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V. Das Tourenfahren von August Geisser-Regensburg, Vorstand des Sportausschusses des Deutschen Touren-Klubs (Allgem. Radfahrer-Union). 1. Vorzüge einer Radreise. REUNDE wie begeisterte Anhänger unseres Sports kennen nur die eine Losung: «Das Tourenfahren ist der edelste Zweig des Radfahr sportes». Und es gebührt dem Tourenfahren unter allen Aeusserungen des Radfahrsportes der Preis nicht bloss aus Gründen inneren und äusseren Wertes, sondern auch bezüglich der Zahl seiner Anhänger, welche so ziemlich die Gesamtheit der Radfahrer umfassen mag. Der Verallgemeinerung des Tourenfahrens kommt aber auch eine ausnehmend günstige Lage innerhalb des radsportlichen Lebens zu gute, denn während Renn- und Kunstfahren ganz besondere körperliche Voraussetzungen und Vorbereitungen verlangen, kann doch jeder nach seinen Mitteln und seiner Zeit das Tourenfahren pflegen. Freilich, wenn man das Wort «Tourenfahrer, Wanderfahrer» in strengerem Sinne nehmen und es nur für solche gelten lassen wollte, welchen es gegönnt ist, ganze Reisen auf dem Rade zu machen, würden die zahlreichen Sportsgenossen wegfallen, die man füglich «Ausflügler» nennen könnte. Auf einen Tag, auf anderthalb oder auch zwei vermögen sie sich Ausflüge zu gestatten, dann aber findet sie der un erbittliche Beruf wieder zuhause. Das wäre der Tourenfahrer in weiterem Sinne. In engerem und eigentlichem Sinne aber ist ein Radtourist derjenige, welcher auf mehrere Tage oder Wochen hintereinander fortgeht, seine Ma schine als alleiniges Beförderungsmittel festhält und sich den reichen Freuden und gelegentlichen Unbe quemlichkeiten des Nomadenlebens auf dem Rade mutig und frohen Sinnes hingiebt und der körperlich Verhaltungsmassregeln auf derselben. und geistig den Anforderungen einer Radreise sich gewachsen erweist. Wir Anhänger des Tourenfahrens preisen aus Ueberzeugung das Rad als das beste Beförderungs mittel unserer Zeit, wie aber, wenn man andere Reise arten zum Vergleiche heranziehen wollte? — Keine Sorge, unser Rad würde ebenso ehrenvoll bestehen! Wer fände denn heutzutage noch Zeit zu so ausgedehnten Fusstouren ? Alle Prosa und alle Poesie, mit denen die Fussreise gefeiert wurde, vermögen diese Reiseart nicht mehr zu beleben; nur für das Gebirge, für den Meeresstrand, für verhältnismässig wenige Wanderziele ist das Fusswandern heute noch die willkommene Reiseart. Wagenfahrten empfehlen sich schon mehr, aber hierbei ist von vornherein zu unterscheiden zwischen denen, welchen die Mittel einen eigenen Wagen gestatten und denen, welche die billigere Be förderung in Gesellschaftswagen durch eine Menge von Geduldproben bezahlen müssen. Die Eisenbahn beherrscht die Welt; sie ist allerdings das schnellste, zeitgemässeste, demokrati scheste, in manchen Fällen auch billigste, was an Reisegelegenheiten besteht, aber die Eisenbahnreise macht den Menschen zum Gepäck, das sozusagen willenlos befördert wird; sie erschlafft, statt anzuregen und gestattet, trotz Aussichtswagen, nur einen unvoll kommenen, weil unerbittlich rasch vorbeihuschenden Eindruck von den Schönheiten der Natur. Von Un bequemlichkeiten, die mit dem Eisenbahnreisen ver bunden sind, von Gesellschaft, Platzenge, vom Studium von Fahrten-Plänen und Anschlüssen u. s. w. hier gar nicht zu reden. Und so wird niemand wider sprechen wollen, wenn man die Eisenbahn wohl als