Schütz - Schubert - Hugo Wolf von HANS EPPSTEIN In seinem gedankenvollen und anregenden, aber auch schwierigen und widersprüchlichen Schubertbuch 1 widmet Thrasybulos G. Georgiades ein Kapitel dem Thema Schubert und die Geschichte der Musik und hier wieder einen Abschnitt der Gegenüberstellung Schubert und Schütz. Die Einzelheiten seiner Darstellung sind hier weniger wichtig als gewisse ihrer Thesen, und wir können von der Argumentation des Verfassers weitgehend absehen. Georgiades betrachtet die Entwicklung der europäischen Kunstmusik von der karolingischen Zeit bis zum Jahre 1828, in dem Schubert starb, als eine Einheit. Gegen Ende dieser Periode „rückte die deutsche Musik an die erste Stelle. Ihre große Zeit begann mit Heinrich Schütz (1585-1672). Sie begann mit der verbindlichen musikalischen Deutung der deutschen Sprache durch Schütz. - Die deutsche Sprache ist es, die die große deutsche Musik ermöglichte [...] Das hat seinen Grund im Wesen dieser Sprache". Sie hat die Einheit des Altgriechischen von sprachlicher und musika lischer Komponente abgestreift und ist „zur reinen Sprache geworden", was seinerseits eine „sich gänzlich frei betätigende Musik" ermöglichte, die jedoch erst dann „mündig" werden konnte, „nachdem sie durch die Schule der Sprache, durch Schützens Werk, hindurchgegangen war" 2 . „Eckpfeiler [der deutschen Musik] sind Schütz und der Liederkomponist Schubert, beide in der Sprache (Schubert über die Dichtung) gründend. Zwischen ihnen wölbt sich die große, vom Instrumentalen her konzipierte deutsche Musik. Durch Schubert kehrte sie zur Sprache als ihrer Mutter zurück. [...] Die gesamte geschichtlich europäische Musik seit Homer [...] bildete stets entweder eine Einheit zwischen Sprache und Musik (griechisches Altertum) oder sie entfaltete sich als Auseinandersetzung zwischen beiden (Abendland). Schuberts Lied schließt diese Ära ab" 3 . Ob man dieser Postulierung der beiden „Eckpfeiler" der großen deutschen Musik zustimmt oder sie bestreitet, hängt von dem Geschichtsbild des Betrachters ab, u. a. von seiner Bewertung des Vokalen gegenüber dem Instrumentalen, was sich ja in Schuberts Epoche recht anders als in der Schützens darstellt. Aber selbst wenn man grundsätzlich mit Georgiades übereinstimmt, erheben sich Fragezeichen. Die epochale Größe von Schütz und Schubert dürfte kaum von jemandem bestritten werden, und daß Schubert, ein eminenter Musiker im emphatischen Sinne, durch seinen Einsatz den Begriff des Kunstlieds im wesentlichen geschaffen und auf lange Zeiten hin verankert, zugleich aber auch in bislang unübertroffener Weise selbst repräsentiert hat, ist ebenfalls ein fester Bestandteil unseres musikgeschichtlichen Denkens. Ist damit aber auch gesagt, daß Schuberts Lied „diese Ära ab[schließt]"? Das übliche Bild des auf ihn folgenden Geschehens ist, daß Deutschland die Hegemonie auf dem Gebiet des Liedes behielt und daß die Hauptmeister Schumann, Brahms und Hugo Wolf bei aller individuellen Selbständigkeit als Liedkomponisten Erben Schuberts sind, von ihm mehr oder minder überschattet. Georgiades 1 Thrasybulos G. Georgiades, Schubert - Musik und Lyrik, Göttingen 1967. 2 Ebenda, S. 183 f. 3 Ebenda, S. 193. 62