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sische Meister die Musik zum Ausdrucksträger seiner dichterisch-programmatischen Vorstel lungen. Dabei erschloß er dieser Kunst einen neuen Gefühlsgehalt, eine faszinierende Bildhaftigkeit, die ihn zum „realistischen Ro mantiker" werden ließ. Eine ausgeprägte Be gabung für theatralischen, leidenschaftlichen Ausdruck bot dafür die subjektive Grundlage; die objektive war die bürgerlich-demokrati sche Tendenz im Frankreich seiner Zeit, große Massen zu erfassen und durch die Kunst zu aktivieren. Dennoch wurde Berlioz' Schaffen von seinen Zeitgenossen zwiespältig aufge nommen. Berlioz besaß einen einmaligen Klangsinn. Durch Steigerung der Ausdrucks- ■kittel und des Umfanges des Orchesterappa- Jtes erzielte er phantastisch-ungewöhnliche, neuartige Klangwirkungen. Das Orchester wurde bei ihm zu einem Instrument, mit dem er virtuose und Klangfarben-„Sensationen" hervorbrachte. Manchmal entsteht sogar der Eindruck, als ob die musikalische Erfindung bei Berlioz durch eine „instrumentatorische" ersetzt wurde. Neben der großen Anregerrol le, die Hector Berlioz namentlich für Musiker wie Liszt, Wagner und Richard Strauss, als Schöpfer des modernen Orchesters und glän zender Klangzauberer, spielte, darf man in dem Meister getrost einen der ganz großen französischen Komponisten sehen. Sein populärstes Werk ist fraglos die „Phantastische Sinfonie" op. 14, die am 5. Dezember 1830 in Paris von dem Dirigenten Franpois Habeneck ungemein er folgreich uraufgeführt wurde. Selten hat eine Komposition die musikalische Entwicklung der art beeindruckt wie dieses Werk. Berlioz hat in der „Phantastischen Sinfonie" subjektive, seelisch-intime Empfindungen und Träume dargestellt, deren autobiographischen Cha- fckter schon der Untertitel „Episoden aus dem ^oen eines Künstlers" andeutet. Die fünf- sätzige Sinfonie, die nicht mehr dem klassi schen Formprinzip folgt, wird — wie es in der sinfonischen Dichtung und bei Wagner spä ter die Regel ist — von einem in verschiede nen Abwandlungen erklingenden Leitthema beherrscht, das der Komponist „l'idee fixe" nannte. Dieses kühne, bahnbrechende Werk, das ein imposantes Aufgebot an instrumen talen Mitteln fordert, verdankt seine Entste hung der unglücklichen Liebe des Komponi sten zu der irischen Schauspielerin Harriet Smithson, die den leidenschaftlichen jungen Künstler zu heiraten versprach, ihn aber bit ¬ ter enttäuschte und sich „seiner unwert" zeig te. Das Hauptthema der „Phantastischen Sin fonie", die leitmotivische „idee fixe", charak terisiert die Geliebte und erscheint daher in allen fünf Sätzen dieses „Drame instrumen tal", dieses musikalischen Romans mit allen Hoffnungen, Träumen und Verzweiflungen eines unglücklichen Liebhabers. Berlioz gab dem Werk ein ausführliches Programm mit und wünschte, daß der Hörer dieses mit der Musik zusammen auf sich wirken lasse. 1. Satz (Träumereien, Leidenschaften): „Ich nehme an, daß ein Künstler von lebhafter Einbildungskraft in einem Seelenzustand, den ein berühmter Schriftsteller ,das Wogen der Leidenschaften' nennt, zum erstenmal die Frau erblickt, die das Ideal an Schönheit und Reiz verkörpert, nach dem sich sein Herz seit langem sehnt. Er verliebt sich hoffnungslos. Durch einen seltsamen Zufall erscheint das Bild vor seiner Seele in Begleitung eines mu sikalischen Gedankens, in dem er denselben graziösen vornehmen Charakter findet wie bei dem geliebten Wesen, das ihm vor schwebt. Diese doppelte fixe Idee verfolgt ihn beständig: das ist der Grund, weshalb die Hauptmelodie des ersten Allegros in allen Sätzen der Sinfonie beständig wieder auf taucht. Nach tausend Anstrengungen schöpft er Hoffnung; er glaubt, daß er geliebt wird. (Leidenschaft und Schwermut, Melancholie, Schmerz, Eifersucht, Freude und Herzensangst bilden also den Inhalt des ersten Satzes.) 2. Satz (Ein Ball): Der Künstler nimmt an einem Balle teil, aber der Festtrubel vermag ihn nicht zu zerstreuen. Wieder quält ihn die fixe Idee, und während eines glänzenden Wal zers läßt die Melodie sein Herz erbeben. 3. Satz (Szene auf dem Lande): Als er eines Tages zwischen Feldern wandelt, hört er in der Ferne zwei Hirten einen Kuhreigen bla sen (Dialog zwischen Englischhorn und Oboe); bei diesem pastoralen Duett versinkt er in eine wundervolle Träumerei. Zwischen den Motiven des Adagios taucht die Melodie auf. (Bange Vorahnungen bringt dieses Adagio zum Ausdruck.) 4. Satz (Der Gang zum Richtplatz): Der Künstler hat die Gewißheit erlangt, daß seine Liebe verschmäht wird. In einem Anfall von Verzweiflung vergiftet er sich mit Opium; aber anstatt sich dadurch zu töten, hat er in der Narkose eine furchtbare Vision. Er glaubt, die geliebte Fau getötet zu haben, sieht sich zum Tode verdammt und wohnt seiner eige ¬ nen Hinrichtung bei. Der Marsch zum Richt platz, ungeheurer Aufzug von Henkern, Sol daten und Volk. Schließlich erscheint die Me lodie wie ein letzter Liebesgedanke, den der verhängnisvolle Streich des Henkers abbricht (harter Schlag des vollen Orchesters; reali stisch malen Pauken und Trommeln die Schrecken der Szene). 5. Satz (Traum eines Hexensabbats): Der Künstler sieht sich umringt von einer zahllo sen Menge widerlicher Wesen und Teufel, die zusammengekommen sind, um die Sabbat nacht zu feiern. Sie rufen einander von ferne. Endlich taucht die Melodie auf, die bisher nur lieblich erklang, nun aber zu einer trivialen, gemeinen, trällernden Weise geworden ist. Das geliebte Wesen kommt zur Sabbatfeier, um dem Leichenzuge seines Opfers beizu wohnen. Sie ist nichts mehr als eine Dirne, die einer solchen Orgie würdig ist. Nun be ginnt die Zeremonie. Die Glocken läuten, das ganze infernalische Element bekreuzigt sich, ein Chor singt den Totengesang (Dies irae), zwei weitere Chöre wiederholen ihn, indem sie ihn in burlesker Weise parodieren. Schließlich wirbelt das Sabbat-Rondo vorüber, und in den gewaltigen Ausbruch tönt das Dies irae hinein, und die Vision ist zu Ende." VORANKÜNDIGUNG: Sonnabend, den 16. Juni 1984, 19.30 Uhr (Anrecht A 1) Sonntag, den 17. Juni 1984, 20.00 Uhr (Anrecht A 2) Festsaal des Kulturpalastes Dresden Einführungsvorträge jeweils 1 Stunde vor Konzertbeginn Dipl.-Phil. Sabine Grosse 9. PHILHARMONISCHES KONZERT Gastspiel des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin Dirigent: Heinz Rögner, Berlin Solist: Peter Rösel, Dresden, Klavier Werke von Schumann, Strauss und Bruckner Bitte, beachten Sie, daß das Konzert am 16. Juni 1984 (Anrecht A 1) wegen einer Original-Rundfunkübertra gung bereits 19.30 Uhr beginnt. Programmblätter der Dresdner Philharmonie Redaktion: Dr. habil. Dieter Härtwig Spielzeit 1983 84 — Chefdirigent: Prof. Herbert Kegel Druck: GGV, BT Heid. 111-25-16 493431 2,85 JtG 009-28-84 EVP —,25 M 8. PHILHARMONISCHES KONZERT 1983/84