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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.05.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-05-07
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030507026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903050702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903050702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-05
- Tag1903-05-07
- Monat1903-05
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Tabellarischer und Ziffernlatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto) Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 80.—, mit Postbesörderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abeud-Au-gabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stet- an die Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Nr. 230. Donnerstag den 7. Mai 1903. 97. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 7. Mai. Kaiser und Vatikan. Daß die englische Presse eifersüchtig ist auf den Em- pfang, der Kaiser Wilhelm II. diesmal in der Hauptstadt Italiens bereitet worden ist, haben wir gestern an dieser Stelle betont. Heute wird uns über die Auslastung eines englischen Blattes berichtet, aus der Hervorgeht, daß man sich jenseits des Kanals bereits zu trösten versucht und ein Trostmittel in schadenfrohen Betrachtungen über den Besuch unseres Kaisers im Vatikan gefunden hat. Der Londoner „Daily Graphic" schreibt nämlich über diesen Besuch: „Besondere Aufmerksamkeit erregt der außerordent liche Prunk, der mit des Kaisers Besuch im Vatikan verknüpft war. Natürlich ist in dieser Höflichkeit, trotz des Zeremoniells, nichts enthalten, was die internationale Lage bedrohte. Dieser Besuch ist lediglich insofern interessant, als er auf diedeutscheinnerePolitikein Streiflicht wirft, welches uns erkennen läßt, daß für den Kaiser immer mehr die Notwendigkeit wächst, sich die Zustimmung der römisch-katho lischen Partei zu sichern. Es würde vielleicht unverständig sein, wenn man untersuchen wollte, wie weit dies für Deutsch land von Nutzen ist. Das protestantische England kann aber jedenfalls nicht gleichgültig zusehen, wie das protestan tische Preußen allmählich von einem kleri- kalisierten Deutschland aufgesogcn wird. Eines schönen Tages mag sogar die Frage auftauchen, ob es überhaupt der Mühe wert war, um einen solchen Preis die deutsche Einigkeit zu er kaufen." Mutet es uns auch komisch an, von der allmählichen Aufsaugung des protestantischen Preußens durch ein klerikalifiertes Deutschland reden zu hören, da doch tat- sächlich die KlerikalisierungSvcrsuche von Preußen aus- gehen und in dem uichtprcußischen Deutschland ein kräf tiger Widerstand gegen diese Versuche sich regt, so ist es doch immerhin beachtenswert, daß auch im Auslande Stimmen laut werden, die kirchcnpvlitische, -em Prote stantismus nicht günstige Folgen des kaiserlichen Be suches im Vatikan prophezeien zu dürfen glauben. Bei uns selbst fehlt es an solchen Stimmen nicht. Die „Voss. Ztg." Hegt wenigstens die Befürchtung, daß der Vatikan oder das Zentrum für die dem Kaiser und seinem Kanzler erwiesenen Freundlichkeiten, „wie sie einem nicht katholischen Herrscher im Vatikan wohl noch nie mals zu teil geworden sind", eine Gegenrechnung aufmachen werde, und glaubt sich daher berechtigt zu folgender Warnung: „Wir möchten es recht offen ausgesprochen haben, daß das Deutsche Reich zum Dank für die Freundlichkeiten, die man ihm erweisen möchte, nichts anderes zu bieten hat, als das, was es jeder anderen Religion und Konfession gewährt, Freiheit des Bekenntnisses und des Kultus; aber kein Vorrecht, keinen politischen Einfluß irgend einer Art. Staaten werden mit denselben Mitteln erhalten, mit denen sie gegründet worden sind, und darum wird Deutschland das Land der Re formation bleiben." Wir unsererseits meinen, der „außerordentliche Prunk", mit dem der Besuch des Kaisers im Vatikan umgeben war, und die außerordentlichen Freundlichkeiten, die dem hohen Besucher erwiesen wurden, glichen sich gegen seitig aus und es läge für den Vatikan und das Zen trum schlechterdings kein Grund zur Aufstellung einer Gegenrechnung vor. Noch weniger natürlich ein Grund für den deutschen Kaiser, eine etwaige Gegenrechnung zu bezahlen. Jetzt weniger als jemals. Es ist ja bei zahl losen Gelegenheiten hcrvorgetretcn, daß Kaiser Wil helm II. ein eifriger Schützer der religiösen und kirch lichen Grundlagen im Vvlksgemüte ist. Und daß er diesen Schutz auch auf jene Grund a.,e:> erstreckt, welche die katho lische Kirche legt, wird ihm von objektiv urteilenden Pro testanten nicht verübelt. Aber er hat auch neuerdings die Erfahrung gemacht, daß er an die äußerste Grenze dessen gegangen ist, was in einem paritätischen Staate möglich ist. Natürlich ist das nach Ansicht deS päpstlichen Stuhles und des deutschen Zentrums noch nicht weit genug; aber der Kaiser weiß auch aus der Geschichte, deren Studium er sich besonders angelegen sein läßt, daß Vatikan und Zen trum niemals zufrieden zu stellen sind. Selbst wenn er ihnen nochviel weiter entgegenkäme, als er es bereits getan, wür den sic noch mehr fordern, mehr sogar, als ein katholischer König und Kaiser, der nicht ein Schattensürst sein will, ge währen kann. Tie jetzige Bewegung im protestantischen Deutschland gegen die Aufhebung des 8 2 des Jesuiten gesetzes zeigt deutlich die Grenze, an der er Halt machen muß, wenn er nicht für die Gunst einer in ihren An sprüchen unersättlichen fremden Macht das Opfer des Ver trauens im weit überwiegenden Teile der protestantischen Bevölkerung seines Reiches bringen will. Er kennt auch ferner die Schranken, die ihm durch die Reichsverfassung gezogen sind. Wollte er das, was er etwa in Preußen dem Zentrum noch zu Liebe tun möchte, für das ganze Reich zu erzwingen suchen, so würde er bald genug die Erfahrung machen, daß die übrigen deutschen Fürsten Eingriffe in ihre Rechte mit Entschiedenheit zurückzuweisen entschlössen wären, llnd Kaiser Wilhelm II. hat bei verschiedenen Ge legenheiten — wir erinnern nur an den Zedliyscheu Schul gesetzentwurf und die sogenannte Zuchthausvorlage — be wiesen, daß er persönliche Wünsche znrückzustellen versteht, wenn sie ihn in Gegensatz zu Faktoren zu bringen drohen, deren Unterstützung er nicht entbehren kann. So glauben wir denn, daß „der außerordentliche Prunk, der mit des Kaisers Besuch im Vatikan verknüpft war", ein Prunkstück ohne weitere Folgen bleiben wird. Jedenfalls aber wer den die Faktoren, die außer und neben dem Kaiser über Deutschlands Geschick' zu entscheiden haben, nicht in die Lage kommen, die Frage zu erörtern, ob cS überhaupt der Mühe wert gewesen sei, die deutsche Einigkeit nm den Preis der Aufsaugung des protestantischen Preußens von einem klerikalisierten Deutschland zu erkaufen. Deutschfeindliches ans Dänemark. Die freundliche Begrüßung, welche die dänische Presse aller Parteien dem Kaiserbei seinem Besuche in Kopen hagen zu teil werden ließ, hat in Deutschland ebenso sym pathisch berührt, wie die nüchterne nnd wohlwollende Be urteilung der Beziehungen zwischen Deutschland und Dänemark durch dieselbe Presse. Unter Berücksichtigung dieser erfreulichen Umstände wird man iu Deutschland ohne besondere Aufregung von einer deutschfeindlichen Kundgebung des Blattes „Aarhus Stiftstiteud e" Kenntnis nehmen; aber diese Kundgebung völlig mit Still schweigen zu übergehen, erscheint doch nicht angebracht, da sie beweist, daß die Unversöhnlichen in Dänemark noch immer am Werke sind, Zwietracht zwischen den beiden be nachbarten Völkern zn säen. Der Hetzartikel der „Aarhus Stiftstitende" trägt die Ueberschrist „Ein Jahr sechs Monat e" und lautet wörtlich wie folgt: „Der Kaiser ist hier (in Kopenhagen) gewesen und die Kopenhagener sind von ihm betört worden, und jetzt gehen alle die, die cs verstanden, sich vorzudrängen zu einem Händedruck von ihm, und warten auf ein Ordensband im Knopfloch. Noch jetzt herrscht Kaiserduft in den Straßen. Und während das übrige Land fragt, ob die roten und die schwarzen Orden wirk lich die einzige Erinnerung seien, die dieser Kaiserbcsuch hinter lassen soll, verhandelt das Landgericht in Flensburg darüber, wie cs die Strafen regeln soll, welche die preußischen Gerichts höfe dem verantwortlichen Redakteur des „F l e n s b o r g Avis", Simonsen, zuerkannt haben. Wegen einer vermeint lichen Beleidigung des Oberlandesgerichts in Kiel ist er zu einem Jahre Gefängnis und wegen der Besprechung eines Ver- deutschungsfestcs auf dem Knivsberg zu neun Monaten Ge fängnis verurteilt worden. Nach dem deutschen Gesetze sind zwei Freiheitsstrafen, die denselben Mann getroffen haben, in eine zusammenzuziehcn, und das Landgericht hat denn die Ge samtstrafe für Simonsen auf ein Jahr und sechs Monate fest gesetzt. Dies ist die erste Wirkung des Kaiser besuches, daß ein dänischer Journalist in Südjütland ein Jahr und sechs Monate ins Gefängnis geschmissen werden soll. Und welche Schuld hat er denn auf sich geladen, um ein so hartes Urteil zu verdienen? Durch perfide Gesetzes« us- lcgung („Lootrekkcri", wörtlich übersetzt: Gesctzesziehcrei) ist er angeklagt und verurteilt worden wegen Beleidigungen eines Gerichtshofes, der das Gesetz verdreht (forvansker", auch: entstellen usw.) und die Gerechtigkeit umgeht, um die dänischen Führer in Südjütland niederzuschlagcn, und mit der gleichen Berechtigung sind die deutschen Büttel über ihn hergefallen, weil er ein derbes Wort gesprochen hat über die Feste, welche die Verdeutschungsmänner auf dem berühmten Knivsberge ver anstalteten, wobei das Fest vorzugsweise in Hohn und Spott über alles Dänische besteht. Das ist Simonsens Vergehen, deshalb soll er nun ein Jahr und sechs Monate in ein deutsches Gefängnis gesperrt werden, während die radikalen, Kopenhagener „Spitzen" kaiserberauscht ihre deutschen Ordensdekorationen putzen." Ueberaus gehässig ist die Auffassung der „Aarhus Stift- stitcude" von dem Besuche des Kaisers am dänischen Hofe, überaus gehässig ist es, den Kaiserbesuch mit der Verur teilung eines Hetzredaktenrs in Zusanrmenhang zu bringen, überaus gehässig ist dieKritik deSllrteils selbst, das als perfide Gesetzesauslcguug behandelt wird. DaS hetzerische dänische Blatt wird sich selbst nicht einbilden, durch seine Schmähungen deutsche Gerichtshöfe oder die „Vcrdeutschungsmünncr" der Nordmark einschüchtern zu können. Solche deutschfeindlichen Kundgebungen haben da her nur die Wirkung, daß sic die dänischen Stimmführer in Nordschleswig zu neuen Hetzereien gegen das Deutsch tum anstacheln, während zugleich die Unversöhnlichen iu Dänemark in ihrem unfruchtbaren Hasse gegen das Nach barvolk bestärkt werden. Fe bedauerlicher die Folgen hiervon sind, um so mehr ist die Kennzeichnung und die Zurückweisung eines hetzerischen Verhaltens, wie das von der „AarhusLUsielüenee" durch die Veröffentlichung des oben miedergegöbenen Artikels beobachtete, am Platze. Die bulgarischen Dynamitattentate in Saloniki. Von einem in Saloniki wohnenden Griechen er hält die „Intern. Korresp." folgende Mitteilung: Die jüngsten bulgarischen Bombenattentate haben die grie chische Bevölkerung von Saloniki nicht überrascht. Wir waren seit langem aus derartige Anschläge vorbereitet, und sic waren auch nur die notwendige Folge einer seit zwei Jahrzehnten offen betriebenen verbrecherischen Propa ganda. Wir hatten hier eine etwa 500 Köpfe zählende bulgarische Partei, deren Mitglieder sämtlich direkt oder indirekt von Bulgarien aus unterhalten wurden. Diese Leute hatten keine andere Aufgabe, als Saloniki durch fortgesetzte Gewalttaten in Aufregung zu halten und nach außen hin die Meinung wachzurusen, als wenn Saloniki eine mindestens zur Hälfte bulgarische Stadt sei. Tenn sie sollte ja die zukünftige Residenz des „Zaren aller Bul garen" werden. — Augenblicklich ist der dritte Teil der hiesigen Vulgarenvartei durch die türkischen Soldaten nicdergcmacht; während die übrigen zwei Drittel hinter Schloß und Riegel sitzen und wohl auch für immer aus Saloniki entfernt werden dürsten. Mehrere der Haupt anstifter der Bombenattentate sollen sich in Sicherheit in einigen Konsulatsgebäuden befinden, von wo aus sie jeden falls heimlich auf fremde Schiffe gelangen werden. Mihailowski und andere Leiter des Comitös waren im Januar und Februar d. I. in F r a n k r e i ch und Eng land, von wo man die Sprengstoffe zur Bvmbenfabrika- tion über Varna und von dort per Schiff bezog. Es ist eine Tatsache, daß das bulgarische Comitä einen Ver trauensmann als Pförtner in die Ottomanbank ge bracht hatte. Es ist daher sehr wahrscheinlich, daß die Sprengstoffe als „Bücher und Drucksachen" für die Ottomanbank hereingekommen sind. Jedenfalls ist fest gestellt, daß in drei Häusern in unmittelbarer Nähe der Ottomanbank Sprengstoffe versteckt wurden, die vermutlich von dem bulgarischen Pförtner dorthin gebracht wurden. Ohne eine derartige Täuschung wäre die Einbringung der Sprengstoffe ganz unmöglich gewesen, lieber die Z w e ck e der Bombenattentate haben die Veranstalter auch seit Wochen keinen Zweifel bestehen lassen. Sie erklärten wiederholt: „Wir müssen verhindern, daß Rußland und O e st c r r e i ch allein die makedonische Reformfrage lösen. Deshalb müssen für die übrigen Mächte zwingende Gründe geschaffen werden, umgemeinsam vorzugehen. Italien, Frankreich und England warten darauf, einen Anlaß zu erhalten, um von Rußland Anteil an der Refvrmaktion zu fordern. Sobald aber das ganze „europäische Konzert" an der makedonischen Frage ar beitet, so gibt es Krieg zwischen Bulgarien und der Türkei, und das Weitere wird sich finden!" — Es ist daher auch mit Sicherheit zu erwarten, daß sehr bald die Fortsetzung der Bombcnwerferei kommen wird; wahr scheinlich zuerst in M o n a st i r. Sprengstoffe sind noch in reichlichen Mengen vorhanden. — Uns wird noch ge meldet: * * Konstantinopel, 6. Mai. (Wiener Korr.-Bureau.) Einig« Botschaften, deren ausgedehnte Gcbäudckomplexe und Gärten Verdächtigen den Zutritt leicht ermöglichen, führten in den letzten Tagen außer der türkischen Polizeiüberwächung einen eigenen Wachdien st durch Matrosen innerhalb der Bau lichkeiten ein. Es ist dies eine durch unkontrollierbare Gerüchte bedingte Vorsichtsmaßregel, die nichts Aufregendes besitzt. Die russische Botschaft hatte von jeher ein ständiges Marrosendetache- ment innerhalb der Botschaft. Zu den b-rcits in Saloniki an- Ivesenden italienischen Kriegsschiffen „Gari- Feuilleton. Sj Freiheit. Roman von Walter Schmidt. Häßler. Nachdruck verboten. Ella ließ traurig den Kopf hängen und in den langen Wimpern perlte eine Träne. Er war fort, ohne Abschied, weit fort, vielleicht für lange, wenn nicht gar für immer. So hatte auch er sie aufgegeben! Ein tiefes Weh schnürte ihr das Herz zusammen, als sie leise, mehr zu sich selbst, vor sich hinflüsterte: „Mein Gott, was soll denn nun werden?!" „Licht soll werden, Mädchen, und Klarheit. Deshalb komme ich ja. Ich bin so lange unten aus- und ab gegangen, bis ich deine Mama aus dem Hause kommen sah und sicher war, mit dir allein zu sprechen, denn deine Schwestern, die beiden trefflichen Gefangcnwärter, genieren mich nicht, wie du siehst. Ich wußte, daß deine Mutter heute bei Lengnings ihre Teegesellschaft hat, und, verzeih, daß sie da nie fehlt, wo der Klatsch der ver gangenen Woche bei Windbeuteln mit Schlagsahne durch gesprochen wird. Hat sich irgend etwas ereignet? Bei euch ereignet sich ja gewöhnlich etwas, was dich betrifft!" Und nun erzählte Ella in wahrer Todesangst der auf merksam zuhörenden Freundin, daß man sie am Sonntag bestimmt zu der verhaßten Verlobung zu zwingen be absichtigte. „Na", sagte Erna, indem ein triumphierendes Lächeln über ihr hübsches Gesicht strahlte, „dann komme ich ja als ein ckous ox inaohina mit meinen Nachrichten. Du wirst also am Sonntag nicht mit Herrn Doktor Ellrich dich verloben, wirst nicht bei Weißwein und Braten die lächelnde Braut abgeben müssen, sondern jetzt mal deinen ganzen Mut zusammennehmen und handeln, wie meine Nachtigall, als man ihr den Käfig öffnete. Und das war doch nur ein unvernünftiger kleiner Bogel. Aber der Freiheitstrieb ist mächtig, meine Liebe, selbst im kleinsten Tier! Also Mut — und aufgepaßt!" Ella horchte verwundert auf. Sie begriff noch nichts von allem, was die Freundin wollte, bis diese einen großen Brief aus der Tasche zog. Hoch hielt sic ihn in der einen Hand, während sie mit der andern Ellas kalte Rechte herzlich drückte, und mit glänzenden Augen fuhr sie fort: „Hier, mein armer, gefangener Vogel, bringe ich dir die Freiheit. Die Gittertür ist offen, du brauchst jetzt nichts weiter zu tun, als zu fliegen, hinaus ins Leben, empor zum Licht. — Ich habe an deinen Onkel in Berlin geschrieben, einen langen, eingehenden Bericht über alles, was vorgefallen ist, habe ihm rückhaltlos geschildert, daß es sich hier um Sein und Nichtsein einer jungen, hofs- nungsberechtigten Menschenseele handelt, die ohne rasche Hülfe verloren ist. Und hier ist die Antwort, bester, herzlicher, als ich glaubte. Sein Haus und seine Arme stehen dir offen, er wird dein Führer und Berater, seine Gattin deine Freundin sein. Sogar Reisegeld hat er mitgeschickt, hier, den nagelneuen blauen Schein. Leine einzige Bedingung ist absolute Verschwiegenheit gegen j dermann! Und diese Bedingung werden wir dem liebenswürdigen alten Herrn gewiß gern erfüllen! Nun?! Hab' ich's recht gemacht?!" Ella wußte nicht, was sie sagen, was sic zuerst denken sollte. Tausend Gedanken kreuzten in wilder Jagd ihren glühenden Kopf, ihre Wangen brannten wie im Fieber, und laut ausweinend fiel sie Erna um den Hals. Es waren warme, wohltuende Tränen, die ihre Augen feuchteten, seit langer, langer Zeit Tränen des Glücks, die tief aus dem gequälten Herzen stiegen. „Ich danke dir!" jubelte sic in unendlicher Wonne, „mein Glück, mein Leben, mich selbst hast du mir gerettet, und nie, nie werde ich es dir vergessen. Selbstverständ lich nehme ich das Anerbieten an, ohne mich zu bedenken, werfe ich mich in die Arme, die sich mir gastlich entgegen strecken, und Gott wird seinen Segen geben zn dem, was ich tue, weil cs geschehen muß. O, du sollst scheu, daß ich nicht mehr schüchtern und verzagt sein werde! Mit dieser Hoffnung auf endliche Erlösung bin ich stark und mutig, und vor dem Kampf mit dem Leben fürcht' ich mich nicht. Ich habe ja Gott sei Dank etwas gelernt, dumm bin ich auch nicht, und so werde ich mir schon einen Platz in der Allgemeinheit erobern!" „Und — wann willst du fort?" fragte Erna, die mit wahrem Entzücken in Ellas entschlossen blitzende Augen sah. „Wann? So schnell wie nur möglich!" „Und wird der Entschluß dir nicht wieder leid werden, wenn du allein bist?" „Dann erst recht nicht, verlaß dich daraus. Ich brauche nur au den Herrn Doktor Ellrich zu denken, mit seinem roten Gesicht und den unverschämten Augen, mit seinem ewigen Cylinderhut und den zwei bissigen Möpsen, das ge nügt vollständig, um mich bis nach Amerika zu jagen. Ge hofft und geträumt habe ich nun genug. Jetzt ist die Zeit gekommen, wo ich handeln darf — und das will ich! — Am Sonnabend ist Mama im Theater, meine jüngste Schwester begleitet sie. Papa kommt erst gegen 9 Uhr aus dem Ge schäft. So sind nur meine Schwester Alma und unsere beiden Dienstmädchen zu Hause. Um 7 Uhr besuchst Tu mich, und während Alma dich empfängt, verlasse ich mit einem kleinen Koffer das Haus. Tu bringst einen Dienst mann mit, der unten wartet und mein Gepäck in Empfang nimmt — und im Wartezimmer des Bahnhofs treffen wir uns. Ein Schnellzug geht gegen 8 Uhr, das weiß ich, weil Papa denselben immer benutzt, wenn er geschäftlich nach Nürnberg fährt, und eße meine Eltern nach Hause kom men, bin ich über alle Berge!" „Ausgezeichnet!" rief Erna. „Dabei bleibt's! Sieh mal, wie du mit einem Male klar und energisch denken rind handeln kannst?! So ist's Recht! Also am Sonn abend — auf Wiedersehen!" „Auf Wiedersehen — punkt 7 Uhr!" Noch einmal umarmten sich beide herzlich und lange, un einige Minuten später war Ella allein! — Sie stand hoch aufgerichtet inmitten ihres Zimmers und reckte die Arme weit wie nach langem, schwerem Schlaf. Sie kam sich vor wie neugeboren; ein nie gekanntes Glücksgefühl durchströmte warm und wohlig ihren ganzen Körper. Freier hob sie den Kovf, leichter und ruhiger schlug ihr Puls! — Sie war entschloßen! Frau Maurermeister Schätzte, bei der Reinhardt Ber ning zwei hübsch möblierte Zimmer inne gehabt hatte, war eine gute alte Person, die den jungen Künstler wirk lich gern gehabt hatte, um so mehr, da er ihr jeden Ersten die Miete pünktlich bezahlt hatte, sehr ordentlich mit ihren Möbeln umgegangen war und immer freundlich und zu vorkommend, selbst sür ihre Schwächen, namentlich sür ihre ost recht störende Vergeßlichkeit, stets nur ein gutmütiges Lächeln gehabt hatte. Nur eins war der Frau Maurer meister im höchsten Grade unangenehm gewesen, wenn sich Modelle bei ihm meldeten, wenn bunte Billettchen und anonyme Blumensträußchcn für ihn abgegeben wurden, oder sich in seiner Abwesenheit Damen nach ihm unter irgend einem Vorwand erkundigten. Sie betrachtete sich als eine Art von Vorsehung für ihn, hatte sich angcwöbnt, ihn nach Möglichkeit zu be muttern, uu- da er selbst sich tatsächlich aus diesen zarten Attacken auf seine Persönlichkeit nichts machte, hatte sie cs als eine gewisse Pflicht übernommen, ihm alle solche „Weibergeschichten" möglichst fernzuhalten. In dieser so überaus moralischen Residenzstadt war die Jugend überhaupt merkwürdig schlecht erzogen, eine Tat sache, die sich nicht wegleugnen ließ, und man erzählte sich oft.die abenteuerlichsten Dinge von den kleinen Aveutüren, die den Künstlern mit Töchtern der gebildeten Stände passierten. Deshalb war Frau Maurermeister Schätzte auch gar nicht besonders entzückt, als eines Tages der Tienstmann mit einem kleinen Briefchen kam, auf den er sofortige Ant wort haben wollte. Die zierliche, wenn auch ziemlich charakteristische Schrift ließ auf den ersten Blick eine Damcnhand erkennen, was der Tienstmann auch bereit willigst bestätigte. Ein hübsches junges Fräulein hätte ihm das Schreiben übergeben und erwarte ihn mit der Ant wort in einer Konditorei. Es war der Alten eine wahre Genugtuung, zu sagen, daß Herr Berning ganz plötzlich abgereist sei, und zwar für längere Zeit. Sie wolle ihm aber den Brief nachschicken. Eine Adresse wisse sie wohl, könne sie aber nicht jedem Beliebigen angeben. Damit nahm sie den Bries und entließ den Boten. Kopfschüttelnd ging sie in ihr Wohnzimmer zurück, um den Brief einstweilen in ihre Kommode zu legen. Als cs kurz darauf läutete und die Frau Steuerinspektor mit der un vermeidlichen Näharbeit zu einem kleinen Nachmittags klatsch eintrat, hatte sie ihrer Gewohnheit gemäß den Bries bereits völlig vergessen. Am Abend wurde etwas anderes auf die Stelle gepackt, wo er lag, und so blieb er liegen, wie ein welkes Blatt, das der Herbstwind vom Baume schüttelt und auf das andere sich häufen und wieder andere, vergessen — zwecklos! * * * Ella hatte am selben Tage noch alle Anordnungen der Eltern für den Sonntag mit völliger Ruhe befolgt, so daß diese gar nicht genug erstaune» kvuutcn über ihre plötz liche Fügsamkeit. Es schien, als hätte der Anblick der Not- Wendigkeit endlich ihren kindischen Widerstand gebrochen, und mit einer großen inneren, wenn auch nicht ausge sprochene» Befriedigung sah -ic liebe Familie dem kom menden Sonntag entgegen. Mama Römiuger wollte stolz den ganzen gediegenen Reichtum ihres Hauses zcmcn an diesem Festtage, der ihre Wünsche krönen sollte. Sie ging ganz nnd gar in ihren Hausfrauenpflichten auf, legte das schöne alte, von den
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