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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 01.06.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-06-01
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040601028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904060102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904060102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-06
- Tag1904-06-01
- Monat1904-06
- Jahr1904
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Reklamen unter dem RrdaktionSstrich («gespalten) 7S >4, nach den Familiennach» richten (6 gespalten) VO Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Ossertenannahm« 2b Extra-Veilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 66.—, mit Postbeförderung 76.—. Annahmeschluß für An-eigen r Abend-Ausgabe: vormittag- 16 Uhr. Morgen»Ausgabe: nachmittag« 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von G. Polz in Leipzig (Inh. vr. B.,R. L W. Kltukhardt). Nr. 275. Mittwoch den 1. Juni 1904. 98. Jahrgang. Var MGtigrtt vom läge. * Die Deutsche Schmiede-Berufsgenossenschaft hielt heute ihre vierte ordentliche Genossenschafts versammlung hier ab, der in Vertretung deS Präsidenten des Reichsversicherungsamtes Regierungsrat Kn vor bei wohnte. (S. Leipz. Äugel.) * Die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiff brüchiger wählte als Ort der nächsten Tagung Emden. (S. Dtsch. Reich.) * Der italienische Staatsmann Alberto Blanc, der 1892—96 unter Crispi Minister deS Auswärtigen war und mit diesem nack der Katastrophe in Erythräa 1896 zurücktrat, ist gestern in Turin gestorben. * Nach einer mit großem Beifall aufgenommenen Rede deS Reichskriegsministers von Pit reich hat gestern die in Pest tagende österreichische Delegation die viel umstrittene Militärvorlage angenommen. (S. Oest.-Ung.) * In Konstantinopel traf eine abessinische Ge sandtschaft mit reichen Geschenken für den Sultan ein. * Staatssekretär Hay der Vereinigten Staaten ersuchte die französische Regierung um Unterstützung in der Angelegenheit des gefangen gehaltenen Amerikaners Perdicaris. Iseichrlinsnrei» «na baMcder Zentrum. DaS offizielle Organ der bayrischen Zentrumspartei veröffentlicht unter der Ueberschrift „Was nun?" einen Artikel, derH unS die Gewißheit gibt, daß, wenn die nächste Reichstagssession ohne einen scharfen Konflikt zwischen der Reichsregierung und dem Parlamente verlaufen sollte, daS bayrische Zentrum an der Friedlichkeit der inneren Zustände jedenfalls unschuldig sein wird. Der Artikel äußert zunächst die Ansicht, daß die Durchdringung der sogenannten „kleinen" Finanzreform nicht eine günstige Gestaltung der Finanzen des Reichs im nächsten Rechnungsjahre zur Folge haben würde. Mit der Annahme, daß der neue Zolltarif vor Beginn dieses Rechnungsjahres nicht in Kraft treten werde, und daß man deshalb auch mit mehr Erträgen aus den Zolleinnahmen kaum werde zu rechnen haben, hat das Blatt ja zweifellos recht. Dem Reiche aber neue Einnahmequellen zu schaffen, dazu ist das bayerische Zentrum offenbar durchaus nicht bereit. Das offizielle Zentrumsorgan schreibt nämlich hierüber: „Es verbleiben zur Deckung der zweifellos zu er wartenden Mehrausgaben deS ordentlichen Etats nur zwei Wege: Einführung neuer, bezw. Erhöhung bestehender Steuern oder Uebernahme des gesamten Mehrbedarfs auf die ungedeckten Matrikularbeiträge. Der Einführung direkter Steuern im Reiche werden die Einzelstaaten mit Recht im Bundesrate erheblichen Widerstand leisten, neue indirekte Steuern haben im gegenwärtigen Zeitpunkte im Reichs tage durchaus keine Aussicht auf Annahme. Ebenso wenig würde aber, soweit wir unterrichtet sind, ein Vorschlag auf Zustimmung im Reichstage rechnen können, der etwa auf eine Erhöhung der bestehenden indirekten Steuern abzielte." Das bayerische Zentrumsorgan spielt also sehr ge schickt die Einzelstaaten gegen den Reichstag und den Reichstag gegen die Einzelstaaten aus. Die Einzelstaatcn wollen keine direkten Reichssteuern, der Reichstag keine neuen indirekten Steuern, also wird überhaupt nichts bewilligt. Gegen die, wie das Blatt ja selbst sagt, „zweifellos zu er wartenden Mehrausgaben" auf dein militärischen Gebiete aber möchte das bayerische Zentrumsblatt die Einzelregierungen mobil machen, indem es sie darauf hinweist, daß die Deckung dieser Mehrausgaben nur durch die finanzielle Mehr belastung der Einzelstaaten möglich sein würde. „Und mit dieser Möglichkeit ernstlich zu rechnen, möchten wir den Einzelstaaten angesichts der drohenden Militär vorlage und der abenteuerlichen Pläne des Flotten- vereinS dringend ans Herz legen." Eine Flottenvorlage ist ja für das nächste Jahr nicht zu erwarten, die Einbringung einer Militärvorlage aber ist gewiß. Wenn das bayerische Zentrumsorgan die Verantwortung für die Ablehnung dieser Vorlage dem Bundesräte zuschieben möchte, so weiß es wohl selbst, daß es damit wenig Glück haben wird. Wohl aber kann man aus den Auslassungen der Blätter folgern, daß daS bayerische Zentrum durch die Ablehnung der Vor lage wieder einmal seine „Volkstümlichkeit" an den Tag legen wird. Wenn aber das Gros des Zentrums der For derung zustimmt, so wird deren Annahme trotz des „Mannes mutes" und des bayerischen Zentrums gesichert sein. Der FuMana Oer ffereis. Letttwein» Truppenschau. Oberst Leutwein hat jetzt in Okahandja die letzten Vor bereitungen für seinen Vormarsch nach dem Waterb». g ge troffen. Er hat am Dienstag die Hauptabteilung noch einmal auf ihre Kriegstüchtigkeit geprüft, und nun geht eö gegen den Feind, dessen Gefährlichkeit man nachgerade zur Genüge erkannt hat. Mit allen Erfordernissen moderner Kriegführung ausgerüstet, wird diese Hauptabteilung, unterstützt durch das in Okamatangara aufgestellte Detachement des Majors von Estorfs, hoffentlich bald zu entscheidenden Schlägen ausholen können. Der „L.-A." läßt sich darüber aus Okahandja unter dem 31. v. Mts. melden: Heute hielt Oberst Leutwein hier eine Truppenschau ab über vier Kompagnien berittener Infanterie, eine Kompagnie Witbois, drei Batterien und die dazu gehörenden Ochsenwagen. Nach Abritt der Fronten hielt er erst an die Infanterie, dann an die Artillerie eine Ansprache, die in ein donnerndes Hoch auf den Kaiser aus klang. Dann fand ein Vorbeimarsch statt, der recht gut ausfiel, trotzdem in verschiedenen Truppenteilen erst beute früh eine Anzahl neu eingetroffener Pferde eingestellt worden war. An dem Vorbeimarsch nahmen teil die zehnte berittene Kompagnie unter Hauptmann Wilhelmi, die elfte unter Hauptmann Gansser, die siebente unter Hauptmann Brentano, die fünfte unter Haupt mann Puder, die Kompagnie Witbois unter Leutnant von Berneck, dann die sechste Batterie unter Hauptmann Rembe, die fünfte unter Hauptmann Stahl, die vierte unter Oberleutnant v. Müller. Darauf ließ Oberst Leutwein einzeln vorgezogene Mannschaften vor reiten, absatteln, aufsatteln usw. Eine halbe Stunde später fand ein Gottesdienst statt, worauf das heilige Abendmahl genommen wurde. * * Okahandja, 31. Mai. Der jüngst durch den Italiener Antonio auf der Eisenbahnfahrt nach Karibik verwundete Seesoldat Karl Kießling von der vierten Kompagnie ist gestern nachmittag im Lazarett zu Karibik gestorben. Antonio, der inzwischen festgenommen wurde, wrrd vor ein Kriegsgericht gestellt, wenn sie ärztliche Beobachtung ergibt, daß er nicht irrsinnig ist. Das Befinden des gleichfalls durch Antonio verletzten Oberleutnants ist gut. vrr lULmcd-iapanstcde Krieg. Der weitere japanische Feldzugrplan. Ans London wird uns geschrieben: In den Kreisen der hiesigen japanischen Botschaft versichert man, daß nun, woder stra tegische Aufmarsch der japanischen Armee in der Hauptsache voll zogen sei, ein Geheimnis aus dem FeldzugSplan nicht mehr ge macht zu werden brauche. General Kurokihabe seine Hauptauf gabe gelost, Kuropatkin vor Liaoyang festruhalten und werde diese Aufgabe weiterhin um so leichter lösen können, als er jetzt durch die bei Takuschan gelandeten Truppen weitere 50 000 Mann erhalten habe, die Kuropatkin jeden Weg nach der Liav-Tung-Halbinsel hinein versperren würden, wie ihm die Straße über Kaipin (Kaitschou) bereits durch die dort ge landeten Truppen versperrt sei. Sollte Kuropatkin ver suchen, Port Arthur zu entsetzen, so würde Kuroki mit seinem jetzt 150 600 Mann starken Heere ihn sofort im Rücken angreifen und die Bahnlinie Haitschoen-Liaoyang besetzen lasten. Bleibe aber Kuropatkin ruhig in seinen jetzigen Stellungen, so werde Kuroki, im Besitz der Foenschinulinkette, deren Pässe er sämtlich befestigt habe, ruhig warten, bis General Oku Port Arthur zu Falle ge bracht habe und unter Benutzung der Eisenbahn nach Kaivin (Kaitschou) seine fünf Divisionen (denn er erhalte jetzt eben noch zwei Divisionen) mit seinen gesamten Truppen vom Süden her gegen den linken russischen Flügel die Operation beginnen könne. Bis dahin würden auch die den rechten russischen Flügel umgehenden zwei japanischen Divisionen (angeblich die 6. und 10.?) die ihnen vorgeschriebenen Stellungen eingenommen haben und dann werde es zu der längst erwarteten „großen Entscheidungs schlacht" kommen. Gleichviel aber, ob diese Schlacht zu Gunsten der Japaner ausfalle oder nicht, so werde niemals von einem weiteren Vormarsch derselben gegen Charbin usw. die Rede sein können. Die javanischen Heere werden lediglich die mantschurische Eisenbahn, soweit sie etwa von den Russen zerstört wäre, wieder Herstellen, um ihre Rückzugslinien mit dem Meere zu sichern und im übrigen in ihren gut befestigten Stellungen den russischen Angriff abzuwarten. psrt Arthur. Jakowlew, der Kommandeur des untergegangenen Panzerschiffes „Petropawlowsk", äußert sich Berichterstattern Petersburger Blättern gegenüber bezüglich der Befestigungen von Port Arthur folgendermaßen: Wenn man von Befestigungen Port Arthurs spricht, so muß man nicht bloß die Festung im Auge halten, sondern eine ganze Reihe anderer Befestigungen, wovon jede eine drohende, in den meisten Fällen eine sehr schwer zugängliche Position darstellt. Die Liaotung-Halbinsel, an deren Ende Port Arthur liegt, ist mit der übriqen Kwantung - Halbinsel durch eine schmale Landeng von 10 bis 17 km verbunden, die man mit den Thermopylen vergleichen könnte. Hier befinden sich die ersten russischen Be festigungen von Kintschou; hierauf folgen andere, und die letzten sind an Punkten angelegt, wo Landungen zu erwarten sind; solcher gibt es aber nur wenige. Geeignete Landungsbuchten sind Dalny, Talienwan und die Taubenbucht. In der Bucht, in der acht Schiffe landen könnten, müssen vor der Landung unbedingt erst die unteren Minen herausgeholt werden, was die Japaner auch schon ver» suchten, jetzt aber aufgegeben zu haben scheinen. Landungen an diesen Punkten scheinen überhaupt unmöglich, weil feindliche Trans- Portschiffe dem Feuer unserer Küstenbatterien ausgesetzt wären. Gesetzt den Fall, die Japaner würden, unterstützt vom Feuer ihrer Schiffe, die Landung an den erwähnten Punkten bemerk» slelligen, so stnnden sie gleich vor einer zweiten Reihe von Be festigungen, die wie ein Ring Port Arthur in bedeutender Ent- fernung umschließen. Diese kann der Feind nur mit furchtbaren Verlusten nehmen; sodann stände er vor den Mauern Port Arthurs und dessen Befestigungen, die sowohl Natur wie Kriegskunst dem Feinde so gefährlich machen. Von der Seeseite ist Port Arthur tatsächlich uneinnehmbar. Um die Festung zu nehmen, müßten die Japaner sie mit einer Armee von 150000 Mann mit vorzüglicher Artillerie belagern; aber auch dann müßten sie sich mit Geduld wappnen, um Port Arthur zu Fall zu bringen. Vie Garnison von jport Arthnr wird von den japanischen Blättern wie folgt angegeben: Infanterie, 2 Brigaden 16 000 Mann Kavallerie, 1 Schwadron 150 - Feld-Artillerie, 2 Batterien 600 - Festungs-Artillerie, 1 Brigade .... 2400 » Genietruppen, 2 Bataillone 2 Kompagnien 1300 » Torpedokorps, 1 Kompagnie . . . . . 200 - Summa 20650 Mann Da» japanische Velagernngsheer vor Port Arthnr besteht nach Meldungen aus Tokio auS 75000 Mann mit 200 Geschützen, zu denen nach 35 000, die sich gegenwärtig unterwegs befinden, mit 82 Geschützen kommen. Zurzeit stehen auf der eigentlichen Halbinsel südlich von Kintschou, einschließlich der Lrnie Pitsewo-Port AdamS: die erste Division (Hauptquartier Tokio, unter General Fürst Fuschimi), die dritte Division (Hauptquartier Nagoya, unter Generalleutnant Baron Oschima), die vierte Division (HauptquartierOsaka, unter General leutnant Baron Ogawa). Die gesamte Stärke dieser drei Divisionen mit ihren Reserven beträgt 75 000 Mann. Unterwegs befindet sich die berühmte fünfte Division, welche Port Arthur im chinesischen Kriege erstürmte. TrzShlvngen chinesischer Flüchtlinge. Eine gestern abend auS Tschifu eingetroffrne Draht meldung lautet: Heute sind 500 chinesische Flüchtlinge von Dalny und Talienwan hier eingetroffen. Es scheint, daß die Ruffen Talienwan am 26. Mai verließen und sich nach Port Arthur begaben, nachdem sie zuvor jeden für die Japaner verwendbaren Gegenstand durch Feuer vernichtet hatten. Nach Berichten derselben Flüchtlinge räumten die Russen Dalny ebenfalls am 26. Mai, zerstörten zuvor aber das Eisenbahngebäude, drei Handels schiffe, Baggerfahrzeuge und kleine Hafendampfer. Nach einigen Angaben sollen die Russen das Kanonenboot „Bobr" Feuilleton. Tamms Garten. 14s Roman von Wilhelm Jensen. Nachdruck verboten. Allerdings machte sich'8 deutlich bemerkbar, daß der Wein und Punsch heute ziemlich stark im Kopf Detlev Pctzolds herumspukten. Er hatte zu den ihm vom Mund gefahrenen Reden öfter laut aufgelacht, und seine etnge- streuten lateinischen Citate mit ihren Konjunktionen und Argumentationen waren so unverständlich gewesen, daß er selbst keinen Sinn damit verbunden haben konnte. Auch jetzt war das letzte, was von dem allein weiter Fort gehenden herklang, noch ein Lachen, aber unter dem „kon fusen Wortzeug" hatte Dieter aus einzelnem doch die warme Freunüschaftsgesinnung seines neuen Leibburschen herausempfunden und kehrte, von dem beruhigenden Ge fühl durchdrungen, um, sich des ihm notwendigen Bei standes gegen das nicht mit Worten Benennbare in seinem eigenen Innern versichert zu haben. Zugleich indes hielt er während des Heimwegs sich mit der Hand auch des Kettchens in seiner Rocktasche versichert; als er, nach Haus gelangt, in seine kleine 'Schlafkammer trat, warf der im Westen schon wieder abschwindende Mond noch seinen Schein durch's Fenster, und unwillkürlich wickelte er die Papierhülle auf, um eine Zeit lang in der silbernen Strahlenbahn die feinen goldnen Ringglieüer durchein- ander flimmern und spielen zu lasten. Im Mondlicht fah'S auS, als höben sie sich von einem geheimnisvoll weih schimmernden Untergründe ab. Am andern Bormittag stellte Dieter sich nach dem Kollegbesuch auf dem Aechtboden de» im Hervortreten be griffenen Korps ein; erst seit einigen Tagen war ein un- benutzter Raum der Fortuna dazu hergertchtet worben. Cr kam etwas zu vorzeitig, es befand sich noch niemand hier, nur die Servante erschien aus dem Schenkzimmer her, um zu fragen, ob er ein Getränk verlange. Auf seine Verneinung erwiderte sie: „Lernen Sie gut mit dem Nappier umgehen, damit Ihnen das Gesicht nicht zu arg »erschlagen wird". Offenbar äußerte sie'» nur, um ein paar Worte zu sagen, deren Ton völligste Gleichgültigkeit hören ließ; sie war gestern abend bei seiner Aufnahme in die Obotritia zugegen gewesen, wußte deshalb davon, doch blickte ihn an, als ob er ihr bei diesem Vorgang zum ersten Male zu Gesicht gekommen sei; daß sie ihn schon ein mal als Primaner hier gesehen, und von dem Schilling, den er für das Glas Pfeffermünz bezahlt, gesagt hatte, sie wolle den als Heckpfennig aufbewahren, schien ihr völlig aus dem Gedächtnis weggeschwundcn. Er erinnerte sich dagegen noch deutlich d'ran, doch wie an einen wunderlich haftend gebliebenen Traum, und begriff nicht mehr, was ihn damals so sonderbar schreckhaft habe überfallen können; ihm ging nur mit einem Gefühl von Beschämung aus, er müsse noch ein sehr alberner Schüler gewesen sein, der bis dahin nie mit einer Wirtschaftsaufwärterin zu sammengekommen und sich deshalb ihrer vorschrifts mäßigen Dienstbeflissenheit gegenüber nicht zu benehmen gewußt. Schuld mochte daran wohl hauptsächlich der geisterhafte Eindruck getragen haben, -en das lautlose Haus an dem Mittag auf ihn gemacht, als lauere etwas gespenstisch Unheimliches darin; doch die „Fortuna" hatte für ihn vollständig da» Atemversetzende verloren, war nichts anderes als die sonstigen Gasthäuser der Stadt, nur von schicklicherer Gesellsck-aft besucht. Ihn trieb's, sich bei Paula mit ein paar erklärenden Worten zu entschuldigen, und er erwiderte: „Ich war schon früher einmal hier, Die haben's natürlich vergessen, und das ist mir lieb, denn Die nahmen sich meiger Unbeholfenheit freundlich an, und ich betrug mich damals sehr dumm — mir machte wohl mein Abgangsexamen den Kopf konfus." DaS weckte doch auch bei ihr eine Erinnerung an seinen mittägigen Besuch in der einsamen Gchenktzube, sie zog die Oberlippe ein bißchen zu halblachendem Ausdruck in die Höh' und antwortete: „Sind Die seitdem klüger geworden? Ich bin gegen nie. man- unfreundlich, warum sollt' ich» auch sein, und bet Ihnen hatte ich gewiß keinen Grund dazu. Ich bin ja dazu hier, die Gäste so, wie sie'» wünschen, zu bedienen, aber Sie waren freilich gegen mich nicht freundlich, und mir tat » leib an -em Tag." Sr empftrnd, daß sie ihm au- seinem törichten Betragen einen berechtigten Vorwurf mache und deshalb bisher getan habe, als ob sie ihn nicht wiedererkenne; doch er konnte ihr nichts mehr entgegnen, denn mehrere von den Angehörigen des neuen KorpS traten jetzt herein, und gleich darauf kam auch Detlev Petzolb hinzu. Sr begrüßte seinen LeibfuchS: „Ich glaube, gestern abend habe ich dir was von Unsinn zusammen geschwatzt, kaoit poetus vino oomplotuw äissrtom, aber veritag mutz man nicht immer dabei suchen. Nun wollen wir 'mal die Spieße miteinander reden lasten, das ist eine Unterhaltung, die den Dunst aus dem Kopf jagt. Ja so, du kriechst erst aus -en lateinischen Windeln und siehst mich drauf an, daß du noch Deutsch lernen mußt. Brat spieße und Piken meine ich nicht damit, auch keinen Ge weihspieß, junger Spießer, der bei andern Gelegenheiten zu brauchen ist. Auf dem Paukboden sind das die Spieße, um die sich der Braten dreht." Der Sprecher hatte zwei Rappierklingen von der Wan genommen, die er Dieter erklärend vorhielt, und dieser ward nun mit Fechtmaske, Halsbinde und Armstulpen zum Unterricht ausgerüstet. Er war ein vollständiger Neuling, der noch niemals einen Schläger in der Hand gehabt; Petzolb zeigte ihm unbedeckten Kopfes die ver schiedenen Hiebe und hieß ihn, sie nachzumachen. Das tat er, zugleich ungelenk und zaghaft, aus Furcht, seinen Lehrmeister zu verletzen, doch stets traf er auf die mit spielender Leichtigkeit parierende Klinge desselben, als ob dieser ringsum von einem eisernen Gittcrwerk umgeben fei. Dann drehte Petzolb eine Weile „den Spieß um" und ließ die Klinge blitzschnell auf den überpolstcrten Scheitel, den Maskcndraht und die Brust seines Partners herunter fahren; er schlug, ohne Kraftanstrcngung, überaus behend- elegant mit unfehlbarer Treffsicherheit, sein Verhalten ge mahnte an das Spielbetrcibe» einer Katze mit der hülf- loscn Maus. So ging die erste Anleitung ungefähr eine halbe Stunde lang fort, bis Dieter der Atem versagte; be täubt wirbelte ihm der Kopf, vor den Augen ward's ihm schwarz, und er mußte sich, die Maske hastig abnehmend, halb ohmmächtig auf eine Bank fallen lasten. Sein Leib bursch lachte ihm zu: „Bist flau geworden? 'Das geht vor bei, alles will erst gelernt sein; Füchsen passiert allerhand, daß sie sich nach dem ersten Mal verschwören, nochmal täten sie'- nicht wieder, aber wenn sie sich von der Strapaze erholt haben, hat'- ihnen doch Appetit zu einer neuen Mensur gemacht. 6um Inuckv, ging » heut' noch nicht, doch oum oauckn hat'8 nicht» zu tun, ich meine, den Schwanz brauchst du darum nicht einzuztehen, LeibfuchS; nach einer halben Stunde bist du frisch auf dem Damm und kannst wieder an» Geschäft gehen, dazu hat dir -ie Mutter Natur da» Nötige mitgegeben." Dieter stand'- am Gesicht abzu» lesen, daß ihm in der Tat recht übel zu Mut sei, er fühlte seine Glieder wie gebrochen, doch die burschikose Auf munterung, aus der die Teilnahme des Freunde» sprach, tat ihm wohl, erfüllte ihn mit Verlangen, es auch zu solcher Gewandtheit und Fertigkeit zu bringen, wie Petzold; ein schönes Kennzeichen und Sinnbild der Mannhaftigkeit lag darin, so die Waffe führen zu können. Den andern ge räuschvoll umher fechtenden und stampfenden Gruppen zu- schauen-, kam er auch über Erwarten rasch wieder zu sich, legte für die Richtigkeit -er Aeußerung, daß die Natur ihn mit gesunder Vollkraft der Glieder ausgcstattct habe, Zeugnis ab; fast hätte er aufs neue nach dem Rapprer gegriffen. Aber eine Vorstellung nahm ihn abhaltenü in ihren Bann, Tamms Garten gestaltete sich plötzlich vor seinen Augen, die lautlos geheimnisvolle Einsamkeit desselben trat in einen wundersamen Gegensatz zu dem raffelnden Gelärm, das ihn hier umgab, und er sah in der alten Buchcnhecke das Gezweig sich an einer Stelle leicht aus einanderteilen und ein Kleid von der Farbe der Brrgils- aster aus den gelbgewordenen Blättern hcrvortauchen. Ganz indes beruhte diese Erscheinung nicht auf einem Gaukelspiel seiner Phantasie, denn die Tür des Fecht raumes nach dem Flur stand weit offen, und über diesen ging eine, nach der Kleidung und dem Hut auf dem Kopf von einem Ausgang zurückkehrcndc hochgcwachscne weibliche Gestalt vorbei, hielt, den Blick hcrcinivendcnd, an und sagte zur Schwelle vortretcnd: „Ah, uu bruit csiar- m»nt! Ich höre gern die rosonnaneo von Säbeln mo«8iours." Daraufhin wandte sich Wichard EllcndShcim eilfertig der Tür zu, die Sprecherin mit einer eleganten Verbeugung und der Erwiderung begrüßend: «iiör-o tantv. Tie erweisen uns eine große Ehre, unsere Waffcnübung durch solche unverhoffte Beachtung auszuzeichnen. Darf ich mir gestatten. Ihnen meinen Freund, Baron von Petzold, vorzustcllcn?" Der Oftnannte war ebenfalls hcrbctgckommen, verneigte sich mit tiefem Respekt und äußerte, nachdem er ehrerbietig die behandschuhten Finger der Dame an die Lippen geführt lnttte, tn französischer Sprache, eS gehe einer seiner höchsten Leben-Wünsche da» durch in Erfüllung, daß er des Glückes teilhaftig ge worden, ihr bekannt gemacht zu fein. Der aristokratischen Würbe ihres Gesichtes gesellte sich ein Ausdruck von Be- friedtgung und Wohlwollen, sie versetzte gleichfalls auf französisch, sie werbe erfreulich davon berührt, aus dem Munde der Jugend noch die einzige Sprache wahrhafter Bildung zu vernehmen und diese gleicherweise durch tadellose chcvalercske Manieren, die der Neuzeit immer mehr abhanden gekommen seien, kundgcgebcn zu sehen. Dann fügte sie nach: „Ich hoffe, wsssivurs, vous seror <w
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