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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.10.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-10-08
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19011008024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901100802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901100802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-10
- Tag1901-10-08
- Monat1901-10
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Anzeigen-Preis die 6gespaltene Petitzeile LS Reklamen unter dem RedactiouSstrich («gespalten) 7b H, vor den Familiennach- richten («gespalten) bO L». Tabellarischer und Ztffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Osfertenannahme 25 H (excl. Porto). Grtra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung «0—, mit Postbesörderung ^l 70.—. ^nnahmeschluß für Anzeigen: Abeud-Au-gabe: Bormittag» Iv Uhr. Morgen-Ausgab«: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je »in halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet« an dir Expedition za richten. Die Expedition ist Wochentag« ununterbroche» geöffnet von früh 8 bi« Abend« 7 Ubr. Druck und Verlag von E. Polz u» Leipziz. Nr. 514. Dienstag den 8. October 1901. 85. Jahrgang. Der Krieg in Südafrika. Der in Pretoria wegen Hochverraths zum Tobe verurtheilte und erschossen» BrockSma ist ein geborener Holländer, der vor etwa 15 Jahren nach dem Oranje-Freistaat ausgewandert ist- Er war zuerst Advokat in Dewetsdorp bei Bloemfontein, wo er sich verheirathete; später bekleidete er in Johannesburg das Amt eines Staatsanwalts. Broeksma war etwa 35 Jahre alt und hinterläßt eine Wittwe mit vier Kindern. * Vraaffretnet, 7. October. („Reuter's Bureau".) Ein junger Aufständischer, Namens Roun, welcher des Hoch verraths und Mordes überführt war, ist heute er schossen worden. Der Erzbischof von Uork hat jetzt herausgefunden, weshalb es den Briten in Südafrika so schlecht geht: Es fehlt ihnen ein allgemeiner Buff- und Bettag. Er hat einen Hirtenbrief erlassen, in dem er Englands Miß geschick auf die nationalen und persönlichen Sünden der Eng länder zurückführt und ihnen vorschlägt, nach dem Beispiel der Boeren einen Buß- und Bettag abzuhalten. Er giebt den vor einiger Zeit von Steijn erlassenen Aufruf wieder, in dem ein allgemeiner Buß- und Bettag angeordnet wurde, und fügt aus drücklich hinzu: „Wenn wir einen ähnlichen Weg eingeschlagen hätten, würde es uns besser gegangen sein als so." Viel leicht Hilsts. Präsident Steijn hat am 2. October sein 44. Lebensjahr vollendet. Die „Deutsche Wochcnzeitung in den Niederlanden" schreibt aus diesem Anlaß: Steijn ist der Mann, der im Verein mit De Wet, in Stunden der höchsten Gefahr durch Work und That seine oft wankelmüti gen Streiter zum Ausharren angespornt hat. Hunger und Ent behrung hat der seltene Mann mit den Seinen gelitten, mit lumpenumwickelten Füßen hat er ost in bitterkalten Nächten am Lagerfeuer gesessen und bei seinen Leuten durch fröhliche Er zählungen Kummer und Sorge verscheucht. An der Spitze seiner Freistaater hat er z'wei Mal den berühmten Todesritt durch die englischen Linien ausgeführt. Stets fand und findet man ihn, wo die Gefahr am größten. Ueber seine Persönlichkeit ist nur wenig geschrieben. Teunis Steijn wurde am 2. October 1857 in Winburg geboren, besuchte, nach Absolvirung der gewöhnlichen Volksschule, das Greycollege, worauf er eine Zeit lang auf dem Hofe seines Vaters thätig war, um im Jahre 1876 zuerst in England und dann in den Niederlanden Jura zu studiren. 1882 kehrte er nach Bloemfontein zurück, wo er sechs Jahre als Advocat prakticirte und dann zum General-Staatsanwalte er nannt wurde, welche Würde er 1895, nach dem Rücktritt des Prä sidenten Reitz, mit der des Präsidenten vertauschte. Stets blieb er der einfache, herzensgute Mann, der er in bescheidener Stel lung gewesen. Nur ein Gedanke beseelte 'hn: dem Heile seines Volkes zu dienen. Mit Rührung sprechen hier (in Amsterdam) wohnende Volksrathsmitglieder von der berühmten Rede Steijn's am 22. September 1899, in welcher er mit bebender Stimme auf die dunkle Zukunft hinwies und auf vas blutige Loos der Transvaal«, falls die Freistaatschen Brüder nicht die Waffen aufnähmen. Politische Tagesschau. * Leipzig, 8. October. Nach langem Aufenthalt in Ostpreußen bat sich der Kaiser gestern zum Zagdausenthalt nach der Mark begeben und an scheinend zum Empfange des Monarchen in der preußischen Stammprovinz hat der Oberpräsident von Branden burg in der Berliner Bürgermeister-Angcle»enheit ge handelt. Seine an den Magistrat gerichtete Zuschrift, deren Inhalt der Telegraph bereit« mitgelheilt hat, lautet wörtlich: Der Ober-Präsident der Provinz Brandenburg. Potsdam, den 6. October 1901. In dem gefälligen Berichte vom 23. v. M. No. 1221 G.-B. hat der Magistrat beantragt, das Erforderliche zu veranlassen, damit die Allerhöchste Bestätigung der wiederholten Wahl des StadtrathS Kaufsmann zum zweiten Bürgermeister (Beigeordneten) herbeigesührt werde. Diesem Anträge zu entsprechen, befinde ich mich nicht in der Lage, La das Gesetz — 8 33 der Städteordnung — die wiederholte Erwählung Les nach der ersten Wahl nicht Bestätigten dem Falle der Verweigerung der Wahl gleichstellt. Nach derselben Gesetzeebeslimmung kommt in Frage, ob nunmehr die kommissarische Verwaltung der Stelle anzu ordnen ist. Ten Magistrat ersuche ich ergebenst, mir zu berichten, ob die commissarijche Verwaltung durch die Geschäftslage geboten erscheint, und sehe gegebenenfalls Vorschlägen wegen eines mit Len, Commissorium zu beauftragenden geeigneten städtischen Ve- amten ergebenst entgegen. Die Personalacten des Stadtraths Kaufs- mann sind wieder beigesiigt. v. Bethmann-Hollweg. Der Magistrat hat diesen Erlaß sofort der Stadtverord- neten-Versammlung mit dem Bemerken zugestellt, eine kom missarische Verwaltung der Stelle des 2. Bürgermeisters werbe vom Magistrat nicht für geboten erachtet. In dem selben Sinne hat der Magistrat beschlossen, dem Ober präsidenten zu antworten. Behördlicher Bescheid und städtische Entgegnung sind vollkommen gesetzlich. Aber wir haben nicht ohne Grund den Ausentbaltswechsel de« Monarchen mit der behördlichen Entscheidung in Zusammenhang gebracht, venn der Oberpräsident hat eineStheilS nickt alles gethan, wozu das Gesetz ibn berechtigte, und hat anderntheils mehr gethan, al« er uöthig hatte, tz 33 der preußischen Städte ordnung lautet nämlich: Die gewählten Bürgermeister, Beigeordneten, Schöffen und be soldeten MagistratsmitgUeder bedürfen der Bestätigung. Die Be stätigung steht zu: 1) dem Könige hinsichtlich der Bürgermeister und Beigeord- netcn in Städten von mehr als 10000 Einwohnern, 2) der Regierung hinsichtlich der Bürgermeister und Bei geordneten in Städten, welche nicht über 10 000 Einwohner haben, sowie hinsichtlich der Schöffen und der besoldeten Magistratsmit glieder in allen Städten, ohne Unterschied ihrer Größe. Wird die Bestätigung versagt, so schreitet die Stadtverord- neten-Versammluug zu einer neuen Wahl. Wird auch diese Wahl nicht bestätigt, so ist die Regierung berechtigt, die Stelle einstweilen auf Kosten der Stadt commissarisch verwalten zu lassen. Dasselbe findet statt, wenn die Stadtverordneten die Wahl verweigern oder den nach der ersten Wahl nicht Be stätigten wieder erwählen sollten. Die commissarische Verwaltung dauert so lange, bis die Wahl der Stadtverordneten-Versammlung, deren wiederholte Vornahme ihr jeder Zeit zusteht, die Bestätigung des Königs bez. der Regie- runq gefunden hat. Hiernach wäre der Oberpräsident „in der Lage" gewesen, sofort eine Neuwahl anheimzustellen; er war ferner berechtigt, einen Commissar einzusetzen, ohne die Stadt zu fragen, ob sie eine solche Maßregel für geboten erachte, und er war für ve» — nicht eingetretenen — Fall der Bejahung dieser Frage keineswegs verpflichtet, dem Magistrale die Nennung einer geeigneten Persönlichkeit, und zwar „aus den Reiben der städtischen Beamten", anheimzustellen. Der Oberpräsident will also offenbar Frieden und sucht ihn herbei- zuführen, soweit ihm dies möglich ist. Das ist freilich auch sehr erklärlich, denn der Minister des Innern halte die Bestätigung der Wahl des Herrn Kauffmann bekanntlich beantragt und der Ministerpräsident war auch nicht für einen Zwiespalt. Es ist, nicht nur im Interesse der ReichSbauptsladt, bringend zu wünschen, daß nun auch die Stadtverordneten-Versammlung friedliche Gesinnung beweise und dem Vacuum, das bei längerer Dauer geschäft liche Unzuträglichkeiten im Gefolge baden würbe, baldigst durch die Wahl eines neuen Bürgermeisters ein Ende bereite. Zu der gestern mitgetkeilten Erklärung des Grafen Hoensbroeck in Sacken des Professors Spahn liegen unS Auslassungen der Centrumspresse noch nickt vor; es ist aber zu vermuihen, daß die klerikalen Blätter über diese Er klärung sich ähnlich äußern werden, wie die „Köln. Volks zeitung" sich über die Kundgebung Spabn's äußerte, bevor Hoensbroeck gesprochen. Das rheinische Blatt schrieb nämlich: „Es hat stets „Erscheinungen" gegeben, die auch der überzeugte Katholik weder zu billigen braucht, noch billigen darf; die Frage ist nur, wie weit die Ablehnung geht und wo und wie man sie vertritt. In ersterer Beziehung haben wir kein Urtheil, La wir die damaligen AeußcrungenZ des Herrn Spahn nicht kennen. Unter allen Umständen muß es verurtheilt werden, daß er Verbindungen mit der „Täglichen Rund schau" und ihrem damaligen Mitherausgeber HoenSbroech anknüpfte. Die „Tägl. Rundsch." war ein Cnllurkämpferblatt pur exeellsuee, und der Umstand, daß Graf Hoensbroech Mitheraus- gebrr war, macht dcn Fall natürlich noch schlimmer. Jedwede literarische Verbindung hätte für Herrn Spahn als katholischen Ge lehrten von vornherein ausgeschlossen sein sollen, und für den Sohn eines hervorragend am öffentlichen Leben betheiligten Katholiken erst recht. Wir können nur hoffen, daß Herr Spahn seitdem von manchen Anschauungen zurückgekommen ist, die er als 22jähriger lunger Mann gehabt hat. Welchen schweren Fehler er gemacht hat, indem er mit dem Grafen Hoensbroech in Beziehung trat, sieht er ohne allen Zweifel ein. Er muß die Unvorsichtigkeit mit welcher er diesem etwas Geschriebenes in die Hand gab, jetzt bitter büßen. Denn — und das ist die andere Seite der Cache — wer hat die „Bonner Ztg." in die Lage gebracht, ihren Angriff vom 22. V. M. zu veröffentlichen? Direkt oder indirekt Graf Hoensbroech, der allen Grund hat, sich über den Fall zu äußern, umsomehr, alS er schon früher mit Namensunterschrist die „Bonner Ztg." als sein Organ benützt hat. Hat er seine Corre- spondenz als Mitherausgeber der „Tägl. Rundsch." benützt, uni Herrn Spahn zu compromittiren, so werden auch andere Leute als Katholiken in Zukunft es sich wohl dreimal überlegen, ehe sie dem Herrn Grasen eine geschriebene Zeile in die Hand geben." Hiernach wird vermuthlich Prof. Spahn väterlich wegen einer „Jugendsünde" vermahnt und eine betäubende Kanonade auf den Grafen Hoensbroech eröffnet werden, dem cs nicht ganz leicht fallen dürfte, sich von dem Vorwurfe der Inkis- cretion zu reinigen. Es ist übrigens leicht möglich, daß die klerikale Presse in nicht ferner Zeit sich wiederum mit Prof. Spahn beschäftigen wird, der sich abermals mit Männern eingelassen hat, die dem Ultramontanismus wiederholt Ver anlassung zu Beschwerden gegeben haben. Sie sind zwar keine Hoensbroechs und werden Wohl auch keine werden, aber sie haben schon öfter einen Mangel an confessioneller Voreingenommenheit bewiesen, der den ultramontanen Blättern nickt gefällt. In einem Mainzer Berlage wird nämlich dem nächst eine „Weltgeschichte in Charakterbildern" erscheinen, „die im Unterschied von den vielen bisherigen Weltgeschichten den Zweck haben soll, die gesammte Geschichtsentwickelung auf die Gegenwart zu projiciren". Der Titel „Welt geschichte in Charakterbildern" wird damit gerechtfertigt, daß in den Mittelpunkt jeder einzelnen Darstellung die führende Persönlichkeit jener Zeit gerückt wird, wodurch eine Vereinigung von individueller und socialer Geschichtsdarstellung erreicht werden soll. Das Werk wendet sich zwar an den katholischen Tbeil des deutschen Volkes; doch wird ausdrücklich bemerkt, daß Zeugnisse confessioneller Voreingenommenheit in dem Werke keine Stätte finden sollen. Mitarbeiter sind u. A. Prof. v. Hertling und F. Zs. Kra us, die, wie es in der Ankündigung heißt, dafür bürgen, daß hier nur streng sachlicve Leistungen geboten werden sollen, ohne Färbung und Tendenz. Unter den drei Herausgebern be findet sich Prof. ttr. Spahn; er bat die Monographie über nommen: „Der große Kurfürst; Deutschlands Wiedergeburt im 17. Jahrhundert." Eine sehr beachtenswerthe Wendung hat die Angelegenheit der traiisaiidischcii t- jcnbah» genommen, deren vor längerer Zeit begonnener Bau bereits bis zu einem gewissen Grade vor geschritten ist. Die Bahn soll den Kamm der Kordilleren zwischen Salto del Soldado (Chile) und Punta de Vacas (Argentinien) überschreiten, aber noch vor Inangriffnahme dieses schwierigsten Theiles der Strecke stockte das Unternehmen und mußte schließlich ganz eingestellt werden, weil die finam zielten Mittel nicht in dem erforderlichen Maße flössen. Um den Banken, welche das Unternehmen bis dahin finanzirt hatten, Sicherheit für ihre hypothekarischen Schuldforderungen zu geben, wurde der auf chilenischem Gebiete bereits fertiggcstcllke Schienenweg, sowie das vorhandene Material zu öffentlichem Verkaufe gestellt, und so wurden die engagirten Banken als die Meistbietenden Eigenthümer des chilenischen Eisenbahn-Torso- Zwar bekundete die Landesregierung die Absicht, den vorhandenen Bestand durch Rückkauf in Staatsbesitz zu bringen, und hatte bereits einen RUckkaufstermin in Aussicht gestellt, aber der chile nische Congreß konnte sich in der gegebenen Zeit über die An gelegenheit nicht schlüssig werden, und die Ratification des Ver trages unterblieb. Vor Kurzem trat nun ein amerikanisches Finanzhaus in Santiago an die betheiligten Banken heran, um die chilenische Strecke der Bahn, soweit sie fertiggestellt war, für Rechnung des bekannten amerikanischen Großindustriellen Pierpont Morgan anzukaufen, der auch ausschließlicher Eigen- thümer des auf argentinischem Gebiete belcgenen Schienen weges ist. Das Geschäft kam zu Stande, für den Kaufpreis von 1,8 Millionen Mark gingen die Anfänge dieser wichtigen Verkehrsstraße in den Besitz des Milliardärs Morgan, und damit in die Controle der Vereinigten Staaten- Regierung über. Wenn man auch in Anbetracht der äußerst schwierigen Verkehrsverhältnisse im Cordilleren-Gebirge — noch heutzutage bilden aus Schlingpflanzen gefertigte Hänge brücken fast überall die einzigen Verbindungswege über die wild zerklüfteten Schluchten der Anden — diese Wendung der An gelegenheit als eine erfreuliche bezeichnen kann, da unter den Feuilletsn. Olof Thoroldfeu. Roman von Anna Maul (M. Gerhardt). Nachtruck verboten. „Hab' ich Dich erschreckt, armes Mäuschen? Du bist ja ganz bleich geworden! Als wenn ein Todter wiederkommt, nicht wahr? Nein, sei ruhig, ich bin noch ganz lebendig. Da fühl' meine Hand —" Di« ihre war eiskalt und bebte in der seinen. „Wir wußten ja, daß Du lebst, Olof — aber Du warst unS so ganz aus den Augen geschwunden —" „So daß ich für Euch nicht mehr existirte. Aus den Augen, aus dem Sinn. Na, wart', ich will mich Dir in Erinnerung bringen —" Er drückte ihre Hand, bis sie wieder ganz warm war und zog sie weiter. „Komm, Kind, di« Leute bleiben stehen und wundern sich. Giebt es nicht in der Nähe einen stillen Winkel, wo wir unser Wiedersehen feiern können?" Im Hinterstübchen einer kleinen Conditorei saßen sie sich fünf Minuten später fröhlich gegenüber. Niemantd außer einem alten Dämchen war da, das über seine Schlagsahne und seine Garten laub« nach dem jugendlichen Paar hinüberspähte und im Stillen Muthmassungen anstellte. Olof lachte. „Eigentlich wollt' ich noch länger den Ameri kaner spielen, und Dich gehörig uzen — mit all' unserem alten Unsinn — bis Du sozusagen mit der Nase auf die Wahrheit ge tippt wärest. Ich hab' mir selber den Spaß verdorben. Das kommt von der Ungäduld." „Schaf! Als ob ich Dich nicht gleich in der «rsten Minute erkannt hälft!" erwidert« Lissi im richtigen Schulmädchenton. „Das alte Gestichel wegen der Dampfmaschine hättest Du sparen können." „Ja, daS merkte ich gleich, daß Du mich erkanntest. Daher wolltest Du fortlaufen, als ich Dich anredete — Hasenfuß!!" Mit blitzenden Augen griff Olof nach der Hand des Mädchens, die, vom Handschuh befreit, auf dem runden Marmortischchen lieg, und preßte sie. bis Lissi einen Schrei ausstftß. Sie lachten ausgelassen, glücklich, wie Kinder. Das alt« Dämchen mußt« unwillkürlich mitlachen. Dann kam der Kellner und brachte die bestellten Lassen Chocolade, Lkssi rückte'sich mit feierlicher Miene in die Höhe und zog die feinen, dunkeln Brauen zusammen, um anzudeuten, daß man verständig sein müsse. Olof beugte sich über das Marmor tischchen vor und flüsterte ihr zu: „Du bist aber verteufelt hübsch geworden, Lissi!" „So? Danke für das geschmackvolle Compliment, Schade, daß ich es nicht erwidern kann." „Also — ich gefalle Dir nicht?" Lissi zog eine Grimasse und beguckte den wiedergefundenen Vetter von allen Seiten. Er suchte sich Haltung zu geben, streichelte seinen jungen Bart und tröstete sich: „Schön braucht ja ein Mann nicht zu sein." „Ach was, ein Mann! Du siehst noch immer, wie ein großer Junge aus." „Na höre — und mein Bart?" versetzte er beleidigt. „Nun ja — er kann werden! Ein gut gemeinter Versuch." „Soll ich ihn abschneiden, Lissi?" „Hm — wollen's überlegen. Nein — vorläufig kannst Du ihn stehen lassen." »Lissi „Ach — Olof —!' Er sprang plötzlich auf und machte Mien«, das Mädchen zu umarmen. Sie hob beide Hände abwehrend in die Höhe — und er setzte sich mit unzufriedenem Gesicht wieder auf seinen Platz. „Aber, wir sind doch Geschwisterkinder — so gut, wie Ge schwister", murrte er. „Das können die Leute uns nicht ansehen." „Ach, die Leute — was gehen uns die L«ut< an! Du bist noch immer so altklug, wie früher, Lissi!" „Einer von uns muß doch g«scheidt sein", meink sie. „Lissi, wie lang ist's her, daß wir uns nicht gesehen?" „Warte — gerade vor meinem elften Geburtstage liesst Du davon — das hat mich am meisten gekränkt. Uftd jetzt bin ich neunzehn — und Du schon fünfundzwanzig, Olof!" „Acht Jahre — und in der ganzen Zeit zum ersten Male ein kiebrs, vertrautes Gesicht — und ein Mensch — gegen den ich mich nrcht zur Wehr zu setzen hab«." „O Gott — Du armrr, arm«r Junge! «So schlecht — so ganz traurig ist es Dir ergangen?" „Das nicht. So meine ich's nicht. Mir ist » ergangen, wie Jedem, der sich durchzuschlagen hat, um in der Welt vorwärts zu kommen. Gut und schlecht. Ich hab's nicht anlders gewollt, Lissi. Ich beklage mich nicht. Vorwärts gekommen bin ich. Ein Stück wenigstens. Noch lange — lang« nicht weit g«nug. Aber weißt Du — Andere wollen -auch vorwärts. Si« stoßen, sie drängen, sie stellen Einem ein Bein, sie möchten Einen unter die Füße treten. Man muß beide Ellenbogen brauchen, manchmal ganz rücksichtslos, um sich freien Weg zu schaffen." „Hattest Du keinen Freund, Olof, keinen Kameraden, der Dir zur Seite stand, den Rücken deckte?" „O ja. Mehr als einen. Für eine Strecke Weges. Dann blieben sie zurück. Dann ging ihnen der Athrm aus, sie blieben, wo es ein Stück Schatten und leidliches Futter gab." „Und Dir ist nie der Athem ausgegar.gen? Allein in der Fremde und mittellos, wie Du warst?" Olof schüttelt« den Kopf. Der Blick des jungen Mädchens ruht« auf ihm mit dem Ausdruck zärtlicher Bewunderung. „Sag', Olof, wie hast Du mich entdeckt? Daß Du mich beim ersten Blick erkannt hättest, wirst Du mir nicht weiß machen wollen." „Sehr einfach. Ich hatte zu Herrn Löhner! gesagt: „Ver schaffen Sie mir Jemand, der mit Schreibereien für Fachliches Bescheid weiß und ein Geheimniß zu bewahren vermag." „Und Herr Löhnert empfahl mich? Er war immer sehr nett zu mir." „Er sagte mir: „Ich habe da ein junges Fräulein, das vollkommen vertrauenswürdig ist, um so mehr, da sie kaum eine Ahnung von dem hat, was sie schreibt." „So? Kaum eine Ahnung? Das ist nicht wahr. So spricht Herr Löhnert nicht von mir. Das ist eine bosha'fte Erfindung. Und er nanni« Dir meinen Nam«n?" „N«in — der Name war mir auch sehr gleichgiltig. Aber als ich Deine Abschrift in die Hand bekam, stand oben am Rande: Fräulein Bergau." „Ich habe daZ nicht geschrieben." „Wahrscheinlich Löhnert oder eine der Schreiberseelen. Nun, es konnte noch ein zweites Fräulein Bergau geben. Ich wußte zwar, daß Ihr nach Berlin übergesiedelt seid" — „Woher wußtest Du daS? Hatte Deine Mutter Dir davon geschrieben?" „Allerdings! Nun war ich aber doch neugierig und erklärt«, ich wollte selbst wegen der Uebersetzung mit Fräulein Bergau verhandeln." „Und verbotest Löhnert, Deinen Namen zu nennen. Was muß er nur gedacht haben?" „Daß ich unbekannt zu bftiben wünschte — meiner Arbeit wegen. Wie bist Du übrigens zu diesem „sehr netten" Herrn Löhnert gekommen?" „Durch eine Zeitungsannonce. Uebersctzungen aus dem Italienischen, Englischen, Französischen werden gewünscht und so weiter. Da ging ich eben hin und bekam Aufträge. Meist nur kleine Arbeiten, aber sie kommen ziemlich regelmäßig, Herr Löhnert vergißt mich nicht." „Der lieb« Herr Löhnert! — Sag' mal, Lissi — ist es denn nöthig, daß Du solche Arbeiten machst?" Alice wurde roth. „Ja, Olof, was denkst Du, wir stehen nicht mehr, wie früher. Ich habe ja eine ganz gründliche musikalische Ausbil dung erhalten. Als wir hierher kamen, bemühte ich mich um MusikstunNn. Ich annoncirte mich in verschiedenen Zeitungen, bat auch einige alte Bekannte vom Vat«r um ihre Verwendung. Es kamen denn auch einige Anmeldungen. Aber noch einem halben Jahre verzogen die Eltern des einen kleinen Mädchens. Das andere hörte auf, weil es kränklich war, zwei unterrichtete ich noch, aber 'was will das heißen? Und es kommt wenig Neues dazu. Vater durfte es anfangs gar nicht wissen, daß ich anderen Erwerb gefunden. — Weißt Du, es fehlt ja nicht am täglichen Brod, dafür sorgt er schon." „Aber eine junge Dame braucht auch Handschuhe, hübsche Hüte unld dergleichen." „Ja — und Mutter braucht auch mal einen Hut und erlaubt sich nicht, ihn zu kauf«n, siehst Du —" „Verstehe! — Wie lange wohnt Ihr schon hier?" „Zwei Jnhre ungefähr." „Dein Bater ist kränklich?" „Er hat schwere Krankheiten durchgemacht — drei Jahre hintereinander. Er hat sich zwar erholt — ist aber doch nicht der Alte." „Ist er noch Generalagent der Gothaer?" „Nein — er arbeitet auf dem Bureau einer anderen Ver sicherungsgesellschaft. — Du wirst ihn sehr verändert finden« Olof", fügte Lissi seufzend hinzu. „Wevde ich ihn überhaupt sehen, Lissi?" Si« blick!« ihn bestürzt an. „Wie denn? — Du wirst doch nicht — mein Elternhaus meiden, Olof?" „Dein Vater wird mich nicht empfangen, Lissi. Wenigstens möchte ick seinen guten Willen nicht auf die Probe stellen." „Ich werde ihn vorbereiten, Olof. Sei ganz ruhig. Er wird Dich empfangen." — „Hm — hm —", Olof zog die Stirn in Falten, lehnte sich im Stuhl zurück, steckte die Hände in die Hosemaschen und gab keine Antwort. Auch von Alice's Antlitz war Vie sonnige Fröh lichkeit geschwunden. ES war, alt zöge «ine dunkle Wolke über di« Sonne hin.
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