Diabolus in Musica. Hugo Distiers unveröffentlichte Opern- und Oratoriumstexte 45 Jahreszeiten des ersten Teils entsprechen die vier Elemente Erde, Wasser, Luft und Feuer des zweiten. Der dritte Teil ist durchgehend angelegt, enthält aber vier Stadien: Triumphgesang auf den Menschen als Herrn der Welt, große Wehklage der Kassandra als endgültige Warnung an die Menschen, Gebet des Deukalion um die Rückkehr der Götter und schließlich die Um kehr der Menschen und die anschließende Versöhnungsfeier. Es zeigt sich hier eine ähnliche Spannungslinie wie in Der Schalksknecht Gottes-. Ein ursprünglich heiler Zustand wird durch ein Vergehen gestört, es folgen die Androhung eines Untergangs (man könnte auch fast von einem Gottesgericht sprechen) und zuletzt die Umkehr und die Verleihung der Gnade. Wie zu erwarten, hat Distier einen Text geschaffen, der sich hervorragend zum Vertonen eignet, wenn man einmal von der Frage absieht, ob die zu große Stofffülle einer erfolgreichen Vertonung im Wege gestanden hätte. Vorgesehen sind umfangreiche Monodien, dramatische oder besinnliche Chorpartien und Dialoge zwischen Einzelstimmen, zwischen Einzelstimme und Chor oder zwischen zwei Chören. Das alles bietet sogar die Möglichkeit zu szenischer Darstellung, wie aus mehreren wie Regieanweisungen anmutenden Bemerkungen im Text hervorgeht, so etwa im dritten Abschnitt des zweiten Teils: „Lionardo da Vinci, im Selbstge spräch vor seinem Modell zur ersten Flugmaschine“, oder zu Beginn des dritten Teils: „Chor hinter der Szene gesungen; geheimnisvoll,hintergründig 1 , gleichsam eine mythische Verklä rung des Allzunahen“ 16 . Zum großen Teil besteht die sprachliche Gestaltung aus einfacher, rhythmischer Prosa in verschiedenen Versfüßen, die sich zum Vertonen im Zweier- oder Dreiertakt eignet und manchmal in Verszeilen eingeteilt ist. Stellenweise hat Distier sogar strophische Lieddichtung geschaffen. Es folgen einige kurze Beispiele. 1. Rhythmische Prosa (aus Teil 1, 1. Abschnitt, Chor), Demeters Klage (Der Winter): Zur Rüste geht das Jahr. Der Ariadne Krone sinkt hinab ins Meer und schon steigt schweigend der Le- näen Mond, ein blutig Mal, empor. Da hebt das große Klagen an. Der Erdkreis stöhnt. Das Jahr legt sich zum Sterben nieder [...] [S. 3] 2. Rhythmische Prosa in Verszeilen eingeteilt (aus dem Prolog), Stimme der Kassandra: Versuche da keiner die Götter! Sie halten in gnädigen Händen der Menschen Geschick. Doch weh dem Sterblichen, der sich vermessen, ihrer zu spotten! [S. 1] 3. Strophische Lieddichtung (aus Teil 1, 2. Abschnitt, Chor) Persephone (Der Frühling): Kommt all herzu, wer ihr auch seid, zu Körens Heiligtum! Sie feiert fröhlich Urständ heut. Laßt alle Arbeit ruhn! Der Lenz ist da, die Flur erwacht, sie schmücket sich mit großer Pracht. Freut euch an allen Enden! [S. 6] 16 Vgl. den Brief an Kreutz vom 27. Dezember 1941: „Vielleicht wird es ein scenisches Oratorium; darüber zerbreche ich mir gerade den Kopf. Der erste Teil steht in meiner Vorstellung schon deutlich da: die Jah reszeitenbilder denke ich mir ganz stilisiert, archaisch, wie uralte Vasenbilder. Ich will deshalb auch einen mir befreundeten Maler, den Lübecker Alfred Mahlau zu Rate ziehen, der am Anfang seiner Laufbahn Bühnenmaler gewesen ist, ein äußerst begabter Mann für solche Dinge.“ Zitiert nach Barbara Disder- Harth, Hugo Distier. Hebensweg eines Frühvollendeten, Mainz 2008, S. 318.