Verträge waren ihm bindend, und er forderte, daß sie es allen sein sollten. Es war für ihn charakteristisch, daß er in seiner ersten Reichstagsrede am 2. Juli 1921 erklärte, daß er weder in der Lage sei, ein Programm zu entwickeln noch einen Bericht zu erstatten — er müsse sich erst einarbeiten. Er erklärte sich in seinem Auftreten vor dem Reichstag als Vertreter des Erfüllungs gedankens und bestand auf der Ansicht, daß Deutsch land erfüllen könne, wenn auch unmöglich so, wie es von der Gegenseite gefordert und erwartet werde. Er hatte vor dem englischen Ultimatum gewarnt, weil die Unterschrift wieder ein Versprechen war, — da das Versprechen gegeben, die Unterschrift gesetzt wurde, mußte der Versuch gemacht werden, das Wort einzulösen. Und vor allem mußte für den Frieden ge arbeitet, mußte der Friede gewollt werden. Rathe nau wandte einmal die charakteristische Wendung an: „Wenn nach hundert Jahren die Geschichte dieser Epoche geschrieben werden wird, wird die Frage sorgfältig geprüft werden: wo wurden die ersten Kno ten zum Frieden geknüpft? - . Seine leidenschaft liche Vaterlandsliebe wollte, daß Deutschland dieses erste Land sei, dem in der Geschichte der Ruhmestitel der Friedensliebe zugeteilt würde. Sein geliebtes Land sollte um der Ehre willen, um des Gedankens willen, wieder geachtet und geehrt im Kreis der euro päischen Mächte zu stehen, lieber Not auf sich nehmen, als sein Wort brechen. Damit die Not nicht zu drückend werde, traf Rathenau mit Loucheur, dem „Ministre des regions liberees", in Wiesbaden zusammen. Rathenau wollte nicht mit seiner schwerkranken Heimat experimen tieren, das hatte er schon in seiner Reichstagsrede ge sagt, und deshalb wollte er auch keine Versuche einer 268