340 GERMANIA. Die letzten Regierungsjahre Friedrich Wilhelms I. zeigen uns, nachdem seit 1726 infolge des Ein tritts Preufsens in die österreichische Allianz sich ein leidlich gutes Verhältnis zur katholischen Kirche gebildet hatte, wieder eine fühlbare Spannung der beiden Gewalten. Gerade damals war es, wo aus der nächsten Umgebung des Papstes eine Denkschrift hervorging, welche die Befriedigung Europas durch die Vertilgung der Ketzer und Verjagung der Ungläubigen zu be wirken gedachte. In England sollte die Dynastie Stuart hergestellt, Holland zwischen Österreich und Frankreich geteilt, die deutsche Krone im Hause Habsburg erblich gemacht, die nordischen Fürsten aber »durch süfse Worte und mancherlei Verheifsungen im Schlafe der Sicherheit erhalten werden, bis das vom Herrn vorlängst über sie beschlossene erschreckliche Zorngericht sie ur plötzlich überfalle und sie nebst allen übrigen Ketzern gegen Mitternacht und Morgen aus den Landen der Lebendigen gänzlich vertilgt werden. Gegen die evangelischen Reichsstände wurde speziell ein Restitutionsedikt im gröfsten Stile verhängt, alle Kirchen, alle geistlichen Güter, welche sie seit der Reformation sich an geeignet, wurden zurückgefordert; die letzteren »samt allen daraus gezogenen Früchten«. Diese wahrhaft ungeheure Forderung ist natürlich nicht mit der Absicht auf Verwirklichung gestellt: denen gegenüber, welche sich bekehren, wird sie einfach fallen gelassen; gegen die Hals starrigen aber dient sie als Vor wand und Mittel der Vernichtung. Der Kaiser als oberster Reichs richter verhängt militärische Exekution, verkauft Land und Güter und verjagt die Rebellen ent weder aus dem Reiche oder bestraft sie an Leib und Leben. Brandenburg wird die Ehre aus drücklicher Erwähnung zuteil: »es soll gänzlich supprimiert werden.« Und wie verhielt sich die Regierung Preufsens solchem Gebahren gegenüber? Wahrlich, wenn sie einmal von der gewohnten Bahn abgewichen wäre und sich aus der bisher so konsequent innegehaltenen Defensive in die Offensive begeben hätte, wer wollte sie darum tadeln? Sie that es nicht, sie hat im Gegenteil gerade in jenem Jahre eine nahezu unbegreifliche Milde und Schonung der katholischen Interessen für gut befunden. In einer in jenen Jahren »über die Missionen in den Staaten des Markgrafen von Brandenburg« an die Propaganda erstattete Relation wird die dortige Gewissensfreiheit ge rühmt und hervorgehoben, dafs König Friedrich Wilhelm I. die Missionen zu Berlin, Potsdam und Spandau auf eigene Kosten unterhalte. 1 7 3 7 wurde den Katholiken im Stettiner Schlosse eine Kapelle eingeräumt, zwei Jahre später der Bau einer katholischen Kirche in Tilsit gestattet und bei dem zweiten Jubelfest der märkischen Revolution »alles Invehieren und Schelten auf die Papisten« verboten. Mit der Regierung Friedrich Wilhelms I. schliefst ein natürlicher Abschnitt in der Ge schichte des Verhältnisses Preufsens zu der katholischen Kirche. Nicht deshalb weil mit Friedrich II. eine neue Politik in dieser Richtung ihren Anfang genommen hat; ist es doch schon eine lang erkannte Thatsache, dafs bezüglich der inneren Verwaltungsgrundsätze durchaus kein gröfserer Unterschied zwischen Vater und Sohn besteht. Der letztere ist keineswegs toleranter gegen die Katholiken verfahren, obschon man dies anzunehmen geneigt ist, wenn man die so gründlich verschiedene religiöse Haltung der beiden sich vergegenwärtigt. Duldsamkeit gegen Andersgläubige kann eben das Ergebnis sowohl der echten Frömmigkeit, als des religiösen In- differentismus sein. Die wahre Ursache, warum mit Friedrich II. eine neue Epoche in der Ge schichte der katholischen Kirche Preufsens an hebt , ist ein rein äufserlicher Umstand: die Erwerbung des katholischen Schlesiens, durch welche die Zahl der katholischen Bewohner des Staates um das achtfache vermehrt und der Monarchie der erste katholische Bischof als Unterthan zugeflihrt wurde.