95 annehmen und darin wenigstens dieselbe Entwickelungsstufe des Künstlers erkennen wollte. Denn auf diesem mit Mono gramm und Datum versehenen Blatte begegnet uns dasselbe Christkind, nur von der ändern Seite; auch der Kopf der Maria trägt den gleichen Typus und zeigt namentlich dieselbe starke Modellirung über den Augen, dieselbe Behandlung der über die Schultern fliessenden Haare. Gleichartig sind ferner manche eigentümliche Einzelheiten, wie die Blätter der Krone, die Quasten des Kissens, und auf einem ändern Blatte, das vor mir liegt, eine Maria von Engeln und Heiligen umgeben (Pass. 148), findet sich auch die entsprechende Rasenbank mit denselben Gräsern und Kräutern wieder. Uebereinstimmend ist endlich die technische Behandlung, die Führung des Sti chels oder vielmehr der trockenen Nadel in diesen feinen engen Strichlagen, in den kurzen Strichen, die, fast zu Punk ten werdend, dort die letzten Uebergänge zum Licht, hier die ersten vom Schatten aus angeben. Leider gehen in der bei gegebenen Photographie gerade diese Feinheiten verloren, während die Hauptlichter und einzelne Umrisse, die mit dem Stichel gearbeitet zu sein scheinen, allzusehr hervortreten. Hier und da mag aber auch die ungewohnte Betonung der beleuchteten statt der dunkeln Partien dem Künstler Schwierig keiten gemacht haben und dürfte dies am meisten hei den Händen zu erkennen sein. Die Feinheit der Arbeit gestattet die Vermuthung, dass sie auf einer Silberplatte ausgeführt war, und gewiss lag der Gebrauch dieses edleren Metalles den ersten Stechern, die aus der Zunft der Goldschmiede hervorgegangen sind, nahe. Nichts ist leichter, als Silber zu schwärzen; nehmen wir an, dass unser Stecher eine geschwärzte Silberplatte vor sich hatte, so musste die Arbeit der Nadel oder des Stichels das blanke Metall blosslegen, und er hatte während des Stechens schon die für den Abdruck beabsichtigte Wirkung vor Augen. Ohne behaupten zu wollen, dass bei unserm Blättchen so verfahren worden sei, möchte ich doch andeuten, wie es für die frühe sten Stecher ohne Zweifel eine Schwierigkeit war, sich die eingestochenen metallglänzenden Linien als schwarzgedruckte vorzustellen, und wie sie gerade, für die es noch keine tradi tionelle Stichmethode gab, in aller Unbefangenheit diese Schwie rigkeit zu umgehen suchen mussten. Bei dem damals nicht seltenen Vorkommen Weiss gehöhter Zeichnungen, bei der ähnlichen Wirkung der glänzenden Stichelarbeit auf einer ge schwärzten Metallplatte, oder auf einer polirten, die nur einen dunkeln Gegenstand spiegelte, konnte dann wohl der Gedanke