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II. Geschichte des Fahrrades Dr. Karl Biesendahl-Stuttgart, Chef-Redakteur des «Deutscher Radfahrer». ER Radler, welcher auf einem mit allen Neuheiten der Gegenwart ausgestatteten Niederrad durch die deutschen Gaue fliegt und sich aller Vorzüge seines ge liebten Rades bewusst ist, weiss vielleicht trotz aller Begeisterung nicht einmal, mit wie vollem Rechte er darauf stolz sein kann, dass er sich einer Erfindung bedienen darf, und in einer Zeitepoche lebt, welche ihm diese Errungen schaft entgegentrug, die in dem uralten Kampfe der Menschheit gegen Raum und Zeit das letzte und siegreiche Glied einer vieltausendjährigen Epoche dar stellt. Zweifelnde Laien, wie begeisterte Radfahrer mögen sich nicht scheuen, mit mir im Fluge die Haupt punkte der Geschichte der Menschheit, soweit sie jenen Kampf gegen Raum und Zeit betrifft, jene beiden Gewalten, durch welche sich seit Anbeginn die That- kraft der Menschheit ein geengt fühlte, in Augen schein zu nehmen. Die menschlicheKraft war wohl überhaupt das erste Fortbewegungsmittel, aber natürlich wirkte sie nur von aussen, indem sie sich selbst vor die zu be fördernden Lasten spannte, welche sie im rohesten Zu stande des Beförderungs wesens einfach von Ort zu Ort schleifte. In unsäglich langer Zeit wurden die allerge ringsten Strecken bewältigt und als beispielsweise etwa 4°oo Jahre vor der christ- Kunstwagen mit Handantrieb von Stefan Farfler Altdorf bei Nürnberg. Mitte des XVII. Jahrhunderts. ' liehen Zeitrechnung der ägyptische Pharao Menes seine erste grosse Pyramide erbaute, erschien es bereits unmöglich, trotz des Vorspanns von tausenden von Arbeitern, die gewaltigen Felsenquader, welche man zu dem kolossalen Bau verwendete, von der Bruch stelle zum Bauplatz zu befördern. Vielleicht war es ein Zufall, der damals einen findigen ägyptischen Bau meister auf eine Idee kommen liess, aus welcher sich im Laufe der Zeiten alle weiteren Beförderungsmittel entwickeln sollten. Sollten wir uns sehr weit irren, wenn wir uns etwa die Sache so vorstellen, dass die massigen Quader auf einige Baumstämme zu liegen kam, welche viel leicht zum Gerüst dienen sollten? Der früher kaum bewegliche Block wurde nun mit leichter Mühe von den taussnden von Händen bewegt und die beweg liche Rolle, das Prototyp des Rades, war erfunden. Wie es aber mit unserer Hypothese auch be schaffen sein möge, so viel steht ausser Frage, dass die Beförderung solcher gigantischer Quader, wie dieselben zur Pyramide des Menes Verwendung ge funden haben, ohne Anwendung von Rollen auch für das grösste Arbeiterheer ein Ding der Unmöglichkeit gewesen wäre. Die Existenz deiselben 4000 Jahre vor unserer Zeitiechnung wäre damit so gut wie nachgewiesen. War nun hiermit die erste Erfindung gemacht, so war es nur eine Frage der Zeit, dass dieselbe, jeden falls infolge ihrer Nutzbarkeit, als bedeutsam ange sehen, mehr und mehr vervollkommnet wurde. Zunächst suchte man gewiss das lästige Vorlegen neuer Rollen zu beseitigen und wodurch anders, als indem man die Rollen durchbohrte und die Achsen mit einander verband. Da man nun aber bei einer grossen und langen Last das Gleiten der Rollen beeinträchtigt sah, so kam man wohl zunächst darauf, die Rollen in der Mitte dünner zu machen, um für die Gestalt der Last Raum zu schaffen. Da auch dies nicht immer genügend erschien, so schnitt man die Rollen in der Mitte ganz durch und legte die Last allein auf die Achsen und siehe, es ging auch ohne das Mittel teil. Hiermit war die älteste Gestalt eines rohesten Wa gens erfunden. Seine Räder bestanden aus zwei oder vier Rollen blocken mit run den Stangen als Achsen, welche durch eine Quer- Dass in der That die primi- geht am besten Stange verbunden waren tivsten Wagen so beschaffen waren, ..... daraus hervor, dass noch während der Völkerwanderung die Wagen der Germanen Räder aus vollen Holz scheiben hatten. So gross nun weiter der Fortschritt war, welcher damit in der allgemeinen Nutzbarkeit des «Wagens» gemacht wurde, als man die menschliche Kraft durch die der Tiere ersetzte, welche man inzwischen so weit zu zähmen gelernt hatte, dass man sie vor den Wagen spannen konnte, während man sich denselben, zumal dem Pferde selbst als Reiter noch lange nicht anzu- veitrauen wagte, so war doch in dem Fortbewegungs prinzip als solchem eine Aenderung hierdurch nicht herbeigeführt worden. Man ersetzte einfach die von aussen wirkende Menschenkraft, wie sie in Japan noch heute bei der sog. «Menschendroschke» also bei Per sonenbeförderung üblich ist, durch eine andere, eben falls von aussen als Vorspann wirkende, die der Tiere.