EINLEITUNG Bernardo Belotto, genannt Canaletto 1 , ein Kind des achtzehnten Jahrhunderts, war als Vedutenmaler gleicherweise in Venedig, Dresden, Wien und Warschau geschätzt. In Venedig geboren, erfreute er sich bereits als junger Künstler großer Wertschätzung unter seinen Zeitgenossen. Am sächsischen Hofe und an dem in Warschau wurde er zum Hofmaler ernannt und durch hohe Gehälter an die Residenzen ffebun- O den. 2 Seine umfangreichen Stadtansichten mit ihrer reichen Staffage wirkten nicht allein durch die Über zeugungskraft in der perspektivischen Konstruktion, sondern vor allem durch die außerordentliche Genauig keit der Wirklichkeitsbeobachtung. Noch heute gilt sein Werk als Höhepunkt der Vedutenmalerei im achtzehnten Jahrhundert, unübertroffen in der plastischen Greifbarkeit und der historischen Prägnanz zahlreicher Einzelheiten, die den Betrachter in jene Zeit zurückversetzen. Belottos Beliebtheit als Hofmaler steht jedoch nicht in jeder Hinsicht im Einklang mit der sich entwickeln den Kunstauffassung des gebildeten Bürgertums. Am Hofe erfüllte er die Wünsche einer aristokratischen Gesellschaft, die im wesentlichen Träger der Kunst des Barock war. Und diese Kunst trug internationalen Charakter. W illkommen war jeder, der künstlerische Fähigkeiten besaß, gleich, aus welchem Volke er kam. Das gebildete Bürgertum beugte sich zwar dem Barockgeist der Höfe, hatte aber an ihren Schöpfungen kaum Anteil. Es ging andere Wege: „Nur die Schönheit der Erfindung erhöhet die Werke der Kunst. Durch sie schildert der Alaler für die Seele und redet für den Verstand. Der mechanische Teil der Kunst bereitet dem dichterischen einen Körper oder diejenige Einhüllung, die das Auge reizet. Das Herz will ergriffen, der Verstand geschmeichelt, aber das Auge will getäuscht sein.“ 3 Johann Joachim Winckelmann kam fast gleichzeitig mit Belotto nach Dresden (1748) und schrieb hier 1755 seine „Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst“, die zur eigentlichen Programmschrift des beginnenden Klassizismus wurden. Aber erst nach dem Sieben jährigen Krieg konnte diesen neuen Kunstidealen offen gehuldigt werden. Nun galt nur noch das Ideal der „Schönheit der Erfindung“. Einer solchen Forderung gegenüber bedeuten Belottos Veduten mit ihrer getreuen Wiedergabe der Umwelt einen Gegensatz. In der Art der Darstellung jedoch — die starke Betonung von Umriß und Linie, die Benutzung der linearen Perspektive zur Erzeugung der Tiefe sowie der Verzicht auf Atmosphäre und die Verwendung kühler Farben — erweist sich Belotto als ausgesprochener Wegbereiter der klassizistischen Naturdarstellung. Der Übergang vom Barock zum Klassizismus konnte sich nur langsam vollziehen. Auf allen Gebieten war durch den Dreißigjährigen Krieg, die bisher größte Katastrophe für Deutschland, eine Verzögerung der Entwicklung eingetreten. Hier fehlte ein einheitlicher zentralisierter Nationalstaat, der sich, wie in Frank reich, auf das Bürgertum stützen konnte. Der deutsche Kaiser war machtlos, und das Reich bestand aus einem Bund weltlicher und geistlicher Herrscher, von denen jeder nur seinen Interessen lebte. „Der Zer splitterung der Interessen entsprach die Zersplitterung der politischen Organisation, die kleinen Fürsten-