinvalivensondS die Interpellation über die Privatbeamtenverfiche- ruug besprochen, wobei der Abg. Stresemann-Dresden das Wort ergriff. (S. 2. Leitartikel nud ParlamentSber, 2. Beil.) * Impreußischen Abgeordnetenhaus kam es gestern bei Beratung des KultuSetatS zur Debatte über den polnischen Schulstreik. * Der deutsche LaudwirtschaftSrat behandelte gestern den Kampf gegen die Rin der tuberkulöse. Außer dem Grafen Posadowsky sprach vor allem Professor von Behring. — Bei dem Festmahl hielt der Reichskanzler eine längere interessante Rede. (S. die des. Art.) -Beim Braunschweiger Staatsministerium ist eia Protest des Herzog- von Cumberland gegen den Beschluß des Bundesrats eingegangeu. (S. Dtsch. R.) * In einem Gasthaus« der inneren Stadt haben sich gestern nachmittag der Apotheker Klemm aus Plauen i. V. und die Verkäuferin Voll and aus Liodeuau vergiftet. (Näheres „Leipz. Angelegenh.*) * Ja Westpennsylvauia und Westvirginien sind verheerende Ueberfchwemmuugen eiugetreten. (S. Neues a. a. Welt.) * Der italienische Deputierte Victor Emanuel Orlando ist zum Iustizminister eruanut. - Der Stamm der Beni AroS hat sich GebbaS Pascha unterworfen. Raisuli ist weiter geflüchtet. (S. Ausl.) Lar innere» Lage. Die neue Gestaltung der MehrheitSverhältnisse im Reichs tage wie die Aenderung der Beziehungen der Regierung zu den Parteien hat sich in diesen Tagen ein wenig konsolidiert. Lor allem ist klar geworden, daß der Bruch mit dem Zentrum in absehbarer Zeit Nicht überbrückt werden wird. Der Skeptizismus, de» berufsmäßige Beschäftigung mit der Politik unfehlbar hervorbringt, will es nicht dulden, eine weiter gehende Prognose zu stellen. Er schützt auch davor, iu der gegenwärtige» Feindseligkeit einen Ausfluß tiefionerlicher, seelischer Disharmonie zu erblicken. Vielmehr wird man wohl den richtigen Standpunkt zu den Dingen «»nehmen, wenn man die Konstellation als automatische Nachwirkung des Zusammenpralles aufsaßt. Vielleicht wollte mau weder auf der Seite des Zentrums noch im RegierungSlager die Kluft so breit werden lassen, wie sie geworden ist. Dafür sprechen mancherlei Zeichen. Aber dann wurden die Verhältnisse stärker als die Führer. Und heute sind die Geschehnisse der jüngsten Vergangenheit eine Macht für sich geworden. Diese überaus instruktive Erfahrung gibt einige Hoffnung für die Zukunft. Man darf damit rechnen, daß die Lösung der Bande mit der geistig reaktionärsten aller Parteien, mit dieser Organisation für geistige Bevormundung durch Klerisei und Obrigkeit, auch wieder selbsttätig befreiend auf die Maßnahmen der Regierung wirken wird. Es ist gar nicht einmal nötig, hierbe: nur an die Fabrikation neuer Gesetze zu denken. Ebenso wichtig ist der Geist, in dem die bestehenden gehandhabt werden. Erst wenn wir den schreck lichen Ueberrest des autokratischen Staates, den kleinlichen Polizeigeist, verbannt haben, erst dann werden wir sagen könne», daß der Staat seine moderne Aufgabe begriffen hat. Heute ist daS noch lange nicht der Fall. Noch immer küm mern sich die Behörden um Dinge, die sie nichts angehen. Noch immer zensiert die Polizei die Theaterstücke, wobei sie die geistlosesten Cochonnerien durchgehen läßt und auf jede poli tische Anspielung fahndet. Und waS in Wichtigtuerei und Nase- weiSheit an manchen Orten bei der Beaussichtiguag der Vereine und Versammlungen geleistet wird, davon geben ja die Wahlproreste ein deutliches Bild. Solche vielleicht nicht ein mal als Schikanen geübte, aber als schikanös empfundene Ueberwachung aller LebeuSäußernagen ist mit Schuld an der politischen Verärgerung weiter Kreise. Sie paßt nicht mehr in unsere Zeit, vor allem nicht für ei» so hochstehendes Volk, wie da» deutsche. Sie nimmt ihm daS Behagen, sie bricht ihm die Initiative, sie leistet der Verleumdung feiner Gegner im Auslände Vorschub. Es ist richtig, daß diese Materie zumeist der Zuständigkeit der einzelnen Landes behörden unterliegt. Aber der Anstoß zur Besserung kann vom Reiche kommen. Und wenn diese Periode der Dissonanzen zwischen Regierung und Zentrum und der sozialdemokratischen Schwäche den Mut zeug», endlich einmal mit der Zuviel regiererei zu brechen, so wäre sie schon deshalb eine der segensreichsten deS neue» Deutschen Reiches. Die hinter uuS liegende» sozialpolitischen Debatten des Reichstag» haben trotz ihrer zeitweiligen Verflachung gezeigt, wie unendlich wichtig die Sozialpolitik ist. Damir ist zugleich die Bedeutung de» StaatSsetretariat» d«S Inner», dr« Ressort« für Sozialpolitik, gekennzeichnet Es ist daS wich tigste Reichsamt, so wichtig und so bestimmend sür unsere gesamte Politik, daß das Wort BaffermannS auf dem Gos larer Parteitage der Nationalliberalen zutrifft: Eine Politik, die mit einem Posadowsky im Reichsamt des Innern arbeitet, kann mau doch nicht als reaktionär bezeichnen. Hierbei muß eine Bemerkung gemacht werden. Es ist grundfalsch, sich einen Staatssekretär als allmächtig auch nur in seinem Ressort vorzustellen. Man wird ibn verantwortlich machen dürfen sür den Geist in seinem Ressort. Auf die Gestalt der Regierungsvorlagen aber haben versassungsgemäß noch sehr viele Faktoren Einfluß, vor allem der Bundesrat, in dem die preußischen Stimmen schwer wiegen. Die Nutzanwendung hieraus ist leicht zu ziehen. Und der im Besonderen setzt bei dieser tatsächlichen Lage der Dinge die jenigen sozialistischen Heißsporne ins Unrecht, die ihr Miß fallen wegen einzelner sozialpolitischer Gesetzesvorlagen, der BerufSvereinsvorlage z. B., an dem Staatssekretär auslassen. Der Staatssekretär ist doch auch Mandatar und nicht nur Justitiar. Und jeder aufmerksame Beobachter muß zu der Ueberzeuguug kommen, daß das modernste und schwierigste aller Reichsämter in keiner treueren und selbstloseren Hand liegen kann, als in der des Grafen PosadowSky. Dieser Ausflug ins Sozialpolitische war zur Orientierung in unserer inneren Lage nötig, denn der Kampf um das Staatssekre tariat für Sozialpolitik tobt weiter. Er hat sich sogar in zwischen, nämlich seit unserer letzien Betrachtung dieser An gelegenheit, allerlei Merkwürdiges zugetragen. Es hat sich eine Vermutung bestätigt, die beim Anblick der sonderbar zusammengewürfelte» Kampfgenoffenschaft gegen den Sozialpolitiker PosadowSky kommen mußte, daß hier noch andere als antisoziale Kräfte arbeiten. Da tauchte in einem süddeutschen, sonst gut liberalen Blatte ein heftiger Artikel wegen der angeblichen Felonie des Stellvertreters deS Kanz lers gegenüber dem verantwortliche» Leiter der Reichsgeschäfte auf. Da wurde an anderer Stelle das alte Gerücht aus- gewarmt, der Staatssekretär habe sich vor Weihnachten schon auf den Umzug ins Kanzlerpalais vorbereitet. Und schließlich markierte ein Artikel deS gezähmten BiSmarckmoniteurS iu unglaublicher Naivität den Sitz deS feindlichen Hauptquar tier», die Preßabteilung des Auswärtigen Amte». „Die Wahrnebmuug", so heißt e» in dieser Auslastung, „daß Graf PosadowSky dem Fürsten Bülow nicht sympathisch ist, daß er unter den führenden Parlamentariern der jetzigen Mehrheit keine nahen Freunde hat, versprach den Gegnern de- Staatssekretär- einigen Erfolg. Fürst Bülow sagte sich zwar, daß die Konservativen sehr vorsichtig und aufmerksam behandelt werden müssen, weil sie sich sonst aus Zentrum anlehuen werden, während die liberalen Parteien keine ähnliche Anlehnnngsmöglichkeit haben. Allein er be gnügte sich für den Augenblick mit publizistischer Verwar nung des Staatssekretärs, der, wenn ihm an seinem Amle so viel liegt, wie immer behauptet wird, künftig sich wohl vor Aeußeruogen über die hohe Politik hüten und den Verdacht meiden wird, als ob sein Ehrgeiz mit dem StaatSsekrelariat nicht auskomme." ES kann schon nach diesem Zitat, daS übrigen- auch als Muster journalistischen Ungeschicks Beachtung verdient, gar nicht zweifelhaft fein, woher die „Verwarnungen* stammen. Indessen lönnte eS auch sonst noch belegt werde». Aber wir halten es damit noch durchaus nicht für festgestellt, daß nun auch die ganze Kampagne und besonder- ihre wenig anmutige Form, auf den Kanzler zurückzusühreu ist. Man sollte meinen, der einzige verantwortliche Staatsmann de« Reiches habe doch noch andere Mittel der Auseinandersetzung oder Verständigung mit seinem Stellvertreter al- die Entfesselung einer Preßattacke. Und ganz sicher sollte sie doch ein so kluger Mann wie Fürst Bülow vermeide», wen» er ihre Entwickelung nicht selbst kontrollieren, wenn sie ihn selbst durch das Ungeschick der Manager bloßstellen kann. Harden hat einmal, eS war Wohl nach dem Sturze PodbielStiS, gegen den Kanzler einen sehr boshaften Artikel geschrieben, in dem eine Ähnlichkeit deS Verlaufs der Dinge beim Ende der Amtsherrlichkeit von Miquel, Möller, Hohenlohe-Langenburg und PodbielSki be hauptet wurde. Sollte der Kanzler da» damals nicht Ge glaubte jetzt durch einen Fall PosadowSky beweisen wollen? Da- vermögen wir nicht anzunehmen. Dann aber will eS unS an der Zeit dünken, daß diesen Zuständen ein Ende gemacht wird. Noch in anderer Beziehung wäre da- sehr wünschenswert. Die Erziehung der deutschen Presse zur Selbst ständigkeit und Geradheit würde damit erheblich gefördert werden. Oder ist eS vielleicht ein lieblicher Anblick, wie ein Wink ge nügt, um Blätter der verschiedensten Richtungen in einem Politiker plötzlich die schwarze Seele entdecken zu lassen? Die zitierte Auslassung der „Hamburger Nachrichten* ist aber auch noch in anderer Beziehung ei» Bärendienst ersten Ranges. Wa» da über die Auffassung des Fürsten Bülow von seinem Verhältnis zu den Konservativen und den Libe ralen gesagt wirb, ist bei aller Täppischkeit so ausreizend sür .die gesamte Linke, daß mau direkt au eine Verballhornung einer Bülowschen Direktive durch subalterne Stellen zu denken genötigt ist. Ein Osfiziosu», der sein Handwerk so grobschlächtig auSübt, verdient ja nicht einmal die Tinte, die er verbraucht. Und solche Entgleisungen sind schließ lich doch nicht so nebensächlich. Und wenn sie keinen anderen Schluß zuliebe» al» den, eS sei etwas Wahres an den ZentrumSgrrüchtea über den ungünstigen Gesundheits zustand deS Kanzler-. Man könne förmlich die Nervosität de» Fürsten au« den Zeilen der offiziösen Presse lese», so wird bereit- von interessierter Seite mit Fleiß verbreitet. Und schließlich meinen wir, daß «S für die doch noch recht notwendige weitere Festigung der nationalen Mehrbeit keine -größere Gefahr gibt al- einen Wechsel im sozialpolitischen I ReichSamt. Dann würde sich erst zeigen, daß der Name I PosadowSky ein Programm und eine Gewähr bedeutet. Versicherung Ser Lrivatangerteklten im fieiebrlage. Nach beinahe debatteloser Erledigung des Gesetzentwurfes wegen des Hinterbliebenen - Versicherungsfonds und deS Reichs - Jnvalidenfonds in erster Lesung beschäftigte sich der Reichstag am Donnerstag mit der Interpellation Heyl zu Herrnsheim-Stresemann wegen der staatlichen PensionS- und Hinterbliebenenversicherung der Privatangestellten. In dieser Angelegenheit ist be- kanntlich auf Veranlassung deS Reichsamts deö Innern von den Angestellteoverbänden eine sehr umfangreiche Enquete angestellt worden, deren Ergebnisse vom Reichsamt bearbeitet worden sind und jetzt in einer Denkschrift vorgelegt werden. Es verlautet seit einiger Zeit, im ReichSamte deö Innern stehe man der Sache einigermaßen kühl gegenüber. Nicht, daß man die Notwendigkeit einer Sicherung der An gestellten verkenne, aber man halte die aufzubringenden Kosten für zu hoch. Diese Flaumacherei ist gestern dementiert worden. Richtig ist freilich, daß Bedenken wegen Aufbringung der Kosten bestehen. Der Staatssekretär spracb von 19 Proz. deS betreffenden Gehaltes, die sich aber vielleicht doch nach anderer Ansicht auf etwa 14 Proz. werden ermäßigen lassen. Natürlich erscheint auch dieser EinkommeuS- teil noch viel zu hoch, als daß er von den Angestellten allein getragen werden könnte. Aber bei der Bereitwilligkeit der deutschen Industrie und deS Handels, diese Last tragen zu helfen, wird sich Wohl doch ein Weg zur Verwirklichung des Planes finoen lassen, und schließlich ist daS Reich ja auch noch da. Graf PosadowSky ging auf Einzel heiten naturgemäß nicht ein, ließ auch die Frage noch offen, ob eine Angliederung an die ArbeiterversicherungSgesetze oder ein Sondergesetz geschaffen werden sollte. Aber er bekundete vor allem die Ueberzeuguug der verbündeten Negierungen, daß sür die Privatbeamten gesorgt werden müsse. Daß finanzielle Schwierigkeiten bestehen, ist unbe streitbar, aber dafür ist ja die Gesetzgebung da, sie zu be seitigen. Den Großindustriellen Heyl zu Herrnsheim mit an der Spitze der Vorkämpfer für das Gesetz zu sehen, machte er sichtlich einen ausgezeichneten Eindruck im Hanse; wie es über haupt den Nationalliberalen gut angerechnel werden wird, daß sie so tapfer — trotz ihrer angeblichen Unternehmer-Einseitig keit — für die Angestellten eingetreten sind. Es war lustig zu Horen, wie beinahe alle Parteien sich Mühe gaben, von "den Lorbeeren der Nationalliberalen zu naschen. Jede nahm die Priorität der Fürsorge sür sich in Anspruch. Dem Gesetze selbst kann aber dieser Wetteifer nur förderlich sein. Interessant war die Stellungnahme der Sozialdemokraten, sür die der Abg. Heine sprach. Dr. Heine reklamierte die Angestellten alS sozialpolitische Appendix der Arbeiter, erklärte im übrigen die Bereitwilligkeit seiner Fraktion, an dem Werke mitzuarbeiten, befürwortete aber aus parteitaktischen Gründen sehr den Anschluß an die bestehende Arbeiterversicherung. Der Abg. Pauli sprach sür die Konservativen, Dr. Potthoff sür die Frei sinnigen, wobei er dem vielbefehdeten Staatssekretär Gras PosadowSky den besonderen Dank der Privalangestellten sür die gewaltige Arbeitsleistung ausdrückte. Die sachlich wie inhaltlich hervorragendste Rede deS Tages hielt aber der säch sische Nationalliberale Dr. Stresemann, der allein eingehend die Stellung derArbeitgeberschast zu der Angelegenheit klar legte. Er zeigte das hohe Interesse, das eine hochentwickelte Industrie an der wirtschaftlichen Sicherung der Angestellten hat und konnte darauf Hinweisen, wie gerade die deutsche Industrie sich ihren Platz auf dem Weltmarke immer von neuem erkämpfen muß. DaS aber kann ihr nur auf die Dauer gelingen durch gesunde Verhältnisse in den Augestelltenkreiseo. Dr. Stresemann konnte die Zustimmung großer Jndustriellenverbände, so z. B. des VerbanveS sächsischer Industrieller zu einer staatlichen PensionSver- sicheruug der Angestellten verkünden und drückte der deutschen Industrie und dem deutschen Handel hierfür mit Recht den Dank aller Angestellten aus. Die Einstimmigkeit im ganzen Hanse war geradezu überraschend. Man darf denn getrost sagen: Das Gesetz wird kommen. Der Gedanke hat sich durchgesetzt. Srsrsbritsuuie« uns Ser ägyptische NationalirmitZ. Als Napoleon Bonaparte sich am 19. Mai 1798 nach Aegypten einschiffte, hatte er feste, aber schwer zu erreichende Ziele vor Augen: er wollte die muselmanische Welt von der religiösen und administrativen Vormundschaft Konstantinopels losreißea, sie unter der geistigen Führung des Schrrif von Mekka zusammensaffen und aus diesem ein Instrument sür die Ausbreitung französischen Einflusses machen. Darauf waren alle Schritte, die er im Lande der Pyramiden unternahm, bis inS kleinste berechnet, und al« er am 24. August 1799 an Bord der „Muiron* wieder nach Frank reich in See ging, hinterließ er seinen Offizieren ausführliche Verhaltungsmaßregeln, um seine Politik strikt eingrhalten zu wissen. „Kairo*, hieß eS darin u. a.. „ist der zweite Schlüssel zur heiligen Kaaba; Mekka »st der Mittelpunkt der mohamme danischen Religion. Die Politik der Sultane von Konstan tinopel ging immer dahin, den Scherif von Mekka zu dis kreditieren, die Beziehungen der Ulema zu Mekka einzuschrLnken und auszuhcben; unsere Interessen müssen uns naturgemäß dazu führen, einen entgegengesetzten Weg zu verfolgen.* Napoleon empfahl zu diesem Zwecke, die religiösen und nationalen Gefühle der Eingeborenen auf da- empfindsamste zu schonen und gleichzeitig keine Gelegenheit zu versäumen, die Türken al» verkapvte Feinde de- 3-lam- erscheinen zu lassen. Der eigentliche Beweggrund zu der Expedition nach Aegypten war für den großen Korsen seine Gegnerschaft zu England gewesen, das er hier an einer empfindliche» Stelle fassen konnte. DaS Jahr 1839 hat später gelehrt, daß ihn damals ein richtiger Instinkt leitete. Der Sieg Ibrahim-, des Sohnes des Khediven Mehemet Ali, bei Nisib am Euphrat, rückte die Möglichkeit in greifbarste Nähe, daß die Türkei ägyptisch wurde, und ei« mächtiges ägyptische« Reich den Verkehr mit Indien dauernd beherrschte. Das war eS, was in erster Linie England nicht paßte und es veranlaßte, unter Napier eine Flotte vor Beirut und St. Jean d'Acre zu schicken, die Drusen und Maroniten gegen den Khedive aufzuwiegeln, Truppen zu dem Gefechte bei Kaleb Medina am Libanon zu stellen, wo Ibrahim von den vereinigten Türken, Drusen, Engländern und Oester reichern geschlagen wurde, und endlich den Admiral Sir Charles Napier vor Alexandrien za sende«. Der Khedive verstand sich zu allen Forderungen. Die Engländer aber gewannen immer mehr Einfluß iu Aegypten, da- seitdem als Etappe auf der große« Straße »ach Südasien für sie von großem Werte ist. Diese Vorgeschichte deS englische« Einflüsse« i» Aegyptea lehrt klar und deutlich, daß die Aeypter in de« Engländer« nimmermehr ihre wahren Freunde sehe« köune», u»d daß e« von diesen zu viel verlangt wäre, wenn mau vo« ihnen forderte, sich als solche zu erweisen. Lauge hat Frankreich an seiner traditionellen, von Napoleon inaugurierten Politik in Aegypten fefigehalteu, dessen Bevölkerung das Rückgrat gegen türkische und englische HerrschastSgelüste zu starke«; erst der englisch-französische Vertrag vom 8. April 1S04 hat dem ein Ende gesetzt. Daria ist gesagt: „Die Regierung der Republik erklärt, daß sie da« Vorgehen EaglaudS i« diesem Lande nicht durch daS Verlange« einer Beendigung der britischen Besatzung oder auf irgend eine andere Weise hindern wird." Seitdem scheint Aegypten einer Aufsaugung durch da britische Weltreich unvermeidlich preiSgegebe«. Aber e« scheint nur so. Man hat die Rechnung vom 4. April 1904 obne den Wirt gemacht, d. h. ohne die ägyptischen Nationa listen, die au« lauter als je den Ruf erheben: „Aegypten den Aegyptern!" Wie weit diese Be wegung schon gediehen ist, lehren die am 28. Februar begonnenen Beratungen der ägyptischen Lkrtionalversamm- lung. Diese beschloß am 3. März auf Antrag de« Scheichs A'.i Auffef, des Herausgeber- des nationalistischen Blattes „Moayyed*, die Regierung aufzoforderu, dem Lande so bald wie möglich vollständige parlamentarische Einrich tungen zu geben und bis zu deren Einführung die Kontrolle über die Finanzen und die Verwaltung dem gesetzgebenden Rat und der Nationalversammlung anzuvertrauen. Die eng lische Presse ist über dieses Ansinnen sehr entrüstet und er blickt darin einen Beweis feinvseliger Stimmung gegen die britische Kontrolle. Lor allem sucht man eS in England so darzustellen, als handele eS sich um die Alternative, ob Aegypten künftig englisch oder türkisch sein solle, als ob die Aegypter der englischen Verwaltung» unter der ihr Land doch wirt schaftlich und kulturell vorwärts kommt, eine türkische Mißwirlscbast vorzögen. Dann handelte eS sich ja bei der Agitation gegen die englische Herrschaft um einen Kampf asiatischer Barbarei gegen euiopäische Zivilisation. In Wirklichkeit aber — und darauf hat recht bezeichnenderweise in letzter Zeit der Pariser „TempS* wiederbolentlich seine englischen Freunde ia nachsichtiger aber deutlicher Weise aufmerksam gemacht — liegt den Aegyptern nichts ferner, alS daS türkische gegen daS englische Joch eintauschen zu wollen. „Es gibt*, so schrieb noch kürzlich Mustafa Kamel Pascha, der Hauptführer der Nationalisten, „nicht einen einzigen Aegypter, der dieses Namens würdig ist, welcher sür sich, für die Seinen und für sein Vaterlanv auf die von der Türkei anerkannte und durch Europa sicher gestellte Autonomie verzichten wollte.* Wenn die ägyptischen Nationalisten sich gleichwohl gegenüber England auf Konstan tinopel stützen, so geschieht es nur, weil sie für ibre Bestrebungen eine internationale Basis nölig haben. Solange Frankreich gegen die britische Besatzung protestierte, fanden sie diese Basis bei den Franzosen; sie waren franzosenfreuudlich, und man beschuldigte sie, Agenten der französischen Kolonial politik zu sein, wie man sie jetzt beschnlvigt, Agenten des Sul tans zu sein. In Wirklichkeit verfolgen sie letzt wie damals ihr eigenstes Interesse. Dieses ist zweifacher Natur: politisch und moralisch. Politisch erstreben sie die Beendigung der englilchen Besetzung. Moralisch wollen sie die zivilisato rische Entwickelung beschleunigen und vollenden, die ihnen gestattet, Aegypten die „Seele deS Islams* zu neunen. Der Ton der englischen Presse läßt erkennen, daß mau in London nicht daran denkt, dem Verlangen der Aegypter nach voll wertigen parlamentarischen Einrichtungen im geringsten nach zugeben. Maa kann sich daher aus eine weitere Ver schärfung der euglisch-ägyptischen Gegensätze gefaßt machen, die noch zu sehr ernsthasten Folgen führen könnten. Jeden falls vervlent die weitere Entwickelung deS ägyptischen Par lamentarismus verfolgt zu werben. Vit Sekiämpkung Oerstintkertuderklulote. Auf der Tagesordnung der gestrigen Verhandlungen des Deutschen Landwirtschaftsrats stand das wichtige Thema des Kampfes gegen die Rindcrtuberkulose. Auf der Tribüne waren viele Veterinärärzte anwesend. Vom Vorsitzenden in den Saal geleitet, erschien der Staatssekretär des Reichs amts des Innern Graf Posadowsky, in Begleitung zahl reicher Kommissare. Graf Posadowsky ergriff sofort das Wort und führte aus: Ich habe auf die Tätigkeit des Deutschen Land wirtschaftsrats immer einen großen Wert gelegt, weil er besonders auch die technische Seite der Landwirtschaft be rücksichtigt hat, wodurch die Produktionskraft der Landwirt schaft lebhaft gesteigert wurde. Von Bedeutung ist da vor allem die Frage der Viehseuchen. Im Herbst dieses Iayres wird dem Reichstage ein neues Viehseuchengesetz zugeben, und ich hoffe, daß es möglich sein wird, die Rindertuoer- kulose wirksam zu bekämpfen, wie es uns ja mit der Lungen- pest und anderen Viehseuchen gelungen ist. Wir haben unS mit dem Thema bereits ,edr eingehend beschäftigt. Alle-, wa- in meine« Kräften steht, »nb alle Hilfsmittel werde»
- Current page (TXT)
- METS file (XML)
- IIIF manifest (JSON)
- Show double pages
- Thumbnail Preview
First Page
Back 10 Pages
Previous Page