II. KAPITEL. DIE ZWEITE PERIODE DER BUCH ILLUSTRATION SEIT DER ERFINDUNG DES BUCH DRUCKS IM XV. JAHRHUNDERT. ir haben gesehen, welche Höhe der Voll kommenheit und Pracht die Dekoration und Illustration der Bücher im Mittel- alter erreichte mit Hilfe der drei Kunst übungen, Schreibkunst, Illumination und Miniaturmalerei. Wir haben eine all mähliche Entwickelung des Stils in Schrift und Verzierung durch die Periode der Handschriften ver folgt. Wir haben bemerkt, wie die erste immer regel mässiger und kompakter in ihrer Masse auf der Buchseite erschien und wie in der letzteren die Illustration immer mehr an Umfang und Bedeutung gewann, bis wir am Ende des 15. Jahrhunderts finden, dass künstlerisch gezeichnete, naturalistische Bildchen in die Initialen eingeschlossen werden, wie in den Chorbüchern von Siena, oder dass die ganze Seite, wie im Breviarium Grimani, mit einer Dar stellung gefüllt wird. Der Baum der Illustration entspringt aus einem unscheinbaren Keim, sendet einen starken Stamm nach oben, treibt in günstiger Sonne Zweige und Knospen und erschliesst endlich eine freie, herrliche Blüten- und Fruchtfülle. Dann beobachten wir eine neue Veränderung. Der Herbst kommt nach dem Sommer; der Winter folgt dem Herbst, bis das neue Leben, immer bereit, die Hülle des alten zu sprengen, seine jungen Keime austreibt, bis fast unmerkbare, allmähliche Wandlungen und das stille Wachsen neuer Gewalten das Antlitz der Welt für uns völlig verändert haben. So war es mit der Wandlung, welche gegen Ende des 15. Jahrhunderts über die europäische Kunst kam. Sie war das Resultat vieler zusammenwirkender Ursachen; die grösste derselben war, was die Buchkunst angeht, natürlich die Erfindung der Dekorative Illustration. 2. Aufl. 49 4