Musik, Text und Kontext des Weißenfelser Schütz-Fragments Matthias Kirchhoff und Ann-Katrin Zimmermann Für Paul Sappler I m Jahr 1985 wurde bei Renovierungsarbeiten am Alterssitz 1 von Heinrich Schütz im heute sachsen-anhaltinischen Weißenfels unter einer Kassettendecke das längliche Fragment einer Partitur mit den Maßen 310x75 mm entdeckt (vgl. die Abbildung und Übertragung im Anhang, S. 116). Dieses Papierstück hatte man offenbar zurecht gerissen, um im repräsenta tivsten Raum des Hauses im Obergeschoss, dem heute so genannten „Musikinstrumenten- zimmer“, eine Spalte zwischen zwei Deckenbalken auszufüllen 2 Das Fundstück ist der linke äußere Streifen eines Notenblattes (und zwar, wie noch darzulegen sein wird, wohl der rech ten Hälfte eines Doppelblattes). Auf ihm findet sich die Continuo-Stimme einer Komposition auf deutschen Text, wie man den wenigen Textmarken des Fragments entnehmen kann. Diese bestehen aus: „Er sitz<...>“ (unterhalb der 1. Notenzeile) sowie „Steh auff her Go<tt>“ 3 (unterhalb der 4. Notenzeile) und einem abermaligen „Gott“ (unterhalb der 5. No tenzeile). Indirekt greift man mit der Fundsituation des Fragments wohl auch den Grund der mehr als unbefriedigenden Überlieferung von Schütz-Autographen, indem man nach Schütz’ Tod offenbar so achtlos mit dem ursprünglich reichen schriftlichen Nachlass des schon zu Lebzei ten berühmten Dresdner Hofkapellmeisters umging, dass seine Werke eben auch zum Stop fen von Balkenritzen benutzt wurden 4 . Wolfram Steude betonte daher, dass „jedes noch so unscheinbare Stück Papier, das Schriftzüge Heinrich Schütz’ in Verbindung mit Noten auf weist, unsere erhöhte Aufmerksamkeit“ 5 verdiene. Gegenstand dieses Aufsatzes soll es sein, die bisher in Zahl, Umfang und z. T. auch expli ziter Detaildarstellung eher spärlichen Forschungen zum Weißenfelser Fragment zu prüfen, zu erweitern und gegebenenfalls zu korrigieren. Dies soll nicht allein aus musik-, sondern auch aus literaturwissenschaftlicher Perspektive geschehen, so dass die Untersuchungsfelder dieser Arbeit 1) die Zuschreibung der Noten- und Textschrift des Fragments zu Schütz, 2) den Text des Fragments und 3) musikwissenschaftliche Untersuchungen betreffen. 1 Schütz bewohnte dieses Haus seit 1651. 2 Detaillierter zur Auffindung des Weißenfelser Fragments: Museum Weißenfels (Hrsg.), Sagittariana. Origi nale Drucke und Handschriften zu heben und Werk von Heinrich Schiitz (1585—1672) (Texte Henrike Rucker), Weißenfels 2001, S. 4. 3 Diese beiden Textmarken werden hier und im Folgenden in der voranstehenden Form geschrieben, da das „Er sitz“ des Fragments aus metrischen Gründen sowohl „Er sitzt“ wie „Er sitzet“ gelautet haben könnte, wohingegen das im Fragment lesbare „Steh auff her Go“ nur die Ergänzung zu „Steh auff her Go<tt>“ erlaubt. 4 Wolfram Steude, Ein Schütz-Fragment und Anmerkungen zu Kasseler Schützguellen, in: Ulrich Konrad (Hrsg.), Musikalische Quellen - Quellen zur Musikgeschichte. Festschrift für Martin Staehelin zum 65. Geburtstag^ Göttingen 2002, S. 219-233, hier S. 225. 5 Ebd., S. 219.