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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.02.1903
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-02-03
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030203010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903020301
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903020301
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-02
- Tag1903-02-03
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AnzetgeaePreiS die 6 gespaltene Petti-eUr N«Ha««> «tt« da« RedakNm^ßrtch (ä gespalt«) 78 v« deu Famtliowach- richten l0g«spalt«) 80 Tabellarischer uub Hisferusatz entsprechend höher. — Gebühr« für Nachweisung« und Osserteuaauayme St (exrt. Porto). Srtra-Veilag« (gesalzt^ »ur mit der Mora«.Ausgabe, oha« Postbesürdermrg SO.—> mit HostbesSrdmmug 7V^-» Aunahmeschlnz fitr Auret-ru: Lb«ud.L»sgab«r vornrtttug» LV Uhr. Mv,,«».A-»gab«, Nachmittag« « Uhr. Anzetgm stad stet« « di« Expedttiou P» richt«. Di« Trpedtttou ist wochautag« unuut«rbroche, geöffrrrt vvu früh S bi« «beuüs 7 Uhr. Druck uub Beklag von L. polz tu Leipzig. Nr. 60. Dienstag den 3. Februar 1903. 97. Jahrgang. Der Lamps um das Konkordat. Der Franzose liebt die Extreme. In Dingen, die den innersten Kern seines Wesens berühren, entschließt er sich nur schwer zu Neuerungen, so flatterhaft er sonst mich sein mag. Rafft er sich zu einer Aen-erung auf, so kann man sicher sein, daß er sie mit äußerstem Radikalismus und oft bis zu den lächerlichsten Folgerungen durchführt. Seit die Borboten der großen Revolution die Scheidung der Geister herbeiführten, Hai sich bas französische Volk in zwei große Parteien geteilt, die im Laufe der Zeit sich immer weiter von einander trennten, bis man in einer Reihe von Fragen wirklich von zwei ganz verschiedenen Völkern reden konnte, die nebeneinander das schöne Land zwischen Vogesen und Pyrenäen bewohnen, ohne sich zu verstehen. Nur ein Zauberwort hält alles zusammen, das Wort Vaterland" und „Ruhm". Sonst ist dem Gallier die mhtge, konseguente nationale Weiterentwicklung und innere Festigung versagt geblieben, die Großbritannien im Laufe seiner ohne Sprünge fest und sicher fortschreiten den Geschichte so groß gemacht hat. In Frankreich ist man sozialistischer Republikaner oder Royalist, oder auch Bonaparttst, denn eine konstitutionelle Monarchie scheint in Frankreich nicht widerstandsfähig zu sein. Religiös ist man streng katholisch bis zum Fanatismus, oder Atheist und ausgesprochen kirchenfeindlich. Zwischen diesen Ex tremen pendelt der Geist des französischen Volkes hin und her. Politisch hat sich ja eine gewisse Festigung eingestellt und die Republik, die zuerst nach Thicrsschem Rezept kon servativ war und sich nach einem gekrönten Präsidenten sehnte, hat sich in fortschrittlich-demokratischem Sinne bis zum Idealbild des parlamentarischen BourgeoiSstaates entwickelt, -er unter dem etwas spießbürgerlichen Herrn Loubetso weiter sortwurstelt. Nur in kirchlichen Fragen herrscht noch -er Kriegszustand, wie in -en Tagen der Volkserhebung von 1786. Man umß diese Lage der Dinge sich voll und scharf ver gegenwärtigen, um den Kampf zu verstehen, in den Herr Combes so plötzlich gedrängt ist un- der sogar zu einer gewissen latenten Krise in Frankreich geführt hat. Waldeck - Rousseau nahm den Kampf mit dem politischen Klerikalis- inus auf, weil er sehr richtig erkannte, daß hinter den Mauern der Ordenshäuser der Affumptionisten und in den frommen Redakttonen -es allerorten verbreiteten „Croix" die Waffen geschmiedet und die Minen gegraben wurden, die die Republik in Trümmer legen sollten. Hier war das gute Recht auf seiner Seite und getragen von einer wachsenden antiultramontanen Strömung schritt er von Erfolg zu Erfolg. Kenner des französischen Bolks- charakterS konnten aber schon damals nicht die Besorgnis unterdrücken, daß durch -en hcreinbrechendcn Kultur kampf auch die Elemente auf die Schanzen gerufen wür den und herrschaftSlüstern sich vordrängten, denen es weniger auf den Kampf gegen die staatsfeindlichen Be strebungen eines anmaßenden und intriganten Klerus, als vielmehr auf den sanskulvtttschen Vernichtungskrieg gegen alles, was mit Kirche und Religion zusammenhängt, an kam. ES war klar, Lab die Regierung die Geister, die sie hier gerufen, nur schwer los werden würde und daß ihr nur die Wahl blieb, sich den Männern des öorassu I'ürkams zu unterwerfen und mit ihnen bis zum gotteslästerlichen Kult der „Vernunft" in Notre Dame zu wandern, oder wieder ihren Frieden mit der Kirche zu machen. Als Herr Combes sein Ministerium bildete, war noch der zweite Punkt eines vernünftigen antiultramontanen Pro- gramms zu erledigen. Die staatsfeindlichen Orden sollten auf die klerikalen Schulen folgen, da der Unterricht in höchstem Maße eine Sache des nationalen Staats und nicht einer Priestergemeinfchaft sein darf, die ihre Wei- sangen aus dem AuSlande bezieht. WaS kommen mußte, kam. Das Jakobinertum, das am liebsten jede Kirche in Trümmer legen möchte, glairbte -en Anbruch seiner Herr- schaftszeit gekoumren. Und daher die Wut und unbeschreib liche Verwirrung auf dem linken Fkügel des republikani schen Blocs, als Herr Combes scharf und schneidig sein „Bis hierher und nicht weiter" sprach und joden Gedanken an eine Trennung von Staat und Kirche weit von sich wies. Nur aus diesen politischen Träumen, in die sich der Radikalismus gewiegt hatte, verführt Lurch baS weit herzige bisherige Nachgeben des Herrn CombeS, nur auS dem gelinden Größenwahnsinn, der sich der Intransigenten auf der äußersten Linken bemächtigt hatte, ist eS erklärlich, daß die sehr verständigen programmatischen Sätze des Ministerpräsidenten seine bisherigen Anhänger in solche Jrokesenwut versetzten. Schon seit Jahrzehnten kehrt bet den Beratungen des Kultusetats wie das Amen in der Kirche -er Antrag wieder, die Regierung solle Len Kultus etat ganz streichen. Ebenso regelmäßig wie der Antrag kam, ist er bisher abgelehnt worden. Auch Herr Combes konnte gar nicht anders, als sich gegen das Ansinnen, das Konkordat aufzuheben, mit allem Nachdrucke zu er klären. Die plötzliche Feindseligkeit feiner rabikalsozia- listtschen Gefolgsmänner wird ihm zeigen, wie gefährlich es ist, die französischen Bolksleidenschaften in diese reli gionsfeindliche Richtung gebracht zu haben, da eben der Franzose kein Matz und kein Ziel bet Neuerungen kennt. Die Radikalen übersehen eben, daß man wohl einen Kampf gegen das staatsfeindliche Priestertum Roms, nie mals aber einen Kampf gegen die christliche Kirche als solche mit irgend welcher Aussicht auf Lauernden Erfolg führen kann. Herr Combes sah sich daher plötzlich von seinem Fähnlein im Stich gelassen und auf die Hülfe der Rechten und -er Gemäßigten angewiesen. Es war in Wahrheit ein unverdientes Glück, daß die Todfeinde der Republik nicht die Geistesgegenwart hatten, dem Mini sterium mit einem kräftigen Jlankenvorstoß den Garaus zu machen. Die Gemüter haben sich etwas beruhigt und die opportunistischen Radikalen und Sozialisten haben schon wieder ihren Frieden mit Herrn Combes gemacht. Das Vertrauensvotum ähnelt allerdings ganz verzweifelt einem Mißtrauensvotum; denn man sagt dem Präsidenten ganz kühl, daß man ihn nur deshalb weiter unterstützen wolle, weil man zur Zeit keine geeignetere Persönlichkeit an seine Stelle setzen kann. Der Bloc hat aber einen Riß erhalten und eS kann leicht eine zweite Gelegenheit kommen, wo er schwankt. Daß diese Gelegenheit dann nicht ungenützt bleiibt, dafür werden die Deschanel, Ni bot und Mäline und die Männer der nationa listisch-klerikalen Rechten sorgen. Von allgemeinem Interesse bet dem Kampfe um das französische Konkordat ist die Tatsache, die inmrer wieder hevvorgehobcn werden muß, daß der Radikalismus näm lich — besonders allerdings in Frankreich — absolut kein Gefühl für Gerechtigkeit hat. Die Revolution hat der Kirche ihren unermeßlichen Besitz geraubt, und es war lediglich ein Gebot Les Rechtes, daß Napoleon im Kon kordat vom 13. Juli 1801 Pius VII. gegenüber die Ver pflichtung des Staates anerkannte, die Besoldung der Kirchendiener zu übernehmen. Aber abgesehen von diesem Standpunkte des RechtsgeftthlS: sieht man denn auf der Linken gar nicht ein, welch ein politisches Machtmittel der Staat in dieser relativen Abhängigkeit des Klerus von der Regierung hat und wie verhängnisvoll eine völlige Loslösung der Kirche vom Staat wäre? — Die römische Kirche könnte den Kampf gegen die Regierung aufnehmen, der Republik könnte ein solches Experiment aber teuer zu stehen kommen. I'. W. Deutsches Reich. ID Berlin, 2. Februar. Unser Kronprinz vollendet bekanntlich am 8. Mai sein 21. Lebensjahr und die Zeit dürfte also nicht mehr ganz fern sein, wo der Thronfolger sich die Braut erwählen wird. Kaiser Wilhelm II. bat sich bekanntlich einen Monat nach Vollendung seines 21. Lebens jahres verheiratet. Vorläufig wird der Kronprinz nach Hannover übersiedeln. Während Kaiser Wilhelm II. seiner zeit bei den Leibgardebusaren Dienst getan hat und später Kommandeur dieses Regiments wurde, dürfte der Kron prinz seine kavalleristiscke Ausbildung bei den 13. Ulanen empfangen, dem Regimente, von dem der Kaiser selbst Chef ist und dem er ja da» größte Interesse entgegenbringt. Da am letzten Geburtstage des Kaiser» die Beförderung des Kronprinren zum Hauptmann be». Rittmeister nicht erfolgt ist, so dürfte am 6. Mai eS wobl geschehe». Vor wenigen Tagen wurde der Kommandeur der 13. Ulanen, der beste Herrenreiter Deutschlands, Oberst und Flügeladjutant von Heyden-Linden, vom Kaiser in Gegenwart des Kriegsministers empfangen; viel leicht bängt diese Audienz milder kavallerisiischen Ausbildung des Thronfolgers zusammen. Daß dessen Befinden zu wünschen übrig lasse, mag zutreffen; jedenfalls aber handelt eS sich nur um ein leichtes, rasch vorübergehendes Unwohlsein, das keinen Anlaß zur Verzögerung seiner Verlobung liefern könnte. Was seine künftige Braut betrifft, so wird vielfach an genommen, daß sie am dänischen Hofe zu suchen sei. Viel leicht gründet sich diese Annahme darauf, daß die Erwiderung deS Besuches deS dänischen Kronprinzen demnächst erfolgen und daß Prinz Heinrich am 8. April mit einem Geschwader vor Kopenhagen erscheinen soll, um König Christian IX. zu seinem 85. Geburtstage die Gratulation deS Kaisers zu über bringen. Davon, daß der Kronprinz den Prinzen Heinrich begleiten Werve, ist jedoch noch nirgends die Rede gewesen. 6.U. Berlin, 2. Februar. (Die Reichstagswahlen.) Die Meldung, daß die Reichstagswahlen Ende Mai statt finden dürften, wird von Seilen, die als unterrichtet gelten, als höchst wahrscheinlich bezeichnet, und wenn von anderer Sette behauptet wird, daß bestimmte Beschlüsse noch nicht gefaßt seien, so widerspricht daS jener Meldung nicht. Als feststehend darf jedenfalls an genommen werden, daß die Wahlschlacht schon nach einigen Monaten geschlagen werden wird; ob die» nun Ende Mai oder Anfang Juni geschieht, ist höchst gleichgiltia. Jedenfalls haben alle Parteien um so mehr Veranlassung, so schnell wie möglich ihre Wahlvorbereitungen zu treffen, je weniger eS einem Zweifel unterliegen kann, daß der Wahl kampf außerordent ich erbittert und heftig werden wird. Die Sozialdemokraten sind, wie immer, die ersten auf dem Plan. Am 10. Februar ollen die Gewerkschaften in Berlin keine Veranstaltungen treffen, damit in imposanten Versammlungen die Ausstellung der Kandidaten erfolgen kann. Da die Sozialdemokraten in erster Linie darauf denken, so viel Stimmen wie möglich im ganzen deutschen Reiche aufzubringen, und deshalb mit 397 Kandidaten ins Feld rücken werden, so wird es zu zahlreichen Stichwahlen kommen. Bekannte „Genossen" haben zwar wiederholt erklärt, daß diesmal bei den Stichwahlen die freisinnigen Volksparteiler nicht eine einzige Stimme auS den Reiben der Sorialdemokratie er- kalten würden; allzu fest darf man sich aber auf solche Er klärungen nicht verlassen. Die Verhältnisse dürften sich hier in vielen Fällen weit stärker erweisen, al» solche in Unmut und Aufwallungen gefaßten Resolutionen. Jedenfalls haben die weiter recht« stehenden Parteien allen Anlaß, be» ihren Berech nungen die Sozialdemokraten und die Volksparteiler al» auch bei den Stichwahlen einander Abbruch tuende Gegner nicht einzusetzen. -r- Berlin, 2. Februar. (GeneralstabSchefund Politik.) Der frühere Kriegsminister v. Berdy vev- öfferttlicht im Februarhefte der „Deutschen Rundschau" eine sehr bemerkenswerte Abhandlung über MoltkeS Operationsplan zu einemKriege gegen Frankreich aus dem Jahre 1836. Daß für die Aufstellung eines derartigen OperationSplomes die ge naue Kenntnis der politischen Lage ein« unbedingte Not wendigkeit ist, leuchtet ohne weiteres ein. Indem General v. Berdy hierauf hinwcist, macht er sehr zutreffende all gemeine Bemerkungen über baS Verhältnis deS General stabschefs zur Politik. Berdy schreibt in dieser Beziehung u. a.: „Dem Generalstabschef, dem die genaue Kenntnis der politischen Lage nicht durch die offiziellen Organe erleichtert wird, bleibt nicht» anderes übrig, als sich selbst zu helfen und sich seine eigenen Gedanken darüber zu bilden. Aber auch wenn er bei richtiger Abmessung deS Wirkungskreises der ver schiedenen RefsortS diese offizielle Orientierung erhält, ist er noch immer auf eine eigene Beurteilung derselben angewiesen. Denn es kommt vor allem darauf an, daß die operativen Absichten sich auf einer Grundlage auf bauen, die mit seinen Ansichten übereinstimmt. Sonst entsteht nur Stückwerk. In dieser selbständigen Vor arbeit in politischen Verhältnissen für die militärischen Zwecke liegt aber keineswegs eine Be rechtigung des Generalstabschefs,eigene Politik treiben zu dürfen. Er kann nur sagen: Ich sehe die politische Lage in dieser Weise an und schlage auf Grund derselben die folgenden militärischen Maß regeln vor. Differenzen in den Anschauungen d«r Räte der Krone unterliegen der höheren Entscheidung." — Es ist von besonderem Interesse, nach dieser allgemeinen Charakteristik des Verhältnisses des Generalstabschefs zur hohen Politik die konkrete Lage kennen zu lernen, in der Moltke im Jahre 1839 sich befand. Der preußische GeueralstabSchef nahm damals keineswegs die Stellung ein, die sich während der glücklich geführten Feldzüge von selbst entwickelt hat. So erhielt Moltke auch von den politischen Ereignissen, welche die Entwürfe für den Krieg beeinflussen mußten, durch den Kriegsminister nur ge legentlich und oft auch dann noch in unvollkommener Weise Kenntnis. Trotzdem ist Moltke, wie Vcrdy aus einer Moltkeschcn Denkschrift vom 7. Februar 1856 im Fcnttlctsn. Leichten Laufes. Erzählung von I. N. Potapcnko. Ins Deutsche übertragen von U lri ch R i cha r d s. Staärdrutt verdaten. Auf der Bank herrschte heute am Abend vor den Feier tagen ein reges Leben. Während die Beamten in allen übrigen Abteilungen mit Gleichmut und melancholischer Ruhe die Forderungen des gewöhnlichen, an der Bank verkehrenden Publikums befriedeten, eines Publikums, das täglich, an Feier- und an Wochentagen, Geldgeschäfte treibt, — hatten die Beamten an der Pfand- und Wechsel lasse alle Hände voll zu tun. Zu den Feiertagen braucht jeder Geld, und von allen Seiten liefen Wechsel ein, haupt sächlich auf gering« Summen lautend. Noch mehr Geld wurde auf Wcrtpapier ausgczahlt. Agafonoff, der diese Abteilung der Bank leitete, unterschrieb fortwährend die Quittungen — rote und grüne Zettel, auf die mit großen Buchstaben die Worte gedruckt waren: „Zur Kaffe!" Die 'iassierer hatten kaum Zeit auszuzahlcn. Besonders beschäftigt war ein Unterbcamter Agafy- uosfs, Wedjerntkoff, der die Quittungen auszustellen hatte. Er fürchtete, daß er sich bet der sehr eiligen Arbeit in den Ziffern irren könnte, was ihm oft passierte. Und gerade in dem Augenblick, wo er sich, wie er zu sagen pflegte, vor einem Haufen dringlicher Geschäfte „verschnaufte", drängte sich an die hölzerne Barriere, hinter der er saß, leicht das Publikum zerteilend, ein schlankes, junges Mädchen in schwarzem Kleide und schwarzem Hut. Ihr Gesicht war durch einen Schleier verhüllt, der jedoch nicht verhinderte, ihre Züge genau zu erkennen! Wedjerntkoff sah sie und ein ärgerlicher Schatten flog über sein Gesicht. Für eine Sekunde schob er die Papiere bet Seite und beugte den Kopf zu der Barriere herab. „Guten Tag, Wcra Nikolajewna! Kommen Sic zu mir?" sagte er mit sehr verhaltener Stimme, offenbar tu der Absicht, daß niemand ihr Gespräch hören sollte. „Ja . . . verzeihen Sie, bitte, Michail Iwanowitsch. Mama hat mich geschickt, um Sie zu fragen, ob . . . Sie wissen wohl schon ... sie hat Ihnen ja gesagt . . ." Das junge Mädchen umrde plötzlich ganz verwirrt und errötete tief. „Ja, ja . . . Wegen der Zahlung der Miete ... Ich weiß, ich habe ihr versprochen .... Sagen Sie Darja Ossipowna, ich werde es tun . . . Sofort kann ich es nicht, — sehen Sie, bis an den Hals sitzt man in den Arbeiten. Aber nach dem Dielest, dann bekommen wir unser Gehalt." „Ich danke Ihnen. Entschuldigen Sie, bitte. Auf Wiedersehen!" Wedjernikoff war als Bankbeamter sehr tüchtig, aber er hatte kein Glück. Obwohl er bereits an die Fünfzig heran und sein Bart schon halb ergraut war, und obwohl er schon seit zwanzig Jahren an Banken arbeitete, hatte er cs doch zu keiner leitenden Stellung bringen können. Oft war er zerstreut und verwirrt, und seine Vorgesetzten waren ein für alle Male der Ansicht, daß man ihm nichts Verantwortungsvolles anvertrauen dürfe. So blieb er ewig Hülfsarbeiter, gerade so wie damals, vor vier Jahren, als Agafonoff in die Bank eintrat, der jetzt höchstens achtunbzwanzig Jahre alt und bereits sein Vor gesetzter war. Doch Agafonoff war wenigstens ein guter Mensch, und er ließ ihn keineswegs den Vorgesetzten fühlen, ja, er verkehrte mit ihm sogar auf das freund schaftlichste. Vor einem Jahre hatten sie Brüderschaft ge trunken und standen seitdem auf du und du. Auf die Quittungen gebeugt, achtete Wedjernikoff nicht darauf, mit welch eindringlichem Blick sein Chef Wera Nikolajewna betrachtete. Wenn er dies hätte beobachten können, so hätte er bemerkt, daß während seiner Unter redung mit Wera Agafonoff ein Gesicht machte, als ob er eine äußerst wichtige Entdeckung gemacht hätte. Doch als er einige Quittungen ausgefertigt hatte und diese Agafo noff zur Prüfung und Unterschrift brachte, fragte ihn dieser: .Heißt diese Dame Wera Nikolajewna?" „Ja. sie ist aber keine verheiratete Dame, sondern ein junges Mädchen", entgegnete Wedjernikoff. „Ist ihr Familienname Rjaschkoff?" „Ja, Rjaschkoff, du kennst sie wohl?" „Ich? Nein, ich kenne sie nicht... aber woher kennst du sie denn?" „Ich wohne bei ihnen, das heißt bet ihrer Mutter, zur Miete." „So, so ... Hm ... Das wußte ich nicht... Fertig!" fügte er hinzu, als er alle Quittungen für die Kasse unter schrieben hatte. Wedjerntkoff ging auf seinen Platz und begann wieder Quittungen zu schreiben. Als er sie wiederum Agafonoff zur Unterschrift brachte, sagte dieser, während er, wie bisher, seine Namen darunter setzte: „Sie leben also in armen Verhältnissen, wenn sie ab vermieten? . . . Ich spreche von Njaschkoffs." „Sehr arm. Es ist ein Jammer, wie arm sie sind! Sie haben nichts. . . Früher sind sie reich gewesen; sic sind verarmt . . . Rjaschkoff hat eine Papierfabrik gehabt, die unter den Hammer gekommen ist." „Unter den Hammer, das ist richtig ... Trotzdem hätte ich aber nicht geglaubt . . . Nun, fertig!" Wedjernikoff setzte sich wieder an die Arbeit. Es war »ehn Minuten vor fünf, bas Publikum wurde allmählich weniger. Endlich schlug es fünf Uhr, und es begann jene angenehme Bewegung, wenn die Papiere in die Mappen verschwinden, die Kassierer mit der Abrechnung beginnen und dann alles nach Hause geht. Heute, am letzten Arbeitstage vor Ostern, war dies besonders äuge- nehm, weil die Beamten heute ihr Gehalt erhielten. Aga fonoff und Wedjernikoff zahlten dies auS. ,HSir wollen zusammen gehen", sagte Agafonoff, als sie auf die Straße hinauStraten. „Also du wohnst bei ihnen? Folglich wirst du mich ihnen wohl auch vorstellen können?" „Ja natürlich! Sehr gern! Aber warum?" „Ich will bet ihnen verkehren." „Ach, Semjon, was soll ihnen -ein Verkehr? So manches Mal haben sie ja selbst kaum zu essen . . ." „Nun, das macht nichts — ich will Lei ihnen ver kehren." .„Kennst du sie denn?" „Und ob ich sie kenne ... Nur kennen sic mich nicht. .. Du gehst hier rechts und ich links. Leb' wohin — sie trennten sich. Agafonoff bewohnte ein möbliertes Zimmer, und weil er wohlhabend war, viele sogar davon sprachen, daß er bereits einige tausend Rubel erspart hätte, so hatte er ein schönes Zimmer in -er Nähe des NjewSki gemietet, während Wedjernikoff irgendwo in einer entlegenen Gegend wohnte. Agafonoff ging in Gedanken weiter. Welch ein Zufall ... ich glaubte, daß dies nur eine oberflächliche, jugendliche Schwärmerei sei, und jetzt merke ich . . . Seltsame Neigung zu einem Wesen, das dich nicht kennt, das damals so hoch über dir stand, daß sein Auge auch nicht aus Versehen auf dich fiel. Es war eine große Fabrik, und er war ein großer Fabrikant, ein wich tiger Mann, Rjaschkoff. Wer kannte ihn nicht und wer verehrte ibn nicht? Wer von seinen Arbeitern verneigte sich nicht, wenn er seine hohe, breitschulterige Figur auf hundert Schritte sah? Und wie stolz sie damals noch alle waren — er selbst, die Frau und das Töchterchen. Diese besonders. Wenn sie in ihrem eleganten Wagen anSfnhr, so sah sic niemanden." Damals war Agafonoff ein kleiner Beamter au der Fabrik; trotz seiner 22 Jahre war er noch ein Kind. Beim ersten Male, als er Wera sah, verliebte er sich in sie. Und er liebte sic zwei Jahre lang, er sah sic beständig im Schlafe, täglich stand er au dein Wege, den sie entlang fahren mußte; sic erschien ihm wie die Sonne, die hoch am Himmel steht, und ihr Licht leuchten läßt über Gute und Böse, über Gerechte und Ungerechte. Er wünschte nur, daß sic ihn ein einziges Mal ansah, an mehr wagte er gar nicht zu denken. Er, der kleine Beamte, und sie, die Tochter des mächtigen Rjaschkoff. Doch sie sah Hu kein einziges Mal. Und dann, plötzlich und uncvwartet, wie ein Wirbel sturm, kam der Krach. Rjaschkoff ertrug es nicht und starb. Auch Agafonoff verlor anfangs die Ueberlegung, aber er erholte sich schnell. Klug und einsichtig, verstand er, das gewählte Ziel zu erreichen und fand bald eine Stellung an -er Bank. Er war sparsam, und während der vier Jahre hatte er 2000 Rubel zurückgelegt. Nicht viel, aber genug, um sich frei zu fühlen. Er dachte an die bevorstehende Bekanntschaft mit Rjaschkvffs. Wie soll er sich zu ihnen stellen? . . . Soll er als ihr ehemaliger Unterbcamter kommen und sic an jene
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