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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.09.1893
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1893-09-14
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18930914029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1893091402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1893091402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1893
- Monat1893-09
- Tag1893-09-14
- Monat1893-09
- Jahr1893
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gabrsteve» .bgeholt. viert,ljihrlich^E ?ei uveimalia« tiglich« Zust«llang in« Hau« » bAO Durch dt« Post b«»ogen für Dtulschliiud and Oesterreich: viertkhährlich g —. Direkte tägliche 1kr«u;bandienduug Ausland: monatlich 7.öO. Die Moigea-rlntgub« erscheint täglich '/,7UH>^ dt« Abrnd-AuSgabe Woch«ntag« b Uhr. NeLactioa und Erveditio«:. I,tza»ne»>afie 8 Abend-Ausgabe. ununterbrochr» 8 btA'Vbead« 7 Uhr. DI« Expedition i geölsaet »o» Filiale«: vtt« Me««'« Gorti«. Mlfrr» H«t«x UniversitätSstrah« 1 Loni» L-sche, aatharinenstr. 1«, pari, und ASvtgtpletz 7. NMM.TllgMatt Anzeiger. Drgan für Politik, Localgeschichte, Handels- und Geschäftsverkehr. Nnzeigen.Prris die Sgespaltme Petitzeile 20 Pfg. Neclamen unter dem Redoctionsstrich (4ae« ipaltenl SO^j, vor den Familienaachricht«, <6 gespalten) «0^. Gröbere Lchristen laut unserem Preis» verzeichniß. Tabellarischer und Zissrrnsatz nach höherem Tarif. Extra»veilagr» (gesalzt), nur mit de, Margen «Ausgabe , ohne Postbesörderuag SO—, mit Poslbejörderung 70.—» Iinnahmeschluß für Anzeige«: Abend-Ausgabe: Vormittag« 10 Uhr. Margea-Au-gabe: Nachmittag« «Uhr. Sonn- und Festtag- früh '/,S Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen j« eia« halbe Stunde früher. Ariirtgrn sind stets an di« Ertzkdtti«» zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. „4° 47«. Donnerstag den 14. September 1893. 87. Jahrgang. politische Tagesschau. * Leipzig, 14. September. Im Anschluß an eine Mittheilung über die Beschäftigung von Lehrlinge» und jungen Mädchen in einer Druckerei, welche sich mit der Herstellung von Büchern unzüchtigen Inhalts befaßte, wird von einzelnen Blättern die Forderung nach einer gesetzlichen Fürsorge dahin ausgestellt, daß in Druckereien, welche derartige Schriften Herstellen, Lehr linge überhaupt nicht beschäftigt werden dürfen. Wir sind mit diesem Gedanken durchaus einverstanden und mochten nur darauf aufmerksam machen, daß die Gewerbe ordnung jetzt schon eine ähnliche Bestimmung kcnnt. Aller dings bezieht sich dieselbe auf die jugendlichen Arbeiter und Arbeiterinnen in Fabriken, wodurch wieder einmal nachzcwicsen wird, daß man für die Arbeiter im Großbetriebe in den letzten Jahrzehnten weit mehr ge- sorg: hat, als für die im Handwerk beschäftigten. Nach Z. 139a Abs. t ist der Bundesrath ermächtigt, die Verwendung von Arbeiterinnen, sowie von jugendlichen Arbeitern für gewisse FabrikationSzwcige, welche mit be sonderen Gefahren für Gesundheit oder Sittlichkeit ver bunden sind, gänzlich zu untersage» oder von besonderen Be dingungen abhängig zu machen. Der BundeSratb hat denn auch bereits von der Ermächtigung des gänzlichen Unter- sagens der Beschäftigung aus SittlichkeitSgründen Gebrauch gemacht. Wir erinnern nur an die Bekanntmachung des Reichskanzlers vom 2l. Juli 1888. Es ist demnach ein Präcedenz bereits vorhanden. Man würde natürlich, wenn man die Untersagung der Beschäftigung von Lehrlingen in gewissen Handwerkszweigen bcrbeiführen wollte, die Ermäch tigung des BunceSrathS nachsuchcn müssen. Je näher der Termin für den Beginn der Verhandlungen über Len drutsch-russtschcu Haudclövertrag rückt, desto lauter ertönen bei den Russen die Stimmen, welche eine Beeut igung des Zollkrieges fordern. War in dieser Beziehung die schon erwähnte Schwenkung der „Nowoje Wremja" ckaratieristisck, so ist die auS der Mitte der russischen Bevölkerung selbst hcrvorgehende, gegen die Fortsetzung des Zollkrieges gerichtete Agitation besonders bemcrkciiSwcrth. Aus vielen Handelsplätzen IC tz n g r c ß p o l r n S nämlich geben Petitionen der Kaufmannschaft an den Finanzministcr Witte, worin der Minister gebeten wird, für ein schleuniges Zustande kommen deS Handelsvertrages mit Deutschland zu wirken, da der Zollkrieg den Handel des WeichsclgebietS gänzlich zu ruiniren drohe. Aber nicht nur die Kausleute sind unzu frieden, auch die Landwirthe machen aus ihrer Mißstimmung kein Hehl mehr. So wird dem „Berl. Tagebl." geschrieben: „Im Gouvernement Suwalky haben in den letzten Tagen große Versammlungen von Landwirthe» stattgefunten, in denen eine Petition an daS russische Ministerium be schlossen wurde, worin gebeten wird, schleunigst Vor kehrungen zur Abstellung der Lurch den Zollkrieg hereingcbrockcnen Calamitäten treffen zu wollen, da sonst ein großer Th-il der Landwirthe Haus und Hof verliere. Ihre reiche Ernte an Getreide und Futter müsse verderben, Steuern und Zinsen können nicht gezahlt werden und sie Alle kämen bei längerer Dauer des Zustandes an den Bettelstab. Besonders schwer sind die bäuerlichen Besitzer an der ostpreußischen Grenze betroffen, welche noch be sonders unter dem Verbote der Futtereinfuhr nach Deutsch land zu leiden haben. Mancher hatte diesmal bis 500 Eentncr an Heu übrig und dabei auf eine Einnahme bis zu 1000 Rubel gerechnet, d. h. mehr als er sonst aus der ganzen Wirtschaft gewinnt. Diese Einnahmequelle ist nun abgeschnitten." AchnlicheS berichtet die „Nat.-Zta." Die Noth muß in der That groß sein, wenn die russischen Landwirthe derartige Petitionen abzuscnden wagen. Ob Herr Wille ihnen sein Ohr nicht verschließt, oder ob er auch angesichts solcher Vorgänge und Zustände bei seiner llnnachgiebigkeit gegenüber de» deutschen Forderungen beharrt, wird die nächste Zukunft lehren. Graf Taasse hat über Prag und die umliegenden Ort schaften in Folge der Ausschreitungen der Iungczechen, die er durch seine Nachgiebigkeit bisher nur allzusehr ver hätschelt hat, den Ausnahmezustand verhängen lassen. DaS Ministerium Taasse, daö die Begehrlichkeit und trotzige Anmaßung deS Ezechenthumö durch länger als ein Jahr zehnt planmäßig aroßgezogen hat, muß nunmehr zu dem selben äußersten Abwehrmittcl greifen, daS im Herbst 1868 daS Bürgerministerium gegen den czcchischen Uebermuth an gewendet und daS Taasse selbst vor einigen Jahren in einem Thcile der Provinz Niederöslerrcich gegen — die Anarchisten in Anwendung gebracht hat. Der Erlaß, der den kleinen Belagerungszustand über die böhmische Hauptstadt ver hängt , i>l die Bankerotterkläruna des Graten Taasse, dieses unseligen „Versöhners", dessen klägliche RegierungS- künste Oesterreich immer erkennbarer dem inneren Zerfalle zugeführt haben. Durch eine Verordnung deS Gesauimt- millisteriumS wird nun nach eingcholter Genehmigung deS Kaisers ^ie zeitweilige Aufhebung der Artikel 12 und 13 deS Staatsgrundgesetzes über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger im Gebiete der Hauptstadt Prag, sowie der BezirkShaupimannschasien Weinberge, Karolinenthal und Smichow verfügt. Gleichzeitig wird für gewisse Vergehen die Thätigkeit der Geschworenengerichte im LaudeSgcrichlS-, sprenget Prag aus ein Jahr eingestellt. DieS Vorgehen wird in der amtlichen „Wiener Zeitung", wie bereits gemeldet, in einer Weise begründet, die keines EommentarS bedarf und beweist, daß Taasse mit der jetzt getroffenen Maßregel seinem eigenen czcchcnsrcunrlichen Regierungssystem daS Urtheil gesprochen hat. Die Wiener liberalen Blätter erörterten natürlich den Aus nahmezustand i» Prag mit dem Hinweis aus die vierzehnjährige PolitikdeS Grasen Taasse. Uebereinstimmend wird betont, Laß der an.'ibynastischc Charakter der sungczechischen Ausschrntrmgen die AuSnahmcverfüguiigen veranlaßt habe. Die officiöse „Presse" schreibt, die Regierung habe sich zu dieser Maßregel erst entschlossen, als alles weitere Zögern unmöglich geworden. — Sämmtliche jungCzechischen Versammlungen in Prag wurden aufgelöst und mehreren Partei blättern das Erscheinen untersagt. Den übrigen jung- czechischcn Organen wurde aufgegebcn, drei Stunden vor der AlattauSgabe Pflichtexemplare an die Eensurbehörde cin- zurcichen. Die gleiche Pflicht wurde den socialdem okra lisch en Blättern Prags auscrlegt, nach anderer Nachricht wurde denselben gleichfalls überhaupt daS weitere Erscheinen untersagt. Eine vom Smichowcr Bürgcrclub herauSgegcbene Festausgabe des kaiserlichen RescriptS vom l2. Sep tember 1893 wurde beschlagnahmt. Die Regierung ist auch entschlossen, wenn der Herd der jungczcchischen Agi tation auS dem Gebiete des Ausnahmezustandes nach andere» Bezirken verlegt werden sollte, auch über diese Bezirke den Ausnahmezustand zu verhängen, und erklärt, sie wolle durch den Ausnahmezustand die friedliebende Be völkerung vor dem Terrorismus schützen. Schade nur, daß die Regierung sich so spät auf diese ihre Pflicht besinnt! Die bevorstehende Entfaltung der russischen Kriegs- flagge im Mittelmeer beunruhigt daS englische Volk und seine Staatsmänner weit mehr, als nach außen hin wabrnelmibar ist. Als vor wenigen Wochen daS Flottcn- budget im englischen Unterhaus« zur Verhandlung stand, war bei dieser Gelegenheit deS Langen und Breiten die Rede von den im Mittelmeer zu gcwärtigenden Absichten der maritime» Politik Rußlands, von den raschen Fort schritten der französischen Seerüstungen und von den Ver schiebungen, welche hieraus möglicherweise für daS bisherige Stärkeverbältniß der Mittelmcerinteressen vertretenden Mächte sich ergeben könnten. Es fehlte sogar nicht an Hinweisen auf die Möglichkeit einer die bekannte ^Parallelaction" der englischen und italienischen Scestreitkräft e in Schach zu halten bestimmten russisch-französischen F l o t t e n z u sa m m e n w i r ku n g, mit Bedrohung der englischen Stellung in Egypten. Sind das nun auch vorläufig mehr in der Phantasie als in Wirklichkeit vorhandene Sorgen, die man deswegen auch nicht in ursächlichen Zusammenhang mit dem Gerücht zu bringen braucht, demzufolge der egyptische Khedivc sich nächstes Frühjahr zum Besuch nach London begeben soll, so greift daS Eingangs erwähnte, durch die Aussicht aus ständige Stationiruna eines russischen Geschwaders im Mittelmeer erzeugte Mißbehagen der politischen und Geschäfts welt Englands doch stetig weiter um sich und dürste demnächst auch daS Oberhaus in Mitleidenschaft ziehen. Wenigstens darf man die in den Londoner Blättern signalisirte Anfrage eines OberhauSmitgliedes an Lord Rosebery, ob zwischen Rußland und England Vertragsbestimmungen hin sichtlich der Entfaltung russischer Seestreitkräfle im Mittel- meere existiren, beziehungsweise wie stark gegenwärtig Rußland zur See ist, als Symptom dafür ansehcn, daß einflußreiche öffentliche Kreise Englands den in Rede stellenden russischen Coup sehr ernst zu nehmen ge neigt sind und cS dem Ministerium Gladstone einigermaßen verübeln, daß cS nicht längst schon aus eigenem Antriebe Stellung zu dieser Frage genommen und die öffentliche Meinung dcö Landes binsichtlich der politischen Zukunst deS Mittelmeers beruhigt bat. Der Umstand, daß französische Preßstimiuen sich hinsichtlich der maritimen Tüchtigkeit des russischen MittelmeergeschwaderS ziemlich gering schätzig geäußert haben, har auf die Stimmuug in England eher alarmirend als besänftigend gewirkt. Denn man traut den Franzosen zu, daß sic absichtlich die Wabrbeit auf den Kopf stellen, um daS verhaßte England in falsche Sicherheit zu wiegen, und glaubt nicht, daßRußland zu einer so bedeutsamen Kundgebung, wie die im Mittelmeer geplante, gerade Schiffe von veraltetem Typus und zurückgebliebener artilleristischer Gefechtsstärke ausgesucht haben soll, da eS den Russen doch in erster Linie darauf ankommen muß. mit ihrem Er scheinen im Mittelmeer, in einem französischen KricgShafen ersten Ranges, einen möglichst imposanten moralischen Ein druck bcrvorrubringe». Dazu bedarf eö aber eines erlesenen Materials. Wie dem mdeß auch sei, England kann nickt, und will auch anscheinend nicht, die russische Mitteliriccrdcmonstralion ignorircn, dann muß cs aber freilich rasch und gründlich seincnGegcncoup i»S Werk setzen, und eSscheint dazn auch wirklich, »ach den letzten telgraphischen Nachrichten zu schließen, allen Ernstes entschlossen zu sei». Denn wie die „Agenzia Stcfani" auS Rom meldet, würde die erste Division des englischen Geschwader« unter dem Oberbefehle des Lord Seymour am ll. Lctobcr auö Griechenland in Tarent eintresscn. Nicht ohne Interesse ist dabei die Erinnerung, daß Lord Seymour, der Commandant des die italienischen Häsen besuchenden englischen Geschwader-, im Jahre 1882 die englische Flotte commandirte, welche Alexandrien bombardirte und die englische Occupatio» Egyptens durchführte. Wie der „Tribuna" aus Neapel gemeldet wirb, soll daS englische Geschwader außer Tarent auch die sicilaniscken Häfen, ferner Neapel, Civitavccchia, Livorno, Spezia und Genua besuchen. In Neapel wird ein besonderer festlicher Empfang vorbereitet. Gleichzeitig gicbt, wie bereits gemeldet, die ribuna" der Ansicht Ausdruck, daß die Wieder herstellung eines permanenten italienischen Geschwaders unter Aufreckterhaltung der Theilung der Divisionen, ohne Verminderung der Zahl der schweren Schiffe oder der Ausrüstung, welche auch für daS zum ffeservcgeschwadcr nmgestaltetc Manövergeschwader erhalten bleibt, offenbar in Wechselbeziehung zu der Ankunft deS englische» Geschwaders in den italienischen Häfen stehe. Daß insbesondere in Neapel der Empfang LcS eng lischen Geschwaders sich zu einer politischen Kundgebung ge- taltcn wird, kann nicht überraschen. Vielleicht wird man in Frankreich in solchen Ovationen eine Geaenkundgebung gegen die bevorstehenden VcrbrüderungSfestc der Franzosen und Russen in Toulon erblicken. In diesem Falle würde man vielleicht darauf Hinweisen, daß ebenso, wie daS Zusammentreffen deS russischen Flottenbesuches in Toulon mit der Reise deS Kronprinzen von Italien nach Elsaß-Lotbringcn als ein bloßer „Zufall" bezeichnet wird, auch der englische Flottenbesuch in italienischen Hafen als „zufällig" betrachtet werden könnte. Der Leb haftigkeit der Provenzalen in Toulon wird trotzdem vielleicht diejenige der Neapolitaner bei diesen Flottcnfesten entsprechen. Die Opposition in Atalien setzt ihre alte Taktik, Pie Diö creditirnng deS CabinetS Giolitti durch Ver breitung erfinidencr Nachrichten zu versuchen, in der jüngsten Zeit mit besonderem Eifer fort. Leider sind cö nicht nur die Organe der Radicale», sondern, und vor Allem jene der so genannten gemäßigten Partei der Rechten, welche sich in der Er- siiiduiig solcher Nack,richten bervorthun. So brachte kürzlich eines der größten und angesehensten Organe der Rechten, ein sonst seiner anständigen und gemäßigten Haltung wegen bekannte« und geachtetes römisches Blatt, nämlich die „Opinione", die Meldung, der Minister des Acußern, Brin, habe, alarmirt durch die Aufregung, welche die Ankündigung der Anwesenheit de» italienischen Kronprinzen bei den deutschen Manövern in Lothringen in Frankreich erregte, sich in vertraulicher Weise »ach Berlin gewendet und versucht, die Zustimmung der dortigen maßgebenden Kreise dafür zu erhalten, daß die Reise de« Kronprinzen unter bleibe. BloS die entschiedene Erklärung deS deutschen Reichskanzlers, Grafen Caprivi, daß er eS nie wagen werde, dem Kaiser ein solches Ansinnen vorzutragen, da er überzeugt sei, daß dasselbe den Kaiser arg kränken und verletzen könne, habe Brin weitere Schritte in dieser Richtung unterlasse». Es läßt sich nun aus Grund authentischer Mitlbcilunge» versichern, daß diese Nachricht völlig in daS Gebiet der Erfindung gekört. Jeder UrthcilS- sähigc muß sich übrigens selbst sagen, daß Brin gar nicht daran denken konnte, einen derartigen Schritt zu thun, der mit der italienischen Politik und i»it der Würde der italienischen Regierung nicht im Einklänge gestanden hätte. Um nicht- besser begründet ist ferner die von den Blättern der Rechten verbreitete Nachrick,t von angeblichen Zerwürfnissen zwischen dem Ministerpräsidenten Giolitti und dem Minister des Aeußcrn, Brin, und anderen zwischen den verschiedenen Mitgliedern des CabinetS bestehenden Meinungsverschieden heiten. Zwischen den Mitgliedern der Regierung und speciell zwischen dem Ministerpräsidenten und Brin herrscht volle Feirilletsn. Lein einziges Gut. 17s Roman von B. Corony. Na-truck vrrbotcn (Fortsetzung.) 14. Capitel. Frcigesprochen, aber nicht gerechtfertigt. DaS beißt verscbint und geächtet. DaS bedeutet geringsckätzendc Blicke, tief ver letzende Bemerkungen, die mehr crratbcn als verstanden werden, tausenderlei Kränkungen, deren man sich so wenig zu erwehren vermag als der Stiche eines WespcnscbwarmeS. Streit mit Rainer anzufangen, wagte Niemand, aber zu ver stehen gab man cS ihm von allen Seiten, daß er ein AuS gestoßener war, und seine Erbitterung darüber wnckS von Tag zu Tag. Er lauerte förmlich aus eine Gelegenheit, dem Grimme Luft zu machen, aber diese kam nicht, denn jeder kannte seine maßlose Heftigkeit zu gut, uni sie bcrauSsordern zu wollen. Daß man ihm auSwick, daß die wenigen Perscncn, mit denen er früher verkehrte, einen andern Weg einschlugen, wenn sie ihn von fern erblickten, daß viele Landwirthe ihre eschäftlichen Beziehungen, in welche» sie zu ihm standen, ab rachen — daS mußte er dulden, ohne RechenschLft von den Betreffenden fordern zu können. Ein Wunder war eS auch nicht, wenn man ibn zu vermeiden strebte. Denn er sab jetzt wirklich auö wie ein Mann, der mit der menschlichen Gesell schaft gebrochen bat. Der graue Bart, das tief in die gefurchte Stirn hängende Haar machten die fahle Gesichtsfarbe und daö Glühen der Augen noch ausfallender. Zuweilen kam cS auch wie verzweiseltcr Trotz über ihn, dann besuchte er die öffent lichen Locale, und wenn er bemerkte, daß manche der An wesenden ihn ansahen und sich in flüsterndem Ton unterhielten, so fixirtc er sie mit so wildem, drohendem Ausdruck, daß sie sich abwandten, um >bn nickt zum Aeußersten zu reizen Schlimmer aber war eS »och im eigenen Hause. Da schienen Trübsal und Kummer ihre bleibende Wohnstätte aufgescklagen u haben. Ein finsterer Geist waltete im Etclbcff. Auch die onst alle« mildernde Zeit vermochte nicht wohltbätig zu wirken. Monate vergingen, der üppigen Prackt deS Sommers folgte die ernste Schönheit de« Herbste-, auch sie schwand, Eis und Schnee bauten einen glitzernden Wall zwischen den beiten Nachbargütern, und al« dieser unter den warmen Strahlen der FrüblingSsonne schmolz, die ersten Blümchen sich schüchtern und neugierig hervorwagten, wonnig erzitternd, wenn laue Bergeslüfte sie umschmeichelten, da stürmte Rainer eines Tages wie toll in den Forst hinein. Er glich einem dem Irrenhaus Entsprungenen. Wiederholt schlug er sich mit der Faust vor die Stirn oder fuhr mit beiden Händen in sein Haar, Flüche murmelnd und zum Himmel emporstarrend, als wolle er diesen verantwortlich machen für daS Leid, das ibn getroffen. Zu weilen blieb er auch stehen, lehnte den Kopf an einen der moosbewachsenen Baumstämme und stöhnte auf wie ein todt- wundeS Thier. Oualvolle Angst und unbezähmbare Wuib rangen in seiner Brust. Im Schlosse war daS Glück cingc- zogen, Jubel und Freude herrschten dort. Von AtlaSwogen und kostbaren Spitzen umgeben, schlief ein Erbe des edle» Namens in der vergoldeten Wiege. So sollte also daS Ge schlecht der Freiherren von Hohenfels sortbcsteben. Mit frohem Stolz durfte Gisbert auf seinen Sohn blicken, und während tausend goldige Hoffnungen sich an dieses junge Leben knüpften, lauerte der Tod an der Schwelle LcS EdelhofeS. Menschliche Macht konnte daS grinsende Gespenst nicht bannen, welches die.Knochenband nach einer holden, lieblichen Beute auSstreckte. Hildegard welkte sichtlich dahin. Sie war weder krank noch klagte sie, wurde jedoch immer bleicher und stiller. Ihre Schönheit batte nickt gelitten, erschien aber jetzt fast zu zart und unirdisch, und wen» die blaue» Augen träumerisch und wcbinütbig in die FrüblinzS- pracht binauSblicktcn, meinte man, einen AbschicdSgruß in ihnen zu lesen. „Sie härmt sich", batte die Großmutter gesagt, und die Aerzte, welche der besorgte Mann nicht müde wurde herbei - zurusen, erklärten: „Nur ihr Gemütb ist leidend!" Ach, daS war eS ja eben! Dem Gram ließ sich nicht wehren. Wie ein langsam schleichendes Gist führte er daS Mädchen dem Grabe zu. All den Jammer, den er vor Iabren durchlebt hatte,cmpsandRaincrausSNeue. Diesesallmälige Hinsibwinden erinnerte ihn an jene Stunden boffniingSloser Verzweiflung, die ibn an dem Sterbebette des geliebten WeibcS fast zum Wahnsinn trieben. Auch die längst Entschlafene schied von der Welt, weil da- heimlich nagende Weh sie tödtete. Dafür gab eS kein Heilmittel. Und damals wie jetzt war er selbst eS gewesen, durch den da« schwere Leid kam DaS sagte er sich hundertmal und konnte doch seine unglückselige Heftigkeit nickt zügeln. Erst heute batte cS wieder eine aufregende Scene gegeben. Immer versackte er von Neuem zu erzwingen.waS doch nur durch Geduld und Schonung zu erlangen gewesen wäre. Ge waltsam wollte er Hildegard ausrütteln aus ihrer stillen Trauer und erreichte damit nichts weiter, als daß sic sich »och ängstlicher vor ihm zurückzog. Wenn sie dann erbebend den scheuen, feuchten Blick crbob und ohne ein Wort der Klage oder der Vcrlheidigung die ganze Flutl, seiner erbitterten Vorwürfe über sich ergeben ließ, sah er seine Ohnmacht diesen! schwachen Geschöpf gegenüber ein. Dann trieb cS ihn fort auS dem Hause in den finstern, einsamen Wald; dort zwischen wilden Schluchten und Fclscngestein wurde ibm leichter. Manchmal wandcrte er weiter, an dcni Gastbos „Zum Krug" vorüber nach einer Schänke, die abseits lag und höchstens von Holz sällern und Köhlern besucht wurde. Es sprach sich bald herum, daß Rainer dort zu finden sei und oft stundenlang in einer dickten Laube hinter dem Hause sitze, den Kopf in beide Hände gestützt und in sein volles GlaS starrend, ohne zu trinken. DaS böse Gewissen treibt ihn in die Einsamkeit, sagten dann die Leute. Auch heute lenkte er die Schritte wieder der kleinen Dirth- schaft^zu und traf unweit derselben die Kräuterlise, welche Schwämme sammelte. Bei seinem Anblick erschrak sic, und zwar nicht ohne Grund, denn über sein Gesicht zuckte eS wie Wetterleuchten und die eisenharten Finger umspannt«:» den Knotenstock so krampfhaft, daß die Alte meinte, er müsse im nächsten Augenblick aus ihre Schultern nicdcrsauscn. Hastig raffte sie Korb und Tuch zusammen und drängte sich zwischen die Büsche hinein. Rainer brach in ein kurzes, verächtliches Lachen auS und rief: „Habt keine Sorge! Ich rühr' Euch so wenig an wie eine giftige Spinne, wenn ihr auch verdientet, wie eine solche zertreten zu werden!" „Ei sieh, da! Es steht Euch wohl fein, eine alte Frau zu beschimpfen", murrte Life, die wieder Muth bekam, weil sie bemerkte, daß er nicht beabsichtige, ihr ein Leid zu Ikun. „Ihr könnt' mir wohl nicht verzeihen, daß ich Euch aus der Leiter gesehen habe? Hätte natürlich »iriner Wege gehen, mich nickt weiter darum kümmern und nichts verratycn sollen Warum aber? Ist der Tobias etwa geschont worden'? Nein, vom Hos habt Ihr ihn gejagt." „Weil er ein nichtSwürdigcr Bursche, ein Dieb war." „Ja freilich, wenn so ein armer Kerl, der jahraus und jahrein wie ein Lastpferd arbeitet und doch nichts vor sich bringt, einmal ein paar Tbaler nimmt, dann muß er auch gleich richtig in« Elend bineingcbeht werden, und kommt er drinnen um. so heißt«: „Geschieht ibn, schon recht! Er h-t'S verdient!" Ist e« aber vielleicht ehrlicher, wenn einer bei Nacht und Nebel seinem Nachbar daS HauS über dem Kopf anzündct und ibn um viele Tausende bringt?" „Weib!" knirschte er drohend. Die Alte taumelte erschrocken zurück, bemerkte aber bei dieser Gelegenheit, baß ein Mann zwischen den Bäumen erschien und langsam näher kam. Da schwand ihre Furcht, und sie fuhr mit giftig eifernde»! Ton fort: Ja, mag Tobias »och so schlecht gcwe>en sei», ei» Mordbrenner war er nickt, und keine Ebr' ist'S jetzt auch nimmer, wenn man im Ebelhos aus- und cingeht." Kaum hatte sie das letzte Wort gesagt, als Life auch schon laut auskrcischend die Flucht ergriff, kenn Rainer stürzte mit hochgeschwluigeiiem Stock aus sie zu. Aber eben, als er in sinnloser Wuth einen wuchtigen Hieb nach ihr sübren wollte, hielt eine starke Hand die seinige fest. Ter aufs Aeußerste Gereizte wankte sich um und stieß, Cainvry erkennend, einen Witten Fluch aus. während die Alte cilizst sortbumpelle und hinter dem Gestrüpp verschwand. „Nur ruhig! eine Person wie Liese ist cS nickt Werth, daß inan sich um ihretwillen zu einer rasche» Thal hinreißen läßt", sagte Harald, als die Bedrohte weit genug entfernt war. „WaS bat Sic hierher geführt?" grollte Rainer. „Auf diesem Wege pflegt man sonst vor derartigen Begegnungen geschützt zu sein. Ei» seltsamer Zufall!" „Kein Zuiall. Ich wußte, daß Sie immer die Schänke an der Marienquclle aussnchcii. und hoffte. Sie dort zu treffen " „Ist Ihne» so viel an meiner Gesellschaft gelegen? Ich sag' cö offen heraus, daß ick lieber allein bin. lv'bne Ihr Da- zwischcnlrctcn hätte ick der Alten vielleicht de» Kops zerschmettert. Es ist gut, daß Sic mich karan verhinderten, aber nun giebt eS wohl nichts weiter, was u»S zwänge, nebeneinander hcrzugehen, und wir können Abschied iicbnien." „Würden Sie mir eine Unterredung gewähren?" „Welchen Zweck sollte diese haben? Gerate beute bin ich in e,»cr Stimmung, die wohl jede Verständigung au«- schlösse. Indeß — sprechen Sie? Handelt cS sich um eine Anfrage, so bringen Sie dieselbe gütigst ohne jede Einleitung vor, ich werde Ihnen ebenso kurz und bündig antworten." „Sei >--! Meine Bitte läßt sich in wenig Worte kleiden: geben Sic mir Hildegard zur Frau." Rainer wandte ihm jäh den Blick zu. Düsteres Feuer
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