Delete Search...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.03.1894
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1894-03-28
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18940328021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1894032802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1894032802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1894
- Monat1894-03
- Tag1894-03-28
- Monat1894-03
- Jahr1894
- Links
-
Downloads
- Download single page (JPG)
-
Fulltext page (XML)
VezrrgS-PretS t» b« tzauptexpedition oder den km Stadt bezirk und dro Vororten errichteten Au«, gabrsielten abgeholt: vierteljährlich^«4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung in« Hau« bckO. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: viertel,abrlich >^l 6.—. Direkte tägliche Kreuzbandiendung tut Ausland: monatlich 7 HO. Li« Morgen-AuSgabe erfcheint täglich '/,7 Uhr. di« Sbeud-Ansgabe Wochentag« b Uhr. Ne-actioa und Lrpeditioa: AotzannrSgaffe 8. Dte Ervkditiou ist Wochentags unnnterbroche» geöffnet vou früh 8 bi« Abend- 7 Uhr. Filialen: vtt« Klemm « Lartim. «Alfred Hahn), UniversitätSskraße 1, La liü Lösche, Kathariuenstr. 14, pari, und SönIgSvlatz 7. Abend-Ausgabe. Anzeiger. Lrgan für Politik, Localgkschichte, Handels- «nd Geschäftsverkehr. SlnzeigeN'Prei- die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfz. Reklame» uater demRedäktioatstrtch <4ge» fpalten) SO-^, vor den Familieunachrichtea «6 gespaltet») 40^. Erobere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Zfffernsatz nach höherem Tarif. Nrtra-Vellage« (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe. ohne Postdesörderung >« 60.—, mit Postdesörderung ^l 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Au-gab«: Bormittag« 10 Uhr. Margen-Ausgabe: Nachmittag« 4Uhr. Sonn- »nd Festtag« früh '/,9 Uhr. Lei den Filialen und Aonadmeslellea je ein« halb« Stund« früher. Anzeigen find stets an die Erptditta« zu richten. Druck und Verlag vo, E. Polz tu Leipzig. ^ 157. Mittwoch °cn 28 März t8SL 88. J«hMNg. politische Tagesschau. * Leip;ig, 28. März. Wenn die Parlamente feiern, sorgen die politische» Zeichcn- deutcr auch in Len ruhigsten Zeitläufen für An und Aufregung. Es wäre ein belle« Wunder, wenn sic tic jetzige Oster- pause, die so kritische ReichStagsverbandlungen zum Abschluß gebracht hat und nicht minder kritischen voraufgeht, unbenutzt vorübcrgchcn ließen. Zn der Thal sind sie eifriger am Werke, als je. Ließen sie vor Ostern die politische Welt im Zweifel darüber, ob Graf tsaprivi oder Finanziuinister Or. Miqurl vom Platze weichen müßten, so bringe» sie jetzt in dieses Entweder-Oder eine angenehme Steigerung, indem sie beide Männer als „amtsniütc" hinstellen. Gras Eaprivi baut sich ein Landhaus in Pommern, Or. Miguel eine Villa in Frankfurt — rechnet man das zu dem klebrigen hinzu, so genügt das nach der Ansicht jener Wetterpropheten, um die An nahme, daß Beite einander mürbe gemacht haben, wenigstens wahrscheinlich zu machen. Und da in den letzten Zahlen schon mehr als einmal selbst daS Unwahrscheinlichste Ereigniß geworden ist, so kann man sich nicht darüber Wundern, daß auch die neueste Prophezeiung Gläubige findet. Freilich erscheint vr. Miguel gerade jetzt unentbehr licher, als jemals. Zst er auch nicht der Bater der dem Reichstage vorliegenden Steuerreform-Entwürfe, so ist er doch nicht nur ihr geschicktester Bertheidiger, sondern auch ihr vcrtrauenswerlbcster Anwalt bei den jenigen Parteien, die dem Reichskanzler die HecrcS- solge verweigern. Und kommt die Reichssteucrresorm in der lausenden Tagung nicht zu Stande, so würde ein Miguel gesucht werden müssen, wenn man ihn nicht schon hätte. ES müßte daher schon etwas ganz Unerwartetes eintreten, wenn der frühere Oberbürgermeister von Franksurt sich veranlaßt sehen sollte, seinen Wohnsitz in die Mainstatt .zurückzuvcrlegen. Etwas anders liege» die Verhältnisse beim Grafen Eaprivi, welcher bei der Steuerresorm- srage eine ganz ähnliche Rolle spielen wird, wie bei der Heeresreformsrage, bei deren Berathung er seine eigenen Worte aus den, Munde der Gegner hören mußte. Dafür wird er freilich von einer Seite angeseindct, die ihm eine starke Stütze gerade an derjenigen Stelle sichert, von deren Entscheidung Alles abbängt. Man wird also am Besten thun, auch an die „Amtsmüdigkeit" des Grafen Eaprivi nicht eber zu glauben, als bis sie vom „Neicbsanzeiger" in der üblichen Form constatirt wird. Zu diesem Schlüsse kommt auch unser Berliner 88-Eorrespondent. dessen interessante Auslastungen über den Fall Eaprivi hier folgen mögen: „Die ernsthafte und unabhängige Presse hat sich in der letzten Zeit in der Er örterung der inncrpolitischen Lage und insbesondere der mit ihr zusammenhängenden Personcnfragcn sehr zurückhaltend gezeigt. Dieses Verhalten ist von der totalen Unbcrechenbar- tcit der Richtung der eigentlich wirksamen Kräfte vorgeschriebe» und empfiehlt sich auch für die Zukunft. Die Aufgabe wirb sich zunächst auf die Verzeichnung der Erscheinungen be schränken, welchen zweifellos eine symptomatische Bedeutung zukommt. Dahin gehören die heutigen Auslastungen des „Berliner Tageblattes", dessen sehr enge Beziehungen zur Reichöregicrung durch die nicht gerade respectvolle Be handlung, welche ikm kürzlich seitens des preußischen Kriegs- ministerS zu Thcil wurde, nicht im Mindesten gelitten haben. DaS Blatt spricht im Tone schmerzlicher Resignation vom Reichskanzler als einem „amtSmiiden" Manne: ,„ . . . wenn man auch anuehmen will, daß Gras Eaprivi den Sommer über noch im Reichskanzlerpalais ausbarren werde, so sind die Anzeichen seines Scheidens für den kommenden Herbst zur Zeit größer, als die seines Verbleibens ans dem ihm Lurch den Kaiser angewiesenen Posten." Beiläufig bemerkt, deckt sich die Darstellung deS „Berliner Tage blattes", weiche die Position deS Kanzlers als von außen her bedroht erscheinen laste» will, nickt ganz mit seinem Hin weise auf tic „Ainlsmüeigkeit", als die wahrscheinliche oauea romuveiw. Aus solche Wendungen ist inteste» nickt viel Werth zu legen. DaS BcachlenSwcrlbcste an der ossiciösen Aus lassung ist, daß sic eine Erhöhung der Biersteuer als den Stein bezeichnet, über den Graf Eaprivi stürzen oder vor dem er ins Piivakleben auSiveichen werde. Diese Andeutung gicbt einer Reihe von Vcrmulbungcn Raum. ES i)t unter Anderem möglich, daß man die vom Reichs kanzler im Maisturm deS vergangenen ZabrcS über Bord geworfene Bicrstcucr wieder ins Auge gefaßt hat, um der Finanzickwierigkeiten Herr zu werden. Es ist ebensowenig ausgeschlossen, daß dem Grase» Eaprivi als einem Märtyrer für den „Bierkrug des armen Mannes" Sympathien und Unterstützung gegen die „Plusmachcr" in den einzelstaatlicken Ministerien zugcwcndet werken sollen. Die Stellung des Kanzlers zur ReichSfinanzsrage ist ja eine sehr eigcn- thüuilicke und nicht unähnlich dem Verhalten vieler Dynasten deS 17.und I8.ZabrkulircrS gegenüber ihren Hosrecknungskamniern: Serenissimus ordneten vermehrte Ausgaben an, verzichteten wohl auch einmal in lanteSväterlichcr Huld aus gewisse Ein nahmen, das klebrige batte die Kammer wahrzunebmcn. Nur — und hier beginnt die Verschiedenheit — benahmen sich Serenissimus nicht derart, daß dero Vertrauten mit dem Schein von Reckt behaupten dursten, es sei Höckstdemselben ziemlich glcickgiltig, ob hochfürstliche Kammer bei ihren Be mühungen, das Finanzloch zu stopfe», Glück hätten oder nicht. Solche olympische Sorglosigkeit blieb unserer Zeit und auch in unserer Zeit nur dem deutschen Bundesstaat mit seiner Be- sugn.ß, aus die Mitglieder zu trassircn, Vorbehalten. Aber auch im Reiche muß es einmal zur Abrechnung kommen und darum kann das „Berliner Tageblatt" aufrichtig sein, wenn cs der Vermuthung Ausdruck giebl, daß die Trennung der Finanzsragc von der finanziellen Seite der Handelspolitik und der Heeresverstärkung schließlich dazu führen dürste, „einen Wechsel im ReichSkanzleramt unausbleiblich zu machen". Oeterum ceo8eo: selbst auf sorgfältig und ehrlich informirte Ossiciöse der Wilhelmstraße wäre nichts zu geben, denn auch dort weiß man nicht, was der morgige Tag bringt." Trotz aller Bemühungen ist cS dem König der Belgier nicht gelungen, den Ministerpräsidenten Beernaerl im Amte zu halten, er hat diesmal seine Drohung wahr gemacht und ist mit seinem Freunde und Gesinnungsgenossen, dem Zustizminister Lejeune, gegangen. Die Mciiiungsverschie- dcnbeiten, welche Bcernacrt von dem linken Flügel seiner klcrikal-conscrvativen Mehrheit trennten, waren »ach und »ach so zahlreich geworden, daß er nickt länger glaubte mit ihr auStommen zu können. Er trat, besonders in der letzten Zeit, energisch dafür ein, daß Belgien einen Schritt in der Entwickelung seiner Wehrkraft vorwärts thun müsse, die extremen Klerikalen wollen aber nichts davon wissen; Beernaert ist cinPolitikcr deS Freihandels, während die extremen Klerikalen mehr oder minder dem Schutzzoll huldigen; der Re vision der Versafsung waren die Extremen entschieden feindlich, und cS bedurfte eines große» Kraftaufwandes aller Regicrungs- factorcn, sie zum Einlcnken in die Revisionscampaanc zu be wegen. Dann aber mußte ihnen jeder Schritt aufs Neue abge- rungcn werden, und mehr als einmal drohle das ganze Werk zu scheitern. Als die neue Verfassung endlich zu Stande gebrachtwar, bandelte eS sich um die Feststellung des neuen Wahlrechts. Hier begann die alte Mühsal von Neuem ; jeder Schritt zum Ziele mußte erkämpft werden. Zuletzt erwies sich die Pro portionalvertretung als unübersteiglickes Hindcrniß. Der König und Beernaert wollte» diese Art der Vertretung, um die Erdrückung der gemäßigten Mittelparteien zu ver hindern; die Extremen aber sind gegen die Proportional- vertrctung, weil sie eben die Mittelpartcien zu erdrücken hoffen. Wenn aber die Extrem Klerikalen gehofft batten, durch den Sturz des maßvollen Beernaert den früheren EabinetSchcs Woeste, den bekannten Vorkämpfer aller klerikal-reaclionären Bestrebungen, ans Ruder zu bringen, so ist ihnen dies, vor läufig wenigstens, nickt gelungen, denn de Burlet, der neue Eabinctsckes und alte und neue Minisirr des Inneren, ist im großen Ganze» Geist vom Geiste Beernaert'S. nur daß er schutzzölliierischen Tendenzen zugänglicher ist. Er ist dem Proportionalsystem, an dessen Durchführung Beernaert scheiterte, gewogen und wird, zumal da König Leopold dasselbe außerordenilick protegirt, den Versuch seines Vorgängers wieder ausnchmen. Aber wird er daS Ziel erreichen? Die Extremen werden ihm schwerlich bewilligen, was sie Beernaert verweigert baden, und so scheint die Ministerkrise nickt gelöst, sonder» nur vertagt. Zmmclhin ist so viel gewonnen, daß die Erlrcmcn bei den bevorstehenden Wahlen nicht Herr im Lande sind; sie werden, wenn zum ersten Mal auf Grund des allgemeinen Wahlrechts gewählt wird wobt eine Anzahl Mandate verlieren, und wenn, waS noch nicht ausgeschlossen ist, die liberalen Parteien doch noch in Eartcl treten und die Doktrinären sich schließlich aus den Vortbeil besinnen, den ihnen das Proporiionalsystem gewährt, so darf es als ziemlich sicher gelten, daß Belgien noch geraume Zeit nach den Beernaerl'schcn Pri»cip»cn regiert wird, bei denen es, abgesehen von der Schulgesetzgebung, Alle- in Allem genommen, nicht schlecht gefahren ist. Der neue französische Colonienminister ist die unschuldige Ursache eines ConsUcteS zwischen dem Pariser Ge- meinderatb und der Regierung geworden. Herr Boulanger ist nämlich dabei, daS Local dcsEcincpräfecten iui Pavillon de Flore, in dem sich bisher schon das Unter- slaalssecrclariat der Eolonien bcsand, in erweitertem Umfang für sein Ministerium in Beschlag zu nehmen. Damit kommt er aber dem Scinepräsecten, Herrn Poubclle, inS Gehege, der nun seinerseits beansprucht, daß man ihm seine Anu-wohnung iw Stadthause einräumt. Er wollte schon früher dorthin übersicdeln, als die Einrichtung fertig war, aber der Gemeinbe- ralh batte erklärt, der Seinepräfect dürfe wohl im Hotel de Pille empfangen und seinen Lpeisesaal haben, aber wohnen — nimnicrmchr. Um deS lieben Friedens willen hatte Herr Poubellc sich gefügt und den Pavillon de Flore, den Flügel, der früher die Tuilcricn mit dem Louvre verband, auch ferner bewohnt, während seine Verwaltung nach dem Stadt bause gezogen war. Nun aber drängt Herr Boulanger un erbittlich, und unter solchen Umständen ist cS natürlich, daß an den Seinc-Präfcclcn nunmehr auch die diesem nur höchst erwünschte amtliche Aufforderung ergebt, nach dem Stadt hause hinüberzuziehen. Wie werden die Dinge ablaufen, werden sie den AuSgang einer Tragödie oder einer Komödie nehmen? Nach dem Vorgang deS früheren Gemeinderaths wohl das Erster?, denn dieser hatte gedroht, er ließe den pcrfönlichen HauSrath des Präscclen nicht über seine Schwelle bringen und wiche nur der Gewalt. Die Stadtväter von heute scheinen auch nicht versöhnlicher gestimmt, haben sie doch erklärt» alle Be ziehungen mit der Regierung avbrechen zu wollen, falls diese auf der Durchführung ihrer Absichten bestehen sollte. Daß aus solch' häuslichem Krieg auch allerlei sonstige Reibereien entstehen, zeigt daS Widerstreben, daS der Seinepräfect dem im Gcmeinderath laut gewordenen Wunsche, die Stadt Paris solle am 1. Mai ihren Beamten und Arbeitern Urlaub ertheilcn, mit der ausdrücklichen Bedingung, daß den Letzteren ihr Tagelohn ausbezahlt würde, entgegenzustellen, für an- gemessen findet. Zwischen Frankreich und dem C««,»ftaate schwebt seit Jahren ein erbitterter Grenz streit. Frankreich fordert GcbietStbeile des UbangibeckenS, um den Zugang nach dem Nil und Sudan zu erlangen. Der Congoltaat lehnte diese unbercchligten Ansprüche um so mehr ab, als er Liefe VcrbindungSstraßc mit dem Nil für sich behalten will. Frankreich wies den Antrag deS EongostaateS auf schieds richterliche Entscheidung ab und beschloß, eine starke, vou dem Major Monteil geführte Expedition auSzusenden, um mit Gewalt das geforderte Gebiet zu nehmen. Dieser Beschluß machte in Brüssel keinen Eindruck, denn der Eongostaal beherrscht im Bunde mit den eingeborenen Sul tanen das ganze Ubangibecken. Da« Ministerium Casimir Perier zieht jetzt ankere Saiten aus und lenkt ein; eS hat dem belgischen König vorgeschlagen, in Brüssel eine Com Mission einzusetzen, welche die Grundlage zu einer Ver- stsindigung suchen soll und zu welcher die Regierungen Frankreichs und des EongostaateS je drei Vertreter abordnen sollen. Auch soll der König den Zeitpunkt der Tagung der Com mission bestimmen. Der König hat diesen Anträgen zugestiinmt, und dic Eommission tritt im April in Brüssel zusammen und wird voraussichtlich eine Einigung ermöglichen. Zn Frankreich türstc man zu den Verhandlungen mit Belgien um so ge neigter gewesen sein, als eine Bekämpfung des EongostaateS am llbangi schwerlich günstige Erfolge erzielt haben würde. Zu der im Berliner Vertrag vorgesehenen Anrufung einer internationalen Vermittelung zeigte sich in Paris wenig Lust, weshalb man eS vorzog, sich dem Ausspruch einer engeren Commission zu unterwerfen. Daß der französische Minister des Auswärtigen Brüssel als VcrhandlungSort vor geschlagen und dem belgischen Monarchen auch die Bestim mung des Zeitpunktes für Eröffnung der DeputationSlhätig- kcit überlassen bat, ist mehr ais eine bloße Höflichkeit, viel mehr zeigt dieses Entgegenkommen, wie großen Werth man 'ranzöfischerscits aus daS Zustandekommen eiucr friedlichen Vereinigung und eines besseren Einvernehmens mit Belgien überhaupt legt. König Christian von Diine«ark soll» wie der Pariser Correspondent der „Times" berichtet, vor einigen Tagen gegenüber einem spanischen StaatSmanne folgende ausfallende Aeußerungen gethan haben: „Ich hofi'e lange genug zu leben, um zu sehen, wie Europa den Weg militairtscherEinjchrankungen betritt und wo die Souve- raine Europa« Maßregeln ergreifen, um ihre verschiedenen Völker gegen die beständig wachsenden Lasten der militairischen Rüstungen »u schützen. Mein ttieurer Schwiegersohn, der Zur von Ruß- land, dessen Mission in der Erhaltung de« Frieden» besteht, ist ganz bereit, diesen Weg zu betreten, und mein großer »nd guter Freund, der Kaiser von Oesterreich, ist gleichfalls geneigt, sein Aeußerstes für diesen Zweck zu thun. Ich habe niemals gewagt, mit dein deutschen Kaiser darüber zu sprechen, weil ein junger Louveraiu stets von der Erwerbung neuer Lorbeeren träumt, aber ich bi» sicher, baß der König von Italien nicht» gegen eine Berathung der Frage wegen Verminderung der Milttat» lasten einzuwenden haben würde, während bei Ihnen die große Fürstin, welche den Thron von Spanien bewacht, durch ihre offen- bare Annäherung an Frankreich bewiesen hat. daß sie lediglich die Verlängerung des Frieden«, welcher für ihr Volk so nölhig ist, im Auge hat. Ich bin daher sicher, daß Rußland, Oesterreich, Spanien und selbst Italien gleich begierig nach einer ununterbrochenen Periode des Friedens sind und alle Völker von einem Theil der Lasten, die sie Niederdrücken, befreit sehen möchten." Diese ganze Mittheilung trägt den Stempel ebenso unge schickter wie dreister Erfindung an der Stirn. Abgesehen davon, raßkcin Mensch außer dem sensationslüsternen Pariser „Times" Reporter dem König Christian eine so verblüffende Taktlosigkeit dem deutschen Kaiser gegenüber Zutrauen wird, darf man doch voraussehen, der Monarch wisse ebenso wie alle Welt, daß Feiittletsn. Äledea. Ei» bürgerlicher Roman von Wilhelm Wolters. jNachdruck verböte». 2s (Fortsetzung.) „Guten Morgen", warf Paul eintretend dazwischen. „Guten Morgen", brummte Martini. „Guten Morgen . . . also Sie sind wieder einmal gegen meine Anordnungen?" fuhr Willrich fort, an seinem Trau ringe drehend. „Za! Wir crepiren noch an diesen ewigen Verbesserungen!" „Menagiren Sie sich, bitte.... wollen Sie nicht ge fälligst ein wenig . . . mildere Ausdrücke wählen . . „Ich wähle meine Ausdrücke, wie mir'S beliebt!" „Es ist schließlich mein Geld . . ." „Und meine Verantwortung!" „Das wird sich finden." Herr Willrich knöpfte mit großer Vehemenz sämmtlickc Knöpfe seines braunen SammetjacketS in die Knopflöcher hinein, strich mit der Faust den braunen Bart »ach rechts und links unter dem Kinne auseinander und stampfte hinaus. „Es ist, um Blcistegezu fressen", knirschte Ma rtini. „WaS denn?" fragte Paul. „Einen täglichen Briefkasten wollen Seine Menschenfreund lichkeit einrichtcn ... eS könnte sonst vielleicht irgend einer „alten Abonnentin" zu lange währen mit der Entdeckung des ReceptS, wie man Sommersprossen entfernt... Eine gloriose Idee . . ." „Sie sind aber auch der Geist, der stets verneint." „Und Sie bleiben ewig ein Kind . . . machen Sie mich nicht noch wüthender ... und lassen Sic mich in Ruhe!" „Mil Vergnügen." Sie setzten sich Beide an ihre Pulte, und Paul versuchte mit Gewalt alle diejenigen Ereignisse des gestrigen Abends zu recapitulircn, deren Mittheilung die Leser deS localen abeileS der „Neuen Dresdener Presse" (insbesondere die Abonnentenmitgliedcr der Boluptas) billigerweise gedruckt zu sehen beanspruchen konnten und von denen, wie er merkte, leider nur sehr dürftige Schatten in seiner Erinnerung ge blieben waren. „ES gebt nicht!" ries Martini plötzlich aufspringend und i« Zixuner hin und her rennend. „Die Galle sitzt mir noch zu sehr in den Fingerspitzen... An welchem Knochen würgen Sie denn da?" Er blickte Paul, der an seinem Stachel- schweinfederhaltcr kaute, über die Schulter. „Aha ... na, ich gratulire Ihnen übrigens . . ." Paul schoß daS Blut inS Gesicht. „Wozu?" „Dazu, daß Sie so gesund geblieben sind." „Gesund? Wieso?" „Nun, ich mußte acht Tage lang Baldriantbee trinken, als ich vor ein paar Jahren die Verwegenheit batte, „dringender Einladung" zufolge in höchsteigener Person dem GründungS- actc dieser für die „höheren" (stände bestimmten Schürzen- börse beizuwohnen." „Sehr liebenswürdig von Ihnen, daß Sie nach solchen bedauerlichen Zufällen gerade mich hingeschickt haben. Ich fand eS übrigens recht nett." „Reckt nett? ... So so", lachte Martini diabolisch, „die Frau Präsident hat'« Ihnen wohl angethan?" „Tie Frau Präsident?" „Ein vortrefflicher Romancier! Eine hübsche Schrift- stellernase! Wahrhaftig! Zn Rom gewesen und den Papst nicht gesehen! . . . Nun, wenn Sie'S so nett gesunden haben" (Martini'S stechender Blick bohrte sich in Paut's Seele), „dann rathe ich Ihnen ja, sich den Genuß zu vervoll ständigen. . . Stoff! Stoff! Es könnte Ihnen für Ihre Dichtcrlausbahn nicht ohne Nutzen sei», die Bekanntschaft dieser liebenswürdigen Ducna, dieser allmächtigen und allwissenden BersorgungsacsellschastSvorstandSgattin gemacht zu haben. . . das ist ein Weib, wie auserlesen zum Kuppler- und Zigeuner wesen!" Martini drehte sich mit einem Rucke um. ,MaS wollen Sie?! Können Sie nicht anklopfen?!" „Herr Hahn läßt um den Leitartikel bitten", antwortete der Arbeiter, der lautlos in Filzschuhen eingetreteu war. „Soll warten ... gleich!" Tic blaue Blouse schlich unhörbar hinau«; Martini setzte sich wieder an Len Schreibtisch, daß der Stuhl krachte. Frau Präsident? . . . Allwissende Vorstandsgattio?' . . . Lachte Paul. Das ist ein Fingerzeig des Himmels! Präsident Horn, ja. ja, ganz recht, jetzt entsann er sich, das war der Vorsitzende gewesen mit der endlosen, lang weiligen Begrüßungsrede ... der alte Herr mit Glatze und Paviansnase und der riesigen, grün-weißen VorstandSschleifc aus der Brust neben dem kleinen rotben Bändchen im Knopf loch«: ... der mit bewunderungswürdigem Bilderreichthume die hochverehrte Vereinigung mit einem Pflänzchen verglichen, da- aus zarten Anfängen sich bereit« zu schöuer vlütyr eut- wickelt und da«, so wolle er hoffen, dereinst ein starker Baum werden werde . . . richtig . . . cS kann nicht- schaden, dem Trefflichen und seinem Rednertalcntc rin paar Worte mehr zu widmen . . . Allwissende VorstandSgattin! DaS ist ein Stern in der Nacht! Morgen werden wir die Frau Präsident aufsuchcn! „Der Scklag kann Einen treffen!" schrie Martini mit einem Male und drehte sich auf seinem Sessel nach dem Filzbeschuhtcn um, der wortlos neben ihm stand. „Leiden Sie an Gehirnerweichung, daß Sie sich - nicht merken können, oder speculircn Sie auf meine Erbschaft, daß Sie immer wieder, ohne anzuklopsen, wie ein Schreckgespenst vor mir auftauchen?" . . . Infame Angewohnheit! . . . da!" DaS Gespenst nahm stillschweigend die Manuscriptsäbnchen in seine durchaus nickt gespensterhafte Rechte, reichte mit der Linken Martini einen Brief und verschwand. „Natürlich!" lachte Martini. „Wie nickt ander« zu er warten! Und wenn ihm die Finger abgehackt würden, so könnte e^S nickt lassen» mit den Beinen zu schreiben! . . . Hören Sie zu, Förster: Herrn Wilbelm Martini, Chefredakteur und Mitbesitzer der „Neuen Dresdener Preffe", hier. Privatim! Sehr geehrter Herr! Die bedauerliche Heftigkeit, mit welcher Sit sich meinen wohlgemeinten Bestrebungen zur Hebung unsere- Blattes jederzeit widersetzcn, veranlaßt mich. Ihnen auf diesem Wege milzutheilen, daß ich durchaus nicht gesonnen bin, mich zum willenlosen Sclavrn Ihrer bypockonbrjschen Iung- gesellen-Grillen machen zu kaffen, in Folge welcher Sie die Welt stet- durch eine schwarze Brille anzuschen belieben. Ich kann die Richtigkeit Ihrer Argumente in quaestianirteln Falle, die Einführung eine- täglichen Briefkasten« betreffend, nicht zugeben; wenn ich daher von einer solchen vorläufig abzusebrn mich rutschlirße, so geschieht die- aus freund schaftlicher Achtung für einen Mann, welcher ähnliche Rück sichten zu nehmen wohl schwerlich zu lerne» je in der Lage sein wird. Ich bitte Sie dringend, mir nicht zu antworten, eS ware zwecklos. Meine Frau erwartet Sie heute bestimmt zum Mittagessen. Hochachtungsvoll und ergebenst T. O. Willrich, HerauSgeb« der „Neuen Dresdener Preffe". Haha! Aus diesem Wege! Aus diesem nicht mehr un gewöhnlichen Wege. daS wäre richtiger! Es ist in dem Jahre Numero sechs, macht, ausgerechnet, einen pro Woche! . . . Nun warten Sie 'mal eine Spaltenbreite lang, jetzt sollen Sie auch meine zwecklose Antwort höre» . . . Herrn T. O. Willrich, .Herausgeber der „Neuen DreeSdn» Presse", hier. Prwalim! Sehr geehrter Herr! Ich danke Ihnen bestens für den Ausdruck Ihrer freundschaftlichen Gesinnung. Ich würde gegen meine Pflicht bandeln, wollte ich nicht Ihrem licbcnSwürdig- rosigen Optimismus ein wenig die Balance halten. Fort gesetzte Manipulationen und Versuche, die lediglich pekuniäre Opfer und unnütze ArbeitSkrastvergcudunq fordern, ruiniren unser Blatt. Nicht- ist einem jungen Unternehmen nvth- wendiger, als ruhige, stetige Entwickelung. Ihre freundliche Einladung zum Mittagessen mit Der gnügen acceptirenb hochachtungsvoll und ergebenst Wilbelm Martini. Chefredakteur und Mitbesitzer der „Neuen Dresdner Preffe". „Ebenfalls Numero sechs trotz der regelmäßig ver botenen Erwiderung", sagte Martini, indem er aufstand und nach der Thür ging. Er drückte grinsend aus den Knopf der elektrischen Klingel und übergab den Brief dem erscheinenden Burschen. „Jetzt muß ich noch 'mal rasch in den Landtag gucken. Bebel wird wahrscheiulich heute eine blutige Rede schwingen. Adio." Paul war kam» zehn Minuten allein, als Herrn T- O. Willrich « vergnügt lächelnde- Gesicht im Rahmen der Tbür erschien. „Ah, Herr Martini ist schon fort?" „Ja, in den Landtag." Herr Willrich nickte. „Gut, gut. Hat die Augen wirklich überall. Ein ausgezeichneter Politiker, der Martini! Uebri genS . . . mache Ihnen auch mein Eomplimeut zu Ihrer neulicken Brsprechuog über die Neuaussübrung der „Medea". Bin wirklich sehr zufrieden . . . ganz meine Ansichten ... Sprach da neulich Abend« im Englischen Garten meinen Freund, den Intcnd—, doch Namen thun ja nicht« zur Sache ... war auch sebr mit Ihrer Art und Weise einverstanden ... Woblwolleo, Wohlwollen, da- ist die Hauptsache und die Grundbedingung sür eine ruhige, stetige Entwickelung emeS so jungen ÜnlernebmenS. wie unser Blatt ist..."
- Current page (TXT)
- METS file (XML)
- IIIF manifest (JSON)
- Show double pages
- Thumbnail Preview