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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.02.1892
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1892-02-25
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18920225026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1892022502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1892022502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1892
- Monat1892-02
- Tag1892-02-25
- Monat1892-02
- Jahr1892
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Mir bereitet es stets besondere Freude, wenn Ich mit Märkern zusammen sein kann Um so mehr ist dies der Fall, wenn das gesammte Land Brandenburg, in so würdiger Weise vertreten, sich hier zusammensindet. Die Worte, die soeben ge sprochen worden sind und welche Ihre treuen Be sinnungen Mir von Neuem offenbaren, haben Mir sehr wohwcthan. Es ist Mir in Meiner schweren Arbeit doppelt an genehm und auch zu gleicher Zeit anregend, wenn in so warmer Weise Meine Bestrebungen für daö Wohl Meines Volke« dankbare Anerkennung finden. Es ist ja leider jetzt Sitte geworden, an Allem, was seitens der Negierung geschieht, beriiiinunörgcln und hernmzumäkeln. Unter de» nichtigsten Gründen wird den Leuten ihre Ruhe gestört und ihre Freude am Dasein und am Leben und Gedeihen unseres gesammte» großen deutschen Vater landes vergällt. Auö diesem Nörgeln und dieser Ver betzung entsteht schließlich der Gedanke bei manchen Leuten, als sei unser Land da- unglücklichste und schlechtest regierte in der Welt, »nd als sei eö eine Qual, in der selbe» zu leben. Daß dem nicht so ist, wisse» wir Alle selbstverständlich besser. Doch wäre es dann nicht besser, daß die mißvergnügten Nörgler lieber den deutschen Staub von ihren Pantoffeln schüttelten und sich unseren elenden und jammervolle» Zuständen auf das Schleunigste entzögen? Ihnen wäre ja dann geholfen, und uns thäten sie einen großen Gefallen damit. Wir leben in einem UcbergangSziistande. Deutschland wächst allmälig aus den Kinderschuhe» heraus, um in daS Jüiifl- lingsalter einzutreten: da wäre cS wohl an der Zeit, daß wir unö von unseren Kinderkrankheiten frei machten. Wir gehen durch bewegte und anregende Tage hindurch, in denen das Urtheil der große» Menge der Menschen der Objektivität leider zu sehr entbehrt. Ihne» werden ruhigere Tage folgen, insofern unser Volk sich ernstlich zusammen nimmt, in sich geht und unbeirrt von fremden Stimmen auf Gott baut und die cbrlichc siirsorgende Arbeit seines angestammten Herrschers. Ich möchte dieses Ucbcrgangsstadium mit einer kleine» Geschichte vergleichend beleuchten, welche Ich einmal gehört babe. Der berühmte englische Admiral Sir Francis Drake war in Central-Amcrika gelandet nach schwerer, stürmisch bewegter Reise; er suchte und forschte nachdem ankern großen Ocean, von dem er überzeugt war, daß er vorhanden sei, den die meisten seiner Begleiter jedock als nicht existirctid annahmen. Der Häuptling eines Stammes, dem das eindringliche Fragen und Forsche» des Admirals ausgefallen, von der Macht seines Wesens eingenommen, sagte ihm: „Du suchst daS große Wasser, folge mir, ich werde es Dir zeigen", und nun stiegen die Beiden trotz warnenden Zuruf« der übrige» Begleiter einen gewaltigen Berg hinan Nach furchtbaren Beschwerden a» der Spitze angclangt, wies der Häuptling auf die Wasserstäche hinter ibnen und Drake sah die wildbewegten Wogen des zuletzt vo» ihm durchschifften McereS vor sich Daraus drehte sich der Häuptling »m. führte den Admiral um einen kleinen Felsvorsprung herum, und plötzlich that sich vor seiii'in entzückte» Blicke der vom Gold der ausgehende» Sonne bestrahlte Wasserspiegel des in majestätischer Ruhe sich aiiSbrrilenkeii Stille» OccanS auf. So sei es auch in nnS. DaS feste Bewußtsein Ihrer, Meine Arbeit treu begleitenden Sympathie flößt mir stet« neue Kraft rin, bei der Arbeit zu beharre» und auf dem Wege vorwärts zu schreiten, der Mir vom Himmel gewiesen ist Dazu kommt das Gefühl der Verantwortung unserem obersten Herrn kort oben gegenüber, und Meine felsen feste Ucberzemzung, daß unser alter Alliirter von Roßbach und Denncwitz Mich dabei nickt im Stich lassen wird. Er bat sich solche unendliche Mühe mit Unserer alte» Mark und Unserem Hause gegeben, daß Wir nicht an- »chine» können, daß er die« für »icktS getban hat. Nein, im Gegeiitheil, Brandenburger! Zu Großem sink wir »och bestimmt und herrlichen Tagen führe Ich Euch noch entgegen Lassen Eie fick nur durch keine Nörgeleien und durch mißvcrgnUglicheS Parteigcrcte Ihren Blick in die Zukunft verdunkeln oder Ihre Freude an der Mit arbeit verkürzen Mit Echlagwörter» allein ist cS nicht getban, und de» ewige» inißvergnüglichen Anspielungen über den neue» EurS und seine Männer erwidere Ich ruhig und bestimmt: Mein E>»S ist der richtige und er wird weiter gesteuert! Daß Meine brave martisckc Mannschaft Mir dabei helfe, baS hoffe Ich bestimmt Daher trinke Ich auf das Wohl Brandenburgs und seiner Männer Mein GlaS. Leipzig, 25. Februar. ^ Gestern vor 75, Jahre», am 21. Februar 1807, wurde der constituirendc Reichstag des Norddeutschen Bundes von weiland Er. Maj. dem König Wilhelm I eröffn et. Zum ersten Male wandte sich der König von Preuße» vom Throne zu den Vertretern des norddeutschen Bolkes, »nd die Worte, die er über die deutsche Einheit und die Erfolge nnd Tendenzen Preußens sprach, fanden in den Gemüther» aller Patrioten einen mächtigen Nach- und Widerhall. „Heute kommt eS", so hieß cs in der Thronrede, „vor Allem daraus an, den günstigen Moment zur Errichtung deS Gebäudes nicht zu versäume». Der vollendetere Ausbau desselben kan» alödann getrost dem sernerc» vereinten Wirken der deutschen Fürsten und BolkSstämme überlassen bleiben." Mit Scharfblick hatte der unvergeßliche Monarch die Auf gabe», die i» der damaligen Epoche dem preußische» Staate gestellt waren, erkannt und mit genialer Hand die Mittel gewählt, die zu ihrer Turcksiihrung angewcntet werde» sollten. Mit Dank wird darum die Nachwelt, wie König Wilhelm es damals hofsnungSsreubig auSsprach, nicht nur auf den con- stiluircndcn deutschen Reichstag, als „den Begründer der deutschen Einheit, Freiheit nnd Macht zurückblicken", sonder» dankbare» Herzens heule in erster Linie auch de« Hoyenzollern gedenken, dessen Weisheit und Kraft die Erreichung des vor- gestecktcn Zieles verbürgte. * Der alljährlich dem Reichstag zugehendc Bericht über die Tdatigkeit des ReichScommtsjar« für da«Au«- waiibtrniigSwcscn weist für bas Jabr >89l eine erheb liche Zunahme gegen das Vorjahr aus. Es wurden über die drei deutschen Häsen Hamburg, Breme» und Stettin im Jahre 1891 280 225 Personen, 45 931 mehr als in» Vor jahre, besörtert. Zu dieser Zunahme hat die Auswanderung der ans Rußland auSgewieseuen Israeliten bedeutend bei- aetragc». Von den Auswanderern des IabreS 18!>l gingen über Bremen Uli» 821, über Hamburg l«l 23!« und überSleltin 5105 Personen. Unter de» inSgcsammt beförderten 28!» 225 Per sonen kamen 93 l«5 auS Deutschland: von diese» gehörten ihrem Berufe nach an l t08> 0'''.? Proc) der Landwirth- fchasl, 10 70l (18 Proc.) rer Industrie, 5172 »3,0 Proc.) den, Handel und Verkehr, 28 703 (30,8 Proe.) dem Arbeilcr- siante, anderen Berussarten (freien Berufen, össcntlicbei» Dienste lUlo (1,2 Proc ), ohne Beruf oder Berufsangabe waren 20 098 (28,7 Proc.). Bon den deutsche» Aus wanderern kamen 00 >80 aus Preußen (besonders Pose», Wcstprcnßeii und Pommern), 7112 ans Bayern, 3875 aus Sachse», 4349 auf Württemberg u. s. w. Die ganz überwiegende Mehrzahl der beulschen AnSwanbercr (88 470) ging »ach den Bereinigten Staaten von Nordamerika, nur mit wenigen Hunderten kommen andere überseeische Länder in Betracht, am meiste» noch Brasilien. Ausfallend groß ist bei kiese» Angaben die Zahl der „Arbeiter" (außer Landwind schast, Industrie nnd Handel) und der berufslose» Personell. Die besten Elemente »verteil das freilich nicht sein. Es ist begreiflich, daß, wie der Bericht hervorhebl, in de» Vereinigten Staaten von Amerika im verflossenen Iabrc da» Ei»- wantcruiigSgesetz erweitert »nd verschärft und vvn dieser Maßregel die SchisfSgesellschaften und den Auswanderer- Expedienten Mitthcilnng gemacht wurde. Der Kreis der Personen, welchen die Landung in den Vereinigten Staaten nicht gestattet wird, ist erweitert worden. Die Führer der solche Personen landenden Schisse werden mit Strafe bedroht. * Die Bedenklichkeit der »»»ntrrbroche» jahrelang sich hinziehenden ReichSIagSsessionen zeigte sich wieder in der gestrige» Sitzung. Nur weil sich unter dem alten Plunder des Reichstags »och ei» socialdemokratischer Antrag auf Abschaffung der Gelrcidezöllc aus dem Jahre >890 vor fand, mußte beute wieder fast eine ganze Sitzung diesem Gegenstand geopfert werden, der jetzt eben erst bei den Handelsverträgen bis zur Erschöpfung erörtert worben war und durch da« hierbei getroffene Abkommen wirklich für einige Zeit Ruhe verdient hätte. * Die „N.-L E." schreibt: Die Aussetzung der Be- rathung des wichtigen 8 l8 in der Bolkssckulgesetz- cvm Mission scheint der Beginn einer conservativen Taktik zu sei», auch fernerhin die großen principiellen Fragen mög lichst zurückznstcUc», um vorher die erste Lesung in den minder bedeutsamen Paragraphen abznschließen. Man scheint sich davon eine Beschleunigung der Beendigung der EommissionS- berathungcn zu versprechen. * Nach angeblich au« guter Quelle geschöpften Mittheilunge» der „Kreuzzeitung" soll die vo» russischer Seite an der Qstgrenze ausgeiibtc Spionage den Anlaß zu der Vor legung de« Gesetzentwurfs gegen den Verrat!» militairischer Geheimnisse gegeben haben Die Vorlage würde dadurch einen sensationellen Eharakter erhalten; indessen mag dahin gestellt bleiben, ob diese Angabe richtig ist. * Endlich doch ein Zeichen, daß man in den Kreisen der preußischen Regierung schwankend geworden ist in Bezug auf die Durchführung teS VotkSschulgesetzcnIwurses Die officiösen „Bcrl. Polit. Nachr." schreiben: Die Ver änkerung in ken geschäftlichen Dispositionen der BvlkSschulco»imissivn, inhaltS kcrcn die große Streit frage der Einwirkung der Kirche auf die Schule weit zurück geschoben ist, und zunächst die Abschnitte vorgenonimcn werde», welche sich auf die Ordnung der äußeren Verhältnisse der Schule, die Schuluiitcrhaltuiigspflickt und die Schulverwaltung beziehe», wird begründet mit dem Wunsche, möglichst die Ge schäfte zu fördern. Es ist aber sehr fraglich, ob nicht das Gegentbeil cintreten wird, »veil »ach den langen grnndsätz licken Debatten über die 88. ll und 15 in Bezug aus Er örlcrungen principicller Natur eine große Ermüdung eilige trete» war, während nach längeren Verhandlungen über Zwcckniäßigkciisfrageii die Neigung zu schwerwiegende» gnuidsätzlichen Auseinandersetzungen wieder in voller -Ltärke be,vertrete» dürste. Eü liegt daher die Vcrmuthuiig nabe, daß die Aentcrung der geschäftliche» Dispositionen ans eine» lieferen Grund zurückzusühren ist. Ob die mehr fach anSgcspeochene Annabme rulrisst, daß darin die Einleitung zu einer Beschränkung des gesetzgeberischen Planes zwar nickt aus ein bloßes Schuldotatiousgesetz, wobl aber durch Fort laffniig der Bestimmungen über die Leitung des Religions unterricht« durch die Kirche, die Seminarvorbildnng und die Privatfcknle zu erblicken ist, erscheint allerdings »och nicht sicher. Manches aber spricht dafür und es mag daher immerhin möglich sein, daß man eS mit der Perspective auf einen neuen Versuch zu thun hat, einen Ariadnefaden in dem Labyrinthe des Volks schulgcsctzeS zu finden. Entscheide» wird sich die Frage freilich erst zu einem späteren Zcitplincte Vorerst dürsten die Verhandlungen ziemlich glatt verlausen, bis man zu den Bestimmungen über die Organisation der Schnlverlvaltnng, de» cvnsesstoncllen Schulvorstand :c gelangt, bei denen »aiiienl sich die Organisation der städtischen Schulorgane zu eingehe» den Erörterungen führe» wird. * Dem preußische» Abgcordnelenhaiise ist der Entwurf zum Normal Etat, betr. die Besoldungen der Leiter und Lehrer der höheren UntcrrichtSanstaltc», zu gegangen, ebenso der Entwurf, betr. die Heranziehung von Militairpcrsoncn z» Abgaben zu Gemciiibezweckcn. * Diejenigen Mitglieder der natconalliberalen Fraction dev Reichstags oder preußische» Ab geordnet cn Hauses aus früherenLeg, Slatu rper io de», welche an dem FractionS-Fest esse» im Kaiscrbos am Sonntag, de» 28. Februar, Nachmittags 5 Ubr lbcilzuncbincn wünschen, werde» nochmals ersticht, ihre Eiilschließmig dem Eentralbnreau der nationallibcr a len Partei (Berlin >V., Köthcncrstraßc 40) bekannt zu geben. * In der Eommissivn zur Vorberathung bcü Gesetzent wurfs, betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, ist die nationalU berale Fraktion durch die Abgg. Lcchclhäuscr (Vorsitzender) unk Busing vertrete». * Der diesjährige außerordentlich schlechte Besuch der RcichötagSsitzungcn seitens der Mehrheit der Ab geordneten ist wiederholt gerügt und beklagt worden. Noch am 17. Februar war der Reichstag beschlußunfähig, so daß die Sitzung um eine kalbe Stunde vertagt werden mußte. Tie namentlichen Abstimmungen über die Anträge Buht Feiillrtsn. Die Denuhardtsbrilder. Iü> Socialer Roman von A. Lütetsburg. »!a»d>ua »erSoleii. (Fortsetzung.) Draußen im Publicum aber erhoben sich gewaltige Stimmen für Brenner s Unschuld. Dir traurige Angelegenheit war lebhaft in den Zeitungen besprochen worden. Reporter batten Erkundigungen über den Verdächtigten cingezogen nnd waren zu dem Schluß gelangt, daß derselbe uniiiöglich da« begangene Verbrechen verübt haben könne. Jakob Brenner batte den Ruf eines tüchtigen, fleißigen Arbeiters, eines äußerst soliden Menschen, der sich überall, wo sich ihm eine Gelegenheit geboten, freundlich und hilfsbereit gereizt Einige ihn gravirende Thatsacken blieben allerdings be stehen und konnten nicht hinwegaeleugnct werden, so sein Aufenthalt „Am Dennhardt" und ferner als der gravircndste Umstand das bei Kordel Nachmann gefundene Tuch. Frau Greve hatte die Leiche bestimmt als diejenige ihres Pflege kindes recognoscirt, und so wenig Zutrauen die Aussagen dieser Person auch im Allgemeinen verdiente», so war doch bier anzunchmen, daß sie auf Wahrheit beruhten, obgleich der Zustand deS todten Körper- kaum eine Gewährlei»tnng für eine derartige Aussage zu übernehmen gestattete. Ver schiedene Umstände verliebe» den Behauptungen der Zeugen einen Schein von Zuverlässigkeit. Ihre Angaben über die Kleidung, welche Kordel am Tage ihrer Entfernung getragen haben mußte, deuteten daraus bin, daß die gefundene Leiche nur die der Vermißten sein könne. DaS noch in ziemlich gutem Zustande befindliche Tuch hatte den Hals der Todten umschlossen. Jakob Brenner ließ schweigend Alles über sich ergeben, er verharrte beim Leugnen, man konnte ihm nicht einen ein zigen Widerspruch in seine» gemachten Aussagen Nachweisen. Nachdem der erste jähe Schreck überwunden war, sah er mit Ruhe dem Kommenden entgegen. Diese Ruhe war indessen da» Ergebniß völliger Hoffnungslosigkeit, jemals den Fluch, der auf seiner Geburt und Jugend ruhte, zu besiegen. Drei Tage war er nunmehr Gefangener. Niemand war zu ihm gekommen als der Untersuchungsrichter. Ihn» war da« lieb, wie er sich selbst sagte. Eine Begegnung mit der Mutter fürchtete er, sic würde Anlaß zu ciner furchtbaren Aufregung für beide Tbcile geben. Heimlich hatte er wohl ans ein Kommen deS Werkmeisters Grünwald gerechnet, er »ar sich dessen nicht klar bewußt uod hatte nur da« Äesühl eines unbestimmten Schmerzes, welcher der Furcht entsprang, daß der ihm wohlgesinnte Mann an irgend eine Schuld seinerseits glauben lönnc. Warum sollte er nicht? Für ihn lagen dieselben Schuldbeweise vor, welche andere Menschen ihn verdammen lassen würde». Und Irene? Heiß stieg eine Blutwclle in sein Gesicht. Er batte rin überzeugendes Be wußtsein, daß sie ihn niemals für schuldig halten könne. DaS war chm doch ein Trost, obgleich er sich sagte, daß ihm jedes Urtheil gleickgiltig sei Davon, daß nicht Jeder an seine Schuld glaubte, man im Gcgcntheil bemüht gewesen war, Dinge aller Art hervorzu- suchcn, um durch sie den Beweis seiner Schuldlosigkeit zu führen, wußte Jakob nichts. Es war so selbstverständlich, daß Jeder «inen Stein auf ihn warf, daß ihm nicht einmal der Wunsch kommen konnte, eS »löge anders sein. Um so überraschender war ihm rin Ereigniß, daß er wohl am wenigster, vorhergesehen. Es war am Abend de- dritten Tage-, seitdem er sich in Untersuchungshaft befand, als die Thür seiner Zelle sich öffiietc und der Herr Gebcimrath Karl Brenner bei ihm rintrat. Jakob, welcher der Meinung gewesen war, entweder derGefanaenwärter oder der Untersuchungsrichter komme, ihm eine» Besuch ab- rustatten, batte bei dem Geräusch, welche- das Orffnen der Thür verursachte, nicht einmal den Kops erhoben, sondern starrte, denselben in beide Hände gestützt, in dumpfes Sinnen verloren, vor sich nieder. Die Stimme des Eingetretene» schreckte ihn am. Einen Augenblick sah er auf Herrn Brenner wie aus einen Fremden. Dann stieg ein leise- Roth in seine fahlen Wangen, er wußte nicht, warum; er fragte nicht, was dieser Besuch bedeuten könne, und den Au-druck von Schmerz und Trauer in den Zügen dieses ManneS wollte er nicht sehe» — ihm gegenüber mußte er doppelt aus seiner Hut sein. Aber da fielen die erste» Worte; wie rin Schauer durch rieselte «S Jakob, seine Hand krampfte sich unwillkürlich leise zusammen. Was war in dem Ton dieser Stimme, daS ihn »o mächtig erregt«? „Jakob, mein armer Junge, Sic haben wirklich viel Un glück. Hoffentlich ha» diese dumme Geschichte nunmehr keine weiteren Folgen für Sie Ich habe die nolhigen Schritte getban nnd denke, man wird Sie unverzüglich in Freiheit setzen Wie konnten Sic so den Kopf vertieren? Dieses Tuch! Dumme« Zeug! In der Z.'schen Fabrik sind Hundrrttausende von gleichmustrigen Tüchern angesertigt, und in der Nackt, als die Kordel Nachmann davongelausen ist, haben Sie da» Hau« nicht verlassen Sie hatten doch den Beweis Grünwald nannte uns da» Datum, und wir constaliren ans den Fadrikbüchern, daß Ihnen Schmidt a» demselben Abend ausgab, die Zeichnung für das neue Triebrad zu entwerfen, und am folgenden Morgen lzabcn Sic da» Ding >n aller Krüb« abgeliesert. DaS war eben eine Nachtarbeit. Wenigsten« habe» Sie soviel Zeit zur Anfertigung der Zeichnung gebraucht, daß Ihnen unmöglich Stunde» übrig geblieben sei» konnten, um mit dem Kinde davonzugeben. Warum sagten Sie dem Eommissar nichts davon und beriefe» sich nicht an» Scbmidt's Zcugniß?" Jakob Brenner gab keine Antwort, nicht rin Laut kam über seine Lippen. Röthe und Bläffe wechselten in seinem Gefickt, er fühlte seine Gedanken sich verwirren. Der Uebcrgang von der durchlebten Qual zur Erlösung war ein zu großer, als daß er wirkungslos an ihm hätte vorüberaeben können. Sein Kopf siel vornüber auf die Brust und heiße Thränen perlten über seine Wange». Alle« da«, was ihm Herr Brenner jetzt sagte, war so natürlich. Ja, er hätte dem Eommissar gegenüber so sprechen können, aber cS würde auch eine Unwahrheit gewesen sei» Dir Zeichnung war in ganz kurzer Zeit in de» Morgen stunden von >b>» angesertigt worden, und da- Tuch — er batte Kordel Nachmann wirklich ein solche- Tuch gegeben und glaubte auch, daß das Tuch, welches man bei der Leiche de« Kindes gesunden, da- seine gewesen war. Und dennoch! Wie lösend, wie befreiend wirkten dir Worte dieses Mannes! Er batte sich offenbar für ib» bemüht, er, dem er nur Zeichen de« Widerwillens »nd der Abneigung gegeben. Herr Brenner ahnte instinktiv, wa» in der Seele des jungen Mannes vorging, und eS lag keineswegs in seiner Absicht, denselben in irgend einer Weise zu Dank zu ver pflichte» AuS freiem Antrieb sollte Jakob eine« TageS zu ihm kommen und bekennen, daß er sich in dem Bruder seines Batcrö getäuscht „Bedenken Sie, mein lieber Brenner, welche unangenebmcn Folgen es für m/cb baden müßte, so lange einen jungen Mann in meiner Fabrik beschäftigt, ja, mehr als das, bevor zugt zu baden, aus dem ein solcher Verdacht basten bleiben konnte. Daber babe ick sofort alle Hebet in Bewegung gesetzt und glücklich meine Absicht erreicht. An eine Schuld Ihrerseits konnte doch Niemand, der Sit kennt, glauben Wenn nicht beute noch, wird man Sie morgen bestimmt cntlassen. Ich wollte Ihnen diese Nachricht gern persönlich bringen." Die letzten Worte waren etwas stockend über die Lippe» de« Fabrikherrn gekommen» es war ihm auch unangenehm, daß sie ihm entschlüpft waren, denn sein Gesicht nahm plötz lich einen etwa« verdrießlichen Ausdruck an „Ich danke Ihnen für Ihre Güte. Herr Brenner," flüsterte Jakob kaum hörbar, ohne daß er nur wagte, den Blick zu erheben. „Da giebt's nicht- z» danken," lautet« dir beinahe schroffe Entgegnung „Tüchtige Arbeiter in meiner Fabrik zu haben, ist mein Stolz, ick würde r» mir nie verzeihen, wenn man ein räudige« «chas darunter fände. Da» wirkt ansteckend. Darum wird auch auf strenge» Regiment aeseben. Und nun halten Sic de» Kopf hoch. Ich wiederhole, Sie sind ein Pechvogel, Sie müssen doppelt vorsichtig in der Welt sei». Einem anderen Menschen Kälte daS nicht einmal passircn können. Ihnen fehlt der Glaube an sich selbst, den mehr oder minder jeder Mensch zum Leben gebrauch» Suche» Sic ihn nun um »eben Preis zu gewinnen, wenn Sie aus Erfolg rechnen wollen." Jakob Brenner athmete nur tief »nd schwer, er entgegnete nicht« aus diese Worte. Aber der Fabrikbcrr batte diese» Seufzer verstände», schmerzlich bewegt blickte er ans den junge» Man» Abermals schwebten gütige, warme Worte auf seinen Lippen, doch blieben sie unausgesprochen; er wandte sich zum Gehen. „Aus Wiedersehen!" sagte er noch kurz. An der Tbüre angelangt, warf er noch einen Blick aus den Gefangenen, dann verließ er eilig den Raum Draußen auf dem Eorridor blieb er einige Augenblicke sieben, um sich die kalten Schweißtropfen von der Stirne zn wischen. Die Begegnung mit dem Sohne seines »»glücklichen BrnderS batte ihn gewaltig erregt. Daß eS soweit Halle kommen müsse»! Und er war dem Schicksale, das sich scheinbar an Jakob s Fersen heftete, machtlos gegenüber, weil seine Schwägerin damals jeden Beistano von seiner Seite verschmähte. Wie ganz ander« hätte sich das Leben des junge» ManneS unter seinem Schutze gestalten können! Jakob aber saß noch lange, nachdem der Fabrikbcrr ibn verlassen, regungslos in derselben Stellung, unablässig tropften die Thränen über seine Wangen herab. Nun erst kam er zum rechten, klaren Bewußtsein der Lage, in welcher er sich befunden, der großen Gefahr, in der er geschwebt. Tie Worte des Fabrikberrn aber batten einen tiefen, nachhaltige» Eindruck aus ihn gemacht. „Eie sind ein Pechvogel! Ihnen feblt der Glaube an sich selbst." Es lag zweifellos eine große Wabr- beit in ihnen, und dock, nicht nur das Unglück im gewöhn licken Sinne verfolgte ibn, mehr der Finch, der von Kindes beinen an auf ibm lastete. An diese Gedanken reihten sich andere Warum nahm Karl Brenner sich seiner so warm an? Er batte Schritte für seine Befreiung getban, sich bemüht, die Unschuld Iakob'S zu erweisen DaS war natürlich, nnd nicht mir, weil ibm daran lag, seine Arbeitcrscbaar von einem räudige» Schaf frei zu batten, sondern mebr noch, weil Derjenige, ans welchem ein so furchtbarer Verdacht gefalle», sein Nesse war. Die Untersuchung würbe ja auch die verwandtschaftlichen Be ziehungen zwischen dem Angeklagte» und dem reichen Fabrik- Herrn zu Tage gefördert babe» DaS hätte zn unliebsamen Erörterungen Veranlassung gegeben. Aber all' diese Betrachtungen vermochten doch den einen Gedanken von Jakob nickt fern zu halte», daß ei» besonderes Interesse für ihn den Fadrikherrn so warmen Antheil an
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