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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.02.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-02-04
- Sprache
- German
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980204011
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898020401
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898020401
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-02
- Tag1898-02-04
- Monat1898-02
- Jahr1898
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Bezugs-Preis D» b« tzaeeptexpeditioa oder de» im Stadt bezirk und de» Vororten errichteten Au«, aavrstrllen ab geb alt: vierteljährlich ^l4.cs), bei zweimaliger täglicher Zustellung ins Lau» ü.bO. Durch di« Post bezogen jur Deutschland und Oesterreich: vtertrliährlich 6.—. Direkte tägliche Kreuzbandiendung in« ««»land: monatlich 7.bO. Di« Morgeu-SluSgabe erscheint um '/,7 Uhr, dir Abend-Ausgabe Wochentags um S Uhr. Nedactisn »nd Erve-Mo« r Johanne»,ässe 8. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen Geöffnet von früh 8 bt» Abend» 7 Uhr, Filiale«: Vita Klemm's Lortim. (Alfrek Hahn), Untversitätsstraße 3 (Paulinum), Laut» Lüsche, katdariueustr. Ich Part, und «önigöplatz 7. Morgen-Ausgabe. MpMerTaMM Mzeiger. Amtsblatt -es Aömgkichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Rathes und Nakizei-Nmtes -er Lta-t Leipzig. 61. Freitag den 4. Februar 1898. Anzeigen-PreiS ^.e -gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reklamen unter dem R«daction»srrich (4a» spalten) üO^, vor den Familiennachrichtkli (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserrw Prets- verzeichniß. Tedellartscher und Zifftrnsah nach höherem Darts. Extra-veil«-en (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbefötderung ^il SV.—, mit Postbeförderuug 7V—. Ii»«ahMschl«ß fie A«;eigea: Abend-Ausgabe: vormittag» 10 Uhr. Morg« u-AnSgabe: Nachmittag» 4 Uhr. vei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. AuzeMeu sind stet» au die Expedition zu richte». Druck m»d Verlag von E. Polz tu Leipzk-. 92. Jahrgang. Ohne Jesuiten keine Schiffe? X. Die „Nationalliberale Correspondenz" hatte dieser Tage mit gutem Grunde auf die Stärke der Position verwiesen, in welcher in der Flottenfrage die Regierung gegenüber der Opposition sich befindet. Das Centrum werde e» ganz be stimmt nicht zum Aeußersten kommen lassen, sobald e» sehe, daß die Regierung fest zu bleiben entschlossen sei. Wie vorauSzusehen war, hat die „Nationalliberale Correspondenz" damit erreicht, daß die Füchse nunmehr au» dem Bau berauSkommen. Die „Kölnische Volkszeitung" ist e», die nicht länger an sich zu halten vermag. Wie sollte das Centrum dazu kommen, fragt sie, in eine Beschränkung des Budget recht» zu willigen? Habe etwa die gegenwärtige Regierung durch irgendwelche» Entgegenkommen gegen da» Centrum einen Anspruch auf solche Entsagung sich erworben? „Wir wüßten nicht." Nicht einmal dem unter Führung von Bennigsen und Limburg-Stirum gefaßten Beschlüsse wegen theilweiser Beseitigung de» IesuitengesetzeS werde Folge gegeben, geschweige denn, daß die Beschlüsse wegen völliger Aufhebung de» Gesetze» beachtet würden. Ebenso sei e» hinsichtlich der Bewilligung von Diäten. Und nun gar in Preußen. „Auch hier nirgend» Entgegenkommen." Die ver sprochene Wahlreform bleibe au», daß Gesetz über die Er richtung confessioneller Friedhöfe lasse auf sich warten rc. rc., kurz, wie sollte, fragt die „Kölnische Volkszeitung" noch ein mal, da» Centrum dazu kommen, Entsagung zu üben und über das Nothwendige hinaus Dienste zu leisten? „Darum: Wahrung de» Budgetrechls in der Flottenfrage." Der Kuhhandel kann denn also beginnen, wenn die preußische Regierung will. Macht sie ihren Einfluß im GuadeSrathe zu Gunsten der Aufhebung de» Iesuitengesetze» geltend, ist sie bereit, eine auf die klerikalen HerrschaftSbedürfniffe zugeschuittene Wahlrechtsnovelle vorzulegen und auch noch einige andere ultramontane Herzenswünsche zu erfüllen, dann werden die ultramontanen Hintermänner der „Köln. Volksztg." mit sich reden lassen. Im anderen Falle vermag die „Köln. VolkSztg." nicht einzusehen, was für ein Vorlheil für da» Centrum dabei herausspringen soll, wenn die Frage unserer maritimen Wehrfähigkeit dem alljährlichen Streite der Parteien entrückt wird; im Gegentheil ist sie der Ansicht, daß dann der bisherige Zustand erhalten bleiben müßte, der e- dem Centrum ermöglicht, in jedem Jahre von Neuem seine Gegenrechnung zu präsentiren. In diesem Falle wird das rheinische CentrumSblatt mit seinen Getreuen als treue und unerschrocktne Hüterin vor daS Budgetrecht sich hinstellen, unbekümmert um alle Aufklärungen, die in der Commission etwa noch erfolgen werden. Unveräußerlich sind die Rechte des Reichstags ohne die Jesuiten, mit den Jesuiten kann darüber geredet werden. DaS nennt man eine vaterländische, bewußte Politik treiben! Freilich kann man sich nicht darüber Wundern, wenn die „Köln. VolkSztg." auf die Nachgiebigkeit der preußischen Regierung speculirt, denn diese läßt eS an Entgegenkommen gegen ultramontane Wünsche selbst bei Gelegenheiten nicht fehlen, bei denen aus Rücksicht auf die Bundesgenossen des Reiche» die entschiedenste Festigkeit am Platze wäre. Eine solche Gelegenheit war die letzte Feier deS Geburtstages deS Kaiser» in Rom. Dort hatte bekanntlich die deutsche Colonie am 27. Januar ein gemeinsames Festessen mit Reden auf den Kaiser und seinen treuen Bundesgenossen König Humbert veranstalten wollen; die ultramontanen Mitglieder der Colonie hatten aber erklärt, an der Feier nur unter der Bedingung sich betheiligen zu können, daß der Toast auf den König von Italien wegfiele. Die nicht ultramontanen Deutschen gingen natürlich darauf nicht ein und feierten für sich Kaisers Geburtstag mit einem Hoch auf König Humbert, daS als Vertreter des deutschen Botschafters beim Quirinal der BotschaftSratb Graf Pückler auöbrachte, und mit einer Festrede auf Kaiser Wilhelm, die Professor Lorenz aus Jena hielt. Die „deutschen" Ultramontanen aber thaten sich zu einem Diner zusammen unter dem Vorsitz des preußischen Ge sandten beim Vatikan v. Bülow, der ein Hoch auf Papst und Kaiser auöbrachte, eia Hoch auf König Humbert wurde aber nicht ausgebracht! Ferner wurde ein Telegramm an den deutschen Kaiser gerichtet, unterzeichnet von Monsignore de Waal, einem der schlimmsten ultramon tanen Fanatiker, der im Juli 1872 an der Spitze einer Lese gesellschaft Pius IX. mit einer Drohrede gegen sein deutsches Vaterland begrüßte und dadurch den Papst zu der Weissagung veranlaßte, das aus der Höhe sich lösende Steinchen des Papst- thumS werde den Koloß des deutschen Reiches zertrümmern (vgl. Daniel 2,34). Als Antwort für de Waal veröffentlichte damals die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung", welche heute eifrig für daS ultramontane „StaatSlcxikon" der Görresgesellschafl Reclame macht, Proceßacten, die auf den moralischen Charakter der Atmosphäre, auS welcher dieser Ankläger seines Vater landes hervorgegangen ist, ein recht grelles Licht fallen ließen. Heute ist de Waal in den maßgebenden Kreisen eine beliebte Persönlichkeit, und die Ultramontanen, welche sich weigern, ein Hoch auf König Humbert anzuhören, also aus ihrer Feind schaft gegen den Dreibund kein Hehl machen, sich von der deutschen Colonie absoad-rn und so dem Ausland e^ beschämendes Bilo deutscher Zerrissenheit geben, werden durch den Besuch des preußischen Gesandten bei ihrer Sonderfeier ausgezeichnet. Es mag ja sein, daß König Humbert sich durch die Theilnahme des preußischen Gesandten beim Vatikan an einer den Landesherrn demonstrativ ignorirenden Feier sich nicht sonderlich gekränkt gefühlt und das von dem deutschen Bot- schaftSrathe Grafen Pückler bei einer anderen Feier auf ihn auSgebrachte Hoch höher bewerthet hat als jene Unter lassung. Aber befremden kann es jedenfalls nicht, wenn angesichts einer derartigen Rücksichtnahme der preußischen Diplomatie auf daS rücksichtslose DemonstrationSbedürsniß ultramontaner Kreise die Hintermänner der „Köln. Volksztg." sich nicht scheuen, der Preußischen Regierung vor der Ent scheidung über die Flottenvorlage eine Liste der ultramon- taaea Wünsche einzureichen, und rund heraus zu erklären, daß nur durch die Erfüllung dieser Wünsche die Zustimmung des Centrum- zu der Vorlage erkauft werden könne. Um so dringender ist es nöthig, daß die preußische Regierung bei nächster Gelegenheit auf daS Bestimmteste das klerikale An erbieten zurückweist und mit dem größten Nachdruck erklärt, daß sie in voller Uebereinstimmung mit den übrigen Re gierungen die Annahme der unveränderten oder doch nur in nebensächlichen Punkten abgeänderten Vorlage fordert. ES sind wohl Fälle äußerster Noth denkbar, in denen die führende deutsche Macht zu einer unbequemen Concession an eine übermächtige Partei sich entschließen muß, um die In teressen des Reiches zu wahren. Aber ein solcher Fall liegt nicht vor. Bon Tag zu Tag mehren sich die Beweise dafür, daß der weit überwiegende Lheil der deutschen Nation die Bewilligung der Flottenvorlage durch den Reichstag wünscht und im Falle einer durch die Nichtbewilligung herbeigesübrten Auflösung des Parlaments ein neues wählen wird, in dem die Männer der grundsätzlichen Opposition und de» Schachers in der Minderheit sein werden. Jede Nachgiebigkeit wäre also ein Beweis von Schwäche nicht nur, sondern auch von Vorliebe für kirchenpvlitischen Schacher mit dem Ultramon- tanismus. Und mehr noch. Es wäre ein kränkendes Mißtrauen gegen den gesummten deutschen Katholicismus, wenn man ihm zutraute, er werde sich, vor die Entscheidung durch Neuwahlen gestellt, um die Männer schaaren, welche die Parole „Ohne Jesuiten keine Schiffe" auSgeben. Ein solches Mißtrauen verdient die große Mehrzahl der deutschen Katholiken nicht, die gerade in einem Entscheidungsfalle er kennen lassen würden, daß sie, mögen sie auch eine Vorliebe für die „frommen Väter" haben, ihre Zustimmung zur Siche rung des deutschen Handels, des deutschen Besitzes unv deS deutschen Ansehens im AuSlande von Bedingungen zu Gunsten des Jesuitenordens nicht abhängig machen. Und soll etwa die ohnehin herrschende politische Cor ic uption, der Parteischacher und das gegenseitige Feilschen um Sondervortheile noch vermehrt werden? Sollen zu blöden Philistern jene politischen Gruppen gestempelt werden, die eS noch für eine Pflicht erachten, sel'stloS Opfer für deS Reiches Ehre und Sicherheit zu bringen? Soll eS prä- miirte Weisheit und Tugend der deutschen Wähler werden, nur gegen Baarzahlung patriotisch zu sein? Es ist schlimm genug, daß bereit» ganz offen und noch dazu von einer Seite, die als besondere Stütze von Thron und Altar sich anpreist, der bedingte Patriotismus mit Schacherofferten nicht ohne Hoffnung auf Erfolg an eine deutsche Regierung sich heranwagen darf; aber unendlich schlimmer wäre es noch, wenn dieser bedingte Patriotismus ohne alle Noth durch eine Belohnung ausgezeichnet würde. Und sollte dieses von der preußischen Regierung gegebene Beispiel auch den anderen deutschen Regierungen zum Muster dienen? Sollte Baden seine ultramontan - demokratisch- socialdemokratische Kammermehrbeit für die Flottenvorlage durch eine Austilgung „chauvinistischer", d. h. die nationale Empfindlichkeit jenseits der Vogesen reizender Ausdrücke er kaufen und Bayern seine Bündler auf ähnliche Weise zu erkauften Deutschen machen? Wenn zu irgend einer Zeit, so ist Preußen gerade jetzt berufen, seine führende Rolle in Deutschland dadurch zu be- tbätigen, daß eSRückgrat zeigt allen Schacherangeboten gegen über, deren Berücksichtigung die politische Moral in Grund und Boden hinein verderben, zu den verwegensten Anforderungen geradezu herauSfordern und den übrigen deutschen Staaten das übelste Beispiel geben würde. Eine Mahnung. Die „Hamburger Nachrichten" schließen einen „Homburg-Kusel" überschriebenen Leitartikel wörtlich folgendermaßen: „Der Ausgang dieses Kampfes wird allgemein als vorbildlich für die kommenden Wahlen angesehen, und r» kann nicht aut- bleiben, daß er die pfälzischen Nationalliberolen auf der ganzen Linie zu erneuter Thatkrast anfeuert. Aber man sieht doch, welche Gefahr für die allgemeine nationale Sache durch di« Aufstellung einer besonderen Bundescandidatur neben der nationalliberalen, unter Entfachung eines so leidenschaftlichen Haders heraufbcschworen war, ohne daß dazu in der Sache, in der Wahr nehmung der landwirthschaftlichen Interessen, ein irgendwie zwingender Anlaß gegeben gewesen wäre. Wir meinen, man sollte daraus noch bei Zeiten die richtige Lehre ziehen. Der Bund der Land- wirthe wird sich hüten müssen, den Bogen zu Über spannen und dadurch seine eigenen und besonders die allgemeinen nationalen Interessen zu gesährden. Wenn von einer bestehenden Partei Garantie für eine genügende Berücksichtigung der Bedürfnisse der Landwirthschast geboten wird, so ist nicht abzusehen, rva» den Bund veranlassen sollte, gegen eine solche Partei einen Kampf zu unternehmen, für dessen erfolgreichen Ausgang, wie man jccb:» gesehen hat, selbst die unerschrockensten und zähesten Agitatoren nicht zu bürgen vermögen. BollendS aber, wenn der Kampf gegen eine Partei gerichtet wird, deren Mitarbeit an den großen nationalen Aufgaben unentbehrlich ist, übernimmt der Bund «ine Verantwortung, die ihm leicht verhängnißvoll werden könnte. Deshalb kann man nicht dringend genug rathen, die Erfahrungen von Homburg-Kusel recht ernsthaft zu beherzigen." Die Mahnung, den Bogen nicht zu Überspannen, kann der Bund der Landwirthe im Königreich Sachsen vor Allem im Freiberger und im Döbelner ReichStagSwahlkreise beherzigen. Feuilleton. Chinesische Studenten. Bon Rudolf Langenbach. Nachdruck verboten. Der chinesische Student unterscheidet sich von all' seinen Eommilitonen in der alten und neuen Welt etwa ebenso sehr, — als sich China von allen anderen Ländern unterscheidet. Er weiß nichts vom frischen, fröhlichen Studentenleben; er kennt keine Lieder und Kneipen, keine Verbindungen und Mensuren; sein Studententhum gleicht einem unabsehbar sich dehnenden trost losen Wege, an dem nur in weiten Zwischenräumen Stationen sich finden, wo er sich Freude und Erholung gönnen kann. Er ist von Hause aus bestimmt, ein bemoostes Haupt zu werden, gegen das unsere ältesten Semester „krasse Füchse" sind; denn der volle Gang chinesischen Studiums dauert so lange, daß der Jünger der Musen oft erst mit grauen Haaren zum letzten Ziele gelangt. Wenn er je so weit kommt! Denn zu all' diesen trüben Aspekten gesellt sich noch der Umstand, daß von den Tausenden von Be werbern um die akademischen Grade nur ein kleiner Bruchtheil zu ihnen durchdringt; der chinesische Student hat also von vorn herein die größte Wahrscheinlichkeit gegen sich, in einem früheren oder späteren Stadium hängen zu bleiben. Für so viele Sorgen hat er freilich einen Trost, eine große Hoffnung. Wenn jeder na poleonische Soldat den Marschallstab im Tornister trug, so hat jeder chinesische Student die Aussicht auf alle Würden und Ehren, die das himmlische Reich zu vergeben hat. Hat er die schweren Thore alle passirt, die seinen Weg sperren, so kann er General und Finanzminister, Gouverneur und Admiral werden. Die Gelehr samkeit — und die Gelehrsamkeit allein — verleiht in China die Eignung zu jedwedem Amte; besondere Fachkenntniffe werden für überflüssig erachtet, wenn der Nachweis geführt ist, daß der Prüfling sich der klassischen Literatur Chinas bemächtigt hat. Diesem Nachweise dienen eine Reihe einander folgender Exa mina, die das Leben und Streben des chinesischen Studenten be stimmen. Nehmen wir an, der junge Mandarinensohn habe seine Jahre bei seinem Elementarlehrer abgesessen. All' diefe Jahre hat er zusammen mit seinen Mitschülern tagaus, tagein die Sätze der Bücher, die er kennen lernen soll, so oft laut wiederholt, daß er sie endlich auswendiggelernt hat. Er beherrscht jetzt die 178 Zeilen de» San-tse-king, den „Classiker der tausend Schriftzeichen", und die Schrift des großen Confucius, die Uber die Grundlage aller Gesellschaftsordnung, die kindliche Liebe, handelt. Damit ist er reif, zur ersten der akademischen Prüfungen zugelassen zu werden, die in der Hauptstadt seines Distrikts stattfindrt. Es ist das einfachste aller chinesischen Examina, und doch berechnet man, daß nicht mehr als 5 Procent der Candidaten diese Schwelle überschreiten. Schon fallen eine Menge von Existenzen zu Boden, di« ihr bischen Wissen al» Lehrer oder sonstwie kümmerlich zu verwenden suchen und den Grundstock zu dem -roßen akademischen Proletariate bilden, an dem China Ueberfluß hat. Aber wir I folgen dem Erfolggekrönten. Er sitzt und schwitzt jetzt über den I „vier Schu'S" und den „fünf Kings", die die Grundlage und das I Organon der chinesischen Literatur und Bildung darstellen, — Moralschriften, in die Lehren und Anspielungen aus allen Wissensgebieten verwebt sind. Auch die Geschichte beschäftigt ihn. So vergehen einige Jahre, der Student steht vor feinem zweiten Examen. Zu diesem Zweck reist er in die Hauptstadt des Departement», wo die Präfekten, die Statthalter und die Lite raturkanzler, eine Art von Studienräthen, der zusammenströmen den Studenten als gestrenge Examinatoren harren. Hoffentlich hat der Vater unseres Bruder Studio vorher all' seine Steuer rückstände bezahlt, sonst wird der Sohn in die heiligen Hallen der Gelehrsamkeit gar nicht erst eingelassen; der chinesische Staat, dessen Organisation hierin wie in den meisten Beziehungen über aus fein, ja raffinirt ausgebildet ist, weiß hier für seine finan ziellen Interessen den Ehrgeiz der Familien für die Söhne gar schlau zu benutzen. Es ist Alles in Ordnung, — der Student tritt in den großen Saal, nimmt, wie seine Leidensgenossin, seinen Platz an einem Tische, eine Kanon« giebt ein Signal und die Thüren schließen sich, um sich erst auf einen zweiten Ka nonenschuß hin gegen Abend zu öffnen, wenn die Examinirenden ihre Arbeiten vollendet haben. Arme Opfer, noch haben sie sich hiermit, selbst im Falle deS Erfolges, nicht den Ehrentitel eines Mannes, „der im Departement einen Namen hat", erworben. Sechs weitere Examina folgen diesem ersten Tage, sechs schlimme feine Siebe, an jedem bleiben Hunderte und aber Hunderte hängen — sie müssen hängen bleiben, denn das Gesetz erlaubt nur sechzig Graduirungen. 60 von vielleicht 6000, die beim ersten Ka nonenschuß voller Hoffnung waren, erlangen endlich die Bacca- laureatsehren, werden mit einem Orden, einer an der Spitze der Mütze zu tragenden goldenen Blume und einem reich gestickten Kragen bedacht. Die erste Station ist erreicht. Boten ver breiten eilends überall die Liste der Sechzig: zum ersten Male in seinem geplagten Dasein fällt ein wenig Sonne in das Leben des Studenten, Alle ehren ihn und seine Angehörigen tragen die Köpfe hoch. Er ist jetzt eine geachtete Persönlichkeit in seiner Heimath und ist von allen körperlichen Strafen befreit, — aber ein Gelehrter ist er noch nicht. Weiter muß er auf seinem sandigen Wege, weiter die klassischen Schriften studiren und die Universität besuchen, deren sich in jeder befestigten Stadt eine befindet. Hier studirt er und disputirt er, bis das Jahr ge kommen ist — jedes fünfte Jahr ist es —, da di« große Doktor prüfung stattfindet. DaS ist das schwerste aller Thore zur chinesischen Gelehrtenwürde. Diesmal geht die Reis« in die Hauptstadt der Provinz. AuS allen Departements kommen die Prüflinge hierher, und wenn die Commission, die vom Kaiser selbst ernannt ist und sich zweier au» Peking eigens herzugereister Examinatoren rühmen darf, ihre Heerde übersieht, so sind e» wieder sechs- bi» acht taufend Literaturbefliffene, die sich zur Entscheidung stellen. Eine solche Massenprüfung erfordert schon ganz besondere An stalten, und so hat man zu diesem Zwecke ein eigene» Hau», „Kung-yllen", gebaut, — eine ungeheure, von etwa 7000 Zellen umgebene Halle. Diese Zellen werden nun für mehrere Tage der Aufenthaltsort der Studenten, die Aus- und Eingänge werden militairisch streng bewacht, Fenster und Thüren sind mit Papier verklebt; nur über Nacht darf der Examinand hinaus. Tagsüber sitzt er hier eingesperrt, auch sein Essen kocht er sich hier selbst. Der Aufenthalt in der unventilirten, von den Dämpfen des Feuers und Essens erfüllter Zelle im Vereine mit der schweren geistigen Anstrengung bilden eine Tortur, und es kommt vor, daß mancher der Studenten in dieser Kammer sein mühseliges Leben beendet. Ist doch unser Student in zwischen schon längst aus den Jahren heraus, da der jugendfrische Körper allen Zumuthungen trotzt; er ist nun wohl schon ein älterer Mann, dem solche Anstrengung leicht zu viel wird. Da brütet er nun, oer Unglückliche! Vielleicht möchte der Leser gern wissen: worüber? Zum Glück hat uns S. Williams einige dieser Examensthemcn mitgetheilt. Hier ist eins: „Ein Mann studirt von seiner Jugend auf acht Grundsätze, und wenn er zur Mannheit gelangt, wünscht er sie auszullben". Ein an deres: „Der, der aufrichtig ist, wird verständig und der ver ständige Mann wird treu sein", lieber derartige Themata hat der Student im Ganzen 13 Aufsätze von verschiedenen Stilen zu verfassen; ein Tag ist dem mündlichen Examen gewidmet, in dem er fünf Fragen über Verwaltung, Gesetzgebung, Ge schichte, Geographie und schwierige Stellen in den Clafsikern zu beantworten hat. Ist die Noth der Examinanden vorüber, so beginnt die der Examinatoren, die 13 Mal 5—6000 Aufsätze zu prüfen haben. Freilich machen sie sich diese schreckenerregende Aufgabe doch nach Möglichkeit leicht. In der philosophischen Erkenntniß, daß die Mehrzahl der Studenten ja doch durchfallen muß, lassen sie Hunderte von Arbeiten von vornherein ungelesen; um so freundlicheres Interesse widmen sie gewissen Anderen, die durch bestimmte Zeichen ankündigen, daß ihre Verfasser zu zahlen bereit seien. Diese kommen gewöhnlich durch. Endlich haben die Herren Kommissare ihre Arbeit vollendet, und der zehnte Tag des neunten Monats ist gekommen. Da steigt um Mitternacht der Ausrufer auf den höchsten Thurm der Stadt und theilt von dort die Namen d«r neuen Doktoren mit. Ja, nun ist der Student endlich Kiü-schen, endlich wirk licher Gelehrter. Dreimal verneigt sich der Präsident der Com mission öffentlich tief vor den Namen der Erfolgreichen, und auf einem Bankette zu ihren Ehren bedienen die Mandarinen sie. Daheim werden ihre Namen im Ahnensaale verzeichnet; der Brief, der die amtliche Mittheilung der Promotion an das Familienhaupt enthält, wird an des Hauses Mauer angeschlagen, die ganze Familie steht nun hoch in Ehren und um den jungen Doctor, der wohl schon graue Haare hat, drängt sich glück wünschend alle Welt. Aber mit aller Wissenschaft theilt auch die China» die Eigen- thümlichteit, daß sie ohne Ende ist. Und der Staat Chinas erkennt dies dadurch an, daß er noch rwei weitere Examina ein gerichtet hat. So bleibt auch der Kiü-schen noch Student, und ihm bleibt die Aufgabe, noch tiefer in des Confucius und Mencius Weisheiten einzudringen, noch mehr von den 40 000 chinesischen Charakteren zu erlernen. Aber unnütz ist all sein Bemühen, wenn er nicht zugleich reich ist. Denn wer Tsin»ffe werden will, muß sich in Peking selbst einfinden; und hat der Gelehrte schon als Kiü-schen ein Amt angenommen, so hat er die Berechtigung zu dem höheren Examen eingrbüßt. Trotz alledem und trotz der Taufende und Abertausende, die über die früheren Prüfungen nicht hinweggekommen find, sind «S noch immer an die 400 Menschen, die sich diesem neuen Examen stellen. Es bewegt sich in ähnlichen Formen, wir die voran gegangenen; gestiegen sind die Anforderungen, aber es steigen auch die Ehren für die Sieger. Der Kaiser empfängt sie, ihr Erfolg wird den erfreuten Eltern auf Tafeln in goldenen Lettern mitgetheilt, die in Staatssänften überbracht werden. Sie bleiben nun in Peking selbst, und die Begabtesten oder Reichsten unter ihnen wagen es dann wohl noch, den Gipfel der Stufenleiter zu erklimmen, um nun den Grad des Han-lin zu erwerben. Ihnen stellt der Kaiser selbst eine Frage, und fällt ihre — schrift liche — Beantwortung befriedigend aus, so fpeisen sie mit dem „Bruder der Sonne und des Mondes" zusammen und die ersten Posten des Staates fallen ihnen zu. Aber das raffinirte Siebe system der Examina bringt es mit sich, daß von den vielen, vielen Tausenden, die zuerst in die literarifche Laufbahn sich wagten, schließlich vielleicht ein halbes Dutzend den Grad des Han-lin erlangt. Den eigentlichen Gelehrtenstand repräsentiren sonach die Doktoren, die Kiü-schen und Tsin-ffe. Eine rothe Fahne weht über ihrer Hausthür, und die Passanten verneigen sich ehr fürchtig vor ihr. Oft ist diese Hochachtung die einzige Freude des Mannes, der mit Darangabe der besten Jahre seines Lebens sich die gelehrte Qualifikation erworben hat. Denn die Re gierung hat keine Pflicht, ihn anzustellen, und da der Verkauf der Diplome, obgleich die strengsten Strafen darauf stehen, bei der Bestechlichkeit der Mandarinen sehr in Blüthr steht, so ist die Wahrscheinlichkeit, daß er mindestens sehr lange stellungslos bleibt, sehr groß. Nach einer Angabe Obrutschew'» berechnete ein chinesischer Censor im Jahre 1840 die Zahl der stellungslosen Kiü-fchen und Tsin-ffe auf etwa 35 000. Zu diesem gelehrten Proletariat kommt das nach chinesischen Begriffen ungelehrte, die Zehntausend?, die e» nicht bi» zum Kiü-schen gebracht haben. Sie werden Maler oder Schauspieler, Wahrsager oder Aerzte (deren Beruf in China sehr mißachtet ist). Was sie aber auch werden, so lungern sie beutesuchend im Lande umher und suche« sich Opfer für ihre Betrügereien, — zu stolz für ein gewöhnliche» Handwerk, zu schlecht für die höheren Würden. — So ist in der Hauptsache das Leben und Leiden de» chi nesischen Studenten, eine» ewigen Examinanden. Unsere Musen söhne können daran» leicht ersehen, wie gut sie e» haben.
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