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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.12.1892
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1892-12-15
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18921215025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1892121502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1892121502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1892
- Monat1892-12
- Tag1892-12-15
- Monat1892-12
- Jahr1892
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Dagegen wäre bei gesetzlicher Festlegung der zwei jährigen Dienstzeit mindestens innerhalb des Rakmens der jetzigen Präsenzstärke und wobl auch etwas darüber hinaus eine Verständigung wohl zu erzielen. DaS Centrum hat sich, ins besondere in der Rede des bayerischen Grafen Preysing und deS vr. Lieber, etwas ablchnenderauSgesprochen.alS vielfach erwartet worden war. Die letzten Einschließungen aber bat sich die Partei für die CommissionSberathung nnd weitereAufklärungen seitens der Regierung Vorbehalten, und aus der Rede des Herrn von Huene klang bei allen Verwahrungen doch die Neigung hervor, wenn irgend möglich, eine Grundlage der Verständigung zu finden. Den hohen Ernst der Lage, die große Verantwortlichkeit der leitenden Männer in der Re gierung und im Reichstab, die folgenschwere Bedeutung einer Krisis unter den gegenwärtigen Umständen und um dieser Angelegenheit willen, zugleich die Unwahrscheinlichkeit, mit einem folgenden Reichstag mehr zu erlangen als mit dem jetzigen, hat Herr von Bennigsen mit staalsmännischem Geist und patriotischem Ernst noch einmal dargelegt. Seine Worte, welche auf eine Verständigung hinwirkten, soweit sie mit der Leistungs fähigkeit des Volkes nur immer vereinbar ist. sein Hinweis, wie schwer ein Bundesstaat solche Conflicte erlragen könne, werden, wie der Reichskanzler bemerkte, weit in das Land hinein wirken. Es ist die richtige Linie, die patriotische, ernste und wohlgesinnte Männer in dieser Frage einzu- halten haben. Es wird nun vorzugsweise Sache der Re gierung sein, dem Ernste der Situation Rechnung zu tragen und daö Ihrige zu thu», wenn eine Krisis und ein schwerer Conflict vermieden werden sollen. Der Reichskanzler hat sich bisher gegenüber allen Hinweisen, daß die Regierung der Verständigung zuliebe Zugeständnisse machen, ihre zu weitgehenden Forderungen und das allzu rasche Tempo der Durchführung ermäßigen müsse, schweigend und zurückhaltend gezeigt. Wir glauben noch nickt annehmen zu sollen, daß damit alle weiteren Zugeständnisse zurückg^wiejen seien. An der Selbsttäuschung, mit diesem Gesetz in vollem Umfang durchzudringen, kann Graf Caprivi jetzt nicht mehr festhalten. Wenn aber die Regierung einigen guten Willen hat und die Grenzen der Leistungsfähigkeit des Volkes anerkennt, so ist auch beute noch mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß eine Verständigung zu erzielen wäre, und zwar aus einer Grundlage, die in den wesentlichsten und principicll wichtigsten Stücken den Reformplan zur Verwirklichung bringt. Heute beginnt der Reichstag seine Ferien, die bis zum 10. äanuar dauern werden. Dic Berathnng der Steuervor lagen, die man in erster Lesung noch vor Eintritt der Pause hatte erledigen wollen, wird nunmehr gleich nach Wiederbeginn der Sitzungen stattfinden. Dann wird die zweite Lesung des Etats beginnen und dazwischen die erste Lesung der neuer dings eingegangenen Gesetzentwürfe über Auswanderung und Verrath militairischer Geheimnisse stattfinden. Der Schwer punkt wird aber in die große Militaircommission fallen, die unmittelbar nach Wiederaufnahme der Plenarsitzungen ihre Arbeiten in Angriff zu nehmen und sie etwa bis Anfang Februar zu erledigen gedenkt. Die Aufregung und die Verwirrung wachsen in Paris von Tag zu Tag und es ist heute noch gar nicht abzusebcn, welchen Ausgang die durch den Panamaskandal hervor gerufene Krijis, die nicht mehr eine MinisterkrisiS im gewöhn lichen Sinne des Wortes, sondern eine bösartige StaatS- krisiS ist. noch nehmen wird. Auch Rouvier ist bereits ge fallen. Wer wird Wohl der Nächste sei»? Niemand ist heute sicher in Frankreich. Die Krisis ist durch den Uebergang einer Regierung kaum mehr zu heilen, weil ihr Sitz in einem Parlamente zu suchen ist, das den öffentliche» Glauben an seine Ehrenhaftigkeit verloren bat. Der historische Sckreckens- rus, der einst ganz Frankreich lähmte und den Sturz der ersten Republik herbeiführte, ertönt jetzt wieder in allen Gassen; man hört wieder daS alte schicksalsschwere Wort: Lnspeet! (Verdächtig). Dieses Mal bandelt es sich, was die Sacke so böse macht, nicht um politische Ueber- zeugunaen, sondern um die sittliche Reinheit, um bas Gewissen eines Volksvertreters, der sein Votum auf den Markt bringt, um moralische Fäulniß und »in den Verrath an der Pflicht. 8u8pecb! Wie eine Geißel schlägt die berüchtigte Formel des Wohlfahrtsausschusses ins Gesicht der Abgeordneten, und ver dächtig ist Alles, die Kammer, das Ministerium und jede Gewalt im Staate. Schon ist der Boden mit politische» Leichen unk tödtlich Verwundeten bedeckt. Einzelne Deputiere sind überwiesen, Floquet kämpsl wie ein Verzweifelter für den Schutz seines ebrlichen Namens, Freycinet und Clemenceau haben Mühe, die Behauptungen abzuwehren, die gegen sie erhoben werden, und der Finanzminister Rouvier ist bereits zusammengebrochen. Was kommt nun? Jeder Tag kann Ueberraschungen bringen, die Niemand ahnt, weil in dieser Gäkrung der Mann fehlt, welcher die Republik mit starker und unverbrauchter Autoritär leiten könnte. Die Ursachen, welche Rouvier gcnolhigt habe», seine Demission zu geben, klingen so abenteuerlich, daß sie die raffinirteste Einbildungskraft beschämen. Der General- Procurator hatte die Anklage Reinach's beschlossen, und am selben Tage erklärte sich Rouvier bereit, in Gemeinschaft mit Elemenceau den Faiseur Cornelius Hertz zu besuche», der als der Urheber der Angriffe auf Reinach galt. Der Finanzminister bietet seinen Einfluß auf, um einen Bankier zu rctlen, dessen Verfolgung der Iustizmmister eingeleitet batte. Rouvier geht in die Wohnung eines CorncliuSHertz, der es trotz wiederholter Einladung nicht wagt, vor der Enquete der Kammer zu er scheinen, und sich nach London geflüchtet hat, weil er in Frankreich die Verhaftung sürchten muß Ticker EvrneliuS Hertz war längst als ein Finanzpraktiker unterster Lluse bekannt, er hat in elektrische» Unternehmungen der schlimmsten Sorte ein Vermögen erbeutet, und von einem solchen Mann erbettelt Rouvier Schonung für Reinach. DaS ist mebr als genug, uni einen Finanzminister in einer gewöhnlichen Zeit bloßzustellen, und muß jetzt wie ein Pulver wirken, welches daS Land zum Schäumen bringt. Daran ist Rouvier politisch gestorben und daran wird auch Clemenceau u Grunde gehen. — Die neuesten Melkungen aus Paris aulen fortdauenrd sehr ernst. Die Zeitungen fahren in ihren Anklagen und Verdächtigungen fort. Carnol soll bereits derartig entmuthigt und angeekelt sein, daß ibn nur das Pflichtgefühl auf seinem Posten hält; immerhin gewinnt eine PräsiventschaftskrisiS täglich mehr an Wahrscheinlichkeit. Die Berufung Tirard's befriedigt aus keiner Seite. Der Rücktritt Freycinet's und Floquet's, die stark compromittirt sind, erscheint unvermeidlich, in diesem Falle würde auch Bourgeois zurücktretcn, was möglicherweise eine Demission des gesammtcn CabinetS nach sich ziehen dürste. Aus den Aussagen Rouvier'S, Clemenccau's und Constans' vor dem Untersuchungsausschuß am gestrige» Tage ergab sich, daß Hertz und Reinach in intimster Weise mit Rouvier und Clcmenccau verkehrten. Es wird allgemein angenommen, daß derart compromittirle Persönlichkeiten nicht mehr in der Lage sein werden, den Strom der Panamaskandale einrudämmen, und daß der fernere Perlauf derselben sich noch skandalöser gestalten werde. Eine Interpellation wegen 210 990 Frcs, die Freycinet erhalten haben soll, steht demnächst bevor. In weiten industriellen und Handelskreisen der meisten europäische» Staaten sieht man mit Spannung der Ent scheidung über den Handelsvertrag zwischendcrSchwei; und Frankreich entgegen, die noch vor Iahreöschluß in der französischen Dcputirtcnkamnier erfolgen muß. In erster Linie handelt eS sich dabei um die Frage, ob Frankreich überhaupt daS durch seinen Doppeltarif etablirte Ab- sperrungSsystem durch den Abschluß von neuen Tarif verträgen zu mildern geueigl ist oder nickt. Sodann kommen unmittelbare praktische Interessen für alle die jenigen Länder in Betracht, welche mit ikren Erzcugnisscn an den schweizerischen nnb französischen Absatzmärkten bc- theiligt sind. Die deutsche Industrie ist gerade hierbei in nickt geringem Maße interesstrt. Wird vaS vorläufige Abkommen durch die Zustimmung der Parlamente in beiten Staaten Gesetz, so kommen auf Grund der bestehenden Meist- begünstigungöverlräge alle in den Zolltarifen Frankreichs wie der Schweiz eintrelendcn Erleichterungen auch der deutschen Ausfuhr nack beiden Läutern zu Gute. Dies würte jetenfatlS taS wünschenSwertbeste Resultat sein, denn taturck würte Frankreich ans seiner gegenwärtige» Isolirung wieder heraus gezogen und zum Abschluß weiterer Tarifverträge, namentlich mit Spanien, Portugal, Italien und Rumänien, kingesükrt werden. Die Wirkungen einer solchen friedlichen Hantelcpolitik würden in erster Linie der französischen Gewcrbtbätigkeit selbst, in weiterer Folge aber auch der deutschen Gewerb» tbäligkeil, die an dem Export nach allen diesen Ländern in hervorragendem Maße interessirt ist, zum Nutzen gereichen Aber auch in dem Fall, daß es jetzt zu einem handelspolitischen Bruck nnd demgemäß zu einem offenen Zollkriege zwischen der Schweiz und Frankreich kommen sollte, würte Deutschland hieraus zunächst einen gewissen Vortheil ziehen. In Frankreich würde ebne Weiteres der Maxini altarif mit seinen höheren Sätzen auf die schweizerische» Erzeugnisse Anwendung finden; in der Schwei; würden ebenfalls fcho» in» der Vergeltung willen die französischen Erzeugnisse mit höheren Differentialzöllen ge troffen werden. Der deutsch»« Export würde somit sowohl ans dem sranzösischen wie auf dem schweizerischen Markt« mit einem Schlage einen Vorsprung genießen. Dieser Gewi»» würde allerdings scbr unsicher sein, da nach den unausbleiblichen schlimme» Erfahrungen einiger Jahre oder vielleicht nur eines Jahres die beiden Staaten »nzweifelhast wieder zu einer Verständigung und damit zur Aushebung der gegenseitigen Differentialzölle kommen würden. Immerhin ist die gegen wärtige Situation derartig, daß dem deutschen Absatz daraus entweder ein dauernder oder mindestens ein zeitweiliger Vortbeil erwachsen muß. Es ist dies eine unbestreitbar günstige Folge der neuen Handels verträge , denn nur diese Verträge versetzen die deutsche Ge- werbthäligkcit in die Lage, von jeder neuen handelspolitischen Constcllation zwischen anderen Staaten, sei sie freundlichen oder feindlichen Charakters, ihrerseits Nutzen ziehen zu können. Nicht allein unsere deutsche Militairvcrwaltnng hat in neuester Zeit sich gegen unbegründete und gehässige Verdäch tigungen zu vertbeikigen gehabt, sondern eS treten dieselben unerfreulichen Erscheinungen auch in anderen Ländern aus. Bei der Veratbung des Kriegsbudgets in der italie nischen Kammer führte der Abgeordnete Nicolini Klage darüber, Laß der Kriegsminisler die Truppenverpslegung nicht genauer überwache. Bei den Mehllieferungeu wären arge Mißbräuche vorgekommen. Ossiciere, welche hierüber Meldung gemacht, seien bei Seite geschoben worden. Ob wohl der Kriegsininister die Nichtigkeit dieser Ansicht bestritt, beharrte Nicolini bei seiner Erklärung und fügte hinzu, daß er dem Kriegsminister vertraulich von den Details Kennlniß geben werde. Der Kriegsminister erklärte weiter die Melkung französischer Blätter von der Unbrauchbar keit des neuere italienischen Infanteriegewehres als willkürliche Erfindung. Das Gewehr sei daS voll kommenste Musterstück moderner Feuerwaffen. In der Sitzung des griechischen Parlaments am !>. Dccember legte der Premierminister Trikupis der Kammer das Budget für 1883 vor. Kaum drei Monate sind seil der Vorlegung des Budgets für 1892 verstrichen, welche Verspätung die Folge des Sturzes des Ministeriums Delyanniö und der darauf folgenden Zwischenregicrung Konstantopnlos war. Ein klares Ergebniß der vor drer Monaten beschlossenen Ersparnisse und Einnahmequellen kann bei der kurzen Zeit noch nicht vorliegen; immerhin läßt sich aus den bisher erreichten monatlichen Eingängen an Einfuhr zöllen und Tabaksteuer, vor Allem aber aus der überaus regelmäßigen Zahlung der Gehalte rc., sowie aus der zeitige» Deckung der Dccember-ZinScouponS schließen, daß eine energische Wendung zum Besser» erfolgt ist. Die Bedenken, die im Auslände in Betreff der griechischen Finanzen in gewiß gerechtfertigter Weise sich geltend »lachte», haben die englische »nd die französische Regierung veranlaßt, ikren Athener Gesandtschaften Fachmänner zu attachiren, welche sich seit einiger Zeit an Ort und Stelle über die ökonomische Lage des Landes zu unterrichten suchen. Für den stolzen Griechen war dieser Schritt eine bittere Pille: »nd wenn die rnlng Denkenden darin ein willkommenes Mittel sahen, durch welches das Ausland endlich einen klaren Einblick in die Lage und zugleich die Gewißheit gewinnen könne, daß vas Land zum wenigsten mehr Vertrauen verdiene, als wirklich gezeigt wird, so haben die Gegner TrikupiS' weidlich Capital aus dem Widerwillen der Griechen gegen jede fremde Einmischung i» ihre Angelegenheiten geschlagen. ES ist nicht entfernt daran zu glauben, daß das Budget für 1893 alle Hoffnungen Trikupis erfüllen werde. Man kann einen Ueberscyuß von sechs Millionen, wie er ihn ausrechnet, nickt recht annebmen. Aoer es ist schon viel gewonnen, wenn der Beweis geliefert wird, daß Griechenland ohne fremden Zuschuß Haushalten kann. Dem steht einstweilen noch daS ungeheure Gold-Agio mit 45 Proc. entgegen. Es heißt also, die Zähne auseinander beißen und in längeren Zeiten allmälig den ZwangScourS deS BankpapierS er mäßigen. Freilich ließ Trikupis durch blicke», daß es sich vielleicht crmvglichen lasse, durch eine Anle ihe die Aufhebung deS ZwangScourseS zu beschleunigen Doch über diese Aus sichten fehlt jeder Anlialt — fast möchte man glauben, eS sei besser, aus dieses AiiSkunftSmittel vorläufig zu verzichten; eS gebt damit, wie mit dem griechischen süßen Wein: er mundet freilich gut, aber man nimmt leicht mehr, als man vertragen kan», und ehe man sich's versieht, ist der Rausch da und nach ihm der Katzenjammer. Deutsches Reich. 88 Vcrlin, l l. Dccember. Der heutige dritte Tag der Generaldebatte über die Militairvorlaqe brachte keine bedeutenden Reden mehr, die gebotene Nachlese vermochte auch LaS spärliche Auditorium nur in geringem Grade zu fesseln. Der konservative Abg. v. Manteufsel, welcher den Vorsitz aus dem jüngsten Berliner „Parleilage" der Conservativen F-uill-tsn. Dämmerungen. Roman in drei Büchern von Rudols von Bottschall. 63s Nachdruck «erböte». (Fortsetzung.) »Diese Briefe und ein Ring, den ich dem Fräulein von Senden verkauft, beweisen, daß die Sängerin Teresa Stern die Tochter des Grafen Fehrentbal ist." Der Doctor war auf's Höchste überrascht — er durste hoffen, daß Teresa s Geschick, an dem er so innigen Antbcil nahm, sich freundlicher gestalten werde. Dock des Grase» unselige Tbat, seine geistige Umnachtung . .. vielleicht waren alle diese Hoffnungen eine neue Täuschung. »Ich war die Freundin ihrer Mutter — und sie schenkte mir den Ring, ebc sic den Tod gesucht!" „Allen Ihren Mittbeilungcn schenke ich den vollsten Glauben. Was Sic mir von der Mutter erzählen, Hab' ich schon früher von anderer Seite gehört, die vollständig be rechtigt war, Zeugnis! abzulegcn, und so fügt sich Ring an Ring zu einer wol,(zusammenhängenden Kette! Wobl denn, ich nehme die Briefe a» mich und hoffe, sie Ibnen bald znrückgeben zu können . .. wenn Sie sich schonen! Keine Unterredung mebr wie diese, eS würde Sie zu sehr erschöpfen. Ich gehe und rufe Ihre Pflegerinnen." Draußen war eS still geworden — nur Abraham stand mit einer Diakonissin im Salon und die gutherzige Leontine wollte noch taS letzte Bulletin über daS Befinden der Kranken mit nach Hause nehmen. Doctor Bingen weihte die Diakonissin in die Erfordernisse der Pflege ein, welche der Zustand der Kranken heischte. »Eine kräftige Natur!" Abraham bestätigte dies mit einem Seufzer. „Sie wird sich durchhelsen." Mit diesem Trost verließ der Arzt den Salon. Sechstes Capitrl. Am nächsten Tage, nachdem Doctor Bingen Kunde von deS Grafen Verhaftung erkalten, eilte er selbst hinaus nach Helmer-Heim, um der Familie Senden diese peinlichen Bor- gange in möglichst milder Form mitziilbeilen. Er wünschte zuerst den Baron zu sprechen; roch dieser batte sich noch nicht vom Lager erhoben; auf einen Besuch bei der Baronin glaubte Oswald verzichten zu müssen; denn sie pflegte erst gegen Mittag aufzustehen und brauchte Stunden, um mit ihrer Toilette fertig zu werden, in der ibr hauptsächlichstes Tagewerk bestand. Wie war aber der Doctor überrascht, als er, im herbstlichen Park ans- und abgehend, auf einmal der Baronin begegnete, in reizender Morgentoilette, etwas thaufrischcS in ihrem Wesen, und so lebhaft, wie er sic nie gesehen. Der Herbstwind, der draußen über die Stoppeln fuhr, streute ihr zwar einige welke Blätter auf die gelösten blonden Locken, doch dieser leise Hohn der Natur kümmerte sie weiter nicht — blüht doch auch die Herbstzeitlose mit aller Farbenpracht auf dem verödeten Acker. Der Doctor mußte sich bekennen? daß die Frau in der Tbat noch an- muthig und verführerisch sei; er konnte sich Liese plötzliche Umwandlung der gelangweilten Salondame in ein lebens freudiges Weib nicht erklären und fürchtete fast nack früheren Erfahrungen, daß diese »euerwachle stürmische Lebenslust sich ihn selbst zum Opfer ausersebc» könne. Doch er konnte sich bald beruhigen, denn hinter der Dame deS Hauses wie ihr Schatten tauchte auS dem Gebüsch eine Gestalt auf, in der er alsbald seinen Bruder Lothar erkannte. Er trug einen alten Strohhnt, dessen Krempe ihren Zu- saiumcnvana mit dem Ganzen scbr gelockert batte, den er für diesen Spätsommerseldzug auf dem Lande aus kcm Erb- bcgräbniß seines Kleiderschrankes hcrvorgesuckt, und auch sein Iaquel stammte von dort; eS batte einen künstlerischen Schnitt, aber es zeugte von verblichener Herrlichkeit. Er rieb sich die Hände; ihn fröstelte im Herbstwind; dock er Wellie an Jugendlichkeit nicht hinter der Herrin des Hauses zurückstehen, die, sonst so verwöhnt und verzärtelt gegen die Unbill des WetterS, beute ganz unempfindlich schien. »Die Herren kennen sich", sagte sie mit fröhlichem Lachen. „Sie wundern sich wohl, daß ich so früh aus bin? Denken Sie sich, Doctor ... heute Morgen erhalte ich einen Brief... eine entfernte Verwandte hat mir ein schönes Legat ver macht . . . daS ist ein Wecker, wi e ihn keine Schwarzwälder Uhr aufzuweisen hat. Da fühlt man sich auf einmal frei und unabhängig. Mein Gatte darf davon natürlich nichts erfahren . . . daS werde ich schon einzurichten wissen; ist es nickt traurig, diese Bevormundung durch das Gesetz, daß wir Frauen nichts für unö besitzen, genießen, verwalten können? Alles sollen wir den Männern hingeben — nnd wenn wir'S damit in einen Abgrund schleuderten . . . nicht wahr, Herr Lothar?" Oswald schien sich über diese vertrauliche Anrede zu Wunder»; Leonie merkte dies und fügte gleich hinzu: ..Man kann doch zwei Brüder nur durch ihro Vornamen unterscheiden." »Das Gesetz", sagte Lotbar, sich sein Iaqnet fester zu- knöpfend, „ist ungerecht — als wenn eine verbeiratbete Frau aller Menschenrechte verlustig ginge; das einzige Recht, das ibr bisweilen dafür übrig bleibt, ist das aus ewige Lange weile. Hat sie einmal über ihr Herz verfügt, man könnte sage», testirt, denn sie selbst ist in der Ehe oft mehr eine selig Verstorbene als eine selig Lebende, so soll sic über nichts Anderes mehr verfügen dürfen . . . daS ist Sklaverei!" „Glücklicherweise", versetzte die Baronin, „ist das Legat mir ausschließlich für meinen Nutzen und Nießbrauch ver macht worden und daS wird, so viel ick weiß, respectirt." „Gnädige Frau", sagte Oswald, „ich muß ihre liebens würdige» Miltbeilungc» unterbrechen; nichts Erfreuliches, nur eine Trauerkundc bring' ich mit . . . Graf Fehrentbal dal gestern in einem Ansall von Tobsucht Frau Abraham schwer verwundet und ist verhaftet worden." „Was Du sagst", meinte Lothar, „das ist ja sehr interessant." Die Baronin erschrak; sie wußte sich anfangs diese Thal nicht mit allen ihren Folgen zurechtzulcgen; sie fühlte nur, Laß dies ein Unglück für ihr Haus sei. „Die arme Marie", seufzte sie. Es trat eine längere Pause ein — die Baronin streifte nachdenklich von einem abgerissenen Ahornzweig die welken Blätter ab. „Darf ich die Herren in unseren Salon bitten", versetzte sie, „ich eile voraus, um meinen Gatten zu ruscn Sic fühlte sich betroffen und unsicher der erschütternden Kunde gegenüber . . . gleichwohl vergaß sie nicht, so graziös-kokett durch die Gänge des Garten- dahinzugleiten, daß die beiden Herren ihre flinke Jugendlichkeit bewundern mußten. „Was suchst Du hier?" sagte Oswald zu Lothar mit düsterer Miene. „Ich sammle Stoff für einen Feuilletonartikel, in welchem ich aus den Wunsch des Barous daS HelmerSheimer Schloß beschreiben will." „Mit allen seinen Merkwürdigkeiten, nicht wahr? Und da beginnst Du mit der Perle, welche in dieser Muschel sitzt! Das Bild der Frau Baronin würde vielleicht die beste Vignette deS Artikel- sein, wenn Du ihn für ein illustrirteS Blatt schriebst." „Ich schreibe ihn für unsere Zeitung . . . doch ich bin kein Tagelöhner, der hier wie in einem Steinbruch im Schweiße seines Angesichtes herumklopft, um daS Material für seine literarischen Bauten auszubäufen. Glaubst Du denn, daß ich mich hier langweilen will? Der gute Baron ist von Kopf zu Fuß Rococo, ein ganz verschnörkelter Mensch mit lauter krausen Ideen; er ist eigentlich nur für den Caricatnrenzeichncr genießbar. — Jeder Mensch hat das Recht, sich sein Leben so angenehm wie möglich ein zurichten — und wenn ich in eine Wildniß verschlagen bin, so nasche ich wenigstens einige süße Beeren. Der Baron mißfällt mir, die Baronin gefällt mir — daS ist Alles!" „Ein Unstern bat Dich hergeführt", versetzte der Bruder, „diese Baronin bat ein entzündliche- Gemüth — und da- sind wieder Funken für Dein Strohfeuer. Sie führt ein freudloses Leben und batte schon immer eine gleichsam auf der Lauer liegende Sinnlichkeit." „Der ewige Moralprediger... die Naturen sind eben verschieden. Die Tugend kommt Bielen im Schlafe, doch nickt Alle haben Talent dazu. Und waS wollten die Fakul täten, die Juristen, Medicmer und die Herren Seelenärztr macke», wenn Alles so am Schnürchen ginge? Sie nähren sich von Lastern und Verbrechen, wie die Aasgeier von der Verwesung." „Das ist grenzenlose Thorbeit, Lothar! Jeder Beruf ist schön, der das Beste der Menschheit fördert." „Nun, du Schädelbetaster und Kopfmesser, behauptest ja selbst, daß jeder Mensch die Summe ist von allem Ererbten und Erworbenen; Vater, Mutter und Amme. Licht »nd Luft machen ihn zu dem, was er ist. Dabei spielt die Natur oft wunderbar; es giebt zuweilen nichts Unähnlichere-, als zwei Brüder! Wir brauchen ja nickt weit nach einem Beispiel zu suchen. Du, der kühle Verstandesmensch, ich mit meiner glühenden Phantasie! Und da willst Tu mich Hofmeistern? Ich bin einmal, wie ich bin. und wahrhaftig nickt der Schlechtere von uns Beiden. Eure Weisheit schöpft Iyr ins Danaidenfaß; sie läust schon seit Jahrtausenden hindurch und die Menschheit ist nicht gescheckter geworden, als sie früher gewesen ist. Wir packen daS frische Leben am Zipfel, und wenn unS Gespenster begegnen, da greisen wir frisch zu und finden unter Leni weißen Geisterschleier atbmendeS, voll« pulsirendeS Leben, sowie Byron s „Don Juan" die Lad» Fitzsulk; einen sehr annehmbaren Geist, der jeden Zweifrs an seiner Existenz besiegt. Was aber hinter allen Schleiern sich verbirgt, gespenstig oder nicht gespenstig — das ist eben
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