60 Winfried Lüdemann Ein weiterer Berührungspunkt soll abschließend erwähnt werden. In seinem Roman setzt Mann sich wiederholt mit der Frage der künsderischen Begabung auseinander. Eine umfas sende Auswertung dieses auch sonst bei Mann zentralen Themas wäre hier fehl am Platz. Nur zwei Zitate mögen seine Auffassung illustrieren. Zum einen spricht er von „Genie und seine[r] jedenfalls dämonisch beeinflußte[n] Natur“ (S. 9). An anderer Stelle schreibt er: „Genie ist eine in der Krankheit tief erfahrene, aus ihr schöpfende und durch sie schöpferische Form der Lebenskraft.“ (S. 359). Andersens Märchen von der kleinen Seejungfer und ihren Schmer zen wird mehrfach herangezogen (S. 347-348, 357-358). Wie schon erwähnt, ist dieser Frau genkomplex auch in Der Schalksknecht Gottes ein zentrales Thema. Distler kommt aber zu einer ganz anderen Antwort, wenn er über die schöpferische Kraft und die mit ihr zusammenhän genden Schmerzen sagt, daß die tiefste Erfüllung [...] der Kunst [...] beschlossen sei in jener unschuldig-jungfräulichen und doch zugleich wissenden Empfangnisbereitschaft, für die in Gnaden Empfangen und in Schmerzen Sichhingeben eins ist, ein frommes Magdtum, in der Knechtsgestalt. (S. 33) Für die jeweiligen Bewunderer der beiden Künstler, Distier und Mann, wird das Aufzei gen dieser Berührungspunkte bestimmt zu einer anregenden Erweiterung ihres Verständnis ses führen, ganz gleich, ob sie nun ähnlich oder entgegengesetzt behandelt werden.