Archäologische Funde aus den mutmaßlichen Gräbern von Johann Sebastian und Anna Magdalena Bach I. Mit dem Inhalt eines Glaskästchens aus dem Archiv der Leipziger Nikolai kirche, das zwei Eichenholzsplitter, ein gewölbtes Metallstück, ein kleines Schloß und einen Fingerhut enthält (siehe Abb. 1), ist eine Geschichte ver bunden, die sich auf einem schmalen Grat zwischen Indizien und Spekula tion bewegt. Die Spur dieser rätselhaften Fundstücke führt zu der 1894 vor genommenen Suche nach dem Grab Johann Sebastian Bachs auf dem alten Johannisfriedhof, das bekanntermaßen schon Robert Schumann 1836 suchte, jedoch nicht finden konnte. 1 Johann Friedrich Rochlitz. der bereits im Jahr 1800 geäußert hatte, es sei „umsonst ... Sebastian Bachs Ruhestätte ... in Leipzig ausforschen zu wollen“, hätte allerdings mit der Hilfe von Bachs jüngster Tochter Regina Susanna, die noch in Leipzig lebte, das Grab ohne große Mühe ausfindig machen können. 2 Mit dem Tod der letzten in Leipzig verbliebenen Nachfahren Bachs 1818 dürften die Informationen über seine Grabstelle, die niemals durch einen Stein oder ein Kreuz markiert worden war, äußerst rar geworden sein. So überrascht es kaum, daß in der ersten Veröffent lichung über den Johannisfriedhof 1836 das Grab Bachs nicht einmal erwähnt wird. 3 Acht Jahre später erschien ein weiteres Büchlein über den Friedhof, worin nun immerhin vermerkt wurde: „... unmöglich war es, das Grab von Johann Sebastian Bach ... zu ermitteln.“ 4 Felix Mendelssohn Bartholdys Engagement für Bach - wie das von ihm gestiftete und 1843 enthüllte Bach- Denkmal und seine Konzerte - hatte zweifellos das allgemeine Interesse an dem ehemaligen Thomaskantor gefördert. Die im Laufe des 19. Jahrhunderts stetig wachsende Sensibilisierung für die Musik und die Person Bachs sowie der bevorstehende Neubau der Johanniskirche auf dem alten Johannisfriedhof veranlaßten den Kirchenvorstand von St. Johannis 1894 schließlich, die Suche nach dem Grab aufzunehmen. Eigens für dieses Projekt wurde eine Kom- 1 R. Schumann, Monument flir Beethoven, in: Neue Zeitschrift für Musik 4. Nr. 51 (24. Juni 1836). S. 212. 2 Dok III, Nr. 1032. Nur wenige Wochen später veröffentlichte Rochlitz den Spenden aufruf für Regina Susanna Bach (1742-1809); es bestanden offensichtlich persön liche Kontakte (siehe Dok III, Nr. 1034 und 1044). 3 C. C. C. Gretschel. Der Friedhof bei St. Johannis, Leipzig 1836. 4 H. Heinlein. Der Friedhof zu Leipzig, Leipzig 1844, S. 202.