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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.07.1892
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1892-07-07
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18920707020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1892070702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1892070702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1892
- Monat1892-07
- Tag1892-07-07
- Monat1892-07
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Ztg." die Wiener Auslassungen des Fürsten BiSmarck beantwortete, gaben wir der Ueberzeugung Ausdruck, daß Graf Caprivi beim Lesen jener Artikel es bereut habe, das frühere Leib blatt seines Vorgängers gegen diesen loSgclassen zu haben. ES zeigt sich heute, daß wir den Grasen Caprivi richtig beurtheilt haben. Er verzichtet darauf, in dem Streite mit dem Fürsten BiSmarck sich der „Norddeutschen Allgemeinen" zu bedienen und diesem Blatte die Form der Polemik zu überlasten; er tkut, waö er von vornherein hätte thun sollen: er benutzt zu einer Erklärung, zu der er hcraus- gesordert worden ist, den „Reichs-Anzeiger", der in seinem nichtamtlichen Theile Folgende- enthält: „Einige Zeitungen fahren fort, Aeußeruiigen zu bringen, welche durch den Umstand, daß sie ans den Fürsten Bismarck zurück- geführt werden, Interesse erregen, deren sachlicher Werth aber der Regierung keinen Anlaß giebt, sich mit ihnen zu beschäs. tigen. Nur folgende Aeußerung der „Hamburgec Nachrichten" kann, weil sie geeignet ist, den ersten Beamten des Reichs zu ver dächtigen, und weil sie jeder thatsächlichen Begründung ent behrt, nicht ohne Widerlegung bleiben. Dies Blatt sagt in.Nr. 158 vom 5. Juli d. I.: „Es ist ein Jrrthum, daß Fürst Bismarck die Ver- muthung ausgesprochen habe, Windthorst habe die Kunde von der Candidatur Caprivi's aus dem Munde des Kaisers gehabt. Ter Fürst hält eher das Umgekehrte für möglich und glaubt, daß Caprivi der Candidat des Centrums weit früher gewesen sei als der des Kaisers, da die antibisma rck'schen Beziehungen des jetzigen Reichskanzlers zum Centruin bis in die Zeit der ,.Reichs glocke " zurückreichen und uns nichts dar- über bekannt ist, daß ihre Fortsetzung später unterbrochen worden ist." Der Reichskanzler General der Infanterie Graf von Caprivi hat bis zu dem Augenblicke, in welchem Seine Majestät der Kaiser ihn zuni Reichskanzler ernannte, nie nach einer poli tischen Wirksamkeit gestrebt und nie Beziehungen — auch nicht antibismarck'jche — zu irgend einer politi schen Partei gehabt oder gesucht. Wenn Fürst BiSmarck, der doch schwerlick ohne irgend einen Anhaltepunct die Vermutbung ausgesprochen hat, Gras Caprivi habe seit Jahren in antibiömarck'schen Beziehungen gestanden, auf diese Erklärung etwas zu entgegnen Hat, so wird er dies in der correctestcn Form, also mit seiner Namensunterschrift thun müssen. Hat doch auch er bereits ei» Haar in der Art gefunden, wie manche der niit ihm in Verbindung stehenden Blätter seine Sache führen, denn er deSavouirt heute in den „Hamb. Nachr." in aller Form die „Westd. Allgem. Ztg.", über die in dem Ham burger Blatte Folgendes zu lesen ist: „Tie Jiivectiven der osficiöse» Presse gegen den Fürste» Bismarck nehmen vorzugsweise den Inhalt von Artikeln der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung" zur Grundlage, während »ach Angabe tcs Berichtes über das Wiener Interview der Fürst das genannte Blatt nur i» der Form der Ablehnung der Mitverantwort lichkeit für die Artikel desselben erwähnt hat. Zu regel mäßigem Verkehr mit dem Fürsten in Fricdrichsruh ist aus geographischen Gründen kaum eine andere der drei in dem Wiener Gespräch genannten Redaktionen als die der „Hamburger Nach- richten" in der Möglichkeit. Für die angefochtenen Veröfscnt- lichungen der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung" glauben wir aber nicht, daß dem Fürsten Bismarck irgend welche Verantwortlichkeit auferlegt werden kann." Da nun Graf Caprivi den rechten Weg der Kampfsüh- rung betreten und dadurch zugleich die Drohung der „Nordd. Allgem. Ztg." »>il gerichllichem Einschreiten gegen den Fürsten von sich abgewiescn hat, andererseits auch Fürst Bismarck auf eine unentstellte Wiedergabe seiner Aus lassungen Werth legt, so ist die Hoffnung begründet, daß künftig der Streit zwischen den beiden Staatsmännern, sofern er überhaupt weiter geführt werden soll, aus dem jenigen Boden geführt Werden wird, der beider Männer allein würdig ist. Und ganz zu Ende ist er augenscheinlich noch nicht, da Graf Caprivi in seiner Erklärung eS vermieden Hat, über die zweifellos ans den Fürsten BiSmarck zurück znführende Behauptung der „Hamburger Nachrichten" sich zu äußern, „man habe am Wiener Hofe infolge von Berliner Einwirkungen die Begeg nung mit dem früheren Reichskanzler vermieden." ES scheint fast, als habe der jetzige ReickSkanzler auf diese Behauptung nichts zu entgegnen. Und doch ist cs gerade der Umstand, daß dem Fürsten nach seiner Meinung von Berlin aus eine Audienz beim Kaiser Fra»; Josef abgcschnitten worden ist, waö den Altreichskanzler mit Erbitterung erfüllt. TaS gekst deutlich auS einer Auslassung bervor, die sich heute an der Spitze der „Hamb. Nachr." bcsinket. Sie lautet: „Tie „Norddeutsche Allgemeine Zeitung" wirst die Frage aus, ob das Benehmen des Fürsten Bismarck wohl patriotisch sei? Wir antworten mit der Gegenfrage, ob es wohl patriotisch war, das Erscheinen eines MaiincS von der Stellung und der Vergangenheit des Fürste» in Wien mit Urias- briefen zu begleiten, die seinen Empsang bei einem Monarchen unmöglich machten, mit welchem der Fürst seit vierzig Jahren — 1852 war er zuerst als Gesandter bei ihm accreditirt — in amtlichen und persönlichen Be ziehungen gestanden hat, die jederzeit, auch bei politischen Dissensen, von der Gnade des Kaisers Franz Josef und von der Verehrung des Fürsten für denselben getragen waren. Wir sind da überzeugt, daß eine Begegnung des Kaisers Franz Joses mit dem früheren Kanzler für die von letzterem angcbadntc» sreund- schastlichcn Beziehungen beider Staaten in keiner Weise nachtheilig, vielleicht sogar förderlich gewesen wäre. Die Mittel, die benutzt worden sind, um dem Kaiser von Oesterreich den ursprünglich von ihm beabsichtigten Empfang des Fürsten Bismarck zu verleiden, machen den Eindruck einer Geringschätzung und Schädigung der gesellschaftliche» Stellung des Fürsten, die noth- wendig als persönliche Kränkung wirken mußte. Daß vom Fürsten Bismarck die Audienz beim Kaiser Franz Josef nach- gesucht wurde, war eine ganz unabweisbare Coiisequenz der vierzigjährigen persönlichen und amtlichen Beziehungen, die zwischen dem Kaiser Franz Josef »nd dem frühere» Kanzler vorhanden waren. ES wäre von Letzterem eine Unhüslichkeit gewesen, wenn er cs unterlassen hätte, sich in Wien zur Audienz zu melden, und wenn er den Wunsch, em-sangen, zu werden, nicht zum Ausdruck gebracht hätte. Daß er durch Berliner Einflüsse tn die Kategorie von Persönlichkeiten verwiese» ivnrde, die man nicht empfanden kann, fällt in die Analogie der früher üblichen Scheltbricfe, mit denen Personen an fremden Orten discreditlrt wurde» und vor Verkehr mit ihnen gewarnt wurde. Wir können in dem Vorleben des Fürsten BiSmarck nichts finden, was eine so beleidigende Classificirung verdient hätte. Wenn sonach die „Conservative CorrespoiidenL' dem Fürsten Bismarck zugesteht, daß er sich aus. seiner Reise in Berlin, in Dresden und anfangs auch in Wien correct und loyal gezeigt habe, alsdann aber von einer „unbegreiflichen Wendung" spricht, so wird sie sich nach unseren obigen Angabe» das Räthsel selbst löse» können. Wir glauben, daß die Berliner und Dresdner „correcte" Stimmung des Fürsten nicht Stand gehalten hat gegen den Eindruck, den er in Wien von de» Berliner Mittheilungen über ihn erhalten hat, und daß er sich durch die Mißachtung der socialen Höflichkeit, an die er sich in seinem Leben gewöhnt hat, auch seinerseits von solche» Höslichkeitsrücksichte» und nicht von politische» entbunden geglaubt hat. Politisch könne» wir in dein Interview der „Neuen Freien Presse" wenigstens nichts Neues ent- decken und würden aus demselben keine Aenderung der Lage und keinen Anlaß zu publicistischein Zorne gefunden haben, auch wenn der frühere Kanzler sich durch seine Na»icnS»nierschrist mit dem Wortlaut der Wiedergabe seiner mündlichen Aeußerungcn ein- verstanden erklärt hätte. Tie Form läßt uns allerdings die per sönliche Rücksichtnahme vermissen, die wir bei früheren politischen Aeußerungen deS Fürsten gewöhnt waren. Vielleicht huldigt auch er dem Grundsatz ä corssckes corsairs «t ckemi und ist entschlossen, höflich nur gegen höfliche Leute zu bleiben! Tie „National-Zeitung" berichtet, daß Fürst Bismarck über die Mittel, durch welche sein Wunsch, eine Audienz beim Kaiser Franz Josef zu erhalten, vereitelt wurde, heftig ausgebracht worden sei. Wir geben das mit der Modifikation zu, daß das Wort „heftig" zu streichen ist. Vielleicht trifft auch das Epitheton „auf gebracht" nicht aus eine Stimmung zu, in der man sich der Höslichkeitsrücksichte», denen man früher in Folge eigener Erziehung Rechnung getragen hat, durch das Verhalten Anderer e»t- Kunden stihlt." ES geht aus dieser, zweifellos mit mündlichen Aeußerungen des Fürsten sich deckenden Kundgebung deutlich bervor, wie tief der Fürst es empfindet, daß ikm — nach seinen Informationen — von Berlin aus eine Art Steckbrief nach Wien vorausgesendet worden ist, der vor ihm wie vor einer gefährlichen Persön lichkeit warnte. Und wenn Gras Caprivi in die Lage seines Vorgängers sich versetzt, so wird er cS begreiflich sinken, daß dieser sich vorgenommen hat, „höflich nur gegen höfliche Leute zu bleiben". Wir hoffen, daß der jetzige Kanzler eine Er klärung findet, die von dem Fürsten das Gesükl binwegnimmt, nack so langen treuen Diensten wie ein gcsäbrlicher Abenteurer behandelt zu werten, dem alleThüren verschlossen werden müssen, die fick früher so weit vor ikm aufzclkan. Sucht und findet Graf Caprivi eine solche Erklärung, so wird nicht nur der Fürst zu den Formen zurückkehren, die er selbst als seine Gepflogenheit bezeichnet, sondern eö wird auch von allen wahren Vaterland-freunden, die mit tiefem Bedauern und ernster Sorge einen peinlichen Kampf entbrennen sahen, diese Sorge genommen werden. Wie schon an anderer Stelle berichtet worben ist, brachte kürzlich ein polnisches Blatt, angeblich auf Grund neuerlicher Informationen, die Nachricht, daß Kaiser Wilhelm den Manövern in Galizien anwobncn und den Kaiser Franz Joseph in Lemberg besuchen werde, eine Nachricht, von welcher in Wien nichts bekannt ist. Wir haben Ur sache anzunehmen, daß eS sich nur um die umgestaltcte Wiederhcrvorhcbung der bereits als grundlos bezcich- neten Nachricht handle, wonach Kaiser Wilhelm an den Schlußmanövern bei Fünfkirchcn theilnehmen werbe. Man wird gut thun, über diese, wie auch über alle weiteren, bald diese, bald jene Monarchcuzusammenkunft betreffenden Nachrichten, deren Verbreitung nenestens schwunghaft be trieben wird, einfach hinwcgzugehcn, schon deshalb, weil es nicht zu den Gepflogenheiten gehört, solche Begegnungen, selbst wenn sie geplant sein sollten, was in dem vorliegenden Falle nicht zu sein scheint, schon lange vorher anzukündigcn, geschweige denn dies durch solche Blätter zu thun, wie zene sind, die sich in der letzten Zeit die Verbreitung solcher Nach richten besonders angelegen sein ließen. In Paris fängt man an, wegen der Vorgänge in Dahome etwas ungeduldig zu werden, und man versteht eS namentlich nicht, daß die schon so lange angesagten Ver stärkungen noch nicht angekommcn sind, weshalb der dortige Befehlshaber der französischen Streillräfte vor der Hand nichts weiter tbun konnte, als mit zwei Kanonenbooten einige Dörfer der Dahomite» zu beschießen. Es ist das um so verwunderlicher, als die zu militairischcn Operationen geeignete Zeit in cinerWochebeginnlunbnurbiSzumOclober dauert. Aus den letzten privaten Nachrichten kann man aber schließen, daß der Oberst Dodds kein ganz leichtes Spiel haben wird, denn die dahcmcnsische Armee ist zahlenmäßig recht stark und cü ist auch nicht ein Zeichen von Enlmuthignng, daß sie in den letzten Tagen gewagt hat, bis ans 8 Km vor Portonovo zu rücken und dort französische Dörfer zu verwüsten. Daß DoddS das mußte geschehe» lassen, beweist anderseits, daß er zu jedem wirklich angrcifenden Vorgehen zu schwach ist, und die Lage scheint sogar so zu sein, daß er froh sein muß, wenn ihn die Feinde nicht angreisen. Was besonders beunruhigt, ist der Widerspruch zwischen den privaten und den amtlichen Nachrichten. Letztere wissen von dem neuesten Gewaltstreich des Königs Behanzin nickt« zu melden, und man schließt daraus, daß die Re gierung überhaupt mit der Wahrheit zurückhält. Viel leicht geschieht das mit Rücksicht aus die Kammer. Man möckte eine Anfrage vermeiden und will vielleicht warten, bis sich die Kammer vertagt hat, um erst dann ernstlich vor zugehen. Ein solches Verfahren hat allerdings Vortheile, und es ist sicher, daß die Kammer sich gegen eine gegebene That- sache nicht auslchnen wird, wenn nämlich alles gut gegangen ist. Geht aber nicht alles glatt — und in Afrika muß man auf alles gefaßt sein —, so kann das Ministerium im Herbst in eine recht unangenehme Lage kommen. Der zweite Wahltag in England Lar, wie wir schon gestern andeuten konnten, für die Gladstoneancr weniger günstig, als der erste. Die Ergebnisse der an diesem Tage in 82 Wahlbezirken vollzogenen Wahlen lassen erkennen, daß beide Parteien ihre Stellungen hartnäckig vcrthei- digen; weder die Liberalen noch die Unionisten gewannen wesentliche Fortschritte, ja die erstcrcn verloren eher an Boden, als sie solchen gewannen. Einen Gewinn von neun Sitzen, das war Alles, was die Gladstoneancr nach zweitägigem Wahlkampf erreicht hatten, ein Resultat, welches, falls die weiteren Wahlen nicht größere Erfolge für die Liberale» bringen, ihnen die gehoffte Majorität im Parlament nicht verschaffen wird. Selbst Gladstone hat eS unter solchen Umständen für gut befunden, seine SicgeS- hosfnungcn herabzusetze», indem er in einer am Dienstag gehaltene» Rede zwar versicherte, der Gewinn von neun Sitzen sei ein befriedigendes Ergebniß, er wolle jedoch die weiteren Ergebnisse abwarten, ehe er mit Zuversicht spreche. Der gestrige dritte Wahltag hat nun inzwischen das Zünglein der Waage wieder etwas mehr nach der Seite der Gladstoneancr schwanken gemacht, da nach einem heute aus London vorliegenden Telegramm die Conservative» bis jetzt 10, die Unionisten 4, die Gladstoneancr aber 29 Sitze gewannen. Danach beträgt der Reingewinn dieser Partei an Parlamentssitzen, die sie in den bisherigen Wahlen errungen haben, 15, indessen auch dieses Resultat ist noch kein solches, welches Gladstone den endgiltigen Sieg und damit den Wiedereintritt in die Re gierung verbürgt, und es wird der fernere Verlauf der Wahlen abgewartct werden müssen, ehe aus den definitiven Ausgang des Kampfes geschlossen werden kan». Das oben angeführte Telegramm lautet: Bis jetzt sind 121 Conservative, 19 Unionisten und 97 Gladsto» neaner gewählt. Die Konservativen haben 10, die Unionisten 4 und die Gladstoneancr 29 Sitze gewonnen. Ter Staatssrcretair der Innern Matthew und der Führer der liberalen Unionisten Chamberlain sind Beide in Dorningham gewählt worden. Ersterer mit einer Mehrheit von 2299, Letzterer mit einer Mehrheit von 4417 Stimmen. Der Unionist Arnold Förster siegte in Belfast über den Autiparnelliten Sexton, einen der Führer der irländischen Unionisten. In FinSbury (London) wurde der Indier Naoranyi (liberal) mit einer Mehrheit vou 3 Stimmen ge wählt. In Sofia dauert die Verhandlung des ProcesseS Beltschew fort. Man nimmt an, daß der Proceß noch eine Woche dauern wird. DaS Interessanteste in dem bisher gepflogenen Zeugenverhör waren die Aussagen Milarow'S und Popow'S. AuS ihnen geht beweiskräftig hervor, daß sich nicht nur, wie bereits im Leitartikel der Morgen- nummer hervorgehobcn wurde, das slawische Wohl- thätigkeitS Comits in Petersburg durch Geldsendungen und Rathschläge an dem Co mp lote zur Ermor dung des Fürsten Ferdinand betheiligte, sondern daß auch der frühere Gesandte Rußlands in Bukarest, Ge- heimralh Hitrowo, direct fördernd eingriff. Milarow gesteht unumwunden ein, von ihm Geld für seine Zeitung „Neunter August" erhallen zu haben; die Tendenz derZcilung war, den Um sturz in Bulgarien hcrbeizusührcn. DaS von Milarow als echt anerkannte Tagebuch verzeichnet sogar, der Kaiser von Rußland habe sich zuZankow einmal folgendermaßen geäußert: „Ich weiß, daß die Bulgaren mich lieben; die Angelegenheiten Bulgariens werden sich ungünstig gestalten und der Coburger wird Bulgarien verlassen." Weiter heißt es in diesem Tagebuch, Feuilleton. Der Letzte seines Stammes. 6j Licht- und Schattenbilder von Wolde mar Urban. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) Wie ein Kind schmeichelnd und bittend sagte er: Gut, Fräulein Minne, Sie haben vollständig Neckt. Ich weiß nicht, wovon die Rede war, aber ich fühle, daß Sie Recht haben müssen. Wie sollten Sic nicht! Aber Sie müssen mir nun auch einen Gefallen thun. Wollen Sie? Aber ich muß doch erst wissen, was Sie von mir wünschen, sagte die junge Dame lächelnd. Oh, eine Kleinigkeit, eine ganze Kleinigkeit. — Wollen Sie? Aber, Herr Gernot, ich kann doch nicht Ja sagen, wenn ich nicht weiß, um waS sich'S handelt! Gott weiß, wie gern ich Ihnen einen Gefallen thue, aber die Herren Künstler haben manchmal so sonderbare Ansichten und Wünsche. Gut, Fräulein Minne, fuhr Herr Gernot etwa- leiser und vertraulicher fort. Sie sollen Alle- wissen, ich brauche siir mein Römerbilb, meine erste große Arbeit, eine Virginia, die von ihrem Vater erstochen wird, — weil — weil — UmS Himmels willen! Soll ich mich etwa Ihnen zu Liebe erstechen lassen? Nein, Sie sollen die Generosität haben, Fräulein Marin-, mir eine oder zwei Stunden, vielleicht auch einige Stunden mehr von Ihrer Zeit zu schenken, damit ich eine Skizze von Ihnen nehmen kann. Entsetzt blieb Fräulein MariuS sieben. Oh, Herr Gernot, Sie nehmen mich für ein Modell! Sie sind sehr gütig! Ich danke Ihnen schön für diese Zu- muiliung. Natürlich, da haben wir'S! fuhr der Maker hitzig auf, immer und immer wieder dieselben Dummheiten. Erlauben Sie, wenn ich die Gebote der Sitte und deS AustandeS nicht so bezeichnen möchte, wie Sie es thun. Herr Gernot wurde immer aufgebrachter. Ei, lassen Sie mich doch in Ruhe, gnädiges Fräulein, mit Ihren Begriffen, wie sic vielleicht in der höheren Töchterschule gang und gäbe sind, die aber vor jedem verständigen Menschen in einen linsinn zusammenfallen. Sie halten mir lange Vor träge und machen mir woblmeincnde Vorwürfe, daß ich meine Talente nicht verwerlhe und betkälige, und bei der ersten Gefälligkeit, die Sie mir als eine Hilfsleistung erweisen sollen, rümpfen Sie in tiefer Prüderie die Nase und sagen: Aber Herr Gernot! Fräulein MariuS batte allerdings eben diese Worte aus den Lippen, aber sie nitterdrückle sie, als sie sich so von Herrn Gernot copirt sah. Sie war erstaunt über die Entrüstung, die ihre Weigerung, die an sich doch sehr verständlich war, bei dem Maler hervorricf. Mein Gott, man sollte meinen, ich hätte ein Verbrechen begangen, sagte sie. Da- haben Sie auch. Ihre Weigerung ist eine Miß achtung nicht nur der Kunst, sondern auch deö Künstler-, die nur dadurch zu entschuldigen ist, daß unsere öffentlichen Begriffe in Bezug au) Kunst und Kunstnrthcil stumpf sind. Ich will Ihnen eine allgemeine Sünde nicht besonder- aufbürdcn, die Zeit aber, die dem Künstler verständnißloS und prüde entgegen tritt, bat kein Reckt, ihn, Unlust zur Arbeit, LeistnngSunsähig- keit und Vernachlässigung der pädagogischen Zwecke der Kunst vorzuwerfen. O heiliger Zeuxis — wissen Sie, wer ZcuxiS war, mein Fräulein? O, Sie brauchen nickt zu errölbcn, in unserer Zeit weiß Mancher nicht, wer ZenxiS war. ZenxiS halte sich vorgenommen, die schöne Helena zu malen WaS meinen Sic wohl, wie er zu seinen Modellen kam? Ter Senat von Kroton bestimmte, daß er das Recht haben solle, sich fünf der schönsten Mädchen in der Stadt auszusuchen, damit sein Werk zur Zierde der Menschen gedeihe. Und diese Mädcken, die ZenxiS wählte, rrrötbetc» darüber nicht, machten keine Redensarten von Sitte und Anstand, sondern sie waren stolz auf ihre Wahl. Sie hatten allerdings auch den Vorthcil, daß in Kreton keine höhere Töchterschule war Waren die Griechen deSbalb ünsiltlich oder roh? Nein, aber sie hatten eine hochentwickelte Kunst, wie wir sie nie haben werden. Ter Maler war aufgeregter, als sich mit den Convenienzen eines Salons vertrug. Junge Herrchen, die wohl schon ohne hin einen Groll aus Herrn Gernot haben mochten, weil sich die Tochter deS Hauses mehr als gerade nöthig mit ihm de schäftigte, standen mit gespreizten Beine» herum und lachten blasirt. Fräulein MariuS schien nur ein wenig blcickcr zu sein, als sie sonst war, schaute aber mit freudigen, stolze» Blicken auf Herrn Gernot hinüber, der ihr zu ibrer großen Ucberraschnng »och nie so sehr als ganzer Mann erschienen war, als gerade heute Sie bätte nie geglaubt, daß er Jemand mit so großer Entschiedenheit und Bravour abkanzeln könne, als ihr das soeben widerfahren war. Verzeihen Sie, fuhr Herr Gernot, sich plötzlich etwas be ruhigend, aber mit einer um so strengeren Kälte fort, verzeibcn Sie, mein gnädiges Fräulein, wenn ich Ihnen in der Ans regung vielleicht web gethan habe, oder auS der gedeckten Stellung deS guten Tons etwas hcranSgefallen bin. Es war nicht meine Absicht, und ich bitte »in Entschuldigung. Anderer seits will ich gern glaube», daß Sic nicht die Absicht gebabt haben, mich mit Ihrer Weigerung zu beleidige». Wenn Sic aber wieder in eine ähnliche Lage kommen, so denke» Sie daran, daß man daS Handwerk und die Person des Künstlers nickt schlimmer beleidigen und berabsctzen kann, als durch Mißtrauen und hochnäsige Prüderie. Damit verbeugte sich Herr Gernot vor der Tochter des Hauses ceremoniell und höflich und ging rasch davon. DaS batte Fräulein MariuS nicht erwartet. Hatte sie ihn wirklich beleidigt? Konnte, durste er sich von ihr be leidigt fühlen? Halte sic nicht durchaus correct gehandelt? Er hatte ja natürlich Reckt. Fräulein Minne zweifelte daran keinen Augenblick. Aber konnte sie nicht trotzdem auch ihren kleinen Standpunkt für sich bebalten? Warum hatte er nickt wenigstens eine Erwiderung, eine Erläute rung, eine — Entschuldigung abgcwartel? Tie Sache war gar nicht so schlimm, und wenn sie sich'S recht überlegte, so batte sie ja schließlich auch wohl einige Stunden — Tage — Wochen für ihn frei. WaS war denn auch weiter dabei? Wer wollte eS ihr wcbren? Wer batte Reckt WeSkalb so verblüfft, meine Gnädigste? börte sie plötzlich die Stimme deö Grasen Coda neben sich Künstler sind immer und werden immer da- eussnt terriblo der Gesellschaft sein, man muß sich nicht allzu sehr darüber aufregen. Manch mal klingt cS auch recht hübsch, WaS sie sagen, aber man muß sich davon nicht verführen lassen, man muß nicht vergessen, daß sie doch eigentlich immer nur in eigener Sache, also egoistisch sprechen. Wenn der Bäcker oder der Fleischer sagt: Meine Waarc muß einen Pfennig mehr kosten, so sagen wir ibm einsack: Lieber Frennb, du hast gut reden, im klebrigen bleibt die Sache beim Allen. Sagt uns aber ein Künstler, die Kunst genieße nicht die erforderliche Achtung, so ist man unwillkürlich geneigt, an seine Brust zu schlagen und sich schuldig zu bekennen — ohne Ursache. Er spricht genau so in eigener Angelegenheit wie der Bäcker und der Fleischer. Die Kunst ist genau daS, waS die Menschen aus ihr mache», ebenso gut wie die Dreicrsemmel eben nur drei Pfennige kostet. Diese Vergleiche, Herr Graf! Doch lassen wir daS, ich fühle mich in der Tbat elwaS abgespannt. Würden Sie die Güte haben, mich hinüber zu meiner Mania zu führen? Ein ausmcrksamer, prüfender Blick des Grasen Coda glitt über die feine Gestalt deS jungen MädckcnS bin. Cs schien, als ob er ergründen wolle, in welcher Beziehung der Maler zu der Abgespannlkeit deS Fräulein- MariuS stehe. Sie seben in der Thal etwas blässer aus, meine Gnädigste. Sie müssen sich schonen und vor allen Dingen wie^oll ich sagen — keine Thcatcransregung für eine wirkliche Auf regung nehmen. Darf ich bitten? HI. Frau Gebeimrätbin MariuS saß mit Herrn Justizrath Markwaldt anscheinend im intimen Gespräch in einer Fenster nische des großen Salons. Sic werden vielleicht glauben, Herr Justizratb, sagte sie, daß eS lächerliche Titelsucht, Stolz oder Unbehaglichkeit in meiner jetzigen gesellschaftlichen Situation ist, waS mich Ihren Plänen so günstig stimmt Aber gnädgste Frau Gcbcimrälhin — Bitte, Herr Justizrath, lassen Sie mich ruhig und klar die Sache auSeinandcrsetzcn Ich bin eine verständige Frau und wenn eS fick um das Glück meines einzigen Kindes handelt, so werken Sie mir wobl glauben, daß ich mich den Erörterungen nicht in oberflächlicher, voreingenommener oder gar eitler
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