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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 30.07.1912
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1912-07-30
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19120730026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1912073002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1912073002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1912
- Monat1912-07
- Tag1912-07-30
- Monat1912-07
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Bezug-Preis für Lrlvjla »nv Bororte durch »nlere Träaer und Eoedtleur» ümal «äaltch tu, Hau» gebracht SU Pt. monatl, L7u «k. vteneUöhrl. vet unlern sitUale» «. An» nahmeßellen adachott 7S P«. monatig r.» Äl. vierte ltähri. Lurch »t« Volt: innerhalb Deutichlanb, und der beutlchen Kolonien vterleiiahrl. ».«> Ml., monatl. I^tt Ml. auslchi PoltbrsteUgeld Ferner in Belgien, Danemarl, den Donaustaaten, Italien. Lurembura, Niederlande, Nor. wegen, Oesterreich - Ungarn Rußland, Schweden und Tlbweit. In allen übrigen Staaten nur direkt durch dir Trlchäst»« stell« br» Blatte» erhältlich. Da» i!«tv,,g»r Tageblatt «rlchernt »mal täglich. Sonn» u. Feiertag» nur morgen». Udonnemrnl»»tlnnahm« 2»ha»ai»galse 8, h«i unseren Trogern. Filialen. Spediteuren »ud tlnnahmrsielle.t, lowir Boäämi«rn und Bnettragern. Etnt»l»«rlaul»»r«t» lll Vs. Abend Ausgabe. MMer Tageblatt » , -u t"k»r m.ch«».ichl»tz) TeU-Anschl. l i««93 l 14694 Handelszeitung. < Ullgrmetn« Deutsch« Tr«dtt» - rlnliali Brühl 75/77 vallkkoino. i Deutsche Bank, Filiale Leipzig i Dep.-Kass« Srimin. Sleinweg ch Amtsblatt des Nates und des Nolizeiarntes der Ltadt Leipzig. PoftscheiNont« Leipzig «W. V-sischecklont» Leipzig W8. Anzeiqen-Preit filr Inserat« au» L«ip,l, und Umgebung di« llpaltig« Petttzetle L Ps-die Neklame» z«U« l Mk. von au»wärt» ZU Ps^ Neklamen lA Mi. Inserate von Behörden im amt lichen Teil di« Petitzetle SU Ps. S«schäst»anzeig«n inti Platzoorschrift«» lm Preise erhöht Rabatt nach Tarts. Betlagegebübr Eesamt- auslag« b Mk. p Tausend «rkl. Postgebühr. Teildetlag« Höher. Fektett«tlt« Aujtrage können nicht »arült« ge»og«n werden Für da» Erscheinen an bestimmten Tagen und Plagen wird kein« Garant«« übernommen. Knzergen»iianahme. I»haani»g»ss« 8^ bei sämtlichen Filialen u. allen Annoncen» Ezpeditionen de» In- und Au»lande». Druck und Verl«, »,» Fisch« L Kiirst»» Inhabern Paul Kiirsten. Kedattion und S»schSlt»l««ll»: Iohanntsgasse 8. Haupt-Ftli«l« Dr«»de«: Ceegrage i, l iTelrphon !821>. Ur. 385. Dienstag, üen 30. Juli >SI2. l06. IlllirgSNg. Tie vorlie»eude Ausgabe umsah! 8 Senen. Oss DWiglte. * Der Zustand des Kardinals Fischer ist unverändert hoffnungslos. (S.Dtschs. Reich.) * Die Verhandlungen der türkischenMis- sion mit aufständischen Albaniern sind bis her erfolglos gewesen. (S. bes. Art.) * Der mexikanische Rebcllenführer Alazar hat die Fremden aus Chihuahua ausgewie sen. (S. Ausl.) Zur üemlcksn Beoüllrerungsfrsge. —* Die deutsche Auswanderung hat ihren Höhepunkt vor ca. 30 Jahren erreicht. Im Jahre 188l wurden rund 221000 deutsche Reichsangehörige über deutsche und fremde Häfen als Auswanderer nach Uebersee befördert. Das beständige Anfchwcllen dieser Zahl gab damals und noch für eine lange Folgezeit zu den ernste sten Betrachtungen Anläße obwohl unter der erst nach und nach zu voller Geltung kommenden Wirkung der durch Bismarck im Jahre 1879 inaugurierten Wirtschaftspolitik das Aufblühen des volkswirtfchristlichen Lebens in Deutschland der starken Auswanderung bald ein Ziel setzte. Bis zum Jahre! 1885 sank sie auf 110 000 Köpfe, um schon im folgenden Jahre erstmals seit langer Zeit unter 10O 000 zurück- znbleiben. In den kritischen Wirtschaftskahren nach 1890 wieder stark anschwcllend, begann sie seit 1893 rapide zu sinken um im Jahre 1898 trotz stark angewachsencr Bevölkerung ein Mi nimum zu erreichen, das nur ziemlich genau ein Zehntel des Maximums von 1881 betrug. Mit andern Worten: Von mehr als einem halben Hundert der Bevölkerung sank die Aus wanderung unter ein halbes Tausend der Be völkerung, womit sie so gut wie gar keine Nolle mehr für die Bevölkerungs bewegung in Deutschland selbst spielte. Ge legentlich setzte dann auch wieder eine kleine Erhöhung ein, die aber immer nur geringfügig blieb. Das absolute und relative Minimum war erreicht im Jahre 1908 mit einer deutschen Aus wanderung von weniger als 20 000 Köpfen, gleich 0,3 aufs Lausend der Bevölkerung. Hinzuzu fügen ist noch, daß, die heutige Auswanderung keineswegs mehr im vollen Umfange als eine ständige anznsehen ist, sondern zu nicht geringen Teilen als eine Art mehr oder weniger lang fristiger Sachsenaängerei über den Ozean. Der deutsche Auswanderer zieht heute mir zum Teil über den großen Teich, um fick drüben dauernd ansässig zu nrachen; zum Teil/ lockt ihn die Möglichkeit schnellen Gelderwerbs in den weiten Gefilden Amerikas, in der Absicht, später mit den erworbenen Schätzen wieder in die Heimat zurückzukehrcn. Der so geringfügigen deutschen Auswande rung steht nun in neuerer Zeil eine keineswegs unbedeutende Einwanderung nach Deutsch land gegenüber. Beim gegenwärtigen Stande unseres Wirtschaftslebens verfügen wir trotz des starken Volkswachstums nicht mehr über die ge nügenden heimischen Kräfte, um den vollen Be darf von Landlvirtschaft und Industrie an Ar beitskräften zu decken. Der volle Umfang der Einwanderung nach Deutschland ist nur schwer zu erfassen. Die großen Volkszählungen ergeben in dieser Beziehung die am lvenigsten erschöpfen den Resultate, denn sie finden statt in einer Jahreszeit, in der die ausländischen Arbeiter vorübergehend wieder über die Grenze in ihre Heimat gezogen sind, um im nächsten Jahre alsbald wieder neue Arbeit in Deutschland zu suchen. Wir sind im wesentlichen angewiesen auf die — aber auch ihrerseits unvollständige — Statistik der Deutschen Feldarbeiter-Zentralstelle, heute „Deutsche Arbeiter-Zentrale" genannt, die von der preußischen Regierung und einer Reihe weiterer Einzelstaaten — jedoch noch nicht allen — mit der Befugnis ausgerüstet ist für die in Deutschland beschäftigten ausländischen Ar beiter Legitimationskarten auszustellen. Die Deutsche Arbeiter-Zentrale fertigte im Jahre 1908/09 gegen 600000 im Jahre 1909/10 gegen 650 000, im Jahre 1910/11 aber bereits fast 700 000 Legitimationskarten für ausländische Arbeiter aus, ohne damir die Zahl der nach Deutschland einwandernden Arbeiter zu erschöp fen; einesteils, weil ihr die Bundesstaaten noch nicht restlos angeschlossen sind, andernteils, weil ein nicht unbeträchtlicher Prozentsatz der ein wandernden Arbeiter sich doch immer wieder der Legitimierung entzieht. Sprach man früber von dem bevorstehen den Wachstum des deutschen Volles auf den Wegen der natürlichen Vermehrung um rund eine Million Köpfe im Jahr, so werden wi'. heute davon sprechen müssen, daß bald eine Millionausländischer Arbeiter Jahr für Jahr über die deutschen Grenzen gezogen kommt, um sie nur auf ganz kurze Zeit wieder zu verlassen. Vergleichen wir die Aus- und Ein wanderung von heute, so werden wir jedenfalls gewahr, daß wir trotz der starken Volksdichtig keit und des — tvenn auch nachlassenden, so doch sehr bedeutenden — Voltswachstums, heute nicht von einer Uebervölkerung in Deutschand, son dern im Gcgenetil von einem Arbeitermangel zu sprechen haben. vor üer EnMelüung. (Von unserem Konstantinopeler Mit arber t e r.) Konstantinopel, 27. Juli. DaS kaum flott gewordene Staatsschiff der Türkei treibt wieder mit vollen Segeln hinaus in Not und Sturm. Mit angespannter Aufmerksam keit hatte man allenthalben seinen neuen Führer Ghazi Muktar Pascha erwartet, der sich mit seinen Mitarbeitern sogleich eifrig an die Arbeit machte, um im Land die arg gefährdete Ruhe wiederherzustellcn. Las Programm der neuen Re- gierung ist noch nicht bekannt gegeben worden, doch hl zurzeit schon ersichtlich, daß der Äroßwcsir und sein Kabinett crnstlia» bestrebt sind, die arg mit einander verfeindeten Parteien zum Friedensschlüsse zusammenzusührcn. Mutlar Paschas Tätigkeit be gann mir »er Aufhebung des seit der Versaffungs- einsetzung über Konstantinopel verhängten Be lagerungszustandes, welche die Bevölkerung der Hauptstadt von einer ungerechten, harten Last befreite, lieber eine allgemeine Amnestie ist nocb keine Entscheidung gefallen. Bon höchster Wichtigkeit sür alle, ivelcl-e am Wohlergehen der Türkei irgendein Interesse haben, ist die Haltung der neuen Staatsmänner in der albanischen Frage. Man darf Ghazi Muktar die Anerkennung nicht versagen, daß er auch in dieser Angelegenheit daS Beste zu tun gedenkt. Tie unter Reschid Akif Paschas Führung aus 2 Sena toren und 3 Beamten des Ministeriums des Innern zusammengesetzte Reformkommijsion hat sich viel leicht nach Kossowo begeben, wohin der (tzroßwesir nocb persönlich nacheilen wird, und die in Albanien im Felde stehenden Truppen erhielten Befehl, die Verfolgung der Aufständischen aufzugebcn. Den Albaniern ist die neue Sraatsleitung willkommen, durch deren Ernennung sie klar erkennen konnte, und daß die Tage des Komitees vorüber sind: aber sie stellen, nachdem das unionistische Kabinett ge stürzt, maßlose Forderungen, die sür die nächste Zukunst ernste Bedenken erregen müssen. In der Ebene von Kossowo sind zurzeit über 50 000 Mann verschiedener Stämme versammelt, denen es nicht an Waffen und Schießbedarf gebricht, und täglicb stoßen starke Scharen mit den Zuständen in der Heimatsprovinz Unzufriedener zur Hauptmacht der Aufständischen, obwohl gegenwärtig eine Art von Waffenstillstand geschlossen worden ist. Sie sind Herren über ganz Nvrdalbanien geworden und setzen die in ihre Gewalt gefallene Stadt Prischtina in Verteidigungszustand. Die Mannschaften der Me- gierung aber beginnen mit ihnen zu fraternisieren. Die albanische Frage, deren Lösung nun end lich auch von den Großmächten dringend gefordert wird, weil sie zum Gegenstand gewaltiger inter nationaler Verwicklungen ausarten kann, würde die osmanische Negierung tatsächlich erledigen können, aber zu allem Unglück decken sich die Forderungen der Albanier mit denen der Opposition, die plötzlich stark und unbotmäßig ihr Haupt erhebt. Diese Opposition hat vor allem im Heere eine starke Ge folgschaft, die sich zu mehreren Gruppen verschiede nen Ursprungs zusammengeschlosscn hat. Die eine Militärliga nennt sich „Befreier des Vater landes", eine andere „die Stimme der Reife". Im ganzen sino vier solcher Vereini gungen festgcstellt worden, doch liegt die begründete Befürchtung nahe, daß ihrer noch mehr bestehen, die alle unabhängig voneinander entstanden sind, jedoch das gleiche Ziel vor Augen haben. Das Komitee soll sterben, für immer vernichtet werden. Eine dieser Verschwörungen hat vor wenigen Tagen ein Manifest erlassen, in dem alle aufgeklärten Offiziere zur Einigung wider den Einfluß des Komitees er mahnt werden und in dem die sofortige Auflösung des Parlaments gefordert wird. Eine andere »erstieg sich sogar so weit, der Kammer ein Ultimatum, es solle sich Innerhalb von 48 Stunden auflösen, vor zulegen. Das ganze türkische Heer ist von der Be wegung für oder wider die Partei Einl-eit und Fortschritt ergriffen. Das Armeekorps Adrianopel— Kirkkilissa hält zum Komitee, die Truppen von M Stolze Kerzen. Roman von Fr. Lehne. (Nachdruck verböte«.) „Isabelle Lübbecke ist gerettet. Sie war in Gefahr, in ihren Zimmern ist das Feuer ausgebrochen. Hätte sie schon geschlafen, so wäre sie jetzt nicht mehr." Ruth schauderte zusammen. „Mein Gott, wie schrecklich!" Ihr Gesicht war jäh erblaßt — „Klaus, du hast sie gerettet?" „Nein. Ruth, als wir ankamen, wäre es zu einer Rettung viel zu spät gewesen. Der Flügel, in dem früher deine und meine Räume lagen, ist vollständig niedergebrannt; der rechte Flügel ist bis zum ersten Stockwerk zerstört und was vom Feuer verschont blieb, ist meist vom Wasser beschädigt. Es ist iedoch gelungen, viele Kostbarkeiten zu retten; die Leute haben wie wahnsinnig gearbeitet. Auch der Landrat war da!" „Nur Heu Löbbecke sitzt in St. Blasien und läßt sich von eingebildeten Krankheiten heilen!" warf Ruth mit beißendem Hohn ein. „Bist du traurig, daß unser Birkenfelds — Er schüttelte den Kopk. „Unter diesen Verhält nissen nicht. Aber tiefe Wehmut beschleicht mich bei dem Gedanken, daß die Stätte, an der wir unsere Kindheit verlebten, vernichtet ist. Doch setzt will ich zu Ellen gehen!" In dieser Nacht fand Klaus keinen Schlaf m»hr. Zuviel war auf ibn eingestürmt. Endlich hotte er den stolzen Mund geküßt, nach dem die Sehnsucht ihn fast verzehrt hatte. Er iah kein Unrecht gegen Ellen darin; diese eine Stunde des Glückes hatte er sich wohl gönnen dürfen! Am nächsten Vormittag murd« Ellen plötzlich von einer Ohnmacht befallen. Der Arzt, der in letzter Zeit täglich vorsprach war sehr ernst, er macht« Klaus darauf aufmerksam daß der Zustand der Kranken durchaus nicht unbedenklich sei. wenn auch keine direkte Lebensgefahr bestände, ihre Körper schwäche nähme zu unk damit müße man rechnen. Dor allem sei ihr jede Aufregung fernzuhalten. „Was sagt der Arzt? Bitte, Klaus, läge mir die Wahrheit!" Fragend sah ihn Ellen mit großen Augen an. „Daß du dich sehr schonen sollst und dich nicht um alles gleich aufregen darfst! Im übrigen würdest du mit Mut und Geduld die schwere Zeit überstehen. Also sei uns gehorsam, Ellen!" Sie haschte nach seiner Hand und drückte ihre Lippen darauf. „Lieber Klaus, ihr habt viel Mühe mit mir." Heiß trat es in seine Augen. Ellen mußte ihm heilig sein, als die Mutter seines Kindes; er durfte nicht an die andere denken, durfte sie, der gegenüber er so schwach war, nicht Wiedersehen — er war doch auch nur ein Mensch! Und da schrieb er ihr: „Isabelle, ich darf Dich nicht Wiedersehen! Schwer leide ich darunter, daß ich Dir das schreiben muß. Doch da es nicht anders sein kann, bitte ich Dich, zu gehen! Verreste auf einige Zeit, — um meiner Ruhe willen? Meine Frau ist sehr leidend; ich trage große Sorge um sie. Verstehe mich, Isabelle, ich darf weder rechts noch links sehen; der Weg, den ich zu gehen habe, ist mir streng vor geschrieben. Ma-ihe es mir nicht noch schwerer. Die Erinnerung an gestern wird mich mein Leben lang beglücken als das Schönste, das mir je beschert worden ist! Lebe wohl, Du süßeste Frau! Klaus." Vierundzwanzig st es Kapitel. Wochen größter Sorgen lagen hinter Klaus, und noch jetzt wagte er kaum aufzuatmen. Ellen lag schwerkränk danieder, nachdem sie vorzeitig einem Mädchen das Leben geschenkt hatte, dessen Lebens- flämmchen aber nach wenigen Tagen wieder erlosch — das Flämmchen war zu schwach gewesen! In ihren Fieberdelirien hatte Ellen nichts von seinem Sterben gemerkt, und auch jetzt als sie wieder bei klarem Verstände war, fragte sie nicht nach ihrem Kindchen — eg war als sei ihr jede Erinnerung daran verloren gegangen. Für Ruth war das «ine trübe Derlobungszeit. Aber tapfer und treu stand sie dem Bruder zur Seite und vertröstete Gerd, der jetzt nicht kommen konnte, auf später, obwohl ihr die Sehnsucht nach dem Ge liebten im Herzen brannte Und Gerd war liebevoll genug, um sie in ihrem Pflichtgefühl nicht wankend zu machen. Man hatte die Hochzeit bis zum Februar verschoben. Weihnachten hatte Ruth mit Gerd bei dessen Schwester, der Fürstin Gabriele Lanz aus Schloß Wellhofen, verlebt, aber schon nach vier Tagen hatte die Unruhe sie hcimgetrieben, so daß Gerd fast eifer süchtig auf den Bruder der Geliebten wurde. „Gerd, wie muß ich dich erst lieben, wenn ich so viel für einen Bruder übrig habe! Fühlst du das nicht?" Er küßte ihre beiden Hände und sah sie mit sehn süchtigen Blicken an. „Mein Liebling — tue was du willst — nur laß mich nicht zu lange warten!" „Wie wir bestimmt haben — bis zum dritten Februar. Das ist der letzte Termin, mag kommen, was will! Glaubst du, Gerd, mir sei es leicht?" und tief und voll klang ihre Stimme. Gerd brachte sie heim; er wechselte mit Klaus «inen herzlichen Händedruck und fuhr in der nächsten Stunde schon wieder zurück. Daß Ellen an Ruths Hochzeit teilnehmen konnte, war gänzlich unmöglich. Ob sie je wieder den freien Gebrauch ihrer Glieder gewinnen würde? Der Arzt hatte nicht viel Hoffnung — er fürchtete «ine Lähmung. So reihte sich ein Tag an den anderen. Angst voll beobachtete Ellen den Gatten, in rührenden Worten sucht« sie ihre Krankheit zu entschuldigen, und er vertröstet« sie auf Las Frühjahr, das alles gut machen würde. Ihm war jede Hoffnung auf Besserung ge schwunden. Der berühmte Professor, der auf Ver anlassung des Hausarztes gekommen war, hatte sich allgemein ausgedrückt und Klaus hatte zwilchen den Worten genügend herausgehört, um Bescheid zu wissen. Rosig war sein« Zukunft nicht. An ihm vorbei schritt das brausende, lachende Leben, in dem man kämpfte und siegte, liebte und litt, während er zu einer passiven Rott« verurteilt war. Und doch war so viel Kraft in ihm, pulste das Leben so heiß in seinen Adern! Er hätte seine Fesseln zerreißen und sich in den Strudel hineinstürzen mögen, um im frischen Kampf die Kräfte zu stählen. * * * Ruth war dabei, ihr« Abschiedsbesuche zu machen. Sie kam von der Teestunde im „Weiherhaus". Ein Strom von Frische ging von ihr au»; ihre Wangen waren lebhaft gerötet, und die Augen glänzten von der Fahrt Lurch die kalte Winterluft. Sie saßen beim Abendbrot. Mit gutem Appetit aß sie und plauderte dazwischen tn ihrer frischen Art. Saloniki, Monastir, Uesküb und Smnrna sind dessen Gegner. Schon zu Anfang dieser Woche hatte es den Anschein, als ob ein schwerer Kampf be ginnen würde, und nur die rasche Ernennung Ghazi Muktars zum Äroßwesir und die sofortige Bildung des Kabinetts, dem die fähigsten Männer des Landes angehörcn, verhinderte den Ausbruch offener Feind seligkeiten vor dem 23. Juli, dem türkischen Ratio- natseste. Tie Entscheidung naht ra>ch heran, ob der neue Großwesir Autorität genug besiyt und Herr der Situation werden kann. Noch will das Heer das unlängst gesetzlich ihm verbotene Politisieren nicht lassen, und der Streit um die Macht im Land: nimmt immer bedrohlicheren Charakter an. Aas die Zukunft bringen wird, läßt sich zur Stunde kaum Voraussagen. Tie Partei sür Einheit und Fort schritt gibt ihren Widerstand nicht auf. Sie har ihre Präsidenten nach Konstantinopel zur Beratung ein geladen und hofft, sich behaupten zu können, da sie sich auf eine starke Organisation und große An hängerschaft im Heere zu stützen vermag. Ihre Okgner aber rüsten sich zum Angriff und gewinnen täglich an Macht im Volke und im Heere. Tas Kabinett Ghazi Muktar steht zivischen zwei Parteien, die ihre Stärke erproben möchten. Es sucht als Vermittler den drohenden Ausbruch des mit Erbitterung geführten Streites zu schlichten. Das türkische Staatsschiff hat fick wohl noch nie mals seit seinem Stapellauf in so hoher Not be funden . Der Sturm nimmt zu, und der Klippen sind viele, die es zum Scheitern bringen können. O Aus der türkischen Kammer. Konstantinopel, 30. Juli. Die Kammer ge nehmigte das Budgetdes Ministeriums der öffent lichen Arbeiten. Die Vorstellung des Kabinetts in der Kammer ist auf morgen verschoben worden. Diese Verzögerung bat Gerücht« veranlaßt, daß der gestern signalisierte Plan der Regierung eine Aen- derung erfahren könnte; indessen versichern ein- geweihte Kreise, daß sich die Regierung von der Ab sicht, die Kammer aufzulösen, durch nichts abbringen lassen werde, denn das betreffende Protokoll sei be reit» von allen Ministern unterzeichnet worden. Außerdem habe der Sultan in Gegenwart der ersten Sekretäre und des ersten Kammerherrn dem Groß wesir das versprechen gegeben, die Kammer aufzulösen. In den Wandelgängen des Parlaments verlautet ge rüchtweise. das Komitee suche mit der Regierung und der Opposition wegen der Auflösung der Kammer und den Neuwahlen in Unterhandlungen zu treten. Bezüglich des Gesetzartikels, den die Regierung der Kammer unterbreiten wird, um einen Konflikt mit der Kammer und dadurch deren Auflösung herbeizu führen, wird das größte Stillschweigen beobachtet. Die albanische Mission. Saloniki, 30. Juli. Die Unterhandlungen der Mission mit den Arnauten in Prischtina sind bis her erfolglos geblieben. Die Führer der Ar nauten lehnen weitere Verhandlungen ab, solange die Kammer nicht aufgelöst ist. Der Kommission ist es nur gelungen, die Arnauten zu veranlassen, die Märkte wieder zu öffnen. „Klaus, ich habe einige Neuigkeiten." „Wie immer, wenn du auf „Weihcrhaus" warst," bemerkte er lächelnd. „Wessen Inspektor ist wieder davongclaufcn? Die wievielte Köchin hat Baronin Scheffer seit dem ersten Januar? Wer wird sich demnächst verloben?" „Spotte nur. In diesem Fall ist's aber nicht an gebrackst. wenn auch Tante Rcchberg die leberkdige Chronik aller wichtigen und unwichtigen Ereignisse auf zehn Meilen im Umkreise ist." „Was ist's denn? Spanne mich nicht auf die Folter!" „Vor vier Tagen wurde Frau Lübbeckes gericht liche Sck cidung ausgesprochen. Sie selbst ist letzt in Berlin." Dr wurde Klaus blaß, er legt« sein Besteck nieder, stand auf und ging ans Fenster. Traurig sah Ruth ihm nach und erzählte weiter: Der Land rat hat es in der Stadt erfahren. Lübbecke hat in St. Blasien eine Dame in seiner Begleitung gehabt, die er für seine Frau ausgegeben. Onkel Rechberg sprach sich gegen mich nicht deutlich aus; er wird es dir schon erzählen. Graf Lerbach ist nun Feuer und Flamme; er möchte Isabelle heiraten." Ruth lachte. „Sie allein sei imstande, ihn seinem hoch und heilig gehaltenen Iunggesellenstande untreu zu machen. Das kam« mir vor, wie Nickelmann und Rau« tcnd clein—" Mit Absicht sprach Ruth im Plauderton, um keine «rnstere Stimmung aufkommen zu lassen; sie ahnte, was in dem Bruder bei dieser Mitteilung vorgehen mußt«. Isabelle frei! — „Und noch etwas! Lübbecke wird nie wieder hier, her zurllckkehren; Birkenfelde ist verkauft!" Da wandt« er sich um und fragte interessiert: „Weiß man schon, wer der Käufer ist?" Uebermütig blitzte es in ihren Augen auf. „Es waren zwei Bewerber da. Leider ist der ein« zu spät gekommen." „Wer war das?" „Gerd Neudegg!" „Aber Ruth, du kennst doch meine Ansichten —" „Nun ja, es ist ja leider — oder Gott fei Dank — aus unserem schönen Plane nichts geworden, weil—* sie zögerte und sah ihn an. ' (Fortsetzung in der Morgenausgabe.)
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