Der Radfahrsport in Bild und Wort

— 162 — digkeit ist erreicht, sobald sich die geringsten Anzeichen von Atemnot oder überhaupt eine bemerkbare Beschleunigung der Atmung einstellt. Wer diesen Grundsatz zur unweigerlichen Richt schnur macht, sobald er im Sattel sitzt, und sich weder durch die Einflüsterungen der Eitelkeit oder eines falschen Ehrgeizes noch durch den Druck eines falschen Schamgefühls vor Mitfahrern irgendwie beirren lässt, wird stets nur eine Förderung seiner Gesundheit und niemals eine Schädigung derselben erfahren. Gerade in der hierzu anfangs notwendigen Selbstüber windung besteht ein Teil der erziehenden Wirksamkeit des Radsports. Das Auftreten von Atemnot ist nämlich das sichere, untrügliche Anzeichen für das Heran nahen der einzigen wirklichen Gefahr, welche das Rad für den unkundigen Reiter mit sich bringt: der Ueberanstrengung des Herzens. Das Radfahren übt eine spezifische Wirksam keit auf die Thätigkeit des Herzmuskels aus, in der Weise, dass eine Vermehrung und Kräftigung der Pulsschläge auftritt, während gleichzeitig die Atmung nicht beschleunigt, dagegen beträchtlich ver tieft wird. Hierbei kann die Anzahl der Atemzüge sogar eine Verminderung erfahren. Tritt jetzt bei forcierter Uebung Atemnot auf, so wird die Puls welle , ohne dass die Zahl der Pulsschläge sich zu vermehren braucht, niedriger, d. h. die Herz- thätigkeit schwächer So kommt es, dass die selbe Anzahl vermehrter Pulsschläge ein Zeichen der Schwächung und der Kräftigung des Herzens sein kann, je nachdem die Atmung beschleunigt ist oder nicht. Die beiliegenden Kurven veranschaulichen dies in deutlich erkennbarer Weise, indem Kurve 2 und 3 Einfluss der Zeitdauer der normalen Radfahrt. Kurve i. Vor der Ausfahrt: Atmung 12, Puls 78 in der Minute. Kurve 2. Nach einstündiger Fahrt: Atmung 12, Puls 96 in der Minute. Kurve 3. Nach vierstündiger Fahrt: Atmung 12, Puls no in der Minute. Ermüdungskurven nach Zurücklegung von 78 Kilometern mit beträchtlichen Steigungen. Kurve 4. Atmung 24, Puls 104. Dauer von Ermüdungsgefühl und nervös« Abspannung 4 Stunden. ! Kurve 5. 2 Stunden nach der Radfahrt von 78 Kilometer. Atmung 15 Puls 104. Wohlbefinden. ’ die Verstärkung der Herzthätigkeit bei ordnungs- mässiger Ausführung, Kurve 4 die starke Schwächung des Herzmuskels nach Ueberanstrengung und Kurve 5 seine langsame Erholung nach einer solchen vor die Augen führen. Zu beachten ist daher die Thatsache, dass die Verlangsamung und Vertiefung der Atmung des Radfahrers nicht die Frucht einer zum Zwecke des Radfahrens vorgenommenen Vor Übung oder einer während des Radfahrens gleichzeitig absichtlich zu betreibenden Atemgymnastik ist, sondern, wenn bei geschlossenem Munde durch die Nase geatmet wird, eine vom Willen unabhängige, selbst gegen den Willen eintretende kompensatorische Folge, ein integrieren- der Bestandteil der physiologischen Ein wirkung des Radfahrens auf den Organismus des Radlers ist. Die Geschwindigkeit, welche bei Beobachtung obiger Grundregel erreicht wird, ist im Verhältnis zu der eines Reiters oder eines Wagens noch immer eine sehr beträchtliche und stellt die Leistung des flottesten Einspänners stark in den Schatten. Ausser- dem verschiebt sich die Grenze der gesundheits gemässen Maximalleistung gerade bei anfänglich strengster Beobachtung der Vorschrift, dass die Reiz schwelle der Atemnot niemals überschritten werden darf, von Tag zu Tag in erstaunlicher Weise nach oben, so dass nach wenigen Wochen Steigungen spielend genommen werden, bei deren versuchsweise vorgenommenen Anläufen der Anfänger zusammen bricht. Andrerseits macht sich eine einzige, nur einmal und kurze Zeit ausgeführte Ueberanstrengung auf Tage, selbst Wochen durch auffällige Verminderung der Leistungsfähigkeit, bei der kleinsten Steigung auftretende Atemnot und sofort fühlbares Herzklopfen bemerkbar, Ursache genug, obige Regel zur Grundlage jeder Lehre der Stahlrad-Reitkunst zu machen. Welch mächtigen Einfluss die methodische Uebung auf die Regelmässigkeit und Tiefe der einzelnen