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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 06.02.1907
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-02-06
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19070206014
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907020601
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907020601
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-02
- Tag1907-02-06
- Monat1907-02
- Jahr1907
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Bezuas.Prcis für Leipzig und Vororte: Io der Haupt- Lzpebltion oder deren Au-gabeiiellen ab- »edolt monatlich: Ausgab« T (1 mal täglich) 70 Pf., Ausgabe k !2 mal täglich) 80 Pf„ bei Husirllung in» Hau» AuSaabe T 80 Pf., Ausgabe L l Mark. Durch uniere au», w-riigro Ausgabestellen und durch die Post bezogen (I mal 1äglich)innerha>bDeutschland» monatlich 1 Mark au-jchl. Bestellgebühren, für Oeslerreich-Ungarn 5 L 45 k virrteljädrlich, di« übrigen Länder laut Zeitungeprei-liste. Diese Stumm« losret au» 4 s» oll« Bahohöf« und bet III ^1(1 den rseÜong».B«käuieru Ae»altron und Ervebttta»; Johamütgass« L Delevdon Nr. ISL «r. LLL Rr. 1178. Berliner Ar»attion»-Bure«u: B«Ua 7, Prinz Louis Ferdmaud- . Straße I. Telepho» l, Nr. 9278» Morgen-Ausgabe 8. MpMer TllgMM Handelszeitung. Amtsblatt des Rates und des Volizeiamtes der Ltadt Leipzig. AnzeiqeN'Preis die 8gespaltene Petitzeile für Geschäfts- Inserate auS Leipzig und Umgebung 2b Ps„ Familien-, Wohnunqs- u. Stellen-Anzeigen, sowie Au» und Berkäuse 20 Pf., sinanzielle Anzeigen 30 Pf., für Inserate von auswärts 30 Pf. Reklamen 75 Pf„ auswärts l Mark. Beilaie- gebühr 4 Mark p. Tausend exkt. Postgebühr. Geschästsanzeigen an bevorzugter Ltelle im Preise erköht. Rabatt nach Tarik. Für Inserate vom Auslande beionderer Taris. Anzeigen-Annahme. Augustusplatz bei sämtlichen Filialen u. allen Annoncen- Ezpeditionen des In- und Auslandes. ür das Erlcheinen an veitimmtea Tagen u. lätzen wird keine Garantie übernommen. Haupt-Ftltale Berlin: CarlDuncker.Herzgl.Bahr.Hosbuchhandlg., Lützowiiraße 10 ,Telephon VI, Nr. 4603). )ilial-tkrpedition:TreSSen,Marienstr.34. Nr. 37. Mittwoch 6. Februar 1907. 101. Jahrgang. »ar Aicdtlgrle vom läge. * Um 2 Uhr nachts waren uns sämtliche 397 Resultate bekannt. Einschließlich der Hauptwahl und der Stichwahlen fsämtliche 130 gestern vollzogene Stichwahlen siehe 2.Beilage) sind hiernach gewählt 59 Konservative, 5 Bund der Land wirte, 21 Reichspartei, 8 Reformpartei, 14 Wirtschaftliche Bereinigung, 105 Zentrum, 20 Polen, 55 Nationalliberale, 1 Bauernbund, 12 Freisinnige Vereinigung, 28 Freisinnige Bolksportei, 7 Deutsche Volkspartci, 44 Sozialdemokraten, 6 Elsässer, 1 Welfe, 1 Däne, 10 Fraktionslose. Das Gesamt- ergebniS gestaltet sich demnach wie folgt: Konservative -s- 7, Bund der Landwirte -s- 5, Reichspartei — 1, Deutsche Resormpartei -s- 2, Wirtschaftliche Vereinigung — 1, Zentrum -s- 1, Polen -f- 4, Nationalliberale -s- 4, Bauernbund -s- 1, Freisinnige Vereinigung -s- 2, Frei sinnige Volkspartei -s- 8, Deutsche Volkspartei -s- 1, Sozial demokratie — 35, Elsässer — 3, Welfen — 1, Dänen unver ändert, Wilde -s- 6. — Im Königreich Sachsen unterlag die Sozialdemokratie in allen 8 Stichwahlkreisen. (S. Leit artikel und Einzelresultate, 2. Beilage.) * Der Reichstag wird, wie der .Reichsanzeiger" bestätigt, auf den 19. Februar einberusen werden. * Der frühere HandelSminisier von Möller wird als Bertreter des Kaisers an der Einweihung der Universität PittSburg in Nordamerika teil nehmen. * Der frühere preußische Landtagsabgeordnete Reichsgerichtsrat a. D. Äser ist in Trier gestorben. (S. Disch. R.) * Der russische StaatSrat v. MarteuS, welcher das Programm der Haager Friedens-Konferenz vor bereitet, hat mit Präsident FallisreS verhandelt. (S. Aust.) * China bereitet eine innere Anleihe vor. (S.Ausl.) Zachrem grorrer Lag. Der 5. Februar hat in Sachsen eine Wählerschaft ge sunden, die der des 25- Januar würdig war. Das damals begonnene Werk der Befreiung von der sozial, demokratischen Vorherrschaft — gestern ist es vollendet wordon. Der gemeinsame Feind aller bürger lichen Parteien in Sachsen ist auch in den Stichwahlen zu Boden geschlagen worden. Nicht ein einziger Sozialdemokrat wurde gestern in Sachsen gewählt. Die rote Fahne, di: schon am 25. Januar aus sechs Wahlkreisen verschwand, ist in den acht Wahlkreisen, in denen die Sozialdemokratie ihre Herrschaft noch zu er halten hoffte, niedergeholt worden. Statt der 22 sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten, die im Juni 1903 aus Sachsen nach Berlin entsandt wurden, können jetzt nur noch die acht Abgeordneten in die Reichs hauptstadt «inziehen, die bei der Hauptwahl am 25. Januar ihr Mandat behaupteten. Dagegen entsendet Sachsen jetzt in das deutsche Parlament: 8 Mitglieder der nationalliberalen Partei, 4 Mitglieder der Reformwartei bzw. wirtschaftlichen Ver einigung, 2 Mitglieder der konservativen Partei, 2 Mitglieder der freisinnigen Volkspartei, 1 Mitglied der Neichspartei. Es wurden gestern gewählt in Zittau Buddeberz fsreis. Dolksp.). in Dresden-Altstadt Heinze snationallib.', in Meißen Gäbel (Resormpartei), in Döbeln Ev « rlrng (nationallib.), in Borna v. Liebert (Reichst).), in Oschatz- Grimma Giese (kons.), in Annaberg Stresemann fnationallib.j, in Plauen Günther (freis. Volksp.l. Der Kampf war nicht weniger heiß als bei der Haupt- waU- Was die Sozialdemokratie an organisatorischer und agitatorischer Kraft aufbieten konnte, hat sic bis aufs äußerste geleistet. Sie hat mit dem Mut der Verzweiflung gekämvft. Aber daS „schläfrig« sächsische Bürgertum", übel. daS sie so viel Spott und Hohn in den letzten Jahren auSlgegosian, war erwacht. Es reckte seine Glieder. Und si« waren kräftiger als di« der Sozialdemokratie. Ein mütig zogen die bürgerlichen Parteien in die Entscheidungs schlacht. Der Sieg am 25. Januar hatte sie nicht übermütig gemacht: hatte ihre Reihen nicht gelichtet durch .Zwietracht oder durch Lässigkeit. Die Flut von Beschimpfungen, die sich seit dem Tage der Hauptwahl über die bürgerlichen Kreise in der sozialdemokratischen Presse ergossen harte, die freche Verhöhnung ehrlicher nationaler Gesinnung und treuer Vaterlandsliebe, die man unter Verleugnung aller nationalen Scham dem Bürgertum zuteil werden ließ, haben in dieser sozialdemokratischen Niederlage ein« unmißver- stündliche Antwort gefunden. Eben die Partei, die wie k.ne andere die Majorität anbetet, hat von der Majorität des sächsischen Volkes gestern unzweideutig zu hören bekommen, daß man der sozialdemokratischen Vertretung im Reichstag satt, liber-satt ist, und darum mit der Waffe des Stimmzettel» anderen Männern deS VolkSvertrauen» den Weg ,n den Reichstag bahn«» will, von denen man weiß, daß ihnen Deutschlands Ehre, Macht und Ansehen höher stehen als Klasseninteressen. Und so beginnt für Sachsen mit dem gestrigen Tage ein neuer Abschnitt in der Geschichte »einer parlamentarischen Vertretung im Deutschen Reichstage. Möge dieser Abschnitt durch die treue Hingabe der gewählten Volksvertreter an ihr hohes Amt, durch die Betätigung wahrhaft nationaler und ehrlich volksfreundlicher Gesinnung für Sachsen ehren voll und segensreich werden. Möge für immer von unserem sächsischen Vaterlande die Gefahr abgewandt sein, wieder durch «ine sozialdemokratische Mehrheit im Reichstage ver treten zu werden. Das rote Königreich ist begraben. Es lebe, blühe und gedeihe das Königreich, dem die alte Sachsentreue eine nationale Vertretung im Deutschen Reichstag wieder erobert hat. (Das Nähere über die Wahlen siche 2. Beilage.) Var Macbtgebeimni; aer sslrnlralirmu;. Von Professor Dr. Karl L a m p r e ch t - Leipzig. Neben dem Sturz der sozialdemokratischen Partei ist das Auffallendste an den jüngsten Reichstagswablen vielleicht die Sicherheit, mit welcher das Zentrum die Krise überstanden hat: wenigstens wenn man die Wahlen vom Standpunkte der im Reiche verneinenden Parteien her betrachtet. Es scheint, daß das Zentrum wirklich unerschütterlich ist. Worauf beruht nun diese Macht? Die Zentrumspartei »st in den ersten Jahren des neuen Reiches entstanden. Die Wurzeln und Keime ihrer Bildung aber führen bis in den Anfang des 19. Jahrhunderts zurück. Denn damals schon entwickelte sich die Seel« des ultramon tanen Parteilebens, der Klerikalismus. Der KlerikaliSmuS ist keine spezifisch deutsche, sondern, «in« west- und mitteleuropäische Erscheinung. Er ist auch im Grunde nicht politischen Charakters, sondern repräsen tiert vielmehr eine bestimmte Stufe der Entwicklung der katholischen Frömmigkeit. Alle führenden Nationen der europäischen Völkersamilie haben im Verlaufe des 18. Jahrhunderts eine Emanzipation des geistigen Daseins erlebt, aus dem hervorgegangen ist, was man modernes Geistesleben, Freiheit des Gewissens und der Weltanschauung, Subjektivismus oder ähnlich nennt. Es war scheinbar eine Vernichtung der alten kirchlichen Ge bundenheit des Geisteslebens, mochte diese katholisch oder evangelisch sein: ja es konnte eine Zeitlang scheinen, als ob die Kirchen unter dieser Bewegung verschwinden würden: und sicherlich ist das Programm der Trennung von Kirche und Staat aus dieser Zeit her als eine legitime Forderung modernen Geisteslebens überhaupt hervorgegangen. Allein über diese Phase hinaus bildeten sich eben in den geistig führenden Kreisen, ja gerade in der Gesellschaft der extremen Anhänger des neuen Geisteslebens, in Deutschland vor allem im Bereiche der Romantik, Erscheinungen aus, welche den alten Kirchen zu Hilfe kamen. Durch ganz Europa hin wiederholte sich immer und immer wieder derselbe Vorgang: das extremste Bedürfnis, geistig ganz selbständig zu sein, führte zu Zweifel, Ironie, Weltschmerz — in einem fort geschritteneren Stadium zur Verzweiflung: und daraus zur Bergung der eigenen Persönlichkeit in dem stärkstgcbundenen Geistesleben, das noch existierte: im Geistesleben der katholi schen Kirche. Daher die schwärmerische Hingabe der Ro mantiker an die Heiligenwelt des Katholizismus — daher schließlich die vielen Uebertritte evangelisch getaufter Ro mantiker zum Katholizismus: in dem sie dann ihrer eigenen Stimmung entsprechende weit verbreitete Neigungen der katholisch Getauften in hohem Grade verstärkt und mit jener Energie des Denkens und Empfindens ausgestattet haben, die ihnen von ihrer alten Kirche einst anerzogen worden war. Das Ergebnis dieses ganzen Vorganges war in Deutsch land, wie unter verwandten Umständen anderwärts, die Ent stehung einer neuen katholischen Frömmigkeit der Gebil deten, am frühesten vielleicht in Frankreich, mit am reichsten, wenn auch etwas später, etwa erst nach den Freiheitskriegen, in Deutschland. Diese Frömmigkeit ist der Mutterschoß, aus dem das klerikale Programm des 19. Jahrhunderts hervorgegangen ist. Nicht die Kurie und der Jesuitismus allein und als solche sind die Urheber des ungeheueren Aufschwunges ge wesen, den das Papsttum oon den dreißiger bis zu den sieb ziger Jahren dieses Jahrhunderts genommen hat, sondern eben diese machtvolle Strömung in der katholischen Kirche: dieser neue Geist gebundener Weltanschauung und prak tischer Frömmigkeit. Ja die Kurie als solche hat überhaupt niemals eine große Bewegung in der katholischen Kirche ver anlaßt. Diese Bewegungen sind vielmehr stets nur Folgen neuer Entwicklungsstufen katholischer Frömmigkeit gewesen, von dem Jnvestiturstreit an bis auf heute: und die Päpste haben im ganzen und großen nicht geschoben, sondern sind geschoben worden. Indes ehe noch diese Frömmigkeitsbewegung der Gebil deten über das Dogma der unbefleckten Empfängnis und den Shllabus zu der Unfchldarkeitserklärung des Vatikanums vom Jahre 1870 führte, war sie längst eine Verbindung ein- gegangen, die, vom politischen Standpunkte aus betrachtet, das eigentlich Charakteristische des Klerikalismus des IS. Jahrhunderts und auch noch der Gegenwart ist. Ihre Glaubensbetätigung, wenn auch innerlich ganz anders mo tiviert. entsprach mit ihren sinnlich-narkotischcn Kulten und ihrer massiven Beugung unter das Dogma ganz den In stinkten der großen Masse — jener Menge in den Tiefen der europäischen Nationen, die sich auch heute noch ,n wesent lichen und wichtigen Punkten den seelischen Charakter des Mittelalters gewahrt hat. Und so liefen diese beiden Strömungen klar an sich parallel und darum bald iuein- ander. Im höchsten Grade gefördert aber wurde diese Ver bindung noch, eine der bizarrsten Fusionen von Geistes aristokratie und Geistesarmut, durch den Demokratismus des 19. Jahrhunderts: durch die allgemeine politisch libe rale Lebenshaltung, die der eniwickelte Subjektivismus mit sich brachte: denn eben er sprach die Gleichheit und Freiheit und mithin auch die Transfusionsfähigkcit aller aus: und eben in seinem Sinne kann man den Klerikalismus dieser Zeiten und der Gegenwart als demokratisch bezeichnen. Der demokratische Klerikalismus war in Deutschland der ersten noch keimhasten Bildung nach um 1840 fertig: klar hervorgetreten als eine neue, überaus entwicklungsfähige Bildung ist er zum erstenmal gelegentlich der Ausstellung des heiligen Nockes in Trier, im Jahre 1844. Und um dieselbe Zelt etwa beginnt seine Organisation; eine Organisation durchaus moderner Art, die ihn heute zu einer der der Form nach vollendetsten sozialen und poli tischen Bildungen auf deutschem Boden gemacht hat. Seit der Mitte der vierziger Jahre entsteht die soziale Vereins bildung auf kirchlicher Grundlage: neben die kirchlichen Vereine und Bruderschaften, die wie Pilze im Lenzregen in jeder Pfarrei emporschießen, treten die katholischen Gesellen vereine, die Vereine zum Schutze der Katholiken unter An dersgläubigen, die Propagandavereine, die Volksbanken, die kirchlich charakterisierten Vereine zur Verbilligung und Ge währleistung von Kredit, wächst zugleich die soziale Tätigkeit der Pfarrer. Und dann rritt neben die Vereinsbildung im Einzelnen ,eit dem Revolutionsjahre von 1848 der Zu sammenschluß im ganzen in den großen Katholikentagen, die ein begeisterter Verehrer schon nm die Mitte der fünfziger Jahre mit den Tagen des ersten Pfingstfestes verglichen hat. Es war damit um 1860 schon eine so machtvolle Organi sation nicht der Kirche, sondern des Klerikalismus in ihr gebildet, daß die Frage brennend wurde, wem denn diese Or ganisation unterstehen solle, dem aristokratischen Element in der Kirche, den Bischöfen, oder dem monarchischen, der Kurie. Ein Problem, das bei früheren Frömmigkeits bewegungen und ihren sozialen Konjeguenzen, vornehmlich seit der Entstehungszeit der neuen Orden des 13. Jahr hunderts, die katholische Kirche mehr als einmal bewegt hat. Und wiederum wurde es auch diesmal, wie früher, zugunsten der Kurie, des monarchischen Faktors, gelöst: in di« sechziger Jahre traten die Bischöfe gebeugt ein; die neue Kirche ge horchte dem Papste. So bedurfte er nur noch des Vatikanums mit seiner grundsätzlichen Unterstellung aller weltlichen Gewalt unter das unfehlbar verkündete Lehramt der Kirche, um die ganze neue Organisation politisch werden zu lassen. Und alsbald werden auch die politischen Machtmittel dieser neuen Bil dung glänzend und echt modern, fern jedem sogenannten mittelalterlichen und jedem prätentiös vornehmen Denken, entwickelt: Partei und Presse. Es hieß die Inszenierung des Kulturkampfes: des Kampfes mit modernem Staat und regulär-subjektivistischer Bildung. Verlaus und Folgen dieses Kampfes sind hier nicht zu erzählen. Es ist hier auch keine Charakteristik des Klerika lismus speziell der Gegenwart noch notwendig. Verab schieden wir uns, der Leser und der Schreiber, unter dem ganz einfachen, jeder irgendwie gearteten Parteifärbung baren Eindrücke, daß in der klerikalen Organisation ein Gebilde von etwa hundertjähriger Entwicklung vorliegt, das. gleichsam rein technisch, bloß als Organismus betrachtet, zu den vollendetsten Lebensformen unserer Nation auch noch m der Gegenwart gehört. Und werfen wir höchstens noch das Problem aus, ob sich denn aus der Geschichte dieser Bildung nicht allerlei für diese Gegenwart, und das heißt u. a. auch für das Problem der politischen Organisation der heutigen deutschen Gesellschaft, der nationalen Schichtung überhaupt, werde lernen lassen? parlamentarische »srrairon. (Von unserem Londoner Korrespondenten.) Wir gehen einer der bewegtesten, wahrscheinlich aber auch fruchtbarsten Sessionen des englischen Par laments entgegen. England marschiert mit Riesen schritten und außerordentlicher Entschlossenheit unter Campbell-Bannerman seinen inner- und außerpolitischen Zielen entgegen. Ter Premier hat seine erste vvrparlauien- tarijche Audienz beim König gehabt, und unmittelbar nach dieser Unrerredung ist die Ankündigung erfolgt, daß die König Edward XII. bei seiner Pariser Visite begleiten wird. Dadurch und durch die ganze Art, wie der Pariser Aufenthalt inszeniert wird, kommt nicht nur die angeslrcote Intimität der beiderseitigen Beziehungen zum Ausdruck, sondern auch die wirkliche Steigerung der politischen In timität. Tie beiden Majestäten vermieden in der Regel ge- meinschastliche Reisen nach Möglichkeit. Daß die Königin jetzt zu einem längeren gemeinsamen Aufenthalt in der Parster Gesandtschaft und zur Uebernahmc der haushalt- lichen Repräsentation veranlaßt worden ist, bedeutet also einen ganz ungewöhnlichen Schritt. Bei diesem familiären Gcsellfchaftstrelben im Quartier des Duke und der Tucheß of Lancaster wird es einen nicht wundernehmcn dürfen, wenn allerlei interessante Freunde des Duke zwanglos dort verkehren und sich zu vertrauter Konversation gelegentlich auch gruppenweise einfinden sollten. Wir möchten bezweifeln, daß nach Beendigung des königlichen Aufenthaltes in Paris Monsieur Elemenceau in der Kammer wieder interpelliert werden wird, ob ein englisch-französisches Tcfensivbnndnis bestehl, oder wenigstens, daß er wieder ausweichend er klären kann, wenn es bestehe, so habe er keine offizielle Kennt nis davon. Tie Fundierung des analo-sranzösischen En- tenteverhältnisses wird in dem englischen Unterhause Wohl kaum zu indiskreten Fragestellungen Anlaß geben. Aber sie wird sicherlich die Haltung der Unio nisten gegenüber dem herrschenden Ministerium be- einflussen. Das gilt zum Beispiel für die Stellung des Oberhauses, das nicht geneigt ist, es auf einen offenen Konflikt mit der Regierung ankommen zu lassen, sondern selbst die Hand zu seiner Reform bietet, indem Lord Newton unter Unterstützung einer bedeutenden Anzahl von Konservativen einen Antrag aus die Einführung lebenslänglicher Peers einbringen wird. Diese der Ver fassung des preußischen Herrenhause» nachgeahmte Maß regel würde einen liberalen Pairsschub ohne Konflikt und die Beilegung der Schulsrage ermöglichen und einer maßvollen Devolutions-Bill für Irland den Weg ebnen. Diese würde auch John Redmond annehmbar sein können. Dafür bürgl Birrclls Anwesenheit im Vizekönigsschloß von Dublin. Daß Balfour in Hüll die Zollrcform zwar als „wichtigste konstruk tive Planke im unionistischen Programm bezeichnete, sie aber doch für die nächsten Jahre nicht reiten will, entspricht einfach dem Gebote der Klugheit und der Notwendigkeit, die Partei zunächst zu einigen. Es entspricht aber auch dem Wunsche, den Vorzugszollbestrebungen der kommenden Ko lonialkonferenz keine unüberwindlichen Schwierigkeiten in den Weg zu legen. Die Vorzugszölle sind das, was Balfour von jeher für das Brauchbarste im Programm des immer noch kranken Chamberlain hielt. Trotz dieser friedlichen, wesentlich von der Rücksicht auf die auswärtige Politik er zeugten Stimmung bleiben aber noch genug Gelegenheiten zu heftigen Zusammenstößen, speziell wenn die Frage der Wirtshauslizenzen, deren klassenkopitalistische Behandlung in der letzten Session des konservativen Regiments außer ordentliche Verbitterung hervorrief, wieder aufs Tapet kom men sollte, und wenn die Regierung dem Gedanken einer all gemeinen obligatorischen Krankenversicherung für die in dustriellen Arbeiter nähertretcn wird; freilich würde das wegen der Finanzlage in der Erwartung geschehen, daß erst nach einer Karenzzeit das Gesetz in Kraft treten kann. Eine Einkommrnsteucrrcform ist wohl noch nicht zu erwarten, wird aber immerhin schon in die Debatten nereinspielen. Tie Reformkommission hat bisher nichts Positives zustande gebracht; die Ideen sind offenbar noch nicht reif. Und zu nächst wird einmal der Ruf nach Steuerermäßigung oe- friedigt werden müssen, und wohl, nach der Budaetgestaltung zu urteilen, auch Befriedigung finden. Gerade deshalb sind die Aussichten für große organische Gesetze auf dem Gebiete der Steuer- und Sozialpolitik für die lausende Session noch nicht sehr günstig. Die nächste Woche dürste uns die großen Klubreden der Parteiführer bringen, welche den Stim mungsvoranschlag der Debatten bilden. Dann werden wir klarer sehen. Deutsches Keich. Leipzig, 6. Februar. * 8tn Besuch König Alfons. Der Besuch des König« Alfons von Spanien in Kiel zur diesjährigen Kieler Woche, bei der auch mehiere spanische Jachten sich an den Wettfahrt« beteiligen werden, steht, wie man der »Boss. Ztg." schreibt, in sicherer Aussicht. ipe. Amerikanische Diplomaten. Der bisherige Botschafter von Lengerke-Meyer und Botschafter Robert Mac Kormick, der zurzeit die Bereinigten Staaten in Paris vertritt, weilten vor einigen Tagen in Berlin und waren wiederholt Gäste deS deuttchen Kaisers. Sie sprachen auch in der Wiibelmstraße vor. In gut unterrichteten Kreisen gilt eS als feststehend, daß nicht nur die deutsch-amerikanischen Taris- verhandlungen zur Sprache kamen, sondern daß auch Fragen von politischer Bedeutung in den Verhandlungen, die :wischen den amerikanischen Staatsmännern und den hiesigen zu ständigen Stellen geführt wurden, zur Beratung standen. Speziell die Haltung Deutschlands in einem eventuellen anierikanilch-japanischen Konflikt soll eingehend erörtert Worten sein. * Rcichsgerichtsrat a. D. Jser ch. In Trier ist im 81. Lebensjahre der frühere preußische Landtagsabgeordnete, Rcichsgerichtsrat a. D. Jser, gestorben. Er wurde im Jahre 1826 zu Rhens, Kreis Koblenz, geboren und trat im Sturm jahre 1848 in den preußischen Justizdienst. 1856 wurde er zum Staatsanwaltsgehilscn, 1860 zum Staatsprokurator, 1873 zum Appello.tionsgerichtsrat und 1879 zum Oberlandes- gerichtsrat ernannt. Dem Reichsgericht gehörte er als Mitglied des zweiten Zivilsenats vom 15. Juni 1882 bis zum I. Januar 1893 an. * Tie Lstprcuszischc Landgesellschaft. Der Aussichtsrat der Ostpreußifchen Landgefellschast hiett am 4. November eine Sitzung ab, der auch Prinz Friedrich Wilhelm von Preußen beiwohnte. An der Sitzung nahmen ferner u. a. Teil: Oberpräsivent Moltke, der Präsident der See handlung Haveustein-Berlin, Geheimer Finanzrat Dr. Hugen- berg-Berlin und Regierungsrat Lauenstein-Berlin. Aus den Verhandlungen ging hervor, daß sich die Tätigkeit der Lanv- gesellschait auf allen den ibr zugewiesenen Gebieten er freulich wnter entwickelt. Bisher sind von der Lanvgesell- schafk vierzehn Güler erworben worden. Di« Durchführung ihrer Besiedelung macht gute Fortschritte und ist zum Teil bereits beendet. Die Zahl der gestellt« Entschuldungs anträge ist in stetem Anwachsen begriffen. * Ein Avancement. Der Hilfsarbeiter im Kolonialamt Assessor Brückner, den Herr Roer« in seiner gewählten parlamentarischen Ausdrucksweise im Reichslag als grünen Assessor bezeichnet batte, ist jetzt, wie der „Reichsanzeiger" am Tage der Stichwahlen (!) meldet, zum Regierungsrat ernannt worden. * Tas Ergebnis der Hauptwahlen. Die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung" schreibt: Nach den weiteren amtlichen Feststellungen berichtigen wir liniere Mitteilungen in der Sonntagsnummer über die Ergebnisse der Haupiwaklen dahin, daß die Zahl der Wahlberechtigten 13 247 370, oie Zunahme seit 1903 also 7l6 122 betrug. Die Prozentzahl der Wahl berechtigten, die ihre Stimme abgegeben haben, ist also etwas geringer als angegeben, nämlich nicht 85,4, londern 85 Prozent, gegenüber 75,8 Prozent im Jahre 1903. Von den Parteien haben die stärkste prozentuale Zunabme die drei liberalen Blockparteien auszuweisen, nämlich 40 Prozent; eS folgen die Nationalliberalen mit 26 Prozent, die beiven konservativen Parteien mit 18 Prozent, daS Zentrum mit 16 Prozent, vie Sozialdemokraten mit 8 Prozent. Da nach ist die Zunahme der sozialdemokratischen Stimmen ganz erbeblick, die der Zentlumsstimmen auch noch beträcht lich hinter dem allgemeinen Wachstum der Stimmenzabl zurückgeblieben. Die Wählerschast der Parteien der Rechten hat sich regelmäßig vermehrt, und die liberalen Parteien haben in der Zahl ihrer Stimm« rin« entschiedenen Aus schwung zu verzeichnen. Bei der deutschen Refonnpartei und der Wirtschaftlichen Vereinigung zusammen mit der Süd deutsch« BolkSpartei wirb mau im Vergleiche zu deu «t-
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