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114 5. Sitzung. Dienstag, den 4. März 1919. (Abgeordneter vlüher.) nicht übernehmen könnte. Das einzige, was man bei den Kartoffeln versuchen könnte, wäre der Ab schluß von Licferungsverträgen unter Erfassung des Restes durch die öffentliche Hand. Ich muß aber offen sagen, daß bei einem Vcrsorgungsgebiete, das, wie die Kartvffelwirtschaft, so das Rückgrat unserer Ernährung in den großen Städten bildet, ich Be denken habe, heute in Experimente eiuzutreten, ehe wir mehr Sicherheit auf den übrigen Gebieten unserer Nahrungsmittelversorgung haben. Bei Hülsenfrüchten ist, wie gestern von dem Herrn Vorsitzenden der Reichsgetreidestelle mitgeteilt wurde, der Gedanke aufgeworfen worden, ein neues System einzuführen, das belgische System, durch das drei Zentner vom Hektar durch Lieferungsverträge für die Kommunalverbände sichergestellt werden und das übrige dann dem freien Handel überlassen bleibt. Ich habe gegen ein derartiges System ge wisse Bedenken. Ich weiß, daß cs sich in Belgien bewährt hat; aber es wird nicht ohne weiteres mög lich sein, die belgischen Verhältnisse den deutschen gleichzustellen. Wir haben auch beim Gemüse und Obst zahlreiche Schwierigkeiten mit den Lieferungs verträgen gehabt. In dem Augenblicke, wo es mög lich war, die Gegenstände der Lieferungsvertrüge V) im freien Handel oder im Schleichhandel zu höheren Preisen unterzubringen, da hatten wir zwar unsere Lieferungsverträge mit dem Signum der Reichs gemüsestelle in der Hand, bekamen aber keine Waren darauf. Also wenn man Lieferungsverträge für einen Teil nimmt, dann muß man für den Rest wenigstens ein System einführen, das nicht diese Unterhöhlung des Systems der Lieferungsverträge gleichzeitig in sich birgt. Ob man so weit gehen muß, die Zwangswirtschaft einzuführen, oder ob man mit Höchstpreisen auskommt, will ich dahin gestellt sein lassen. Aber das System der Lieferungs verträge neben dem freien Handel wird sich nach meiner Auffassung nicht bewähren. Bezüglich Eier muß ich sagen: Schlechter kann beim freien Handel die Bewirtschaftung auch nicht werden. (Sehr richtig! rechts.) Sehr große Besorgnisse habe ich um den deutschen Viehstand und, wie ich wiederhole, um die Milch wirtschaft und die Milchbelieferung der großen Städte. Es liegt mir hier besonders daran, zu erfahren, wie die Staatsregierung sich die neue Ernte denkt, was sie von ihr erwartet, in welchem Umfange sie die Zwangswirtschaft aufrechtzuerhalten gedenkt. In den letzten Tagen ist noch unter dem Titel „Eilt sehr!" eine Verordnung vom 15. Februar in unsere Hände gelangt, die die Einrichtung von Bauern- und Landarbeiterräten in die Wege leitet. Ich sehe dieser Verordnung mit geteilten Empfinden entgegen. Auf der einen Seite sehe ich ja, daß es ohne Bauern- und Landarbeiterräte heute nicht abgehen wird. Es ist einmal die Zeit der Räte. Aber ich glaube, auch sachlich könnten diese Räte unter Umständen Ersprieß' liches leisten, indem sie dem Schleichhandel tatkräftig zu Leibe gehen und indem sie eine Kontrolle über die Erfüllung der sogenannten Landlieferungen machen. Aber auf der anderen Seite muß ich doch sagen, daß ich gewisse Besorgnisse nicht unterdrücken kann, die aus dem sogenannten Lokalpatriotismus hervorgehen. Wir haben schon bei den A.« und S.-Räten, vor allen Dingen bei den S -Räten der kleinen Städte wieder holt erlebt, daß sie päpstlicher gewesen sind als der Papst, daß sie, möchte ich sagen, noch mehr amts hauptmannschaftliche Politik getrieben haben als der Amtshauptmann selber. (Hört, hört! rechts.) Sie haben die Ablieferung, die für die anderen Städte, namentlich für die Großstädte bestimmt waren, einfach nicht hinausgelassen. Wir haben da sehr merkwürdige Erfahrungen gemacht. Es waren, glaube ich, der Riesaer und der Oschatzer A.- und S.-Rat, die erklärt hatten: Die Verordnungen des Ministeriums des Innern über die Ablieferung ins besondere von Wild gelten nicht; wir richten das hier örtlich ein! Und wie das Landeslebensmittel amt erklärt hat: Die Anordnung des A.- und S.-Rates ist ungültig, cs bleibt bei der Anordnung des Ministeriums des Innern! hat der A.- und S.-Rat wiederum bekannt gemacht: Das Ministerium des Innern, das Landeslebensmittelamt sind Be hörden, die für uns nicht existieren; die haben uns gar nichts zu sagen; hier kommandiert der A.-- und S.-Rat! Und der Erfolg ist der gewesen, daß die örtlichen Behörden Recht oder vielmehr die Macht behalten haben. Wir haben unsere Hasen nicht be kommen. Wir sind ja auch ohne Hasen glücklich ge worden, aber wenn das nun System werden sollte, ! daß dieser Lokalpatriotismus nun systematisch ge züchtet werden sollte, muß ich sagen, verspreche ich mir von der Einrichtung mehr Schwierigkeiten als För derung. Ich möchte deshalb von der freistaatlichen